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HLZ 5/2004, Seiten 16 und 17
Privatisierungstendenzen im Hochschulbereich

Mit Vorstand und Aufsichtsrat

Die deutschen Hochschulen sind traditionell als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasst, die zugleich staatliche Einrichtungen sind - so die Definition im Hochschulrahmengesetz von 1975. Im 21. Jahrhundert ist jedoch der Hochschulbereich wie viele andere gesellschaftliche Teilbereiche einem massiven Privatisierungsdruck ausgesetzt. Im Prinzip lassen sich zwei unterschiedliche Tendenzen zur Privatisierung unterscheiden: Zum einen haben wir es mit der Gründung von Privathochschulen zu tun, die neben den Hochschulen in staatlicher Trägerschaft etabliert werden; zum anderen zielt die Umstrukturierung des öffentlichen Hochschulwesens auf eine institutioneile Privatisierung der staatlichen Hochschulen selbst ab.

Gründung privater Hochschulen

In der Bundesrepublik Deutschland existieren heute bereits nicht weniger als 45 Privathochschulen - ohne die kirchlichen Hochschulen, die aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Trägerschaft keine privaten Hochschulen im engeren Sinne darstellen. Dies sind immerhin rund 15 °/o der rund 300 Universitäten und Fachhochschulen bundesweit. Mit rund 30.000 Studierenden studieren gegenwärtig allerdings nur 1,5% aller bundesweit Immatrikulierten an einer privaten Hochschule. Privathochschulen haben dementsprechend überwiegend das Selbstverständnis von Eliteuniversitäten, die eine sehr begrenzte Anzahl von Studierenden - häufig den Managementnachwuchs einzelner Wirtschaftsbranchen oder Konzerne - in wenigen speziellen, zumeist weiterführenden (postgradualen) Studiengängen intensiv und teuer ausbilden.

Private Hochschulen haben grundsätzlich weder einen Anspruch auf staatliche Anerkennung noch auf eine Finanzierung durch den Staat. Sie sind aber umgekehrt ebenso wenig verpflichtet, die gesetzlichen Vorgaben für die Struktur öffentlicher Hochschulen einzuhalten, etwa was die Mitbestimmung von Studierenden und Personal oder die Gebührenfreiheit des Studiums angeht. Exorbitante Studiengebühren - häufig im fünfstelligen Eurobereich - sind ja ein fast schon identitätsstiftendes Merkmal der wie Pilze aus dem Boden sprießenden Privathochschulen.

Gleichwohl erfahren die Privathochschulen in Deutschland eine umfassende Finanzierung. Zum Teil erhalten sie sogar direkte staatliche Zuschüsse aus dem Haushalt des Sitzungslandes. Ein Beispiel für eine sehr üppige staatliche Finanzierung ist die International University Bremen (IUB), die 2001 vom Land Bremen mit einer Zuwendung von 215 Millionen Euro gefördert wurde. Darüber hinaus haben Bund und Länder 2002 die Tür für die Finanzierung von Privathochschulen aus Mitteln der Hochschulbauforderung geöffnet: Die Aufnahme der IUB in das Verzeichnis der nach dem Hochschulbauförderungsgesetz förderfähigen Hochschulen wurde von der Hoch-schulrektorenkonferenz als entsprechender Prä-zedenzfall wahrgenommen und scharf kritisiert.

Soweit die Privathochschulen keine direkten staatlichen Zuschüsse erhalten, können sie häufig mit indirekten Zuwendungen rechnen. So hebt beispielsweise der Berliner Senat gerne hervor, dass die European School of Management and Technology (ESMT) keine Landeszuschüsse erhält. Dass die ESMT gleichsam als Startkapital ein städtebauliches Filetstück in Berlin-Mitte, den ehemaligen Sitz des Staatsrats der DDR, aus dem Bundesvermögen übereignet bekommen hat, wird jedoch gerne an anderer Stelle als politischer Verdienst des Senats für eine erfolgreiche Wirtschaftsförderung hervorgehoben. Dennoch musste der Start des Lehr- und Studienbetriebs immer wieder, zuletzt auf den Herbst 2005, verschoben werden - weil die deutsche Wirtschaft als Trägerin der Privathochschule zwar mit dem guten Vorsatz angetreten war, das Projekt ohne zusätzliche Landeszuschüsse realisieren zu wollen, aber schon bald den, bislang ungehörten, Ruf nach direkten staatlichen Zuschüssen erheben musste.

In diesem Zusammenhang muss auch im Blick behalten werden, dass die Reform des Stiftungsrechts durch die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode eine indirekte Finanzierung einer Privathochschule auch dann ermöglicht, wenn diese weder direkte Zuschüsse noch indirekte Zuwendungen von staatlicher Seite erhält. Zuwendungen von privater Seite an privat-rechtliche Stiftungen, eine mögliche und bevorzugte Rechtsform von Privathochschulen, werden seitdem durch massive steuerliche Vergünstigungen versüßt, ohne dass die ursprünglich von SPD und Bündnisgrünen favorisierten Anforderungen an eine demokratische Binnenstruktur und gesellschaftliche Kontrolle der Stiftungen gelten. Mit anderen Worten: Der Staat, der es sich nicht mehr leisten kann, die öffentlichen Hochschulen auszufinanzieren, greift der Wirtschaft bei der Gründung ihrer eigenen privaten Hochschulen massiv finanziell unter die Arme.

Das Resultat sind staatlich kofinanzierte Privathochschulen, die neben den staatlichen Zuschüssen auf die Mittel ihrer privaten Träger sowie auf Einnahmen aus Studiengebühren in beträchtlicher Höhe zurückgreifen können. Gleichzeitig können es sich die Privaten leisten, exklusive Ausbildung für einen kleinen elitären Kreis an Studierenden anzubieten - Verfassungsrechtssprechung und Kapazitätsverordnung, die die staatlichen Hochschulen zur vollständigen Ausschöpfung ihrer Ausbildungskapazitäten verpflichten, ehe ein Numerus Claus verhängt werden kann, gelten für sie nicht. Der Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Hochschulen ist somit von vornherein verzerrt. Auf der anderen Seite ist klar, dass der intensiveren Betreuung von Studierenden in den privaten Spezial- und Mini-"Universitäten" immer auch Qualitätsdefizite in Form einer fehlenden wissenschaftlichen Verankerung in der universitas litterarum gegenüber stehen.

Auf eine direkte staatliche Finanzierung haben die privaten Träger von Hochschulen nach wie vor keinen Anspruch. Doch auch dies könnte sich im 21. Jahrhundert ändern - als Folge des General Agreement on Trade in Services (GATS). Dieses internationale Abkommen zur Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen beansprucht grundsätzlich auch für Dienstleistungen im Bildungsbereich, ausdrücklich auch für die Hochschulbildung, Geltung. Das GATS ist darauf angelegt, dass die einseitige Finanzierung von staatlichen Hochschulen und der Aus-schluss von privaten Hochschulen aus der staatlichen Förderung als Hemmnis für den freien Handel mit Bildungsdienstleistungen begriffen und entsprechend bekämpft werden müssen. Ausländische Anbieter von Bildungsdienstleistungen, die in Deutschland eine Privatuniversität gründen, könnten eine Gleichbehandlung mit inländischen staatlichen Hochschulen - im Hinblick auf die Hochschulbauförderung, auf Landeszuschüsse, auf Bund-Länder-Programme usw. - beanspruchen, sofern die Europäische Union im Rahmen kommender GATS-Verhandlun-gen die entsprechenden Vorbehalte aufgibt.

Privatisierung staalicher Hochschulen

Die Etablierung privater Hochschulen neben dem staatlichen Hochschulsystem wird von einer Strukturreforrn des Hochschulsystems begleitet, die deutliche Tendenzen zu einer institutionellen Privatisierung der staatlichen Hochschulen selbst in sich birgt. Die gegenwärtige Stärkung der Autonomie der Hochschulen, auch in finanziellen Angelegenheiten, wird nicht, wie es die GEW fordert, mit einer inneren Demokratisierung der Hochschulen verknüpft, sondern geht im Gegenteil mit einem Abbau der vorhandenen Mitbestimmungsrechte einher. Diesen Weg hat nicht nur die Regierung Koch in Hessen eingeschlagen, sondern es handelt sich um einen einheitlichen Trend in nahezu allen Bundesländern, den die Deregulierung der Organisationsvorschriften des Hochschulrahmengesetzes 1998 zwar nicht alternativlos vorgegeben, aber ausdrücklich ermöglicht hat.

Die Kompetenzen der traditionellen Kollegialorgane der akademischen Selbstverwaltung, in denen die am hochschulischen Wissenschaftsprozess beteiligten Gruppen -
Professorenschaft, Studierende, wissenschaftliches und administrativ-technisches Personal - mit Sitz und Stimme vertreten sind, werden mehr und mehr auf rein beratende Funktionen reduziert. Die Macht zur Steuerung der autonomen Hochschulen wird im Wesentlichen bei deren Leitungsorganen - Hochschulleitung und Fachbereichsleitungen - konzentriert. Allmächtige Leitungsorgane schließen nicht nur Studierende und Hochschulpersonal von der Selbstverwaltung aus, sondern auch die bislang durch absolute Mehrheiten privilegierte Professorenschaft! Die Autonomie der Hochschulen entpuppt sich als selbstherrliche Autokratie der Leitungsorgane.

Doch damit nicht genug. Den autokratischen Leitungsorganen der Hochschulen werden zusätzlich hochschulexterne Aufsichtsorgane zur Seite gestellt: Hochschulräte, denen unabhängige "Persönlichkeiten" aus Wissenschaft und Wirtschaft angehören, sollen die Richtung der künftigen Hochschulentwicklung vorgeben. Die Hochschulratsmit-glieder sind explizit nicht Repräsentanten politischer Kräfte oder gesellschaftlicher Interessen, also zum Beispiel Arbeitnehmervertreter, sondern vermeintlich unabhängige Sachverständige. Es ist kein Zufall, dass häufig Angehörige der örtlichen Industrie zu Mitgliedern von Hochschulräten bestimmt werden und auf diese Weise auch in staatlichen verfassten und staatlich finanzierten Hochschulen die Rahmenbedingungen von Forschung und Lehre mit bestimmen.

Leitbild für die Hochschulverfassung des 21. Jahrhunderts ist die Struktur einer Kapitalgesellschaft. Konsequenterweise möchte der baden-württembergische Wissenschaftsminister Prof. Peter Frankenberg mit seinem kürzlich vorgelegten Entwurf für eine Hochschulgesetznovelle die Hochschulleitung in "Vorstand" und den Rektor in "Vorstandsvorsitzenden" umbenennen und beide einem externen "Aufsichtsrat" (vormals Hochschulrat) unterstellen, der sogar die Mitglieder des Vorstands berufen darf, sofern diese nicht durch den Vorstandsvorsitzenden kooptiert werden. Das traditionelle Selbstverwaltungsorgan Senat soll im Organigramm der Hochschule zur Marginalie werden; gesetzliche Vorgaben für die gruppenmäßige Zusammensetzung der akademischen Gremien sollen entfallen.

Die gegenwärtige Umstrukturierung ist als institutionelle Privatisierung der staatlichen Hochschulen zu qualifizieren, weil sie den Rückzug des Staates aus der Steuerung des Hochschulsystems mit der Abkehr von der Partizipation der Hochschulmitglieder an dieser Steuerung verbindet und darüber hinaus externen „Persönlichkeiten" - letztlich Privat-Personen - substanziellen Einfluss auf diesen Steu-erungsprozess einräumt. Auf die Spitze getrieben wird die institutioneile Privatisierung der öffentlichen Hochschulen schließlich dadurch, dass im Hochschulrahmengesetz seit 1998 ihre Rechtsform als Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Disposition steht. Auch staatliche Hochschulen können seitdem private Rechtsformen annehmen, als Stiftungen (so in Niedersachsen) oder GmbHs verfasst werden und den privaten Stiftern und Teilhabern entsprechende Gestaltungsrechte einräumen.

Wer den Privatisierungstendenzen im Hochschulbereich entgegen wirken möchte, muss also den Blick über die exklusiven Privathochschulen hinaus erweitern und auch die Umstrukturierungen des öffentlichen Hochschulsystems unter die Lupe nehmen. Autonomie ohne Autokratie, Innova-tion statt Partizipation muss dabei das gewerkschaftliche Gegengift lauten!

Dr. Andreas Keller

Der Autor arbeitet in der akademischen Verwaltung der Charite - Universitätsmedizin Berlin

HLZ 5/2004
Seite 16/17