Zu dieser Zeit interessierte ich mich sehr für Organisationsfragen. Schon auf einem Bezirksparteitag hatte ich die mangelhafte Information der Mitglieder über das 1967 von der Grossen Koalition beschlossene Parteiengesetz kritisiert, was den anwesenden Willy Brandt erregte.
Ich weiss noch, dass mein erster Blick bei den Anträgen zum Bundesparteitag dem nach dem Parteingesetz neu entworfenen Organisationsstatut galt. Und was las ich hier ?
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"Maßnahmen gegen Organisationsgliederungen
§ 35 :
Verstößt eine Gliederung der Partei beharrlich gegen Parteibeschlüsse oder ist der organisatorische Fortbestand der Partei in dem Bereich einer Gliederung durch Versäumnisse des betreffenden Vorstandes gefährdet, so können sowohl der zuständige Bezirksvorstand als auch der Parteivorstand den Vorstand der Parteigliederung seines Amtes entheben und an dessen Stelle einen kommissarischen Vorstand bestellen.
§ 36 :
I Der kommissarische Vorstand ist weisungsgebunden.
II Er kann das Recht der Mitglieder auf Willensbildung in den Organen ganz oder teilweise außer Kraft setzen".
----------------------------Ende des Zitats
Ich hielt so etwas für unglaublich und rief Prof. Wolfgang Abendroth an, bei dem ich 1953 - 1956 Vorlesungen im oeffentlichen Recht und auch ein Seminar besucht hatte. Ich wusste auch, dass er auf dem Godesberger Parteitag versucht hatte, das neue Parteiprogramm zu verhindern und dann wohl aus der SPD ausgetreten war. Er war meiner Meinung, dass dies verfassungswidrig wäre, und erklärte mir, dass so etwas ähnliches auch nach Parteiengesetz § 16 ( Massnahmen gegen Gebietsverbände ) eventuell möglich sei. Gegen diesen § 16 wären aber auch schon verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden. Er verwies mich an seinen Assistenten, der auch Parteitagsdelegierter wäre. Daraufhin leitete ich meine diesbezüglichen Bedenken diesem und anderen Delegierten zu ( vergl. Mein Schreiben an Parteitagsdelegierte wegen Bestimmungen des Organisationsstatuts ).
Diese Thematik wurde dann von der o. a. Zeitschrift "express international" ganz gross aufgegriffen und war der Aufhänger auf ihrer Titelseite ( vergl. Titelseite von "express international" ). In ihr erschien auch ein Artikel, der den Sachverhalt schilderte. ( vergl. Alle Macht dem Vorstand ? von Stephan Freiger )
Über den damaligen Stand der "Innerparteilichen Demokratie" in der SPD berichtete in dieser Zeitschrift auch der spätere Bundestagsabgeordnete Peter Conradi ( vergl. Innerparteiliche Demokratie von Peter Conradi ). Er war später ein eifriger Verfechter echter parlamentarischer Gepflogenheiten im Deutschen Bundestag.
Auf der 1. Vorbesprechung zum Parteitag in Oberhausen .fragte ich nach der Einschaetzung dieser Regelung in dem Entwurf des neuen Organisationsstatuts. Es wurde ohne Diskussion nur erklärt, dass sich damit ein Hamburger Delegierter ( Jurist ) damit befassen werde ( vergl. oben.: Anlage : Kurzbericht einer Besprechung von Delegierten zum SPD- Parteitag am 08.03.1968 in Oberhausen, Hotel "Ruhrland" ) .Auch in anderen Vorbesprechungen habe ich danach gefragt. Die Thematik wurde nirgends diskutiert.
Auch andere SPD- Funktionäre sprach ich an, ohne eine befriedigende Antwort zu erhalten. Ich sagte zu unserem damaligen Bezirkssekretär, er müsse doch etwas dagegen unternehmen, schon in seinem eigenen Interesse. Er sagte mir nur, auf dem Parteitag werde darüber entschieden. Ich fragte auch nach einer Vorbesprechung der Delegierten unseres Bezirks. Er verwies nur darauf, dass sich die nordrhein- westfälischen Delegierten treffen würden ( obwohl es damals noch nicht einmal einen Landesverband gab, der erst Anfang der 70-er Jahre gegründet wurde ).
Auf dem Parteitag selbst sprach ich unseren Bezirksvorsitzenden an, der MdB und Mitglied des Parteivorstandes war. Von ihm erfuhr ich, dass die Angelegenheit in einer auf dem Parteitag nicht öffentlich tagenden Satzungskommission behandelt werde. Darin waren auch 2 Delegierte unseres Bezirks, deren Namen ich meinen damaligen Unterlagen noch entnehmen kann.
Aber näheres erfuhr ich doch von dem damaligen Assistenten des Prof. Abendroth, der seine Dissertation über die SAP ( Sozialistische Arbeiterpartei ) geschrieben hat, jener Splitterpartei, die Anfang der 30-er Jahre von SPD- Anhängern gegründet wurde und der Willy Brandt damals vor seiner Flucht aus Deutschland angehörte. Er erklärte mir, diese Satzungs-Passagen seien wörtlich der Satzung der NSDAP entnommen. Sie seien 1932 dort eingeführt worden, als man damals ihren "linken" Strasser- Flügel ausgeschlossen hatte.
Nach der Tagung der Satzungskommission erfuhr ich dann, dass der Vorsitzende Herbert Wehner die "Massnahmen gegen Organisationsgliederungen" ohne Kommentar vom Tisch gwischt habe.
Zu erwähnen ist nur noch, dass die Sondernummer
von "express international" zum SPD-Parteitag dort beschlagnahmt worden
war. Das kann man aus der Seite 572 des wörtlichen Parteitagsprotokolls
1968 den Ausführungen von Olaf Radke ( Hessen- Süd ) entnehmen.