Zurueck zur Vorseite
Zurueck zur Homepage
FR vom 17.03.2006 (Gescannter Text)

Gastbeitrag

Für eine neue Politik

Dezentrale, angepasste Wasserprojekte könnten die Armut wirkungsvoller reduzieren als herkömmliche Großprojekte. Günstige und bewährte Möglichkeiten zur Armutsbekämpfung sind vorhanden - zur Durchsetzung fehlt der politische Wille.

VON PETER BOSSHARD UND ANN KATHRIN SCHNEIDER

Seit gestern sind in Mexiko-Stadt Tausende von Fachleuten aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft zum Vierten Weltwasserforum zusammen gekommen. Sie stehen vor einer gewaltigen Herausforderung: 1,1 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Mehr als zwei Millionen Kinder sterben jedes Jahr an verschmutztem Wasser.

Die konventionelle Antwort auf die Herausforderunglautet seit vielen Jahrzehnten: „Big is beautiful!" Regierungen, Weltbank und Industrie setzen zum Ausbau der Wasserversorgung in erster Linie auf moderne Bewässerungslandwirtschaft mit großen Dämmen, Wasserstraßen und Kanälen. So wurden in den vergangenen 50 Jahren mehr als 40 000 große Staudämme gebaut. Pro Jahr fließen rund 20 Milliarden Dollar in solche Vorhaben.

Die Erfolgsbilanz dieses zentralistischen Ansatzes ist bescheiden. Moderne Bewässerungsanlagen steuern ein Drittel zur globalen Nahrungsproduktion bei. Doch die meisten Armen sind nicht in die modernen Wasserversorgungssysteme integriert, haben nicht das Geld, um die dort produzierten Nahrungsmittel zu kaufen.

Ghana, Paraguay, Sambia und Simbabwe besitzen einige der größten Stauseen der Welt. Mit diesen Projekten wollten sich die Länder in einem gigantischen Kraftakt aus der Armut befreien. Doch die Armen profitierten kaum von den Investitionen. Zentralisierte Großprojekte kommen hauptsächlich den Großbauern auf den fruchtbarsten Böden, der Industrie und der städtischen Bevölkerung zugute. Die Mehrheit der Armen lebt nicht in den großen Städten und fruchtbaren Tälern. Das „Epizentrum der extremen Armut" bilden den Vereinten Nationen (UN) zufolge die mehr als 500 Millionen Kleinbauernfamilien - an ihnen zielen die Großprojekte vorbei.

Die Entwicklungsziele der UN sehen vor, dass die Armut in der Welt bis 2015 halbiert werden soll. Damit das Ziel erreicht werden kann, braucht es eine grundlegende Neuorientierung der globalen Wasserpolitik. In deren Zentrum müssen künftig die ländlichen Armen stehen, die mit Regenfeldbau zwei Drittel aller Nahrungsmittel anbauen. Sie brauchen Unterstützung beim Bau dezentraler Wasserspeicher, beim schonenden Umgang mit Grundwasser und bei der Entwicklung von wassersparenden Anbaumethoden.

Die Weltbank, Finanzier von Wasserprojekten, behauptet, die Zeit der „einfachen und günstigen Lösungen" in der Wasserversorgung seien vorbei. Nötig sei die Förderung von so genannten Hochrisikoprojekten. Diese Einschätzung geht völlig an der Realität vorbei. Es gibt zahlreiche technisch machbare, günstige und erprobte Alternativen, um ländlichen Armen den Zugang zu dem kostbaren Nass zu eröffnen und den effizienteren Umgang damit zu ermöglichen.

Im wasserarmen indischen Bundesstaat Rajasthan baut eine breite soziale Bewegung Tausende von kleinen Staubecken, um die spärlichen Regengüsse zu speichern. Die Speicher dienen der Landwirtschaft und speisen das Grundwasser. Als Folge fließen heute ganzjährig wieder drei Flüsse, die zuvor versiegt waren - die Lebensgrundlagen breiter Bevölkerungsschichten haben sich verbessert.

Die Organisation International Deve-lopment Enterprises entwickelt einfache, günstige Tretpumpen. Sie erlauben Millionen von Kleinbauern, Grundwasser für die Bewässerung ihrer Felder einzusetzen. Die selbe Organisation hat eine innovative Form der Tröpfchenbewässerung entwickelt, die Wasser direkt zu den Wurzeln leitet - und damit rund die Hälfte spart. In mehr als 30 Ländern experimentieren Bauern schließlich mit einer revolutionären Art des Reisanbaus, bei welcher der Reis nicht mehr permanent unter Wasser gesetzt wird. Die neue Methode erfordert mehr Arbeit - kommt aber mit einem Bruchteil an Saatgut, Wasser sowie Dünger aus und wirft zudem größere Erträge ab.

----------------------------
Ann Kathrin Schneider ist Projektreferentin bei International Rivers Network (IRN), davor hat sie bei Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED) in Berlin gearbeitet.
----------------------------

Lokale Wasserspeicher, Tretpumpen und Tröpfchenbewässerung setzen sowohl traditionelle als auch neue Techniken ein. All diesen Methoden ist gemein, dass sie arbeitsintensiv, technisch einfach und billig sind. Die Tretpumpen kosten 25 Dollar, die Anlagen zur Tröpfchenbewässerung gerade mal drei Dollar je Pflanzheet Die Herstellung erfordert keine importierten Technologien - sondern schafft lokale Arbeitsplätze. Externe Unterstützung braucht es hauptsächlich bei der weiteren Entwicklung von angepassten Technologien und ihrer Propagierung in ländlichen Regionen.

Paul Polak von International Development Enterprises schätzt, dass mit 20 Milliarden Dollar für angepasste Technologien im Wassersektor bis 2015 rund 100 Millionen Kleinbauernfamilien aus der Armut befreit werden könnten. Konventionelle Ansätze sind viel teurer. Die Wasserversorgung in Rajasthan kostet mit lokalen Wasserspeichern zwei Dollar, mit dem berüchtigten Narmada-Staudamm rund 200 Dollar pro Person. Die Bewässerung eines Hektars Land kostet mit dem Narmada-Projekt 3800 Dollar, mit Tretpumpen 120 Dollar. Für Staudammprojekte stehen jedes Jahr rund 20 Milliarden Dollar zur Verfügung - den angepassten Technologien haben die Weltbank und die meisten Regierungen aber bisher die kalte Schulter gezeigt.

----------------------------
Peter Bosshard ist Policy Director bei International Rivers Network (IRN). Erwar vorher Geschäftsführer der Schweizer Entwicklungsorganisation Erklärung von Bern.
----------------------------

Dezentrale, angepasste Ansätze in der Wasserversorgung sind kommerziell und politisch nicht sehr attraktiv. Sie werfen kaum Exportaufträge, politisches Prestige und Bestechungsgelder ab. Sie sind aber machbar und können die Armut wirksam reduzieren. Für die notwendige Neuausrichtung der Wasserpolitik braucht es bloß politischen Willen.

INTERNATIONAL RIVERS NETWORK
(IRN) wird beim Weltwasserforum einen Bericht über eine neue globale Wasserpolitik vorstellen.
www.irn.org