Das Sale-and-Lease-back-Modell in Marburg-Biedenkopf koennte Modellcharakter
fuer die "Haushaltssanierung" der Kommunen bekommen
Corell Wex
Im Landkreis Marburg-Biedenkopf geht man neue Wege: Anfang Oktober wurden 90 Schulen fuer 350 Millionen Euro verkauft und anschliessend gemietet. Der Kaeufer ist im Fall Marburg-Biedenkopf ein Erbschaftsfonds, der eine Stiftung bildet. Diese Stiftung muesste alle 30 Jahre Erbersatzsteuer zahlen. Wenn diese Fonds nun sein Geldvermoegen in Immobilienvermoegen umwandelt, und diese sogar noch Betriebsstaetten sind, spart er sich fast neun Zehntel der Steuern.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Kreistag, Werner Hesse, kennt das Problem: "Den Hauptnutzen haben nicht wir. Das geben alle Seiten gerne zu." Doch die Finanznot des Kreises ist so gross, dass man mit dem Barwertvorteil von sechs bis acht Millionen Euro hofft, die Schulen sanieren und gleichzeitig Schulden tilgen zu koennen. Die Risiken sind jedoch nicht zu uebersehen: "Was ist, wenn die Schuelerzahl abnimmt und man weniger Schulen braucht?" fragt Hesse. Ausserdem koenne man nicht voraussehen, wie hoch der Grunderwerbsteuersatz in 15 Jahren sein wird, wenn der Rueckkauf erfolgt. Es sei nicht auszuschliessen, dass der kalkulierte Barwertvorteil voellig aufgezehrt werde. Ganz davon abgesehen, dass gesamtwirtschaftlich eine grosse Steuermindereinnahme zu verzeichnen sein wird.
Tim Zwickel von ATTAC-Marburg kritisiert ferner, dass ueberhaupt nicht klar sei, welchen "atypischen stillen Gesellschafter" die Hannover Leasing im Auftrag des Kreises gerade sucht. "Da koennte auch die Mafia dahinter stehen." Verwunderlich sei ausserdem, dass der hessische Finanzminister Karl Heinz Weimar (CDU) vor einiger Zeit erklaerte hatte, dass derartige Geschaefte nicht getaetigt wuerden.
Nicht minder zweifelhaft, wenn auch auch anders konstruiert, ist der Verkauf von 101 Schulen im Kreis Offenbach an die Firmen SKE Facility Management und die Baufirma Hochtief. Die Firmen wurden vertraglich zur Sanierung verpflichtet, da der Kreis niemals so viel Geld haette aufbringen koennen, wie Landrat Peter Walter (CDU) betont. Der Kostenvorteil betraegt 19,1 Prozent – eine Zahl, die Reimund Butz von den hessischen Gruenen bezweifelt. Der Kreis ueberweise bis 2019 jaehrlich 52,1 Millionen Euro an die beiden Firmen fuer ihre Dienstleistung. Insgesamt summieren sich bis 2019 782 Millionen Euro, die ueber den Schuldendienst bis 2035 abgezahlt werden muessen. "Letztlich verschiebt man so die Kosten nur in die Zukunft", so Butz.
Fuer Hochtief-Chef Hans-Peter Keitel hat die Vergabe der Dienstleistungen der Offenbacher Schulen an Privatunternehmen Pilotcharakter. "Es erkundigen sich schon andere Schultraeger beim Kreis Offenbach nach dessen Erfahrungen mit der Schulprivatisierung. Das ist, so glauben wir, der Durchbruch fuer diesen Markt", sagte Keitel.
Der Leasing-Kritiker Werner Ruegemer fasst die Entwicklung so zusammen: "Die scheinbare Cleverness besteht darin, dass die Verantwortlichen sich gegenseitig das Wasser bzw. die Steuer abgraben und die Gemeinschaft ausbluten."
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