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Aus "ROTFUCHS" vom l. Juni 2007,  RF-Extra • Seiten III und IV

Wie sich der Militärisch-industrielle Komplex der BRD die Bundeswehr unterordnet

Privatisierung einer Armee

Den Medien war zu entnehmen, daß Bundeskanzlerin Merkel am 14. November vergangenen Jahres dem Heer, der größten Teilstreitkraft der Bundeswehr, ihren Antrittsbesuch abstattete. Er fand auf dem Truppenübungsplatz Altmark (Letzlinger Heide, nördlich von Magdeburg) statt. Dort befindet sich das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) des Heeres. Es ist die größte und modernste Anlage. Auf ihr üben alle Einheiten, die für den Auslandseinsatz vorgesehen sind. Der Kanzlerin wurde das „breite Fähigkeitsspektrum" des Heeres erläutert. In einer Waffenschau konnte sie nahezu alle Arten von Kampftechnik sowie die Bewaffnung und Ausrüstung der Soldaten in Augenschein nehmen. Ihr wurden auch der „Infanterist der Zukunft", mit Computer und Nachtbrille versehen, und Herr Tiemann vorgestellt. Er ist Geschäftsführer der Firma Serco, die an 35 Standorten in der BRD „qualitativ hochwertige öffentliche Dienstleistungen" für Behörden, Institutionen und Unternehmen erbringt.

Auf dem 23000 ha großen Truppenübungsplatz betätigt sich Serco als „industrieller Betreiber des GÜZ". Unterstützt von Subunternehmern ist Serco seit 2004 auf der Grundlage eines Leistungsvertrages mit der Bundeswehr für den gesamten Betriebsablauf zuständig. Rund 200 zivile Mitarbeiter gewährleisten, daß die übenden Einheiten so gefechtsnah wie nur irgend möglich ausgebildet werden. Die Felddienstuniform der Soldaten wird mit Sensoren bestückt, alle Waffen, von der Maschinenpistole bis zum Panzer, erhalten Duellsimulatoren , die den scharfen Schuß durch augensichere Lasertechnik ersetzen. Modernste Technik erlaubt, Minenfelder und Artilleriefeuer zu imitieren, jederzeit den Standort der Soldaten und der Technik zu ermitteln, ihren äußeren Zustand mittels mobiler Videokameras im Bild festzuhalten, alle anfallenden Daten - einschließlich der mündlichen Befehle und Meldungen an die Zentrale - zu übermitteln, auf den Computer-Arbeitsplätzen der militärischen Ausbilder sieht- und hörbar zu machen und für abschließende Auswertungen zu speichern. Serco unterhält den Fuhrpark mit 300 Ketten- und Radfahrzeugen, die Waffenkammer und das Ersatzteillager. Aufgrund steigender Anfragen ermöglicht Serco in diesem Jahr 21 statt bisher 16 Übungen im GÜZ. Jede von ihnen dauert 14 Tage, an ihr nehmen bis zu 1500 Soldaten und 600 Gefechts- und Transportfahrzeuge teil. Die Bundeswehr erhöhte den Etat für Serco rückwirkend auf 90 Millionen Euro. Minister Jung und Geschäftsführer Tiemann sprechen von einem Paradebeispiel für gelungene Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Wirtschaft.

Die Privatisierung im militärischen Bereich (Zusammenarbeit, Kooperation oder öffentlich-private Partnerschaft sind Synonyme) ist nicht allein aus den hohen Gewinnerwartungen der Konzerne zu erklären. Es gibt noch andere Ursachen, Sachzwänge, die bestimmte Kräfte in Politik, Wirtschaft und Militär vor noch nicht einmal zehn Jahren veranlaßten, die Privatisierung in der Bundeswehr generalstabsmäßig anzugehen. Bei diesen Kräften handelt es sich um den Militär-Industrie-Komplex der BRD. Für ihn ist nach dem Ende des kalten Krieges der heiße Krieg wieder normales Mittel der Politik geworden. Seitdem vollzieht sich in der Bundeswehr der tiefgreifendste Wandlungsprozeß seit ihrer Aufstellung vor 50 Jahren, offiziell als „Transformation" bezeichnet.

Verändert wurde der Auftrag der Bundeswehr. Landesverteidigung, wie im Grundgesetz verankert, ist abgehakt. Heute steht an oberster Stelle, „die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands zu sichern" (Weißbuch 2006). Das erfordert eine weltweit einsatzfähige Interventionsarmee. Dafür wird viel mehr Geld benötigt, als der Rüstungshaushalt hergibt (2007: 27,87 Mrd. Euro). Deshalb soll mit der Privatisierung zusätzliches Kapital „mobilisiert" werden. Bestimmte Aufgaben innerhalb der Bundeswehr können die Unternehmen mit ihren Erfahrungen in Sachen Wirtschaftlichkeit besser, schneller und auch billiger erfüllen. Das ermöglicht es der Bundeswehr, sich auf ihren „Kernauftrag" zu konzentrieren. So die Überlegungen.

Ein anderer „Sachzwang" ergibt sich aus der Personallage. Der Bestand der Bundeswehr verringert sich von 550 000 (3. Oktober 1990) auf 250 000 (Soll 2010) Mann. Aber noch dienen viele Soldaten in Bereichen, die mit dem neuen Auftrag nichts zu tun haben. Deshalb wird im Privatisierungsprozeß auch überprüft, welche bisher vom Militär eingenommene Planstelle gestrichen oder anderweitig besetzt werden kann, um die Soldaten wieder ihrer „Hauptaufgabe" zuzuführen. Ein „Sachzwang" ist auch der Prozeß der Internationalisierung und der „europäischen Einigung". Der BDI stellte mit Blick auf die Entwicklung der Streitkräfte und Rüstungen in Europa klipp und klar fest: „Die Entwicklungen in Brüssel abzuwarten und nur zu reagieren ist eine mögliche, aber keine akzeptable Handlungsoption der deutschen Rüstungsindustrie."

Es waren die „rot-grüne" Bundesregierung und ihr erster Verteidigungsminister Scharping, die die Privatisierung großen Stils auf den Weg brachten. Ihre „Geburtsurkunde" ist der „Rahmenvertrag Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr", 1999 von Schröder, Scharping sowie 100 Konzernvertretern unterzeichnet. Dieser „Verpflichtung zur strategischen Partnerschaft", wie der Vertrag genannt wurde, schlossen sich in kurzer Zeit weitere 350 Unternehmen an. Etwa zeitgleich gründete das Verteidigungsministerium die „Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb GmbH" (g.e.b.b.). Sie war als „Scharnier" zwischen Ministerium und „Wirtschaft" gedacht und nahm bald selbst eine Schlüsselrolle im Privatisierungsprozeß ein. Der Großraum für diesen wurde abgesteckt. Er umfaßte jene nichtmilitärischen Bereiche, auf die immerhin 40 Prozent des Rüstungshaushalts (über zehn Milliarden Euro jährlich) entfallen: Versorgung mit Verpflegung, Bekleidung und Ausrüstung, Instandhaltung und Wartung von Waffen und Gerät, Verkehr und Transport, Informations- und Kommunikationstechnologien, Liegenschaften, z. T. auch Ausbildung u. a. m.

Eine regelrechte Goldgräberstimmung erfaßte Unternehmen der Industrie und Firmen des Handwerks. Im Bereich Informationstechnologie wurde Ende 2006 das europaweit bisher größte Privatisierungsvorhaben unterzeichnet. Es trägt den Namen „Herkules". Siemens und der US-Konzern IBM werden die Informations- und Kommunikationstechnik (außer Waffen und Feldführung) umfassend modernisieren und betreiben. An 1500 Standorten erhält die Bundeswehr 140 000 Computer, 7000 Server, 300 000 Festnetztelefone und 15 000 Mobiltelefone. Dazu kommen noch neue Rechenzentren und IT-Serviceleistungen. Das Finanzvolumen beträgt 7,1 Mrd. Euro, verteilt über eine zehnjährige Laufzeit. Für Siemens - so ein Konzernsprecher - ist es der größte Auftrag in der 159jährigen Firmengeschichte.

Die Branche erhoffi sich eine Signalwirkung auf Vorhaben in anderen Ministerien: Dabei ist an die Gesundheitskarte der Ministerin Schmidt und Schäubles digitalen Polizeifunk gedacht. Erinnern sollte man sich an Herrn von Pierer, bis 2004 Vorstandvorsitzender und bis vor kurzem Aufsichtsratvorsitzender des Konzerns. Von einer Korruptionsaffäre größten Ausmaßes nicht unberührt, ist er weiterhin Berater der Bundeskanzlerin und gehörte beim letzten Bundestagswahlkampf zu ihrem „Kompetenzteam".

Privatisierung ist kein öffentlichkeitswirksames Thema für die Medien. Es ist im Denken vieler Bundesbürger negativ besetzt. Doch alles deutet darauf hin, daß ihre Rolle in der Bundeswehr weiter zunimmt. Im Mai 2006 wurde im Verteidigungsministerium eine Abteilung „Modernisierung" geschaffen. Minister Jung hat Modernisierung und Entbürokratisierung der Bundeswehr zu einem Schwerpunkt der nächsten Jahre erklärt. Dabei soll der „privatwirtschaftliche Sachverstand" ein noch höheres Gewicht in der Bundeswehr erhalten.

Die Entstaatlichung in der Bundeswehr ist Bestandteil der weltweiten Privatisierung von Gewalt und Krieg. Obwohl bei der Bundeswehr noch im Anfangsstadium, zeichnen sich bereits schwerwiegende Folgen und ernste Gefahren ab. Sie gehen weit über das hinaus, was Bundesbürger durch die Liquidierung staatlichen und kommunalen Eigentums bereits spüren.

Die Bundeswehr wird immer wieder als „Parlamentsarmee" gelobt. Doch sie ist, wie der gesamte Sicherheitsbereich, einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle weitgehend entzogen. In diesem Kernstück staatlicher Gewalt erfolgt die Privatisierung ohne gesetzliche Grundlage. Weder gab es eine Grundgesetzänderung noch eine Art Bundeswehr-Privatisierungsgesetz. Die Zusammenarbeit zwischen Streitkräften und kapitalistischen Unternehmen beruht auf Entscheidungen des Verteidigungsministers. Jung betont immer wieder, daß die Privatisierung nicht den militärischen Kernbereich erfasse. Aber es fehlt eine Definition, was zivile und was militärische Aufgabenfelder sind. Fehlende gesetzliche Grundlagen und mangelnde parlamentarische Kontrolle leisten dem Vordringen von Konzernstrukturen in den militärischen Kernbereich Vorschub. Die Privatisierung in der Bundeswehr fördert die Gewichtsverlagerung vom Bundestag zur Bundesregierung. Diese Entmündigung nimmt die große Mehrheit der Abgeordneten billigend in Kauf.

Entgegen den Behauptungen, durch Privatisierung würden finanzielle Einsparungen erzielt, ist das keineswegs der Fall. Die Privatisierung wird ausschließlich vom Profitinteresse bestimmt. „Herkules" steht als Beispiel für viele Projekte. Die Bundestagsopposition kritisierte dieses überteuerte Unterfangen. Nahezu eine Mrd. Euro hätte gespart werden können. Bundestag und Bundesregierung haben sich in eine fatale Abhängigkeit begeben und für die zehnjährige Laufzeit des
Vertrages jeglichen Einfluß verloren. Der Bundestag kann nicht einmal eine Haushaltssperre verhängen, falls Siemens und IBM die Vorgaben nicht einhalten. Der Vertrag sieht vor, daß der Bund in jedem Fall zahlen muß. Wo es im Verlauf der Privatisierung punktuell zu Einsparungen für die Bundeswehr kommt - hier wird die Zahl von 800 Millionen innerhalb von vier Jahren genannt -, bringt das dem Steuerzahler nichts. Die Bundesregierung hat festgelegt, daß „Effizienzgewinne auf Grund hoher Wirtschaftlichkeit aus der Zusammenarbeit mit privaten Kreisen und aus abgesenkten Betriebskosten" im Etat des Verteidigungsrninisteriums verbleiben können. Im Klartext, Einsparungen werden sofort wieder an einer anderen Stelle rüstungswirksam.

Die Privatisierung verstärkt eine bereits seit Jahren erkennbare Entwicklung im Personalbestand der Bundeswehr: Der prozentuale Anteil der Freiwilligen wächst, entsprechend rückläufig ist der Anteil der Wehrpflichtigen. Betrug dieser im Jahr 2000 noch 17 Prozent, so werden es nach der Bundeswehrplanung für 2010 nur noch 12 Prozent sein. An Auslandseinsätzen dürfen grundsätzlich nur Freiwillige teilnehmen. Und der Bedarf ist groß. Aktuell sind es 9000 Soldaten auf drei Kontinenten. Künftig werden es 14 000 in fünf Krisengebieten sein. Dazu kommen 6600 Soldaten für die Schnelle Eingreiftruppe der NATO und seit Januar 2007 weitere 1700 Mann für entsprechende Einheiten der EU. Freiwilligkeit als Voraussetzung für Auslandseinsätze ist keine juristische Spitzfindigkeit. Hier geht es zuallererst um die erforderliche Ausbildung und Erfahrung. Beides aber ist in neun Monaten (Dauer des Grundwehrdienstes) nicht zu schaffen. Vor Jahren war für die Bundeswehrführung die „Schmerzgrenze" mit 12 Monaten erreicht.

Mit der Privatisierung in der Bundeswehr erhöht sich der Einfluß des Militär-Industrie-Komplexes nicht nur auf die Außen- und Sicherheitspolitik. Es ist aufschlußreich, welche Probleme z. B. der EDI in den letzten Jahren untersuchte. Die Schlußfolgerungen aus der Analyse wurden in „Positionspapieren" festgehalten und - verbunden mit Forderungen der „Wirtschaft" - an die Bundesregierung weitergeleitet. Im einzelnen hießen die Papiere: 2004 - „Streitkräfte und Industrie" („Eckpunkte zur Sicherung unserer strategisch wichtigen Sicherheits- und Rüstungsindustrie"); 2005 - „Sicherheit und Verteidigung für Deutschland - Herausforderungen für Industrie und Politik" („Der Weg, um Bundeswehr und Industrie zukunftsfest zu machen!"]; ebenfalls 2005 - „Positionspapier zur Interessenwahrnehmung der deutschen wehrtechnischen Industrie In Europa"; 2006 - „Positionspapier der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zur Europäischen Verteidigungsagentur". Für das laufende Jahr ist eine Konferenz geplant, auf der der EDI seine „politische Strategie zur Rohstoffsicherung" vorstellen will. Es werden indes nicht nur Positionen formuliert und Forderungen erhoben:

Der Militär-Industrie-Komplex vervollkommnet auch sein Instrumentarium. Vor drei Jahren hat sich neben der bereits seit 1963 stattfindenden Münchener Sicherheitskonferenz, früher unter dem Namen Wehrkundetagung bekannt, die „Handelsblatt-Konferenz Sicherheitspolitik und Verteidigungsindustrie" etabliert. Die größte deutschsprachige Wirtschafts-hund Finanzzeitung schlägt mit dieser jährlich zusammentretenden Konferenz die „Brücke zwischen sicherheitspolitischen, militärstrategischen und industriellen Entwicklungen und Erwartungen". Auf der 3. Konferenz im September 2006 wurden u. a. Themen wie die Entwicklung moderner Streitkräfte, der Rüstungsbedarf ausgewählter Länder und die Lehren aus der Fußball-Weltmeisterschaft unter dem „Aspekt der Annäherung von innerer und äußerer Sicherheit" referiert und diskutiert.

Vom russischen Kosmodrom Plessezk (800 km nordöstlich von Moskaul startete der erste Aufklärungssatellit der Bundeswehr. Im kommenden Jahr soll das System - SAR Lupe genannt - voll einsatzfähig sein. Dann umkreisen fünf Satelliten in 500 km Höhe die Erde. SAR Lupe basiert auf Radartechnologie. Der Vorteil gegenüber optischen Aufklärungssatelliten besteht darin, daß wetter- und tageszeitunabhängig hochauflösende Bilder gewonnen werden können. Bisher verfügten nur die Streitkräfte der USA und Rußlands über diese Technologie. Der zuständige Bundeswehrgeneral brachte es auf den Punkt: „Uns steht nun ein Instrument zur Verfügung, mit dem wir aus eigenem politischem Antrieb exklusiv und weltweit unabhängige Daten ermitteln können, wann immer wir sie benötigen."

Die Privatisierung von Aufgaben und Funktionen der Bundeswehr führt objektiv zu einem langfristigen Wandel im Verhältnis Bundestag und Bundeswehr mit erheblichen Konsequenzen für die Kontrolle dieses Gewaltinstruments. Selbst wenn Bundeswehreinsätze mit UN-Mandat erfolgen, fehlt jegliche demokratische Aufsicht. Denn der weitgehend von den imperialistischen Hauptmächten beherrschte Weltsicherheitsrat wird von keinem demokratisch legitimierten Organ überwacht. Es entsteht die permanente Gefahr, daß über die Bundeswehr und ihren Einsatz im In- und Ausland letztlich Kräfte des Militär-Industrie-Komplexes, also private Akteure im Bunde mit der NATO, entscheiden. Die hier nur angedeuteten Gefahren werden in der breiten Öffentlichkeit vorerst kaum wahrgenommen. Bundespräsident Köhler stellte fest, daß die Entwicklung der Bundeswehr von der BRD-Bevölkerung mehrheitlich mit „freundlichem Desinteresse" zur Kenntnis genommen wird.

Übrigens; Der anfangs erwähnte „industrielle Betreiber des GÜZ", Serco, wurde am 14. Juni 2006 in Berlin als „familienfreundlicher Betrieb" ausgezeichnet. Die Urkunde überreichten Familienministerin von der Leyen und Wirtschaftsminister Glos.

Dr. Dieter Hillebrenner, Oberst a. D.