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Was unternimmt die SPD gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und Unternehmen ?

Betrachtungen des SPD- Kreistagsabgeordneten Wilhelm Rühl, Höxter über die Privatisierungsdiskussion in der SPD vor und auf dem Bundesparteitag 1984 in Essen

1 . Vorbemerkung

Diskussionen über Sozialisierung (= Überführung von privatem Eigentum in Gemeineigentum für öffentliche Zwecke ) und Privatisierung ( = Überführung von öffentlichen Aufgaben bzw. Eigentum in privates Eigentum ) scheinen in der SPD ein Tabu zu sein. Diesen Eindruck habe ich im Vorfeld und auf dem letzten SPD- Bundesparteitag im Mai 1984, der in Essen stattfand, gewonnen.

In der Folge will ich meine Aktivitäten und Beobachtungen zum Themenkomplex " Privatisierung " schildern, die sich aufgrund meiner Teilnahme auf der kommunalwirtschaftlichen SGK- Bundeskonferens in München ( Oktober 1983 ), auf der AfA- Bundeskonferonz in Karlsruhe ( Januar 1984 ) und auf dem SPD- Bundesparteitag in Essen ( Mai 1984 ) ergeben.

2. Auf der kommunalwirtschaftlichen Bundeskonferenz in München : ÖTV übt starke Kritik am Privatisierungsbeschluß der Bundes- SGK

Kurz vor dieser SGK- Bundeskonferenz hatte die sog. " Kleine Delegiertenkonferenz " der Bundes- SGK in ihren kommunalpolitisehen Leitlinien " Die 80- er Jahre- Herausforderung für die Kommunalpolitik " u. a. beschlossen, daß " Privatisierungen prinzipiell nicht abzulehnen sind ( Vergl. Anlage 5 : Gegenüberstellung des SGK- Beschlusses zum SPD-Bundesparteitagsbeschluß ). Dies war am 17. 10. 1983 in Kassel geschehen.

Auf der Münchener SGK- Konferenz nahmen Vertreter der Gewerkschaft ÖTV massiv Stellung gegen diesen Beschluß. U. a. war von der ÖTV auch der Privatisierungsexperte Werner Sauerborn anwesend, der aus der grünen Reihe " Zur Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen " das neuste Heft 13 mit dem Titel " Privatisierung - Angriff auf den Sozialstaat " an die Konferenzteilnehmer verteilte.

Während die ÖTV aus ihrer Interessenlage heraus vornehmlich gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen votierte, wandte ich mich in meinen Ausführungen auf der Konferenz gegen die Privatisierung öffentlicher Unternehmen, wobei mir die Privatisierungspläne der rechtsliberalen Bundesregierung ( damals bei der VEBA ) als Aufhänger dienten. Meine damaligen Ausführungen habe ich später in einem Papier zusammengefasst.( s. Anlage 1 : Die " Rechtskoalition " wird die Privatisierung weiter vorantreiben - Privatisierung von unten und von oben).

Das Thema " Privatisierung " wurde anschließend in den Arbeitskreisen lebhaft diskutiert und sollte dann abschließend im Plenum der Konferenz noch einmal behandelt werden. Dies unterblieb allerdings, .weil die Konferenz am 2. Tage überraschend vorzeitig geschlossen wurde.

Mein o. a. Papier wurde auf Bezirksebene in Ostwestfalen- Lippe diskutiert, wobei es schließlich zur Begründung eines von mir entworfenen Antrages diente , der vom PV eine genaue Analyse der Privatisierungsvorgänge und die Aufstellung einer Gegenstrategie forderte. Dieser Antrag wurde vom SPD- ÜB- Parteitag Höxter und vom SPD- Bezirksparteitag einstimmig angenommen. Auf der AfA- Bundeskonferenz 1984 wollte man allerdings nichts davon wissen.( s. Anlage 2 ).

3. Auf der AfA- Bundeskonferenz 1984 in Karlsruhe : Privatisierung von öffentlichen Unternehmen wird ausgegrenzt

Hier kam der spätere AfA- ßundesausschußvorsitzende Gerd Benner zu mir und eröffnete, der vom AfA- Bezirksvorstand OWL initiativ eingebrachte Antrag ( s. Anlage 2 ) würde entgegen der Empfehlung der Antragskommmission voll in den Antrag A 44 aufgenommen, wenn ich nichts dazu sagen würde. ( Die Striche und der Pfeil auf der Anlage 2 sind von Gerd Benner zur Verdeutlichung seines Vorschlages gezeichnet .worden )

Da ich es eber für wichtiger hielt, das Thema "Privatisierung " entsprechend meines Papiers ( s. Anlage 1 ) zu erläutern, revidierte die Antragskommission ihre ursprüngliche Empfehlung nicht, sodaß die entscheidenden Punkte des Antrags ( " gegen Privatierung aller öffentliche Unternehmen, Forderung einer Analyse und Entwicklung einer Gegenstrategie ) nicht zum Zuge kamen ( s. Anlage 2 ).
 


Besuch von Johannes Rau auf der AfA- Bundeskonferenz 1984 bei den
ostwestfälischen Delegierten. (Wilhelm Rühl stehend hinten links)
 

Ein kleiner Trost war es, daß später die Anträge D 119 ( Bezirk Hessen-Kord ) und D 120 ( Landesverband Rheinland-Pfalz ) angenommen wurden, Antrag D 120 fordert eine bundesweite Aufklärungsaktion der Gewerkschaften und der SPD gegen die Privatisierung ( s. Anlage 3 )


Egon Lutz auf der AfA- Bundeskonferenz 1984 in Karlsruhe
(siehe auch die dazugehörigen Erinnerungen)
 

Antrag D 119 dehnt das Privatisierungsverbot auf Landes- und Kommunalebene aus. Bezeichnend ist allerdings, daß hier der Satz " Vorrang der öffentlichen Dienstleistung gilt im Versorgungs- und im Dienstleistungsbereich " aus der Beschlußfassung herausgelassen wurde.Üben doch gerade die privatisierten Energiekonzerne aufgrund ihrer Monopolstellung die größte wirtschaftliche Macht aus. ( s. Anlage 4 )

4. Auf dem SPD- Bundesparteitag 1984 in Essen : Wegen Privatisierungsbeschluß zum Rundfunk und Fernsehen sollte eine Grundsatzdiskussion verhindert werden

Hier lagen unsere Anträge ( s. Anlage 2 ) erst gar nicht vor, obwohl die Weiterleitung zum Bundesparteitag sowohl dem Unterbezirk Höxter als auch dem Bezirk OWL anvisiert war . Da ich nur als Ersatzdelegierter ( Nachrücker ) am Bundesparteitag teilnahm, konnte ich das Fehlen unserer Anträge erst auf dem Parteitag selbst feststellen. Meine Bemühungen , um die Parteitagsunterlagen vor dem Parteitag zu erhalten, waren erfolglos. Ich erfuhr lediglich von einem Bundesvorstandsmitglied der SPD , daß die mir bekannten neuen kommunalpolitischen Richtlinien der Bundes- SGK ( s. oben ) vom PV nur zur Kenntnis genommen worden waren.

Auf dem Parteitag fand ich in dem Antrag 641 des PV "Kommunalpolitik in den 80- er Jahren " zur Privatisierung eine Formulierung vor , die von den Richtlinien der Bundes-SGK etwas abwich ( m. E. sogar positiv für Privatisierungsgegner ), aber aus meiner Sicht

1. zu positiv für eine Privatisierung war ,
2. die Privatisierung öffentlicher Unternehmen überhaupt nicht ansprach.

Sogar dem zuständigen Sprecher der Antragskommission, den ich auf dem Parteitag ansprach, war die abweichende Formulierung des PV- Antrages gegenüber den Bundes-SGK- Richtlinien nicht bekannt. Erst nach Hinzuziehung des zuständigen PV- bzw. SGK- Referenten konnte der Sachverhalt geklärt werden ( s. Anlage 5 : Gegenüberstellung der beiden Formulierungen ).


Auf dem SPD- Parteitag 1984 : Wilhelm Rühl unter den ostwestfälischen Delegierten
( vorne, 3. von rechts )

Bei der Diskussion des kommunalpolitischen Leitantrags auf dem Parteitag beantragte der Hannoveraner Delegierte Manfred Krause , entgegen der Empfehlung der Antragskommission den Antrag 642 anzunehmen. Dieser sah vor der Beschlußfassung neuer kommunalpolitischer Papiere durch der Parteitag eine Grundsatzdebatte darüber an der Basis vor. In diesem Zusammenhang übte er u. a. auch Kritik an den Formulierungen des PV-Antrag zur " Privatisierung ". Sie sei nicht ausreichend in den Parteigremien behandelt worden. Sie werde in diesem Antrag als eine durchaus vorhandene Möglichkeit angesprochen, obwohl man bei ihr in Bezug auf den Besehäftigtenschutz und die Gebührengestaltung schlechte Erfahrungen gemacht habe. (s. Anlage 6 : Auszug aus dem Parteitagsprotokoll ).

Als sich dann noch andere Delegierte des Parteitags für eine Diskussion der kommunalpolitischen Papiere an der Basis aussprachen, schlug der Gcnosses Eichel ( Sprecher der Antragskommission ) vor, den Antrag .641 des PV mit den Leitlinien der Bundes- SGK weiter in der SPD zu diskutieren. Als dann daraufhin die Delegierten ihren Antrag 642 zurückzogen, setzte sich das Präsidiumsmitglied Klaus von Dohnanyi über diese Empfehlung des Sprechers der Antragskommission hinweg und ließ über den vorliegenden PV- Antrag 641 entsprechend der Empfehlung der Antragskommission ", d. h. über die Annahme abstimmen, der dann mit wenigen Enthaltungen gefolgt wurde ( s. Anlage 7: Auszug aus dem Parteitagsprotokoll ).

Ich hatte den Eindruck, daß man so die Hannoveraner Delegierten getäuscht hat. Aus dem beigefügten Protokollauszug kann sich aber jeder Leser eine eigene Meinung bilden.

Bekanntlich ist auf dem Essener Parteitag 1984 die SPD von ihrem Grundsatz des öffentlich- rechtlichen Rundfunks und Fernsehens erstmalig abgerückt. Sie hat damit mit einer mehrheitlichen Entscheidung der Privatisierung dieses Medienbereiches " grünes Licht " gegeben.

Hierbei haben sich die Pragmatiker durchgesetzt, nachdem die 4 sozialdemokratischem Länderchefs Börner, Dohnanyi, Koschnik und Rau die Weichen in diese Richtung gestellt hatten.
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Im Nachhinein vermute ich, daß es eine Taktik der Befürworter des Privatfunks war, eine grundsätzliche Diskussion über Privatisierung auf dem Parteitag zu verhindern. Deshalb durften keine störenden Anträge den Parteitag erreichen, und deshalb mußte der kominunalpolitische Antrag des PV, der die Privatisierung im kommunalen Bereich offenhält, unbedingt verabschiedet werden.

Ich kann mich täuschen mit meiner Vermutung. Aber eines ist sicher : Es gibt Kräfte in der SPD, die ( aus welchen Gründen auch immer ) eine Diskussion über Privatisierung ebenso scheuen wie die über Sozialisierung.