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Stephan Freiger

Alle Macht dem Vorstand ?

Die Aufrufe - auch von Mitgliedern des Parteivorstandes (PV) - zur Aktivierung der Innerparteilichen Demokratie zeitigen erste Erfolge. 951 Anträge zum Bundesparteitag in Nürnberg sind hierfür ein äußeres Zeichen.

Stärkere Demokratisierung bewirkt stärkere Willensbildung von unten nach oben. Der Einfluß der Mitglieder auf Parteiziele und Personalentscheidungen wird größer.

Diese erfreulichen Tendenzen scheinen das Establishment der SPD erschreckt zu haben. Offenbar waren die Aufrufe so nicht gemeint. Das beweisen die "Maßnahmen gegen Organisationsgliederungen", wie sie vom PV im neuen Organisationsstatut vorgeschlagen werden. Sie stoppen die Demokratisierung und festigen die Macht des PV.

Allen Ernstes, die Parteiexekutive möchte gemäß § 35 des neuen Statutenentwurfs die Vollmacht haben, den demokratisch gewählten Vorstand einer Parteigliederung seines Amtes entheben und an dessen Stelle einen kommissarischen Vorstand setzen zu können, der - das versteht sich - weisungsgebunden sein soll (§ 36 Abs. l). Dieser weisungsgebundene kommissarische Vorstand "kann das Recht der Mitglieder auf Willensbildung in den Organen ganz oder teilweise außer Kraft setzen." (§ 36 Abs. II). Eine solche Regelung führt unter anderem zu der Konsequenz, daß der PV dann über den kommissarischen Vorstand Wahlbewerber aufstellen und sogar Parteitagsdeleglerte bestimmen kann, von denen er sich dann selbst wählen lassen kann.

Es liegt auf der Hand, daß derartige Vorschriften im höchsten Maße undemokratisch sind - sie sind darüber hinaus aber auch verfassungswidrig. Art. 21 Absatz I des Grundgesetzes bestimmt: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. . . . Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen."

Sicherlich kommt jetzt der Einwand, die kritisierten Paragraphen des Entwurfs seien durch das "Gesetz über die politischen Parteien" (vom 24. Juli 67) vorgeschrieben. So ist es ja auch im Vorwort der Sonderausgabe "Tatsachen - Argumente" (Februar 68) zu lesen. Der Vergleich drängt sich auf: Was die Vorbehaltsrechte der Alliierten für die Notstandsgesetze, das ist das Parteiengesetz für das Organisationsstatut.

Es mag dahingestellt bleiben, ob das Parteiengesetz verfassungswidrig ist - denn selbst, wenn es das nicht ist, sollte es geändert werden, 1st es nicht nachgerade delikat, daß dieses Gesetz mit seinem §16 an das Statut der NPD angeglichen worden ist ? CDU, FDP und SPD kannten bisher derartiges nicht. Deshalb wollten CDU und SPD wohl auch zunächst eine andere Regelung - und zwar folgende: "Die Auflösung und der Gesamtausschluß nachgeordneter Gebietsverbände sowie die Amtsenthebung ganzer Organe derselben sind nur zulässig, soweit sie in der Satzung ausdrücklich zugelassen sind" (Bundestagsdrucksache V 1339 § 15).

Aus einem Vorschlag zur Sicherung demokratischer Mindestforderungen ist eine Einschränkung demokratischer Verhaltensweisen geworden - gemäß §§ 16 und 6 Abs. II, Ziffer 5 für alle Parteien verbindllch. Diese im Parteiengesetz verankerte Pflicht, Bestimmungen über Maßnahmen gegen Organisationsgliederungen in den Parteisatzungen festzulegen, stellt deshalb wahrscheinlich einen verfassungswidrigen Eingriff in die Autonomie der Parteien dar, weil er durch das Demokratiegebot des Artikels 21 Grundgesetz unter keinen Umständen gerechtfertigt werden kann. Man sollte meinen, das Parteiengesetz habe "des Guten" schon zuviel getan - der Entwurf des Organisationsstatuts geht jedoch mit den §§ 35-38 weit darüber hinaus.

Nach § 16 des Parteiengesetzes ist "die Amtsenthebung ganzer Organe nur wegen schwerwiegender Verstöße gegen die Grundsätze oder die Ordnung der Partei zulässig. In der Satzung ist zu bestimmen, ".. . aus welchen Gründen die Maßnahmen zulässig sind". § 35 des Entwurfs sieht eine mögliche Amtesenthebung bereits bei beharrlichem Verstößen gegen Parteibeschlüsse vor - also auch gegen einfache Vorstandsbeschlüsse; pauschal und ganz nach Belieben auslegbar heißt es dort: "Verstößt eine Gliederung der Partei beharrlich gegen Parteibeschlüsse oder ist der organisatorische Fortbestand der Partei in dem Bereich einer Gliederung durch Versäumnisse des betreffenden'Vorstandes gefährdet, . . . " Das bedeutet, daß der Entwurf nicht nur über die Forderungen des Parteiengesetzes hinausgeht, sondern auch der Bestimmung entbehrt, "aus welchen Gründen (also konkret und für alle nachprüfbar) die Maßnahmen zulässig sind".

Daß im Parteiengesetz nichts von einem "kommissarischen Vorstand" zu finden ist, sei ebenfalls vermerkt. Einer sofortigen Neuwahl würde das Parteiengesetz mithin nicht im Wege stehen.

Aber auch die unaufschiebbare Wirkung der Exekutivmaßnahme ( § 38 Abs. II des Entwurfs), die Nacht-und-Nebel-Aktionen" ermöglicht, findet - ebensowenig wie die Außerkraftsetzung des Rechts der Mitglieder auf Willensbildung in den Organen - eine Stütze im Parteiengesetz.

Es ist interessant, daß der Entwurf erst am 15.2.68 vom PV veröffentlicht wurde - drei Tage nach Antragschluß zum Bundesparteitag. Damit sind Änderungsanträge vor dem Parteitag nicht mehr möglich,.

( Quelle :"express international" Jahrgang V, Nr.54/55 vom 02.03.1968 )