Die vernichtenden Niederlagen bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen Anfang Februar 2003 sowie jetzt bei den Kommunalwahlen in Schleswig- Holstein haben es gezeigt : Durch ihre jahrelange Bundespolitik im Interesse der Unternehmer und Reichen, insbesondere der Konzerne, hat die SPD ihre Stammwähler verloren. Sie kann Wahlen nur noch dann gewinnen, wenn sie sich auf allen Ebenen für die Interessen der grossen Mehrheit der Bevölkerung vertritt, und das sind nun einmal in zunehmenden Masse die Arbeitnehmer, die man unter dem Einschluss der Arbeitslosen auch Beschäftigungsabhängige nennen sollte.
Noch Ende der 80- er Jahre hatte in der SPD eine rege Programmdiskussion stattgefunden. Die deutsche Wiedervereinigung , die zu einem überragenden Wahlsieg der bürgerlichen Parteien führte, brachte allerdings die Partei von dem Weg des ( wie auch immer definierten ) "Sozialismus" ab und liess das gerade erst beschlossene Programm im Papierkorb verschwinden. Schon unter dem nach einer Mitgliederbefragung gekürten Vorsitzenden Rudolf Scharping näherte die SPD sich dem "neoliberalen" Zeitgeist. Hier hatten auch bereits bei der Stimmabgabe zur Mitgliederbefragung die bundesdeutschen Medien die Migliedschaft in diesem Sinne beeinflusst. Der dann überraschend auf dem Parteitag 1997 gewählte Vorsitzende Oskar Lafontaine gab der Partei noch einmal einen Auftrieb, der dann auch zu dem grossen Wahlsieg bei der Bundestagswahl 1998 führte. Lafontaines Rücktritt liess aber dann eine bereits nur noch von einzelnen Personen abhängige Partei in eine Lethargie verfallen, aus der es schwer ist, jetzt herauszukommen.
Einen neuen Aufstieg der SPD sehe ich persönlich nur, wenn Kräfte von aussen sich mit den Mitgliedern in der Partei dazu aufraffen, die im Berliner Programm dargestellten Parteiziele offensiv in der Öffentlichkeit zu vertreten. Aktuell bezogen heisst das : Wie in den 60-er Jahren es die APO war, müsste jetzt die Attac damit beginnen, den sog. "Marsch durch die Institutionen" aufzunehmen.
Dabei müssen die Arbeitnehmerinteressen im Vordergrund stehen, die ja auch innerhalb der Partei von der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmrfragen ( AfA ) und aussen von der Attac und den Gewerkschaften vertreten werden. Die Gelegenheit zu dieser offensiven Strategie ist noch günstig, da es ausser der immer noch wegen ihrer Vergangenheit umstrittenen PDS keine andere Partei gibt, die sich bisher vorrangig für Arbeitnehmerinteressen einsetzt.
Wie dieser Wiederaufstieg der SPD gestaltet werden koennte, zeigen die Ereignisse der 60-er Jahre :
Nach der Beschlussfassung des "Godesberger Programms" 1959 war die Partei in einer aehnlichen depressiven Lage wie heute. Der damalige stellv. Vorsitzende des SPD-Bezirks Hessen-Süd Olaf Radke erzählte in einem kleinen Kreis, an dem ich teilnahm. von dem SPD- Bundesparteitag 1966 :
"Zur Diskussion des Geschäftsberichtes meldete sich niemand. Willy Brandt kam zu unseren Delegierten und forderte sie auf, sich doch zu beteiligen. Aber keiner machte dazu Anstalten:"
Eine Aufbruchstimmung kam dann auf dem Nürnberger Parteitag 1968 auf, an dem ich als Delegierter teilnahm.. Dies war zwar ein ordentlicher Parteitag mit Vorstandswahlen.. Aber im Vorfeld hatte es schon Anträge von Bezirken der Partei zu einem ausserordentlichen Parteitag im Hinblick auf die damalige "Grosse Koalition" und die geplanten Notstandsgesetze gegeben (vergl. auch meine Berichte:
"Vergleich der Situation in der SPD von 1968 mit der von heute ( 2001 ) )
Die Bewegung kam hauptsächlich von aussen durch die Gewerkschaften und den ausserparlamentarischen Kräften ( APO), die u. a. auch ( wie heute ) für den Frieden ( damals in Vietnam ) demonstrierte.
In Rheinland- Pfalz und in Hessen- Nord hatten sich 1967 Arbeitsgemeinschaften Sozialdemokratischer Gewerkschafter (AGS) gebildet. In dem Gründungsaufruf der AGS Hessen- Nord ( vergl. Anlage ) wurde das einseitige Verhalten der SPD- Parteispitze in der damaligen "Grossen Koaltion" zugunsten der Unternehmer, vor allem auch im Hinblick auf die damals geplanten "Notstandsgesetze" kritisiert. Die "Frankfurter Rundschau" vom 28.10.1967 mit dem Titel " Auch in Hessen formieren sich SPD-Gewerkschafter " und "Die Welt" vom 06.11.1967 mit dem Titel " SPD-Gewerkschafter schreiben an Zinn" berichteten darüber.
In meinem Bericht "Wie die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) in der SPD entstand" habe ich die damalige Situation, die letztlich zur Entstehung der AfA führte, geschildert.
Und wie steht es heute ?
Sofort nach dem Desaster bei den Landtagswahlen hat der Vorstand des
SPD- Bezirks Hessen- Sued am in einem Antrag mit dem Titel "Rückbesinnung
nach dem Wahldesaster" die Einberufung eines a.o. Bundesparteitages verlangt
( vergl. Anlage) .
Dieser Antrag, der im Internet auch auf der Homepage des SPD- Bezirks
Hessen- Sued erschien, wurde im "Vorwaerts" ( nur im Hessen-Süd-
Teil, dem sog. traditionellen "Sozialdemokrat" ) durch ein Interview des
Bezirksvorsitzenden Gernot Grumbach ergänzt ( s.
Anlage ).
Aber die inner- und ausserparteiliche Situation ist ganz anders : Während die SPD 1967 noch ein starkes Wählerreservoire an Stammwählern vorfand ( sie hatte bei den Bundstagswahlen 1965 noch 39,3 % erreicht ), ist durch die Politik der fast 5-jährigen rotgrünen Bundesregierung die Zahl der SPD- Wähler seit einigen Monaten auf unter 30 % gesunken und hat gerade jetzt ( zur Zeit meiner Darstellung am 07.03.2003 ) ein historisches Tief von 27 % erreicht ( vergl. Handelsblatt vom 07.03.2003 ). Vor allem ist die Wählerfluktuation jetzt stark gestiegen, was wohl auf eine höhere Beeinflussung durch die Medien zurückzuführen ist. Die Parteispitze kann deshalb auch ihre Personen stärker ins Spiel bringen, wodurch die sachlichen Diskussionen in der Partei und in der Öffentlichkeit an Bedeutung erheblich verlieren.
Negativ wirkt vor allen Dingen in der Öffentlichkeit, dass bei
der SPD auf Bundesebene weder Partei noch Fraktion auf die Bundespolitik
Einfluss nehmen können, was wohl mit den Machtverhältnissen in
der bundesdeutschen Gesellschaft zu tun hat. Wenn dann die Gewerkschaften
ihre m. E. berechtigten Einwände gegen eine eindeutig zugunsten der
Selbständigen und Unternehmer durchgeführte Politik der Umverteilung
von unten nach oben vorbringen, wird das in Umfragen mit Hilfe der Medien
so dargestellt, dass 50 % der Befragten der Meinung sind, die Gewerkschaften
hätten einen größeren Einfluss auf die Politik, als ihnen
zustehe ( vergl. Frankfurter Rundshau vom 08.03.2003)