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DIE WELT.de

In die Röhre geschaut 

Der privat finanzierte Herrentunnel in Lübeck droht zum Millionengrab zu werden. Dennoch Bekenntnis zu Folgeprojekten

Von Hagen Seidel

Düsseldorf ­ Die Ernüchterung war groß: "Der Herrentunnel ist ein Rückschlag, da gibt es nichts gesund zu beten", räumt Herbert Lütkestratkötter ein, Vorstand des größten deutschen Baukonzerns Hochtief. "Alle Beteiligten haben sich beim Verkehrsaufkommen verkalkuliert, auch wir." 37 000 Autos sollten ursprünglich durch den 180 Mio. Euro teuren Tunnel in Lübeck fahren, der eine alte Klappbrücke ersetzte. Tatsächlich sind es nur 21 000 ­ mit fatalen Folgen für eines der ersten privat finanzierten Straßenbauprojekte in Deutschland. Denn zu wenig Autos bedeuten zu wenig Mauteinnahmen.

"Ich war erstaunt, wie wenig Verkehr in diesem Tunnel ist", sagt ein Düsseldorfer, der auf dem Weg in den Urlaub die Röhre benutzte. Der Mannheimer Baukonzern Bilfinger Berger ­ Eigentümer wie Hochtief ­ war wohl ebenso erstaunt: Er hat sogar Hals über Kopf seine Beteiligung am Herrentunnel komplett abgeschrieben und die für einen ähnlichen Tunnel in Sydney gleich mit. Dadurch hat Bilfinger Berger sogar rote Zahlen im Quartalsabschluss in Kauf genommen. "Wir können derzeit nicht davon ausgehen, dass die ursprünglich angestrebten Zahlen auch nur annähernd erreicht werden. Es war daher erforderlich, beide Engagements vollständig abzuschreiben", heißt es bei Bilfinger Berger.

Flucht aus einem vermeidlichen Zukunftsprojekt ­ mit Folgen weit über die Lübecker Röhre hinaus. Denn Hochtief, das die zweite Hälfte des Betreiberkonsortiums bildet, legte nach und schrieb einen Teil seines elf Millionen schweren Tunnel­Engagements ab. Und das, nachdem bereits ein ähnliches Projekt, der von dem französischen Baukonzern Bouygues und von Macquarie aus Australien privat finanzierte Warnowtunnel in Rostock, nur durch die Verlängerung der Konzessionszeit knapp an der Pleite vorbeigeschrammt war.

Schwere Tage für die Verfechter des Systems Private Public Partnership (PPP), das zuletzt als Lösung gleich mehrerer schwerwiegender Probleme der Infrastruktur in Deutschland galt. Mit PPP können Straßen gebaut oder Schulen renoviert werden, obwohl die öffentlichen Kassen leer sind. Und die Baukonzerne und Handwerker bekommen neue Millionen­Aufträge. Denn die Wirtschaft finanziert die Projekte vor und bekommt den Einsatz dann über die Laufzeit von zumeist 25 bis 30 Jahren samt Rendite wieder zurück ­ wenn die Prognosen stimmen.

Lütkestratkötter will sich vom Fehlstart nicht entmutigen lassen. "Wir sind noch im ersten Jahr des Projektes. Diesen Rückschlag können wir verkraften", meint der Hochtief­Manager. Auch Konkurrenten wie die Kölner Strabag sehen keinen Anlass, künftig auf PPP­Projekte zu verzichten. "Wir werden uns weiterhin an Ausschreibungen beteiligen. PPP wird an Bedeutung gewinnen", sagte Strabag­Chef Thomas Birthel der WELT. Sein Unternehmen engagiert sich derzeit am PPP­Projekt Westdeutsches Protonentherapiezentrum in Essen. "Angesichts der leeren öffentlichen Kassen kommt man in Deutschland um PPP­Finanzierungen gar nicht herum. Ansonsten würde unsere Infrastruktur irgendwann so marode, dass es volkswirtschaftlich nicht mehr zu vertreten wäre", so Lütkestratkötter.

"Der Investitionsbedarf für Infrastrukturmaßnahmen ist immens, insbesondere im kommunalen Straßenbau", bestätigt Birthel. Die Bundesregierung schrieb in ihren Koalitionsvertrag das "Ziel, mehr privates Kapital für den Verkehrswegebau zu mobilisieren".

Das wiederum begrüßen die Finanzmärkte: "PPP hat Zukunft. Im Moment müssen die Unternehmen allerdings Lehrgeld zahlen", urteilt Christoph Schlienkamp, Chefanalyst beim Bankhaus Lampe in Düsseldorf. Der Einsatz dieses Lehrgeldes könnte sich auf Dauer lohnen: Bis 2010 erwarten Bauexperten allein für Schulen, Krankenhäuser und Verwaltungsgebäude in Deutschland ein PPP­Auftragsvolumen von 20 bis 30 Mrd. Euro. Hinzu könnten Straßenbau­Aufträge von rund vier Mrd. Euro kommen. Und die kann die Baubranche gut gebrauchen, wenn sie ihre zehnjährige Krise endgültig hinter sich lassen will. Schlienkamp ist nicht ganz so optimistisch: "Die Serienreife werden PPP­Projekte im Straßenbau wohl kaum vor 2010 erreichen."

Im Ausland dagegen funktioniert PPP schon seit Jahren. Die deutschen Konzerne sind an zahlreichen Projekten beteiligt, allein Hochtief an rund 30. Darunter sind neue Mautstraßen, Tunnel, auch Krankenhäuser, Schulen, Flughäfen und selbst Gefängnisse. Die auftraggebenden Länder: Großbritannien, Australien Chile, Argentinien und Israel.

In Deutschland laufen inzwischen mehrere Dutzend Hochbau­Projekte. So vergab etwa der Kreis Offenbach die Baubetreuung für 100 Schulen für 15 Jahre an zwei Konsortien. Damit spart der Kreis nach eigenen Berechnungen über die gesamte Laufzeit rund 180 Mio. Euro. In Köln saniert und pflegt Hochtief sieben Schulen, in Leverkusen das denkmalgeschützte Berufschulzentrum. "Mängel werden mit einer für uns ungewohnten Geschwindigkeit abgestellt", lobt der dortige Direktor.

Zwar murrten zunächst die örtlichen Handwerker im Kreis Offenbach, als die bisher größte Ausschreibung in Deutschland gestartet wurde. Sie befürchteten, die Großkonzerne könnten ihnen die Arbeit wegnehmen. Doch das Gegenteil trat ein: Die Kleinen wurden Subunternehmer der Großen und schwingen jetzt in deren Auftrag Pinsel, Maurerkelle oder Rohrzange. Bisweilen zu etwas schlechteren finanziellen Bedingungen als zuvor, dafür aber mit länger laufenden Verträgen und somit mehr Planungssicherheit.

"Wenn Schüler und Lehrer aus den Ferien kommen, sind sie hellauf begeistert über das Ausmaß, in dem inzwischen ihre Schulen saniert wurden. Es gibt praktisch keine Kritiker", schwärmt Lütkestratkötter.

10 bis 15 Prozent Einsparungen versprechen die anbietenden Firmen den Auftraggebern, manchmal auch 20 Prozent. Die Spezialisierung und die kritische Masse machen es möglich. Hochtief kalkuliert mit attraktiven Renditen von rund 14 Prozent. Und vor allem mit regelmäßigen Einnahmen. Denn die sind im Baugeschäft selten, in dem Aufträge üblicherweise nach Baufortschritt bezahlt werden.

Bei den bisher umgesetzten Straßenbauprojekten, dem Herren­ und dem Warnow­Tunnel, sieht die Bilanz aber weit schlechter aus als beim Hochbau: zwei Versuche, zwei Fehlschläge. Dass die beiden Pilotprojekte ausgerechnet im strukturschwachen und mit hohen Arbeitslosenzahlen belasteten Norden gestartet wurden, mag zum Misserfolg beigetragen haben. "In Deutschland gibt es aber auch ein psychologisches Problem: Die Leute wollen, anders als in Frankreich, Spanien oder Australien, einfach keine Maut zahlen und fahren lieber um die Tunnel herum", weiß Analyst Schlienkamp. "In diesen Ländern werden Straßen und Tunnel als Wirtschaftsgut angesehen. Wenn dieses Gut knapp ist, hat es nun einmal seinen Preis", sagt Lütkestratkötter. Zum Ausstieg seines Partners Bilfinger will er sich lieber nicht äußern. Auch nicht zur Frage, ob Hochtief den inzwischen abgeschriebenen Anteil übernehmen will. "Das muss jeder für sich entscheiden. Der Mitgesellschafter ist noch nicht auf uns zugekommen und hat uns seinen Anteil angeboten."

Das haben die Mannheimer offenbar trotz ihrer Skepsis ihrem Tunnel gegenüber auch nicht vor. "Wir setzen unsere Bemühungen fort, die Projekte zusammen mit den anderen Gesellschaftern langfristig zum Erfolg zu führen", hieß es bei der Zentrale. Bilfinger Berger wehrt sich gegen den Vorwurf, zu früh die Nerven verloren und damit der PPP­Idee geschadet zu haben: "Das ist abwegig." Schließlich sei vom Rückzug nur "ein kleiner Teil unseres Betreibergeschäfts betroffen."

Doch gerade das sorgt in der Branche für Verwunderung: Denn im Rennen um die sogenannten A­Modelle für den privat finanzierten Autobahnausbau will Bilfinger bleiben, obwohl auch diese Projekte verkehrsabhängige Risiken bergen wie der Herrentunnel. "Wir haben unverändert großes Interesse an den A­Modellen. Es handelt sich um Projekte mit begrenzten Risiken aus dem Verkehrsaufkommen. Auf den betreffenden Streckenabschnitten wird bereits Lkw­Maut erhoben, so dass eine fundierte Kalkulationsgrundlage vorhanden ist", hieß es beim Mannheimer Konzern. Ein Finanzmarkt­Experte kritisiert: "A­Modelle ja, Herrentunnel nein ­ diese Strategie ist weder Fisch noch Fleisch."

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Fünf Nadelöhre auf Autobahnen sollen bei den A­Projekten im ersten Schritt mit privatem Kapital beseitigt werden. Zur Jahreswende sollen die ersten Aufträge für die A 8 zwischen Augsburg West und München Allach sowie die A 4 zwischen Waltershausen und Herleshausen vergeben werden. Anschließend sollen die A 1/A4 (Düren ­ Köln­Nord), die A 5 (Baden­Baden ­ Offenburg) und die A 1 (Buchholz ­ Bremer Kreuz) folgen. Fast alle bedeutenden Baukonzerne haben sich beworben.

Artikel erschienen am Tue, 22. August 2006