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Auszug aus HLZ -Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - 60.Jahr, Heft 1/2 Jan,/Feb, 2007, Seite 23 (gescannt)

Pulverfass

Privatisierung von Schulen?


Ein mehrseitiges, bislang geheim gehaltenes Papier aus der Abteilung III des Hessischen Kultusministeriums (HKM) vom 15. November 2006 sorgt für Furore: „Entwicklungspartnerschaft zwischen dem Land Hessen und regionalen Initiativen zum Aufbau von Zentren Lebensbegleitenden Lernens". So harmlos der aus 14 Wörtern bestehende Titel klingt, so brisant ist der Inhalt. Hinter modisch verklausulierten Formulierungen steckt nichts anderes als der Einstieg in die Privatisierung der öffentlichen Schulen (nach Hamburger Machart, die vorerst gescheitert ist) und die Auflösung von festen Arbeitsplätzen der Lehrkräfte an ihren Schulen. „Vorbehaltlich der Entscheidung der Landesregierung" sollen bereits im Jahr 2007 die Planungen beginnen. Die Beteiligten sind das HKM und die Regionen Frankfurt, Kassel Stadt und Land, Offenbach Stadt und Land, Main-Taunus, Rheingau-Taunus, Waldeck-Frankenberg und Osthessen (Bad Hersfeld und Rotenburg, Vogelsbergkreis, Fulda Stadt und Land). Den Ausgangspunkt bildet das Regierungsprogramm für 2003 bis 2008 mit der Zielvorgabe, „das Lebensbegleitcnde Lernen (LL) als übergreifendes und ganzheitliches Strukturprinzip des Bildungssystems umzusetzen. (...) Inzwischen formieren sich unter Begleitung des Landes in einer Reihe von Regionen des Landes unter dieser Leitvorstellung relevante Akteure aus Politik und Bildung neu und streben für berufliche Schulen, Schulen für Erwachsene, Volkshochschulen und nicht staatliche Weiterbildungseinrichtungen eine bildungspolitische, pädagogische und strukturelle Neuausrichtung an." Einfacher ausgedrückt: Alle Bildungssysteme in Hessen sollen umgekrempelt werden.

Weiche Phrasen, harte Fakten

Das strategische Konzept folgt der heute üblichen Rhetorik, mit weichen, schönfärberischen Formulierungen die Adressaten für den fundamentalen Strukturumbau gefügig zu machen.

Die neue Entwicklungspartnerschaft „will das Lebensbegleitende Lernen zur Leitidee machen und in den folgenden vier Dimensionen entfalten: erwachsene Lernerpersönlichkeit, Lernbiografie-orientierung, Lebensgestaltungskompetenz, Lebensweltnähe", wobei Zentren zu bilden sind, die sich zunächst auf die Bildung im Erwachsenenalter konzentrieren. Es fehlt gänzlich eine Analyse und eine Begründung, warum die davon betroffenen Institutionen letztlich ihrer Eigenständigkeit beraubt werden sollen, um diese Ziele zu verfolgen. Unausgesprochen wird unterstellt, dass sie dazu nicht in der Lage sind.

Die weiteren Ausführungen lassen die eigentliche Zielsetzung erkennen: Ökonomisierung der Bildung - weiter im Wortlaut: „Zentren können Zentren im Sinne eines gemeinsam genutzten Gebäudekomplexes, eines Ensembles von Gebäuden (Campus) oder einer dezentralen Lokalisierung von Zentrumseinheiten sein. (...) Immer aber handelt es sich bei einem Zentrum Lebensbegleitendes Lernen in der Endausbaustufe um einen betriebsförmig organisierten und integrierten Bildungsdienstleister, der an der Regionalentwicklung teilnimmt und mit den Schulen, den Hochschulen, der Wirtschaft kooperiert."

Im Klartext: In einer betrieblichen Struktur, beispielsweise GmbH, sollen Bildungseinrichtungen fusioniert werden. In Frankfurt entstünde auf diese Weise erstmals ein Bildungsgroßunternehmen, bestehend aus der staatlichen Berufsschule Bethmannschule, der Volkshochschule als Eigenbetrieb, dem Hoch'schen Konservatorium, einer Stiftung, und dem staatlichen Abendgymnasium. An mehreren Stellen werden die Voraussetzungen der Optimierung genannt: „Generierung von Daten". Die Datensammelwut bezieht sich auf die Lernenden und die gesamte regionale Infrastruktur - Vorbereitung eines riesigen staatlichen Planungs- und Überwachungssystems?

Geplant ist „die gemeinsame Nutzung von Räumlichkeiten, Geräten, Maschinen und Betriebssystemen", das beißt die Mehrfachnutzung der gesamten Ausstattung, was ein Organisationsmanagement voraussetzt und damit keinerlei Flexibilität pädagogischer Entscheidungen der jeweiligen Einrichtungen mehr zulässt. Geplant ist weiterhin der „Austausch von Lehrkräften und Sozialpädagogen zwischen den verschiedenen beteiligten Institutionen sowie gemeinsame Fortbildung und Erfahrungsaustausch". In Vorüberlegungen in Frankfurt wurde bereits der Gedanke ausgesprochen, dass die Sprachen nur noch an der Volkshochschule, die Naturwissenschaften am Abendgymnasium und Wirtschaft und Politik nur noch an der Bethmannschule (Berufsschule) konzentriert werden. Die jeweiligen Lehrkräfte hätten danach zwei oder drei Arbeitsorte - mit allen Konsequenzen (Konferenzen, Koordinationen). Vorgesehen ist zudem „die Einrichtung von Beratungskomitees unter Einbezug der Wirtschaft". Was dies bedeutet, bedarf keiner weiteren Phantasie. „Um einen fruchtbaren Austausch mit seiner Umwelt (!] sicherzustellen und zu befördern", ist „dieser betriebsförmig organisierte Bildungsdienstleister in lokale/ regionale/überregionale Netzwerke einzubinden."

Auch über die Aufhebung der Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Einrichtungen lässt der Verfasser dieses Strategiepapiers keine Zweifel aufkommen: Es wird „eine Steuerungsgruppe der Hauptakteure mit definierten Verantwortlichkeiten und mit dem Ziel der Bildung einer gemeinsamen Leitung sowie einem organisatorischen Kern für das künftige Zentrum" eingerichtet. Im Klartext: Es wird eine Leitungsspitze den bestehenden Leitungen der Institutionen übergestülpt, was bekanntermaßen nichts anderes bedeutet als Bürokratisierung, Zentralisierung und Schaffung neuer Leitungsposten.