Zurueck zur Vorseite
Zurueck zur Homepage
http://www.gew.de/aktuell/frame_euw.htm

05. Mai 2004

Selbstlernen gleich selbst zahlen

Privatisierungstendenzen in der Wissensgesellschaft: Spardiktat bestimmt Bildungsreformen

Die Forderung nach mehr individueller Selbstorganisation und Selbststeuerung von Lernprozessen im Zuge des lebenslangen Lernens hat seit geraumer Zeit eine interessante, öffentlich diskutierte Erweiterung erfahren. Das Lernen löst sich sichtbar aus seinen tradierten Verfahren der Inhaltsbestimmungen, der Zuständigkeiten, der Orte, der Organisation, Methoden und transformiert sich in neue "Selbst-Arrangements". Warum sollten deshalb die Kosten des Lernens und die aufzubringenden Lernzeiten von dem sich vollziehenden Wandel zum "Selbst" ausgeklammert bleiben?

Empirisch ist schon jetzt nachgewiesen, dass die privaten Investitionen von Zeit und Geld für die Weiterbildung steigen, somit eine individuelle Re-Privatisierung der Kosten, der Zeitaufwendungen und natürlich des Risikos der (Fehl-)Investitionen stattfindet.

Die neuen Hartz-Gesetze folgen dieser Logik. So haben spezifisch benachteiligte Arbeitsmarktgruppen jetzt geringere Chancen, in öffentlich finanzierte Weiterbildungsmaßnahmen integriert zu werden. Ihnen bleibt die verordnete Erkenntnis, ihr lebenslanges Lernen zukünftig zu Lasten des eigenen Zeitbudgets selbst zu finanzieren.

Auch in der betrieblichen Weiterbildung lässt sich feststellen, dass sich betrieblich notwendiges Lernen merkbar in die Freizeit verlagert, da Arbeitsprozesse mittlerweile entweder so dicht organisiert sind, dass notwendiges Lernen in der tariflich geltenden Arbeitszeit kaum noch stattfinden kann. Oder aber Arbeitsplätze sind schlechterdings so organisiert, dass sie keine hinreichenden Lernstimulanzen im oder neben dem Arbeitsprozess bieten. Der notwendige "Lernzwang" höhlt die traditionelle Position, nach der "jegliches Lernen für den betrieblichen Verwendungszusammenhang in der Arbeitszeit stattfindet und die Kosten der Betrieb trägt", aus. Nur so ist die gegenwärtig intensive Suche nach neuen Formen und Regulierungen einer Co-Investition von Zeit und Geld durch Betrieb und Belegschaften für die erforderliche Qualifizierung zu verstehen. Daher könnte aus der Forderung nach dem lebenslangen Lernen mehr und mehr eine individuelle Bringschuld von privater Zeit und Geld für Weiterbildung werden.

Der return of invest - der persönliche Nutzen von Weiterbildung - wird jedoch für das Individuum immer unsicherer. Öffentlich finanziert würde in diesem Sznario nur noch der Bereich der allgemeinen schulischen Grundbildung bis maximal zur Sekundarstufe II. Für den Bereich der beruflichen Ausbildung wie auch für die Hochschulbildung könnten andere Rahmenbedingungen greifen.

Warum, so könnte man mit gewisser Ironie fragen, ist öffentlich noch nicht diese Idee kolportiert worden: das vieldiskutierte und noch nicht realisierte Konzept der Studiengebühren auf den Bereich der Berufsausbildung zu übertragen? Wer eine berufliche Ausbildung haben will, die ja heute die Mindestvoraussetzung für eine relativ stabile Erwerbskarriere darstellt, könnte man argumentieren, der soll dafür auch "Lehrgeld" bezahlen. Die politisch umstrittene Ausbildungsplatzabgabe wäre damit überflüssig, die Betriebe von Ausbildungskosten entlastet. Konsequenterweise müssten die Ausbildungsplätze danach sprunghaft ansteigen, beteuern doch die Betriebe, dass sie dringend Facharbeiternachwuchs benötigen. In diesen Zusammenhang passen auch die Finanzkürzungen wie auch die thematischen Akzentverschiebungen zu Gunsten der beruflichen Weiterbildung in den Weiterbildungsgesetzen der Länder (z.B. in Nordrhein-Westfalen). Danach ist die Bewältigung einer individuellen Lebenskrise durch den Besuch eines bislang öffentlich subventionierten Seminars der allgemeinen Weiterbildung, das hier bislang professionelle Hilfe bot, in Zukunft problematischer. Denn: der unmittelbare betriebliche Verwendungszusammenhang für eine finanzielle Mitförderung kann nicht plausibel nachgewiesen werden.

Im neuesten Bericht von Prognos über die zukünftige Entwicklung von Arbeitsmarkt und Beschäftigung bis ins Jahr 2020 wird darauf verwiesen, dass die individuellen Eigenleistungen für Weiterbildungsaufwendungen in Deutschland viel zu gering seien. Daraus ließe sich folgern, dass die privaten Investitionen in Weiterbildung künftig ansteigen müssen. Dies würde zu einer ebenfalls prognostizierten Expansion der Dienstleistungsbeschäftigung führen, vermutlich im Segment hochqualifizierter Tätigkeiten.

Zugegeben, dies sind keine realen Zuspitzungen. Dennoch, der Staat hat sich seit Jahren konsequent aus der Bildungsfinanzierung zurück gezogen und damit das Problem sozialer Ungleichheit von Bildungschancen wieder deutlich schärfer konturiert.

Das Beispiel Hamburg zeigt die Problematik auf: Der Rückzug aus öffentlicher Verantwortung durch die dort diskutierte Übergabe berufsbildender Schulen in eine mehr oder minder privatwirtschaftliche Trägerschaft könnte durchaus bewirken, notwendige Innovationen regionaler Schulentwicklung zu realisieren. Und das Zugeständnis grö§erer Autonomie bei der Entwicklung neuerer Bildungsgänge könnte erhebliche Spielräume eröffnen. Doch ist zu befürchten, dass in diesem Konzept gleichrangig das Ziel der ökonomischen Effizienz und des Spardiktats angelegt ist, was letztlich vorhandene Strukturen gefährden kann. Bildungsreform im Sinne von Potenzialentfaltung dagegen würde Geld kosten.
Rolf Dobischat