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- Demonstrieren auch Sozialdemokraten wieder gegen den Krieg  ( wie 1967/68 gegen den Vietnamkrieg ) ? ( 14.10.2001)

Es wird wieder für den Frieden demonstriert. Für mich, der dieses Mal nicht dabei sein kann, taucht die Frage auf : Sind auch dieses Mal wieder Sozialdemokraten dabei ?. Ich glaube, ja !

Bei mir kommen Erinnerungen an die Zeiten der Vietnam- Demonstrationen in den Jahren 1967 und 1968 auf, als man die prominenten Berliner SPD- Linken Harry Ristock und Erwin Beck wegen ihrer damaligen Beteiligung an den Friedensdemonstrationen aus der Partei ausschliessen wollte. Werden dieses Mal wieder Sanktionen gegen SPD- Demonstranten erhoben ? Ich glaube, nein, denn im Gegensatz zu damals, als es wegen der geplanten Notstandsgesetze in der Partei brodelte, scheint die Partei dieses Mal ( noch ? ) ruhig zu sein, sodass die Parteispitze sich mit ihrer Politik sicher scheint.

Als Delegierter des SPD- Bundesparteitages 1968 war ich mit Erwin Beck zusammen. Deshalb bin ich noch im Besitz seines Berichtes " „Säuberung" ? Zur Auseinandersetzung in der Berliner SPD  " aus dem "express international" vom 2. März 1968, Sondernummer zum SPD- Parteitag, Jahrgang V, Nr.54/55, der hier anschliessend zu lesen ist :
 

„Säuberung" ?

Zur Auseinandersetzung in der Berliner SPD

von Erwin Beck

"Gnadenfrist für Beck und Ristock vom SPD-Vorstand. Kein sofortiger Ausschluß." - So stand es in fetten Lettern auf der Titelseite der "Berliner Morgenpost" .Das Blatt aus dem Hause Springer, das die höchste Abonnentenzahl in Berlin besitzt, wußte zu berichten, wie tief der Riß innerhalb der Sozialdemokratie im Westteil der gespaltenen Stadt ist. Von der Bildung einer besonderen Untersuchungskommission war da die Rede, von einer vierstündigen Debatte im Landesausschuß der Partei mit zahlreichen Wortmeldungen. Schließlich aber konnte die Zeitung die Nachricht nicht völlig unterdrücken, daß sich politische Untergliederungen und Verbände der Sozialdemokratie für eine Würdigung der Motive der beiden Beschuldigten eingesetzt hatten.

Die Auseinandersetzungen in der Berliner SPD, die erneut mit voller Scharfe entbrannt sind, füllen die Spalten der Zeitungen, und vor allem die Blätter Axel Springers sind unermüdlich in ihrem Ruf nach "Säuberung" und Rauswurf.

Was ist in den letzten Wochen geschehen? Wie konnte es dazu kommen, daß sich Außenstehende, die der SPD sonst nie gewogen sind, so massiv in innerparteiliche Debatten einmischen und Parteiausschlüsse verlangen?

Grund all dieser Aufregung ist die Teilnahme von Harry Ristock, mir und anderen SPD-Mitgliedern an der Vietnam-Demonstration am 18. Februar 1968.

Ständige Kontakte zu jungen Berliner Bürgern, Studenten und Assistenten der Berliner Universitäten hatten gezeigt, daß innerhalb der sehr breit gcfächerten Linken erneut eine starke Solidarisierung zu verspüren war. Die von der politischen Rechten erprobte Taktik, die darauf abgestellt war, einen "Differenzierungsprozeß" in Gang zu bringen und die verschiedenartigen Flügel und Strömungen der studentischen Opposition gegeneinander auszuspielen, - diese Taktik blieb erfolglos, solange die Unzufriedenheit der Studenten

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"Wir wären sehr schlecht beraten, würden wir - ob
wir nun in der Partei oder in den Gewerkschaften tä-
tig sind - dies alles mit einer Handbewegung, mit dem
Hinweis auf jugendlichen Übermut oder mit dem Ruf
nach der Polizei abtun. Wir müssen uns vielmehr
fragen, ob wir nicht selbst auch an der Entwicklung
mit die Schuld tragen."
Otto Brenner auf der Arbeit-
nehmerkonferenz des Unter-
bezirks Dortmund der SPD,
, 10.2.1968

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schaft objektive Gründe hatte: Die Reform des Hochschulwesens ist in den letzten Monaten so gut wie gar nicht vorangekommen. Alle gutgemeinten Versprechungen änderten nichts daran, daß Studenten und Assistenten der Berliner Universitäten vergeblich auf einen Erfolg ihrer zahlreichen Vorstöße und Vorschläge hofften.

Aber es geht ja längst um mehr als um eine Hochschulreform. Die junge Generation in Deutschland vermißt bei den Politikern ein Verhalten, das einem freiheitlich-demokratischen Staatswesen angemessen ist.Ihr fehlt das Verständnis dafür, daß eine Militär-Diktatur wie die griechische schon nach wenigen Monaten allgemein anerkannt ist und zu allem Überfluß auch noch jene Handfeuerwaffen aus der Bundesrepublik geliefert bekommt, die sie zur Bekämpfung der demo-
kratischen Kräfte braucht.

Sie versteht nicht, daß ein Bundespräsident jahrelang vor der Weltöffentlichkeit beschuldigt werden kann, an der Herstellung von Bau-Zeichnungen für Konzentrationslager beteiligt gewesen zu sein, ohne daß rechtzeitig eine juristische und politische Klarstellung erfolgt.

Wie überall in der Welt kann auch die junge Generation in Berlin den furchtbaren Krieg in Vietnam nicht schweigend hinnehmen.

Und das ist nun die Ursache für den Aufruhr in der Berliner Öffentlichkeit und in der SPD. Seit Wochen hatte der SDS eine Vietnam-Kundgebung für den 18. Februar angekündigt. Der Senat antwortete mit einem Verbot. Auch die Abhaltung eines Vietnam-Kongresses in den Räumen der Technischen Universität am Tage vor der öffentlichen Kundgebung stieß auf entschiedenen administrativen Widerstand. Geäußerte Bedenken, ob derartige Verbote und Einschränkungen überhaupt mit Verfassung und Gesetz zu vereinbaren seien, verhallten ungehört.

Die sich steigernde Polemik der rechtsorientierten Presse führte erneut dazu, daß sich breite Teile der Studentenschaft mit dem SDS solidarisierten. Und das, obwohl die meisten von ihnen in keiner Weise mit den törichten Übergriffen einiger Radikaler einverstanden waren, die zu nächtlicher Stunde die Scheiben von Zeitungsfilialen eingeworfen hatten! Gewiß haben die Sprecher der Studentenschaft wieder einmal ernste Fehler gemacht - mag der Film, der die Herstellung von Molotow-Cocktails erläuterte und dann das Bild des Springer-Hochhauses einblendete, zunächst satirisch gemeint gewesen sein, der Eindruck, den dieser Streifen in der Öffentlichkeit hinterließ, war verhängnisvoll, denn in der Nacht danach zersplitterten die Scheiben. Nicht weniger beklagenswert war es, daß ein Teil des SDS eine sorgsam vorbereitete gewaltlose Demonstration vor der griechischen Militärmission zum Anlaß nahm, auf dem Kurfürstendamm Händel mit der Polizei zu suchen und die üblichen "Wasserspiele" heraufzubeschwören, die keinerlei politische Funktion mehr haben.

Aber dessen ungeachtet erkannten auch Professoren, Schriftsteller und Geistliche, wie stark das Engagement für einen Protest gegen den Vietnam-Krieg inzwischen geworden war. Die unschönen Vorfälle, die von einem großen Teil der Studentenschaft bedauert wurden, änderten daran nichts.

Der Berliner Bischof Scharf wandte sich an den Regierenden Bürgermeister Schütz, um eine gewaltsame Konfrontation von junger Generation und Obrigkeit in letzter Stunde zu verhindern. Auch Heinrich Albertz schaltete sich ein - er bekannte, aus den Vorgängen vom 2. Juni 1967 seine Lehren gezogen zu haben. Aber der Senat blieb uneinsichtig.

Am 16. Februar endlich brachte ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Klarheit in die komplizierte juristsche Materie. Die Richter stellten fest, daß das Berliner Versammlungsgesetz mit der Verfassung übereinstimme, daß jedoch ein generelles Demonstrationsverbot unzulässig sei. Am folgenden Tag - am Vorabend des geplanten Protestmarsches - verpflichtete
das Verwaltungsgericht den Senat, die Demonstration zu genehmigen.

Was sich am 18. Februar mittags auf dem Kurfürstendamm formierte, war also eine vom Polizeipräsidenten genehmigte, durchaus legale Demonstration. Ihre Träger waren liberale Studenten, SHB, evangelische Studentengemeinden und gewerkschaftliche Studiengruppen.

Harry Ristock und ich waren seit Monaten vom Landesvorstand der Partei beauftragt, Verbindungen zu den Studenten, insbesondere zum SHB, zu halten. Dem Appell, an ihrer Seite zu bleiben, konnten und wollten wir uns nicht entziehen. Die Studentenvertreter hatten uns in den vorhergehenden Wochen immer wieder erklärt, wie stark ihre Zweifel und Sorgen über den Weg der Sozialdemokratie geworden seien. Sie erwarteten von uns aktives Handeln, keine leeren Worte.

Die Verbände, die die Demonstration beantragt hatten, waren bemüht, dem Zug der fast 15 000 ihren politischen Stempel aufzudrücken. Das ist nicht voll gelungen: Es wurden Transparente und Losungen mitgeführt, die die Veranstalter - liberale und sozialdemokratische Studenten - nichtgewünscht hatten. Wir hielten es für unsere Pflicht, im Demonstrationszug mitzumarschieren und uns dabei auch eindeutig als Sozialdemokraten zu bekennen, weil wir nicht wollten, daß das Engagement der kritischen Jugend einseitig in den Dienst einer Richtung gestellt wird, die der unsrigen widerspricht, ja, ihr teilweise betont feindselig gegenüber tritt. Harry Ristock und ich sind in Podiumsidskussionen und Seminaren oft massiven Angriffen ausgesetzt gewesen, als wir die Partei verteidigten, ohne dazu unsere eigene kritische Überzeugung zu verleugnen.Dabei mußten wir manche Ohrfeige einstecken, die eigentlich anderen zugedacht war.

In diesem Zusammenhang muß der Weg der Berliner SPD in den letzten Monaten skizziert werden:

Auf dem Parteitag im Mai 1967 führte eine Absprache des rechten und des linken Flügels der Partei dazu, daß fünf Vertreter der Linken in den Landesvorstand gewählt wurden: Harry Ristock, Ella Kay, Günter Abendroth, Joachim Karnatz und ich.

Das hat - nicht zuletzt unter dem Eindruck des 2. Juni - dazu beigetragen, daß eine neue Konzeption der Berlin-Politik entwickelt wurde. Zwar standen sich in den ersten Tagen nach dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg in der Partei harte Fronten gegenüber, aber Ende Juni kam die Führung unserer Partei zu dem Schluß, daß große Teile der Bevölkerung - auch zahlreiche Funktionäre der SPD - einem Denken verhaftet waren, welches in den fünfziger Jahren in einer anderen Situation unserer Stadt entstanden war, damals sicher auch seine Berechtigung hatte, aber der politischen Welt der sechziger Jahre nicht mehr gerecht wurde. Es war notwendig, der Bevölkerung die neuen Realitäten nüchtern vor Augen zu führen.

Die Polizisten mußten lernen, Demonstrationen als Ausdruck einer lebendigen Demokratie zu respektieren und darin nicht sofort einen Angriff auf die Staatsordnung schiechthin zu wittern.

Als Arbeitsunterlage für das große Gespräch mit der Bevölkerung entstand das sogenannte Glienicker-Papier, redigiert in einer Klausurtagung am 23.September 1967 in der Bildungsstätte Schloß Glienicke und akzeptiert vom Landesparteitag am 15. Oktober 1967. Es ging darin vor allem um die neue Ostpolitik: Stärker als zuvor ging man von den gegebenen Realitäten aus. Es hieß da beispielsweise, daß die "Einbeziehung in eine europäische Entspannungspolitik nur dann gedeihen wird, wenn das heute bestehende Gegeneinander von Bundesrepublik und DDR allmählich in ein geregeltes Nebeneinander umgestaltet werden kann."

Die in dem Glienicker Papier beschriebenen Möglichkeiten einer neuen Berlin- und Deutschlandpolitik hätten in den folgenden Monaten der Berliner Bevölkerung nahegebracht werden müssen. Das gleiche gilt für ein anderes Dokument - eine wirtschaftspolitische Aussarbeitung von Professor Kade, die teilweise in der "Berliner Stimme" erschien und die nüchterne Aussage über die schwierigen Bedingungen des Berliner Wrtschaftslebens in den kommenden Jahren enthielt Eine Kommission des Landesvorstandes erarbeitete eine Stellungnahme zur "Situation der studentischen Jugend - sie zog viele Persönlichkeiten der Berliner Hochschulen und der Jugendarbeit zu Rate. So entstand eine wertvolle Schrift, die allerdings erst auf dem letzten Parteitag im Februar angenommen wurde und bisher noch nicht in größerem Rahmen publiziert worden ist. Das "Studentenpapier" beschrieb die mannigfaltigen Ursachen der studentischen Unruhe - die autoritäre Universitätsstruktur, die Erstarrung unserer Gesellschaft, die soziologische Situation der Studentenschaft als einer Gruppe, die durch ihre unsichere Position in der Gesellschaft belastet wird. Studenten müssen auf Jahre hinaus einen Einkommensverzicht hinnehmen. Sie haben sich mit einem Stoff herumzuschlagen, der für ihre spätere Berufsausübung teilweise völlig unwichtig ist, ihnen andererseits aber auch keine tieferen Einsichten in den Entwicklungsgang der
Gesellschaft vermitteln kann. Sie vermissen den Willen zur sozialen Wandlung. Das Papier stellte fest, dass die heute Protestierenden eine politische Erziehung erfahren, die strenge Maßstäbe für die Beurteilung des öffentliehen Lebens und der in ihm Wirkenden aufstellt, während die Wirklichkeit davon herzlich wenig erkennen läßt.

Mit Hilfe vorliegender Annalysen und Programme hätte seit dem Spätsommer 1967 ein zielbewußtes Gespräch mit der Bevölkerung geführt werden können. Das aber ist nicht geschehen. Weder der Bevölkerung, noch der Mitgliedschaft der Partei wurde klar gesagt, welche Aufgaben in nächster Zeit zu lösen seien und welche Mittel man sich dabei bedienen müsse. Das, was wir im Juni und Juli des letzten Jahres als "geistigen Nachholprozeß" bezeichneten, ist bisher ausgeblieben, obwohl der damalige Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz in seiner letzten Regierungserklärung am 15. September 1967 die Aufgabe eindeutig formulierte und

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"Das Berlinerversammlungsgesetz stammt aus den
Jahre 1950, das des Bundes ist 1953 erlassen worden.
Wahrscheinlich müssen diese Gesetze den modernen
Demonstrationsverfahren einerseits, aber auch den
Ansprüchen des jetzigen Massenverkehrs anderer-
seits angepaßt werden."
Professor Theodor Eschenburg
in: DIE ZEIT, 29.2.1968

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zugleich seine Abkehr von den Verhaltensweisen am und nach dem 2. Juni mit dem Satz umriß, seine vermeintlich stärkste Stunde sei in Wirklichkeit seine schwächste gewesen. Diese mutigen Worte sollten einen neuen Anfang setzen - die Studenten haben sie durchaus so verstanden.

Ohne die eigenen Einflußmöglichkeiten zu überschätzen, kann man wohl sagen, daß gerade Harry Ristock und ich als Mitglieder zweier Kreise, Charlottenburg und Kreuzberg, die u. a. wesentliche Beiträge zur neuen politischen Konzeption der Berliner SPD beisteuerten, versucht haben, die politische Diskussion zu beleben und glaubwürdiger zu gestalten. Die Antwort, die man uns erteilt, besteht in öffentlicher Diffamierung, Parteiordnungsverfahren und Ausschlußdrohungen. Erkennt die Mehrheit der Berliner Partei und ihre Führung nicht, wohin Berlin treibt, wenn man wieder alles vergißt, was gemeinsam an neuen Konzeptionen im vergangenen Jahr erarbeitet worden ist?


 

Berliner Sozialdemokraten demonstrieren gegen den Vietnam- Krieg

( Quelle :  "express international" vom 2. März 1968, Sondernummer zum SPD- Parteitag, Jahrgang V, Nr.54/55 ).