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http://www.linkezeitung.de/cms/content/view/1484/239/
von LZ Kassel , 22.12.2006 -
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Selbst die HNA-Lokalpresse
kam nicht umhin folgende Schlagzeile zu bringen:
„Ausnahmezustand in Borken - 500 Besucher verfolgten Debatte im
Bürgerhaus"
Für den ländlichen Schwalm-Eder-Kreis sind die 500, die in der HNA
registriert wurden, schon eine kleine Sensation. Wo doch dieses Blatt mit
seinen Schätzungen immer etwas unter der Realität liegt.
Einige Stunden vor der Abstimmung hatten 500 Demonstranten vor dem Bürgerhaus
mit lautstarken Protestkundgebungen begonnen, So berichtete die HNA:
„ Als der Landrat den Saal betrat, brach ein gellendes Pfeifkonzert
los. Danach hagelte es Worte vom Rednerpult aus. In Borken herrschte gestern
Ausnahmezustand. Nicht nur im Bürgerhaus, wo die Redeschlacht um die Kliniken
lief, sondern auch auf den Straßen der Innenstadt, die hoffnungslos verstopft
waren.
„69 Abgeordnete und 500 Besucher - so etwas hat das Parlament dieses
Kreises noch nicht erlebt. Im Bürgerhaus wurde die Trennwand zum Nebensaal
geöffnet, um Platz zu schaffen. Polizeibeamte und Ordner standen für den Fall
der Fälle bereit."
„Um 12.42 sind gestern im Borkener Bürgerhaus die Schwalm-Eder-Kliniken
verkauft worden. Unter den Pfiffen von 500 Besuchern stimmten 38
Kreistagsabgeordnete für die Übergabe an Asklepios, 28 waren dagegen, eine
Abgeordnete enthielt sich. Damit ist das Aus fürs Homberger Krankenhaus
besiegelt."
Den Zuschlag bekommt durch diesen Beschluß des Kreistags ein Konsortium aus
Asklepios (90 Prozent), Herz-Kreislaufzentrum Rotenburg (5%) und Orthopädische
Klinik Hess. Lichtenau (5%).
Der Landkreis Schwalm-Eder bekommt einen Euro als Kaufpreis und zahlt einen
Sanierungszuschuss von 15,9 Millionen Euro. Der Landkreis als Noch-Eigentümer
verzichtet auf die Rückzahlung von 28 Millionen Euro, die der Klinik-GmbH im
Laufe der Jahre als Darlehen zur Verfügung gestellt worden waren. Übergeben
wird eine Belegschaft, die durch einen Notlagentarifvertrag für die 900
Beschäftigten bis Ende 2008 billig arbeitet. In den nächsten zwei Jahren sind betriebsbedingte
Kündigungen ausgeschlossen. Dann kann entlassen werden.
Das Krankenhaus in Ziegenhain soll ausgebaut werden, für das Krankenhaus in
Melsungen wird ein Neubau mit 120 bis 150 Betten „angestrebt"
(vermutet wird, das dies auch nur bei entsprechenden Zuschüssen geschieht), das
Krankenhaus in Homberg soll ein Medizinisches Notfallzentrum (MVZ) mit zwei
Dutzend Betten und niedergelassenen Ärzten werden.
Der Betriebsratvorsitzende der Schwalm-Eder-Kliniken, Klaus Bölling,
überreichte 14 000 Unterschriften für den Erhalt des Homberger Krankenhauses
Kreistag. Für die SPD aber gibt es nur „Sachzwänge", die sie
aber auf Bundes- und Landesebene selbst herstellt, um sich ihnen dann zu
unterwerfen.
"Der Volkswille wird mit Füßen getreten", kommentiert Heinz Schmidt
aus Borken, SPD-Mitglied, die Vorgänge gegenüber der Zeitung. "Das sind
unsere Volksvertreter, und die Rechnung werden wir ihnen bei der nächsten Wahl
präsentieren", sagte er. Und wir ergänzen: wie will so ein Pack Koch
abwählen lassen? Was sagt übrigens Ypsilanti (angeblich „linke" SPD
Ministerpräsidenten-Kandidatin der SPD in Hessen) dazu?
So wurde im einzelnen abgestimmt:
- SPD: 32 dafür, zwei dagegen
- FWG: vier dafür,
- CDU: 20 dagegen,
- Grüne: einer dafür, drei
dagegen,
- FDP: einer dafür, eine
Enthaltung
- Linke: zwei dagegen,
- Bürgerliste: eine dagegen.
Nun ist die CDU keinesfalls zur Antiprivatisierungspartei geworden, sondern
wollte andere „Optionen", was die zukünftigen Besitzer angeht.
Die Linke.WASG (hat bei den Kreistagswahlen immerhin 3% der Stimmen
erhalten) wird folgendermaßen zitiert:
„Nicht um jeden Preis. Es geht um hohe jährliche Verluste. Es geht um
unser aller Portemonnaie. Aber nicht um jeden Preis", sagte Volker
Kaphingst (Linke). Er und seine Kollegen seien gegen die Privatisierung und
brauchten für eine Entscheidung noch weitere Informationen."
Wie würden diese Leute entscheiden, wenn sie auch noch in eine entscheidende
Koalition eingebunden wären.
Immerhin haben sie in der Opposition gegen eine Privatisierung gestimmt.
Doch in Kürze werden sie einer Partei angehören, die keine eindeutige Haltung
gegen Privatisierungen einnimmt.
Was können wir daraus lernen?
Es ist bezeichnend, dass gerade die Sozialdemokratie den
vorwärtstreibenden Part in diesem Privatisierungsakt übernahm. Wer
anstrebt, mit solchen Leuten Regierungsverantwortung zu übernehmen, hat mit
linker Politik nichts am Hut, noch weniger Leute, die diesen Schritt vollziehen.
Die Privatisierungen, nicht nur im Gesundheitsbereich, werden langfristig durch
Auszehrung der öffentlichen Haushalte ausgetrocknet. Die diversen
„Gesundheitsreformen" bringen zusätzlich alle kommunalen
Krankenhäuser unter Druck. Auch in den Kliniken, die noch im Besitz von
Kommunen und Landkreisen sind, herrschen katastrophale Zustände. Die
Alternative ist zumeist, auf Kosten von Patienten und Personal zu sparen oder
in finanzielle Nöte zu kommen, die sich dann als Belastungen der Kommunen
niederschlagen. Genau dorthin sollen die Kliniken getrieben werden, die
Öffentlichkeit soll dann auf den Messias in Gestalt eines Investors warten, der
die kommunalen Haushalte von einem „Kostenfaktor" befreit.
Gesundheit ist zu einer Ware geworden, mit der „Anleger" Geld
verdienen wollen, viel Geld. Die Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Ökonomie
schlagen voll durch.
Was ist zu tun?
Der Widerstand kann und muss weitergehen. Er muss sich gegen personelle
Ausdünnung richten, gegen die Strukturen, die Asklepios aufbauen wird
(Konzentration auf lukrative Bereiche, weite Fahrwege für die Bevölkerung).
Dagegen müssen wir die Rekommunalisierung fordern.
Das ist keine Sache, die allein ver.di austragen kann und soll(auch
Metallarbeiter werden krank). Genauso wenig, wie Schulpolitik nur eine Sache
der GEW ist oder Verkehrpolitik nur Sache der Transnet sein kann. Der
Widerstand muss auch von einer Organisierung der Bevölkerung mitgetragen
werden.
Unterschriftenlistenlisten sind ein Mittel, aber sie reichen nicht aus, um
Druck aufzubauen.
Die Menschen nicht nur im ländlichen Schwalm-Eder-Kreis müssen fast hilflos mit
ansehen, wie ihnen die elementarsten Dinge aus der Hand genommen werden, wie
die Parteien, die sie gewählt haben, in den Rücken fallen.
Die Gesundheitsversorgung ist nur eine Angriffslinie, an der gegen die
Bevölkerung agiert wird. In Kassel stehen die Städtischen Werke, die
Verkehrsbetriebe zur Disposition, die Privatisierung der Bildung wird
vorangetrieben.
Die weitgehende Privatisierung der Abfallwirtschaft hat, nicht nur in
Nordhessen, zu einem riesigen Umweltskandal geführt (PFT-Gifte in sogenanntem
Bio-Dünger), doch darüber berichten wir in einem gesonderten Artikel.
In den Gemeinden und Gebietsbürgerschaften wirken sich die Entscheidungen der
Neoliberalen auf internationaler und nationaler Ebene direkt aus.
Entscheidungen fallen in undurchsichtigen Gremien und werden dann von
Parlamentariern durchgewunken. Nur alle vier, fünf oder sechs Jahre dürfen sie
abgewählt werden
Was debattiert werden muss:
Die Finanzhoheit der Kommunen existiert praktisch nicht mehr. Welche
Forderungen müssen entwickelt werden, um die finanzielle Ausstattung zu
verbessern.
Beamte auf allen Ebenen des Verwaltungsapparaten sitzen unerschütterlich auf
ihren Stühlen, sind nicht kontrollierbar oder abwählbar.
Erinnern wir uns, welche Maßnahmen die Pariser Kommune vor fast 140
Jahren in dieser Sache u.a. durchführte:
"Gegen diese, in allen bisherigen Staaten unumgängliche Verwandlung des
Staates und der Staatsorgane aus Dienern der Gesellschaft in Herren der
Gesellschaft wandte die Kommune zwei unfehlbare Mittel an. Erstens besetzte sie
alle Stellen, verwaltende, richtende, lehrende, durch Wahl nach allgemeinem
Stimmrecht der Beteiligten, und zwar auf jederzeitigen Widerruf durch dieselben
Beteiligten. Und zweitens zahlte sie für alle Dienste, hohe wie niedrige, nur
den Lohn, den andre Arbeiter empfingen. Das höchste Gehalt, das sie überhaupt
zahlte, war 6000 Franken (27). Damit war der Stellenjägerei und dem Strebertum
ein sichrer Riegel vorgeschoben, auch ohne die gebundnen Mandate bei
Delegierten zu Vertretungskörpern, die noch zum Überfluß hinzugefügt
wurden." (Friedrich Engels, Einleitung zu Marx' "Der
Bürgerkrieg in Frankreich" 1891)
Wir hoffen, dass wir das NLO vor Ort zu einem Mittel machen können, Aktion und
Diskussion voranzutreiben.