Zurueck zur Vorseite
Frankfurter Rundschau vom 28.10.1967

Auch in Hessen formieren sich SPD-Gewerkschafter

Unzufriedenheit mit Politik der Sozialdemokratischen Parteiführung / »Ideologische Zielsetzung verloren"

Drahtbericht unteres Korrespondenten Karl-Heinz Bernhard

KASSEL, 27. Oktober, Eine Arbeitsgemeinschaft sodaldemokratischer Gewerkschafter für Nordhessen wurde am Freitag nach rheinland- pfälzischem Beispiel von einer Gruppe jüngerer Gewerkschaftsfunktionäre in Kassel gegründet. Der an sämtliche SPD-Gewerkschaftsmitglieder gerichtete Gründungsaufraf trägt die Unterschriften fast aller dem Deutsehen Gewerkschaftsbund angehörenden Einzelgewerkschaften und ruft die Gewerkschaftsmitglieder, die zugleich der SPD angehören, zur Mitarbeit auf.

Im Vorstand sind ebenfalls Vertreter der verschiedenen Industriegewerkschaften vertreten. Die Finanzierung der Arbeitsgemeinschaft soll vorerst durch Spenden erfolgen. Beim Parteivorstand der SPD Hessen-Nord
will die Arbeitsgemeinschaft ihre offizielle Anerkennung als Untergliederung der SPD beantragen. In eigenen Veranstaltungen will die Arbeitsgemeinschaft auch gegen die Notstandsregelung vorgehen.

In der Gründungsversammlung fielen harte Worte gegen den derzeitigen Kurs der SPD in der Großen Koalition. Die sozialdemokratischen Gewerkschaftsmitglieder, so wurde erklärt, seien mit der von der Parteiführung betriebenen Politik unzufrieden. Das Unbehagen an der Parteispitze werde mit Sicherheit sogar noch wachsen.

Die Arbeitsgemeinschaft will überall in Nordhesseu eigene Kreisverbände gründen. „Wir -wollen zum Unruheherd in der Partei werden und, wenn nötig, auch Druck auf die Parteispitze ausüben", erklärte ein Vorstandsmitglied. Den Lebensinteressen der wirtschaftlich abhängigen Arbeitnehmer müßten innerhalb der SPD wieder der ihnen gebührende notwendige Einfluß verschafft werden. Die politisdie Entwcklung und der Strukturwandel in der SPD zur Volkspartei, heißt es in dem Gründungsaufruf, haben das Band zwischen Partei und Gewerkschaft gelockert. Besonders seit der Bildung der Großen Koalition bestehe in weiten Kreisen der sozialdemokratischen Gewerkschafter die ernste Befürchtung, daß die Anliegen der Arbeiter, Angestellten und Beamten und Rentner und die ihnen Ausdruck verleihenden Forderungen des DGB nicht mehr mit dem nötigen Nachdruck in der SPD vertreten werden.