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Zittern hinter der Berliner Medienfassade

Von den Beschäftigten bei Veag, Bewag und Laubag werden die größten Opfer verlangt

Von Thomas Wüpper

Berlin, Chausseestraße 23. Die Zentrale der Vereinigten Energiewerke (Veag) lohnt einen Besuch. Die Medienfassade des erst wenige Jahre alten Verwaltungsbaus in der historischen Mitte der Hauptstadt ist einmalig in Europa. Jeden Abend flimmern dort Kunstfilme junger Autoren über eine 100 Quadratmeter große Projektionsfläche - "das größte Straßenkino Berlins", wie das Unternehmen stolz tönt.

Hinter den Fassaden, bei den 600 Beschäftigten, ist die Stimmung weniger gut. Erneut steht der größte ostdeutsche Stromkonzern vor einem gewaltigen Umbruch, der Ende August in seiner faktischen Auflösung gipfeln wird. Zwölf Jahre nach der Gründung. Dann geht die Veag, die aus den überregionalen DDR-Kraftwerken und Netzen entstand, gemeinsam mit den Schwesterfirmen HEW und Lausitzer Braunkohle (Laubag) im neuen Stromriesen Vattenfall Europe auf. Im Frühjahr soll der vierte Fusionspartner, der Hauptstadtversorger Bewag, folgen.

Seit Monaten gehen Möbelpacker in der Chausseestraße ein und aus. Der künftige Holdingvorstand von Vattenfall Europe hat vorläufig Quartier in den oberen Stockwerken bezogen. Die früheren Topmanager, darunter Veag-Chef Jürgen Stotz, sind weg. Nur der einflussreiche Arbeitsdirektor Martin Martiny hat Büro und Bedeutung behalten. Er wird auch im Holdingvorstand sitzen.

Das kommt nicht von ungefähr. Geschickt managte Martiny in den vergangenen zehn Jahren den radikalen Stellenabbau bei der Veag. Solche Leute werden gebraucht. Denn bei Vattenfall Europe werden anfangs 20 000 Frauen und Männer und damit rund 6000 zu viel an Bord sein.

Die Veag-Beschäftigten sind Kummer gewohnt. Nur 5800 der einst fast 30 000 Beschäftigten sind übrig geblieben. Trotzdem wurde der Versorger, der über sein 10 000 Kilometer langes Leitungsnetz kaum Endkunden, sondern vor allem Regionalunternehmen und Stadtwerke beliefert, fast zum Pleitenfall. Mit Investitionen von 8,8 Milliarden Euro, die aus den jahrelang höheren Strompreisen im Osten finanziert wurden, modernisierte das Unternehmen zwar den gesamten maroden, umweltbelasteten DDR-Kraftwerkspark. In Boxberg, Schwarze Pumpe und Lippendorf entstanden die effektivsten Braunkohle-Meiler der Welt. Doch die hohen Abschreibungen, die auf die milliardenteuren Neubauten fällig werden, ließen sich nicht mehr verdienen, als die Strompreise fielen. Die Folge: Der Veag drohte die Insolvenz und dem gesamten ostdeutschen Braunkohle-Bergbau ein Debakel.

Einen solchen Tiefschlag für den Aufbau Ost wollte die Bundesregierung natürlich vermeiden. Wirtschaftsminister Werner Müller verpflichtete Eon, RWE und die übrigen früheren westdeutschen Veag-Eigentümer, die allesamt unterschiedliche Interessen verfolgten, zur Bestandssicherung und weiteren Produktion von Braunkohlestrom. Im Gegenzug verzichtete der Bund auf Milliarden-Forderungen aus der Privatisierung. Die Pleite konnte abgewandt werden. Der Weg für den schwedischen Staatskonzern Vattenfall war frei.

Nun kommt für Veag trotzdem das faktische Ende. Auf der HEW-Hauptversammlung am 21. August wird die Holdinggesellschaft Veag auf die Holding HEW verschmolzen. Das operative Geschäft wird in eine neue Firma mit den Sparten Erzeugung, Handel und Netz sowie den Geschäfteinheiten Verteilung, Strom und Wärme ausgegliedert. Dafür stellen die Aufsichtsräte von HEW und Veag bereits am 27. Juni, also am Donnerstag nächster Woche, die Weichen. Schon jetzt ist klar, dass nicht einmal die Namen Veag und Laubag übrig bleiben werden. Schwacher Trost: Die fusionierte Braunkohle-Produktionssparte Vattenfall Generation, in der die Veag-Kraftwerke und Laubag-Tagebaue aufgehen, soll ihre Zelte in Cottbus aufschlagen und mit zwei Milliarden Euro Jahresumsatz eines der größten ostdeutschen Unternehmen werden.

Auch die Bewag, der 1884 gegründete älteste deutsche Stromproduzent, sieht dem Ende als eigenständiger Konzern entgegen, soll aber künftig wie HEW als "rechtlich selbstständige Einheit" mit den Sparten Verteilnetz, regionaler Stromvertrieb und Wärme agieren. Das ehemalige Landesunternehmen hat seit der Privatisierung ebenfalls kräftig Federn gelassen. Die Gewinne kletterten zwar kräftig, die Stellenzahl hingegen schrumpfte von 14 000 auf 5200. Damit haben die Berliner immer noch 1000 Leute mehr als die designierte Schwester HEW, die mit 2,5 Milliarden Euro deutlich höhere Erlöse erwirtschaftet. In Berlin geht die Angst um, dass bis zu 2400 Bewag-Jobs gestrichen und einige der 29 Kraftwerke stillgelegt werden.

Dass die Zusammenlegung des Quartetts und der Abbau der "Wasserköpfe" in den Verwaltungen die meisten Arbeitsplätze in Ostdeutschland und in der Hauptstadt kosten werden, ist kein Geheimnis. Und dort ist jeder weitere Aderlass besonders bitter: Der Braunkohle-Förderer Laubag beschäftigte zu DDR-Zeiten mehr als 100 000 Menschen, nach der Wende noch 65 000. Im aktiven Bergbau sind nur noch 5600 Leute tätig. Einige tausend Kumpel kamen bis zuletzt in der staatlichen Sanierungsfirma LMBV unter, die seit der Wende die viele Milliarden teuren Altlasten des DDR-Tagebaus beseitigt.

Unklar ist noch, wer künftig hinter der Veag-Medienfassade die Strippen ziehen wird. Ob der Holding-Vorstand von Vattenfall Europe auf Dauer in der Chausseestraße bleibt, ist noch nicht entschieden. Denn auch die Bewag verfügt über repräsentative Immobilien in der Hauptstadt, darunter ihren eigenen Firmensitz. Da verfügen die schwedischen Fusionsstrategen über eine reiche Auswahl.
 
 

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 21.06.2002 um 21:07:16 Uhr
Erscheinungsdatum 22.06.2002