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WIRTSCHAFT       Frankfurter Allgemeine Sontagszeitung vom 09.11.2003       Gescannter Text

Wo Wirtschaft und Politik miteinander flirten

4500 Lobbyisten in der Hauptstadt - die Creme der deutschen Wirtschaft. Sie residieren an den besten Adressen. Wir zeigen, wo sie ihre Strippen ziehen. Von Garsten Germis und Georg Meck

Bertelsmann hat es gern eine Nummer pompöser: Unter den Linden 1. An dieser Adresse, mitten in Berlin, hat der Medienkonzern am vergangenen Donnerstag seine neue Repräsentanz eröffnet. Zur Einweihung kam, was Rang und Namen hat in Politik- und Showgeschäft. Den Festredner gab der Kanzler höchstpersönlich. „Ich erhoffe mir von dieser neuen Adresse eine Bereicherung des politischen Dialogs", sagte Gerhard Schröder. Dabei ist der Dialog zwischen Wirtschaft und Politik schon so lebhaft, daß Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sich bereits bemüßigt sieht, den wachsenden Einfluß der Lobbyisten anzuprangern. Der CDU-Haushaltspolitiker Dietrich Austermann warnt gar vor einer "regelrechten Lobbyisten-Gesetzgebung", da etwa Banken Mitarbeiter ins Finanzministerium entsandt haben, die nun dort an Gesetzen mitformulieren: „Soll demnächst der ADAC die Bußgeldtabelle erstellen?"

Tatsache ist, daß die Schar der Lobbyisten in Berlin ständig wächst. An die 1800 Organisationen sind offiziell registriert. Etwa 4500 Interessenvertreter tummeln sich im Regierungsviertel. Verabreden sich zum Kaffee in den einschlägigen Restaurants, treffen sich abends bei Runden mit so klingenden Namen wie „Collegium", „Adlerkreis" oder "Dreißiger Multiplikatoren Club". Das Ziel der Lobbyarbeit: die Interessen der Wirtschaft möglichst früh in die Gesetzgebung einfädeln. „Im besten Fall kochen bestimmte Themen, die das Unternehmen behindern könnten, erst gar nicht hoch", schreiben Gunnar Bender und Lutz Reulecke in ihrem eben erschienenen „Handbuch des deutschen Lobbyisten". Darin geben sie dem Neuling auf dem Berliner Parkett Tips - von der Wahl des richtigen Treffpunkts bis zur standesgemäßen Anrede des politischen Entscheidungsträgers.

In Potsdam kann sich der angehende Lobbyist künftig sogar akademisch ausbilden lassen. Eine Privatuniversität will dort vom Wintersemester 2004 an „Public Affäirs" lehren. Finanziell unterstützt wird die Hochschule von Unternehmen wie VW, BMW, der Deutschen Bahn, Sony und IBM. Daß sie genügend Zulauf bekommen, da haben die Initiatoren keine Sorge. "Das Interesse ist schon jetzt riesengroß", sagt Gründungspräsident Eberhard Knödler-Bunte. "Immer mehr große Unternehmen gehen direkt an die Regierung", bestätigt Wigan Salazar, Public-aftairs-Chef bei der PR-Agentur Publicis. „Die Arbeit der schwerfalligen Verbände reicht den Konzernen nicht mehr", meint auch Hans Bellstedt, Geschäftsführer und Mitinhaber der Agentur Plato. In der Chemie etwa war es über Jahrzehnte verpönt, als Einzelkämpfer aufzutreten. Das Sprachrohr war der Verband. Das hat sich gründlich geändert. BASF, Bayer, Al-tana - die Dax-Schwergewichte der Branche sind jetzt mit eigenem Personal in der Hauptstadt. Zur Verstärkung reist zudem oft der " Vorstandsvorsitzende nach Berlin. Ein leibhaftiger Konzernchef entfeitet nun mal mehr Durchsschlagkraft im politischen Betrieb. Daß es bei der Lobbyarbeit nicht mit rechten Dingen zugehe, gar in Hinterzimmern Schecks übergeben werden - das weisen sie mit Empörung von sich, die Herren (und wenigen Damen) Interessenvertreter. Vom „kontinuierlichen Dialog mit den politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern", spricht vornehm verschraubt Daimler-Chrvs-ler-Mann Mathias Kleinert. Die Leerformeln gleichen sich: „Wir sind firmenspezifische Interessenvertreter mit dem Ziel, die Spielräume für die wirtschaftliche Betätigung von BMW zu sichern und zu erweitern", sagt BMW-Lobbyist Heinrich Timmerherm über seine Arbeit. „Frühzeitig Entwicklungen zu identifizieren", lautet der Auftrag von Reinhold Kopp, Leiter Regierungsbeziehungen von VW. Dahinter steckt: Wer sein Ohr an der Gerüchteküche hat, bekommt ein besseres Bild über Berliner Stimmungen als in der fernen Konzernzentrale. Auch der Kontakt zu wichtigen Beamten läßt sich leichter herstellen. Die Initiative geht dabei gar nicht immer vom Lobbyisten aus. „Die Politik kommt auch auf uns zu und fragt", berichtet BMW-Lobbyist Timmerherm. Wie schön harmonisch das doch alles klingt.

Die nachfolgende Karte zeigt mit ihrer Erklärung die Wege der Lobby :
 

Wo die Macht ist

1 Das Bundeskanzleramt. Wer es bis hierher geschafft hat, hat gewonnen.

2 Das Wirtschaftsministerium. Hier können Fördergelder abgeholt werden.

3 Das Verkehrsministerium. Bei Straßen und sonstigem Bau ist für Unternehmen besonders viel zu holen. Minister Stolpe merkt es ohnehin nicht. Oder höchstens zu spät. Siehe Maut.

4 Bundestag/Abgeordnetenbüros. Hier müssen in anstrengender Kleinarbeit die Hinter- und Vorderbänkler überzeugt werden.

5 Finanzministerium. Eichel hat seinen besonderen Reiz. Schon kleine Änderungen im Steuerrecht können große Folgen für die Bilanzen haben.

Wo man sich trifft

1 Parlamentarische Gesellschaft. Im Reichstagspräsidentenpalais an der Rückseite des Bundestags treffen sich die Abgeordneten gern zum gemeinsamen Essen oder zur gemütlichen Skatrunde. Ein Ort, an dem man auch mal vertraulich miteinander sprechen kann. Lobbyisten dürfen hier aber nur rein, wenn ein Bundestagsabgeordneter sie einlädt.

2 Theodor Tucher. Wegen seiner Lage direkt am Brandenburger Tor und nur wenige Schritte vom Reichstagsgebäude entfernt sind hier viele Lobbyisten und Politiker Stammgäste. Auch der Bundeskanzler ißt hier seine liebe Currywurst, manchmal auch in Begleitung amerikanischer Präsidenten.

3 Ständige Vetretung. Ursprünglich Heimstatt für heimwehgeplagte Rheinländer. Heute Touristentreff und deshalb für Lobbyisten nur noch bedingt geeignet.

4 Cafe Einstein. Das Kaffeehaus ist eine Berliner Institution. Weil es geografisch genau im Mittelpunkt des politischen Berlins liegt, frühstücken hier Lobbyisten und Politiker gern gemeinsam. Wer unerkannt bleiben möchte, muß den Ort meiden.

5 Borchardts. Nach der Wende 1989/1990 avancierte das Borchardts schnell zum Stammlokal der Prominenz aus Politik und Wirtschaft. Doch der Mythos bröckelt längst.

6 Newton Bar. Treff für die Nachtschwärmer unter den Lobbyisten. Bei Zigarren und härteren Getränken wird der Schlipsträger locker. Und hübsche Lobbyistinnen trifft man hier auch.

Wo die Wirtschaft sitzt

1 Deutsche Bahn. Hartmut Mehdorn braucht kurze Wege zu seinem obersten Konzernherrn, dem Kanzler.

2 Daimler-Chrysler. Im Weinhaus Huth am Potsdamer Platz residiert Ex-SPD-Politiker Dieter Spöri.

3 Dresdner Bank. Typisch Bank: Mit Blick aufs Brandenburger Tor eine der schönsten Hauptstadtvertretungen.

4 Allianz Group. Der Großaktionär als Untermieter der Dresdner Bank. Da hat sich der Kauf einer Bank doch schon gelohnt.

5 BP. Zur Miete bei der DG Bank fällt die BP-Vertretung auf den ersten Blick kaum auf. Doch innen ist alles vom Feinsten.

6 Schwäbisch Hall. Die Vertretung hat zur Zeit gut zu baggern. • Schließlich will die Politik die Eigenheimzulage kippen.

7 BMW. Hier wurden schon viele Siege eingefahren; zuletzt haben die Autolobbyisten die Erhöhung der Dienstwagensteuer gekippt.

8 RWE. Für einen Energieriesen ist die Vertretung ein Muß. Vom Internationalen Handelszentrum am S-Bahnhof Friedrichstraße aus wird Minister Trittin bearbeitet: vom Atomkonsens bis zum Emissionsrechtehandel.

9 Eon. Strategisch günstig auf halber Strecke zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium gelegen, wird hier für Ministererlaubnis und gegen Ökoherrschaft gekämpft.

10 Volkswagen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Im „Lindenkorso" residiert nicht nur der Generalbevollmächtigte Reinhold Knopp; hier werden zugleich die neuesten Modelle des Konzerns gezeigt Auch wenn der Kanzler sich einen Bugatti nie leisten wird.

11 TUI. Das Reiseunternehmen hat FDP-Politiker Wolf-Dieter Zumpfort als Cheflobbyisten unter Vertrag. Er gilt als graue Eminenz im diplomatischen Chor der Interessenvertreter.

12 Ruhrgas. Obwohl das Unternehmen heute zum Eon-Konzern gehört, hat es weiterhin eine eigene Vertretung. Das wird sich schon lohnen.

13 Philips. Wolfgang Rosenbauer, der Leiter der Hauptstadtvertretung, ist Diplom-Ingenieur. Bei der von der Bundesregierung geplanten elektronischen Gesundheitskarte weiß er besser als jeder Ministerialbeamte, was technisch machbar ist. Und ein paar Aufträge für das Unternehmen könnten allemal abfallen.

14 Siemens. Wer so viele Arbeitsplätze in Deutschland schafft wie Siemens, der findet in der Politik immer Gehör. Konzern-Chef Heinrich von Pierer (CSU) begleitet den Kanzler gerne auf Reisen nach Asien und anderswohin. Fürs Tagesgeschäft sind die Berliner Unterhändler zuständig.

15 Thyssen-Krupp. Eines der vielen Unternehmen, die ihre unauffälligen Repräsentanzen in der neuen Mitte Berlins gemietet haben. Vielleicht zahlt der Steuerzahler einstmals doch noch einen Transrapid.

16 Deutsche Telekom. Das Telefonunternehmen beantwortet schon mal technische Anfragen, die eigentlich an die Regierung gehen. Schließlich soll hier fachliche Kompetenz sitzen - wie zuletzt bewiesen im Fall Toll Collect, dem Gemeinschaftsunternehmen mit dem anderen deutschen Vorzeigeunternehmen Daimler-Chrysler Services.

17 Bertelsmann. Das Medienunternehmen leistet sich seit vergangenem Donnerstag die wohl auffälligste Hauptstadtrepräsentanz. Bertelsmann rekonstruierte die Berliner Kommandantur. Die Adresse ist erste Wahl: Unter den Linden, Die Eröffnungsrede in dieser Woche hielt der Bundeskanzler. Keine große Überraschung: Die Beziehungen zwischen SPD und Gütersloh sind traditionell innig. Und Wirtschafteminister Clement ist auch ein Freund des Hauses.