Auch in Hessen formieren sich SPD-Gewerkschafter
Unzufriedenheit mit Politik der Sozialdemokratischen Parteiführung / »Ideologische Zielsetzung verloren"
Drahtbericht unteres Korrespondenten Karl-Heinz Bernhard
KASSEL, 27. Oktober, Eine Arbeitsgemeinschaft sodaldemokratischer Gewerkschafter für Nordhessen wurde am Freitag nach rheinland- pfälzischem Beispiel von einer Gruppe jüngerer Gewerkschaftsfunktionäre in Kassel gegründet. Der an sämtliche SPD-Gewerkschaftsmitglieder gerichtete Gründungsaufraf trägt die Unterschriften fast aller dem Deutsehen Gewerkschaftsbund angehörenden Einzelgewerkschaften und ruft die Gewerkschaftsmitglieder, die zugleich der SPD angehören, zur Mitarbeit auf.
Im Vorstand sind ebenfalls Vertreter der verschiedenen Industriegewerkschaften
vertreten. Die Finanzierung der Arbeitsgemeinschaft soll vorerst durch
Spenden erfolgen. Beim Parteivorstand der SPD Hessen-Nord
will die Arbeitsgemeinschaft ihre offizielle Anerkennung als Untergliederung
der SPD beantragen. In eigenen Veranstaltungen will die Arbeitsgemeinschaft
auch gegen die Notstandsregelung vorgehen.
In der Gründungsversammlung fielen harte Worte gegen den derzeitigen Kurs der SPD in der Großen Koalition. Die sozialdemokratischen Gewerkschaftsmitglieder, so wurde erklärt, seien mit der von der Parteiführung betriebenen Politik unzufrieden. Das Unbehagen an der Parteispitze werde mit Sicherheit sogar noch wachsen.
Die Arbeitsgemeinschaft will überall in Nordhesseu eigene Kreisverbände
gründen. „Wir -wollen zum Unruheherd in der Partei werden und, wenn
nötig, auch Druck auf die Parteispitze ausüben", erklärte
ein Vorstandsmitglied. Den Lebensinteressen der wirtschaftlich abhängigen
Arbeitnehmer müßten innerhalb der SPD wieder der ihnen gebührende
notwendige Einfluß verschafft werden. Die politisdie Entwcklung und
der Strukturwandel in der SPD zur Volkspartei, heißt es in dem Gründungsaufruf,
haben das Band zwischen Partei und Gewerkschaft gelockert. Besonders seit
der Bildung der Großen Koalition bestehe in weiten Kreisen der sozialdemokratischen
Gewerkschafter die ernste Befürchtung, daß die Anliegen der
Arbeiter, Angestellten und Beamten und Rentner und die ihnen Ausdruck verleihenden
Forderungen des DGB nicht mehr mit dem nötigen Nachdruck in der SPD
vertreten werden.