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Vattenfall Europe - Aus vier mach' eins

Schwedischer Staatskonzern will starke dritte Kraft auf dem deutschen Strommarkt werden / Nach dem milliardenschweren Einstieg steht schwierige Integrationsaufgabe an

Von Thomas Wüpper

Auf keinem Strommarkt in Europa herrscht mehr Wettbewerb als in Deutschland. Die Liberalisierung hat vor allem für die Industrie-Kunden niedrigere Preise gebracht, aber auch eine heftige Konzentrationswelle ausgelöst. RWE, Eon und EnBW haben sich neu positioniert und den überregionalen westdeutschen Strommarkt unter sich aufgeteilt. Im Osten und Norden der Republik tritt künftig der schwedische Staatskonzern Vattenfall gegen das mächtige Trio an. Doch noch plagen den künftig drittgrößten Versorger, der aus der Fusion von HEW, Bewag, Veag und Laubag entsteht, heftige Geburtswehen.

Klaus Rauscher ist ein Mann mit politischem Gespür. Seine Erfahrung als ehemaliger Leiter der Staatskanzlei in München und Vorstand der Bayerischen Landesbank kann der resolute Manager im neuen Job gut gebrauchen. Denn auch da geht es darum, möglichst geräuschlos unter staatlicher Regie unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen. "Der Aufbau von Vattenfall Europe", urteilt der designierte Vorstandsvorsitzende und heutige Chef der Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW), "ist einer der komplexesten Integrationsprozesse in Europa."

Da wird kaum jemand widersprechen. In Rekordzeit soll Rauscher aus vier höchst unterschiedlichen Energieversorgern in West- und Ostdeutschland einen schlagkräftigen Konzern mit drei Millionen Strom- und Fernwärmekunden und zunächst 20 000 Beschäftigten schmieden. "Wir sind schneller als geplant", zieht er eine Zwischenbilanz. Schon am 21. August, vier Monate früher als vorgesehen, sollen HEW, Veag und Laubag zu Vattenfall Europe fusionieren. Die Berliner Bewag kommt später hinzu.

Das oberste Ziel: möglichst rasche Rentabilität. "Marktführer ist, wer Kostenführer ist", gibt Rauscher die Marschrichtung an. Bis zu 6000 Arbeitsplätze, fürchten Gewerkschafter, könnte die Fusion noch kosten. Zwei Drittel davon hatten die Unternehmen unabhängig von einander sowieso schon angepeilt. Weitere 2000 Stellen im künftigen Konzern müssten dem Rotstift noch zum Opfer fallen, soll das erklärte Ziel erreicht werden, bis 2005 jährlich 500 Millionen Euro Kosten zu sparen.

Rauscher und sein oberster Chef in Schweden stehen unter gewaltigem Zeit- und Erfolgsdruck. Lars Josefsson, Lenker des Vattenfall-Konzerns, hat sich listig und generalstabsmäßig in den deutschen Strommarkt eingekauft und dafür bereits stolze acht Milliarden Euro ausgegeben. Die teure Expansion des Staatskonzerns belastet die Finanzkraft enorm und stößt bei der Regierung in Stockholm nicht auf ungeteilte Zustimmung. Josefsson braucht vorzeigbare Erfolge, um sich die Unterstützung für seinen Kurs zu sichern, zumal im Herbst Parlamentswahlen anstehen. Ein Regierungswechsel könnte schneller als gedacht dazu führen, dass auch die Nordlichter die Privatisierung ihrer Stromwirtschaft in Angriff nehmen; und zwar umso mehr, wenn bei Vattenfalls Vorstoß nach Deutschland nicht die erhofften Renditen herausspringen.

Die Strategie der Schweden ist klar. Die Akquisitionen hier zu Lande sollen den Konzern zum tonangebenden Mitspieler im europäischen Strommarkt machen. Bisher ist das Unternehmen, das zu Deutsch "Wasserfall" heißt und Elektrizität hauptsächlich aus Wasser- und Atomkraft erzeugt, auf Skandinavien fokussiert.

Josefsson nutzte bei seiner Einkaufstour die Gunst der Stunde. Über HEW setzte er 1999 den Fuß in die Tür. Aus Finanznot verkaufte die Hansestadt zunächst ein Paket von 25,1 Prozent für 870 Millionen Euro. Derweil formierten sich mit den Fusionen von Veba und Viag zu Eon und von RWE und VEW die beiden größten deutschen Stromriesen neu. Die zwei Ehen erlaubte das Bundeskartellamt nur unter der Auflage, dass die Konzerne ihren dominierenden Einfluss in der ostdeutschen Energiewirtschaft aufgeben, damit mehr Raum für Wettbewerb entsteht.

Vattenfall stand bei der Neuordnung der deutschen Landschaft gerne bereit und kaufte die Anteile der Konkurrenz an Veag, Laubag und Bewag auf. So reibungslos, wie erhofft, ging der große Plan aber nicht über die Bühne. "Wir mussten eine ganze Reihe von Stolpersteinen extern und intern aus dem Weg räumen", sagt Rauscher diplomatisch. Wohl wahr. Erst sorgte der erbitterte Streit der Schweden mit Mirant monatelang für Schlagzeilen. Der US-Konzern und Bewag-Großaktionär pochte auf die unternehmerische Führung bei dem Berliner Versorger. Nur gegen eine hohe Abfindung räumten die Amerikaner schließlich das Feld.

Dann musste Rauscher mit dem Treuhand-Nachfolger BvS schwierige Verhandlungen über die Investitions- und Arbeitsplatzgarantien führen, die einst für Veag und Laubag abgegeben worden waren. Der Bund trat die Förderrechte im ostdeutschen Braunkohle-Bergbau für 412 Millionen Euro ab. Vattenfall sagte zur Existenzsicherung der Tagebaue zu, jährlich 50 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Braunkohle zu produzieren. Auch die westdeutschen Konkurrenten, zu denen noch Energie Baden-Württemberg (EnBW) gehörte, die über eine Zwischenholding Anteile an der Veag hielten, wurden abgefunden.

Erst jüngst gab Hamburg nach ebenfalls hartem Ringen auch seine restlichen HEW-Anteile für weitere 870 Millionen Euro und damit die Sperrminorität ab. Im Gegenzug garantierten die Schweden, die allein das Sagen haben wollen, bis 2005 den Erhalt von 3000 der noch etwas mehr als 4000 Arbeitsplätze an der Elbe. Vertrieb und Handel, Buchhaltung und EDV des neuen Konzerns sollen in Hamburg angesiedelt werden, womit der Senat seine Ziele als erreicht ansah.

Politik und Arbeitnehmer reden bei der Vattenfall-Fusion ein gewichtiges Wort mit. In acht Bundesländern hat der Konzern Standorte, und jeder Landesfürst versucht Pfründe und Jobs zu sichern. Mit Verdi, der IG Bau-Chemie-Energie (IG BCE) und der IG Metall sitzen zudem gleich drei Gewerkschaften mit im Boot, und zwei Mitbestimmungs-Modelle in den Aufsichtsräten machen die Sache auch nicht leichter. Um sämtliche Klippen zu umschiffen, setzt Rauscher auf eine "sehr offene, ehrliche Kommunikation".

Bisher ist er damit ganz ordentlich gefahren. Nur in der Lausitz schwappte jüngst die Protestwelle hoch. Rauscher will die 600 Leute beschäftigende Zentrale des Kohleförderers Laubag aus Senftenberg abziehen und bis 2004 ins benachbarte Cottbus verlagern, wo sie mit der bisher in Berlin sitzenden Verwaltung der Veag-Produktionssparte kombiniert werden soll. Mindestens 300 Stellen wird allein diese Zusammenlegung wohl kosten.

Die Senftenberger riefen einen "Generalstreik" aus, tausende Menschen gingen auf die Straße, Geschäfte blieben geschlossen. Bürgermeister Klaus-Jürgen Graßhoff fürchtet, dass die 150-jährige Bergbau-Tradition der Stadt und viel Kaufkraft verloren gehen. Ralf Hermwapelhorst, Bezirksleiter der IG BCE, fordert einen "Standortsicherungsvertrag" für die Lausitz, um den 5000 Arbeitsplätzen in den Tagebauen der Laubag und den gut 2000 in den Veag-Kraftwerken eine dauerhafte Zukunft zu geben.

Rauscher, der sich selbst als "virtueller Konzernchef" bezeichnet, sieht solche Proteste gelassen. "Das sind unvermeidliche Begleiterscheinungen einer solch komplexen Fusion." Sein nächstes Ziel: die Verhandlungen mit Berlin über die Standortsicherung und Eingliederung der Bewag erfolgreich zum Abschluss zu bringen. An der Spree soll sich die Holding des neuen Konzerns etablieren. Da ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Denn die Hauptstadt und ihr Versorger hatten den unerwünschten Einstieg der Schweden lange bekämpft und auf Mirant gesetzt.

Doch das sind bei weitem nicht die einzigen Probleme, mit denen sich Vattenfall Europe herumschlagen muss. Denn es ist keinesfalls felsenfest sicher, dass Erlöse und Gewinne in dem Ausmaß sprudeln, wie es der Geschäftsplan vorsieht. Der Kundenstamm von HEW und Bewag ist weitgehend auf die beiden Großstädte begrenzt und hart umkämpft. So verloren die Berliner zum Beispiel den Auftrag für die Stadtbeleuchtung und das Abgeordnetenhaus an billigere Konkurrenten. Und auch das Kartellamt hat sie auf dem Kieker. Die Wettbewerbshüter werfen ihnen vor, überhöhte Durchleitungsgebühren zu kassieren und andere Anbieter zu diskriminieren.

Die Veag wiederum beliefert so gut wie überhaupt keine Endkunden und speist ihren Braunkohlestrom hauptsächlich bei ostdeutschen Stadtwerken und Regionalversorgern ein. Letztere werden aber zum großen Teil durch Eon & Co. kontrolliert. Mit der Fusion von Envia und Meag zur Enviam entstand in Dresden gerade das größte regionale Stromunternehmen in den neuen Bundesländern unter Regie von RWE. Die Essener halten an ihm 61 Prozent. Man braucht kein Prophet zu sein, um harte Verhandlungen vorherzusagen, wenn die Lieferverträge der Veag mit ihrer jetzigen Klientel auslaufen.

Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Die Braunkohle-Kraftwerke der Veag, die betagten Heizkraftwerke der Bewag und die Atommeiler der HEW stehen nicht gerade für einen kostengünstigen Erzeugungsmix. Und trotz teurer Modernisierung stoßen allein die Veag-Blöcke jährlich noch 60 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus, das die Atmosphäre aufheizt. Sollte die Braunkohle dereinst einmal mit "Strafsteuern" belegt werden, kämen die Vattenfall-Leute in schwere Verdrückung.

Schließlich könnte der von der rot-grünen Bundesregierung durchgesetzte Ausstieg aus der Kernenergie teuer werden. Die Abschaltung und Entsorgung der HEW-Meiler kosten Milliarden. Darauf zu bauen, dass der Ausstieg "nicht unumkehrbar" sein muss, wie der überzeugte Atomkraft-Anhänger Rauscher immer wieder sagt, wäre eine gefährliche Strategie.

Nicht von ungefähr liebäugelt der stille Stratege bereits mit einer Diversifizierung des Geschäfts, mit dem Einstieg in den lukrativen Gasmarkt nach bewährtem Muster. Falls Eon die beantragte Ministererlaubnis für den Zusammenschluss mit Ruhrgas nur unter der Auflage erhalten sollte, dass die ostdeutschen Töchter Thüga und VNG nicht in den neuen Verbund mit aufgenommen werden dürfen, wollen die Schweden bereitstehen und einen Einstieg ins Auge fassen. "Nicht um jeden Preis", wie Rauscher beteuert "aber wir beobachten mit großem Interesse, was da passiert."
 
 

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Dokument erstellt am 21.06.2002 um 21:07:16 Uhr
Erscheinungsdatum 22.06.2002