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HLZ 5/2004 , Seite 12
PROFITE FÜR PRIVATE INVESTITOREN (Offenbach)

Am 19. Juni 2001 fasste der Kreistag Offenbach den einstimmigen Beschluss, den Kreisausschuss zu beauftragen, alternative Organisations- und Finanzierungsmöglichkeiten für die Bereitstellung und Bewirtschaftung der Schulimmobilien zu prüfen. Einzubeziehen seien alle mit der Bewirtschaftung zusammenhängenden Aufgaben wie der laufende Betrieb, die Unterhaltung, die Vorbereitung und Durchführung von Sanierungsmaßnahmen sowie Neu- und Erweiterungsbauten und andere Investitionen.

CDU-Landrat Walter setzt seit diesem Kreistagsbeschluss alles daran, einen privaten Investor für die Bewirtschaftung der Schulen im Kreis Offenbach zu finden. Die geplante Public Private Partnership (PPP) umfasst ein Finanzvolumen von rund 50 Millionen Euro pro Jahr. Im Kreishaushalt 2002 waren für die Bewirtschaftung rund 23 Millionen Euro etatisiert, für Sanierungs- und Neubaumaßnahmen rund 25 Millionen. Bei einer Laufzeit von 15 Jahren könnten einem privaten Investor somit rund 750 Millionen Euro als Nutzungsentgelt vergütet werden.

Die 88 Schulen des Kreises mit rund 450 Gebäuden an 100 Standorten wurden in ein West- und ein Ost-Los geteilt, wobei für jedes Los ein privater Auftragnehmer ermittelt werden sollte, der sich zur Erbringung des oben genannten Leistungsumfangs durch eine zu gründende Projektgesellschaft verpflichtet, an der auch der Kreis Offenbach mit voraussichtlich beziehungsweise angeblich 5,1 % zu beteiligen ist. Der Kreis verspricht sich von dem Vorhaben die Einsparung von Haushaltsmitteln. Der private Investor erwartet Profit: Neben den jährlichen Zahlungen durch den Kreis eröffnet die Vermarktung der Schulimmobilien und ihrer Einrichtungen zusätzliche Einnahmequellen.

Bis zum Frühjahr 2002 lief ein sogenanntes Interessen-bekundungsverfahren. 65 Interessenten meldeten sich: Banken, Baukonzerne, Firmenkonsortien und andere. Danach erfolgte eine europaweite Ausschreibung. Verbindliche Angebote sollten bis zum 31. März 2003 vorliegen.

Nach entsprechender (Wirtschaftlichkeits-)Prüfung sollte das Vorhaben in eine Kreistagsvorlage münden. Dabei kam es allerdings zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen -nicht zuletzt deshalb, weil sich im Laufe des Vergabeverfahrens für das Los Ost bis auf einen alle Bieter aus dem Verfahren verabschiedeten, so dass zwischenzeitlich eine Neuausschreibung erfolgte, die bis Ende April abgeschlossen sein soll. Somit liegt dem Kreistag am 18. und 19. Mai 2004 "nur" die Entscheidung über die private Bewirtschaftung der 43 Schulen des West-Loses vor.

Zu den Kritikern des Vorhabens zählen Teile der Elternschaft, Mitglieder der Personalvertretung der Kreisbeschäftigten, die Gewerkschaft ver.di und zwischenzeitlich auch Abgeordnete der rot-grünen Kreistagsopposition. Der GEW-Kreisverband Offenbach-Land hat von Anfang an eine Position eindeutiger Ablehnung bezogen und diese in Resolutionen der Mitgliederversammlung, des Gesamtpersonalrates, der Personalrätekonferenz aller Schulen aus Stadt und Kreis Offenbach, der Schulpersonalräte (insbesondere aus Dreieich) inhaltlich begründet:

- Lehr- und Lernbedingungen verschlechtern sich massiv, wenn die Nutzungsabsichten des privaten Investors für die schulischen Gebäude, Räume und Einrichtungen, für Werkstätten, Küchen, Turnhallen, Informatik-Räume mit dem pädagogischen Auftrag kollidieren. Ganztagsbetrieb, Elternabende, Theateraufführungen, Diskussionen, Konzerte, Ausstellungen und Präsentationen sind in Frage gestellt.

- Die Arbeitsbedingungen der Kreisbeschäftigten, insbesondere der Hausmeister, verschlechtern sich. Dies kann am Beispiel der Privatisierung der beiden Kreiskrankenhäuser gezeigt werden, als nach zweijähriger Überleitungszeit erheblich schlechtere Haustarifverträge oktroyiert wurden.

- Die GEW hat massive juristische Bedenken. Sie betreffen den innerschulischen Bereich (Beschneidung von Konferenzrechten bei der Verwendung des schulischen Budgets) und die völlig einseitige Auslegung des Kreistagsbeschlusses durch den Landrat, der offensichtlich keine Alternativen der Bewirtschaftung prüft. Diese Bedenken werden durch die Zahlung von mittlerweile 5 Millionen Euro an eine Berliner Beratungsfirma verstärkt, die ohne öffentliche Ausschreibung erfolgte. Hier arbeitet die GEW mit einer Marburger Anwaltskanzlei zusammen.

- Die GEW kritisiert massiv den Verfahrensablauf, wenn Betroffene durch den Landrat nicht oder nur unzureichend informiert werden. Diese Kritik wird von der rot-grünen Kreistagsopposition bestätigt, so dass der Hinweis auf eine Entdemokratisierung mehr als berechtigt erscheint.

Privatisierung und ihre negativen Folgen sind in Deutschland bis zur Ebene der einzelnen Kommune schon heute konkret spürbar, bei der Post, der Personenbeförderung, der Elektrizitätsversorgung, bei Krankenhäusern, Justizvollzugsanstalten und Schwimmbädern. Spätestens an dieser Stelle wird auch der Zusammenhang mit den GATS-Verhandlungen deutlich. Seit rund zehn Jahren existiert dieses Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, seit dem 1.1. 2000 laufen hinter verschlossenen Türen konkrete Verhandlungen mit dem Ziel, die weltweite Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen zu vereinbaren. Neben Bereichen wie Kommunikation, Bau und Montage, Finanzdienstleistungen. Ver- und Entsorgung, Tourismus, Kultur und Sport sollen auch originär öffentliche Aufgaben wie Gesundheit, Soziales und Bildung privatisiert und als profitable Waren auf dem Weltmarkt gehandelt werden. Laufen nicht auch in Hessen die „Neue Verwaltungssteuerung", das Dritte Qualitätssicherungsgesetz und der Modellversuch „Selbstverantwortung Plus" für die beruflichen Schulen in dieselbe Richtung?

Der Rückzug des Staates wird mit leeren Haushaltskassen begründet, die allerdings von ihm selbst verursacht sind. Die seit mehr als 20 Jahren praktizierte angebotsorientierte Wirtschaftspolitik mit entsprechender Finanz-und Steuerpolitik bedeutet eine massive Umverteilung von unten nach oben. Wäre nicht die Situation eine völlig andere, wenn das Problem der Massenarbeitslosigkeit nachhaltig angegangen werden würde? Durch Arbeitszeitverkürzung statt -Verlängerung, durch eine Stärkung der Binnennachfrage, durch öffentliche Beschäftigungsprogramme und ökologisch sinnvolle Investitionen?! Dann würde sich auch die Pervertierung des Begriffes "Reform" durch immer unsozialere Maßnahmen im Bereich der Steuern, des Arbeitsmarkts, der Gesundheits-, Renten- und nicht zuletzt auch der Bildungspolitik erübrigen!

Manfred Tybussek