Zurueck zur Vorseite
Zurueck zur Homepage
http://www.gew.de/aktuell/frame_euw.htm

05. Mai 2004

Mehr Ungleichheit durch stärkere Eigenverantwortung?

Spardiktat bewirkt Autonomie

Im Fokus des Beitrags der Essener Bildungsforscher Isabell van Ackeren und Frank Meetz stehen die deutschen Privatschulen, die Privatisierung der Finanzierung von Schule sowie die Möglichkeiten der Mittelakquise und -verwaltung durch die Einzelschule. Der Überblick der beiden Wissenschaftler macht deutlich, wo die Gefahren liegen: in erheblichen Unterschieden schulischer Mittelausstattung. Damit verbunden sind ungleichere Lernvorraussetzungen.

Im ökonomischen Sprachgebrauch meint Privatisierung die Verlagerung staatlicher Aktivitäten in den privaten Sektor einer Volkswirtschaft. „Wettbewerb“, „Effizienz“, „Kostentransparenz“, „Effektivität“, „Qualitätsverbesserung“, „Fortschritt“ und „Flexibilität“ sind die kursierenden Schlagworte, die sich mit einer solchen betriebswirtschaftlichen Denkweise verbinden. Im Schulbereich ist damit die Erwartung von Schulleitungen u. a. verknüpft, im Zuge der Bemühungen von Deregulierung und Dezentralisierung einer als übersteuert empfundenen Schule entsprechende Reformelemente zu verhandeln.

Die schulbezogenen Diskussionen entspringen einerseits der öffentlichen Finanzkrise, andererseits der festgestellten unzureichenden Leistungsfähigkeit des deutschen Schulsystems. In Zukunft sollen die knapperen Finanzmittel effizienter verteilt und zugleich schulische Leistung gesteigert werden. Dies soll sich in einem deutlich verbesserten Abschneiden bei internationalen Schulvergleichen nachweisen. In diesem Zusammenhang werden Privatisierungstendenzen als Antwort auf die Kritik am staatlichen Bildungsmonopol diskutiert. Dabei erhofften sich Kultusministerien eine bessere und flexiblere Reaktionsfähigkeit auf veränderte gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedingungen. Dahinter steht die Erwartung, dass sich dem autonomeren Schulstandort größere pädagogische Handlungsspielräume bieten.

Trotz dieser vermuteten Vorteile ist die Opposition einer ökonomisch orientierten Bildungsforschung und -planung dennoch beachtlich: Die Aufgabe egalitärer und demokratischer Erziehungsideale wird ebenso befürchtet wie die Zunahme schulischer Ausstattungsdisparitäten.

Schulen können sich, wie es in Deutschland der Fall ist, in öffentlicher oder privater Trägerschaft befinden. Privatisierung umschreibt in diesem Zusammenhang die Überführung der Schulen aus einer öffentlichen in eine private Trägerschaft. Die Leistung erfolgt in privater Trägerschaft, die Finanzierung hingegen bleibt größtenteils eine öffentliche Aufgabe: Im Haushaltsjahr 2000 wurden die privat getragenen allgemein bildenden Schulen insgesamt zu 92,6 Prozent öffentlich finanziert (Dohmen/Klemm/ Weiß 2003). Die quantitative Bedeutung der Privatschulen ist im Vergleich zu den öffentlichen Schulen jedoch gering: Im Schuljahr 2000/2001 lernten in Deutschland 5,8 Prozent der Schüler an Schulen in privater Trägerschaft. Der Anteil der privaten Schulen betrug im Schuljahr 2000/2001 schulformübergreifend acht Prozent aller Schulen. Im Vergleich zum Jahr 1992 stieg die Zahl der Privatschulen um 27,3 Prozent. Privatschulen haben damit ein sichtbares Wachstumspotenzial in der deutschen Schullandschaft.

Empirisch nicht gedeckt

Die gelegentlich geäußerte These einer leistungsmäßigen Überlegenheit privater Bildungseinrichtungen ist empirisch nicht gedeckt (Weiss/Preuschoff 2003), wie eine vergleichende Auswertung öffentlicher und privater Schulen der PISA-Stichprobe darlegt: Private Gymnasien weisen etwas geringere Leistungswerte auf als vergleichbare, öffentlich getragene Einrichtungen. Die privat getragenen Realschulen schneiden dagegen etwas besser ab als die öffentlichen. Bei beiden verglichenen Schulformen allerdings sind die untersuchten Leistungsunterschiede in Mathematik, Naturwissenschaften und beim Leseverständnis der 15-Jährigen nicht signifikant. Die Ursache für den Wettbewerb unter den Nachfragern nach Privatschulplätzen liegt, so lässt sich vermuten, weniger in höheren Leistungsansprüchen als vielmehr in der elterlichen Erwartung ethnisch und sozial selektierter Lernmilieus sowie in einer besseren Erziehungsleistung.

Der Staat könnte, radikal gedacht, seinen Einfluss gänzlich zurücknehmen und privaten Anbietern einen freien Marktzutritt gewähren (Weiß/Steinert 2001). Ein solches Vorgehen ist in Deutschland im allgemein bildenden Schulwesen sowie in der Berufsbildung bislang kaum anzutreffen. In den USA gibt es eine Vielzahl von Schulen, die erwerbswirtschaftlich geführt werden. Allerdings fehlen bisher überzeugende Belege dafür, dass diese Schulen im Vergleich zu den öffentlichen Institutionen effizienter geführt werden können, der Lernerfolg der Schüler ansteigt und sie bessere Leistungen erreichen.
Die Subvention zusätzlicher privater Angebote zu Gunsten besserer Schülerleistungen als weitere Maßnahmemöglichkeit wurde in den USA bereits in den 1970er Jahren erprobt: Lokale Schulbehörden schlossen Verträge mit privaten Unternehmen ab, in denen diese verpflichtet wurden, Leistungsdefizite innerhalb eines bestimmten Zeitraumes aufzuarbeiten. Die Höhe des Honorars wurde vom erreichten Lernzuwachs abhängig gemacht. Zwei Evaluationsberichte bescheinigten diesem Experiment jedoch begrenzte Effizienz und Effektivität (Ascher 1996).

Fundraising und Sponsoring

Im Kontext der neuen Steuerungsmodelle bewirken mit der dezentralen Ressourcenverantwortung auch eine größere pädagogische Verantwortung der Einzelschule. Schulen erhalten zunehmend mehr Handlungsfreiheit, selbst über den Weg ihrer gesetzten Ziele zu entscheiden. Diese Freiheit bezieht sich auf pädagogische Aspekte, organisatorische Regelungen und die Verwendung von Ressourcen — wenngleich anzumerken ist, dass Deutschlands Schulen im internationalen Vergleich, was die Autonomie von Einzelschulen betrifft, im Schlussfeld platziert sind.

Einen Kern der erweiterten schulischen Verantwortung bildet die Budgetierung von Finanzmitteln. Für die Einzelschulen bedeutet das, den Einsatz der durch die öffentlichen Haushalte budgetiert zur Verfügung gestellten Ressourcen wirtschaftlich zu verantworten, um angestrebte Ziele nachhaltig und überprüfbar zu erreichen. Weiter gefasste Konzepte dezentraler Ressourcenverantwortung weisen Schulen sogar eine aktive Rolle der aufzubringenden Mittel zu. Für die Einzelschulen existieren Anreize — und daraus ergibt sich ein weiterer Privatisierungsansatz —, eigene Mittel zu akquirieren, um den Budgetspielraum zu erweitern. Kommunale Politik und Schulbehörden erhoffen sich davon, das bisher kaum vorhandene Bewusstsein für Kosten- und Kostenwirksamkeit bei Kollegien und Schulleitungen zu fördern. Die aktive Rolle der Schulen kann sich in Fundraising, Sponsoring oder in Erlösen aus Marktaktivitäten zeigen. Ebenso kann das Nutzen externer Ressourcen zu positiven Effekten führen, wie die Mitwirkung Freiwilliger am Schulbetrieb und die Kooperation mit außerschulischen Einrichtungen.

Ungleichheit verstärkt

Andererseits ist damit ein schulpolitisch sensibler Bereich angesprochen. Zu befürchten sind erhebliche schulische Disparitäten bei der Ausstattung und damit einhergehende unterschiedliche Lernvoraussetzungen. Aus den amtlichen Statistiken sind zwar keine Informationen zu entnehmen, in welchem Umfang staatliche Schulen bereits auf private Finanzierungsquellen zurückgreifen. Eine Stichprobenuntersuchung zum Ausmaß privater Finanzierung von Schulen in Deutschland von Schmidt, Weishaupt und Weiß (2001) scheint jedoch die These zu stützen: Knapp die Hälfte der untersuchten Schulen verfügt demnach über keinerlei nennenswerte Drittmitteleinnahmen. Sofern die Schulen allerdings Mittel durch Fördervereine, Eltern- und andere Spenden, Sponsorengelder oder Sachleistungen akquirieren können, lassen sich Spannweiten der Mittelausstattung von bis zu 133 000 Euro ablesen. Im Durchschnitt beliefen sich die schulischen Zuwendungen auf zirka 2 200 Euro. Es zeigte sich dabei, dass westdeutsche Schulen mehr Mittel akquirieren als ostdeutsche und Gymnasien im Schnitt mehr Mittel erwirtschaften als andere Schulformen. Nach Überschlagsrechnungen für das betrachtete Schuljahr 1998/1999 ergibt sich bundesweit ein Drittmittelaufkommen von rund 51 Mio. Euro. Das entspricht in etwa 0,1 Prozent des Schulbudgets. Die bisherige Bedeutung privater Finanzierung auf der Ebene des Schulsystems erscheint deshalb eher marginal. Der privatwirtschaftliche Beitrag auf der Ebene der Einzelschule kann in Einzelfällen jedoch ein beträchtliches Ausmaß erreichen.

Frank Meetz / Isabell van Ackeren