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DER SPIEGEL 34/2006 - 21. August 2006
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,432615,00.html
Verwaltung
Der private Staat
Von Markus Verbeet
Immer häufiger erledigen
Unternehmen öffentliche Aufgaben, in England hat der
Bertelsmann-Konzern erstmals die Verwaltung eines ganzen Bezirks
übernommen. Die Bundesregierung forciert ähnliche Modelle
auch in Deutschland - in der Wirtschaft herrscht
Goldgräberstimmung.
Der Sitzungssaal wirkt wie ein Hort der Tradition: weinrot die
Lederbänke, grün der Teppichboden, und der Mann im
holzgetäfelten Ambiente trägt bei festlichen Anlässen
gern mal Perücke, wie das hier so Sitte ist.
Bertelsmann-Vorstand: "Zentraleuropa
und vor allem Deutschland im Visier"
Dabei ist Nigel Pearson, Verwaltungschef des Bezirks East Riding in
Yorkshire, kein Nostalgiker, der sich an Traditionen klammert. "Die
Dinge ändern sich", sagt er. Und darum habe sich auch sein Bezirk
ändern müssen.
Pearsons Reich, geprägt von weißen Kreidefelsen und
grünen Weiden, scheint allenfalls geschaffen für die
Prospekte des englischen Tourismusverbands. Seit kurzem aber taucht es
regelmäßig in den Power-Point-Präsentationen eines
Weltkonzerns auf.
Denn im vergangenen Jahr hat Pearsons Rat einen Beschluss gefällt,
der für deutsche Maßstäbe revolutionär ist:
Zentrale Teile der öffentlichen Verwaltung hat inzwischen die
Bertelsmann-Tochterfirma Arvato übernommen. Das Unternehmen
betreibt nun beispielsweise die Bürgerbüros in East Riding,
kassiert die Steuern ein, zahlt das Wohngeld an Bedürftige aus.
Offen verkündet das Unternehmen, East Riding mit seinen rund
320.000 Einwohnern solle nur der Anfang sein - man habe mit dem
Pilotprojekt "Zentraleuropa und vor allem Deutschland im Visier". Denn
die Manager wollen auch hierzulande von einem Geschäft
profitieren, in dem schon jetzt Milliarden stecken. Das Prinzip nennen
Fachleute Public Private Partnership (PPP): Öffentliche
Institutionen gehen Bündnisse mit privaten Firmen ein, die dann
bislang staatliche Aufgaben übernehmen. Bund, Länder und
Gemeinden nutzen diese Partnerschaften etwa, um Schulen oder
Straßen zu bauen.
Von der Zusammenarbeit versprechen sich die Verwaltungen frisches
Kapital und Know-how. Doch die bisherigen Erfahrungen sind teilweise
ernüchternd. Etliche Projekte stellten sich bereits als Flops
heraus - PPP wie Pleiten, Pech und Pannen. Die Präsidenten der
Rechnungshöfe warnen zudem davor, dass solche Partnerschaften
"mittel- und langfristig ein gefährlicher Weg" in die
Überschuldung sein können. Andere Kritiker fürchten gar
einen Ausverkauf des Staats: Schleichend übernähmen Konzerne
die Macht.
Die Bundesregierung freilich treibt die Entwicklung voran. Im
schwarz-roten Koalitionsvertrag wird "die Beseitigung der
Diskriminierung von Public Private Partnerships" versprochen, im Juni
2005 verabschiedete noch Rot-Grün das PPP-"Beschleunigungsgesetz",
voraussichtlich noch in diesem Jahr kommt das
PPP-"Vereinfachungsgesetz" in den Bundestag.
Künftig könnten 10 oder 15 Prozent aller öffentlichen
Investitionen in PPP-Modellen erfolgen. Bundeswirtschaftsminister
Michael Glos (CSU) geht davon aus, dass "wir erst am Anfang der
Entwicklung stehen". Auch der EU-Kommissar für Binnenmarkt und
Dienstleistungen, Charlie McCreevy, setzt auf die Partnerschaften: "Bei
Investitionen in die Infrastruktur und die öffentlichen
Dienstleistungen sind wir dringend auf PPP angewiesen."
In der Wirtschaft herrscht Goldgräberstimmung. "Ein Erfolgsmodell
vor dem Durchbruch" nannte der Bundesverband der Deutschen Industrie
(BDI) jüngst eine Tagung zum Thema.
Schon jetzt stecken in Deutschland mehrere Milliarden Euro in solchen
Kooperationen. Allein die Projekte der Kommunen sind drei Milliarden
Euro schwer, schätzt das Deutsche Institut für Urbanistik. Zu
den vielen hundert Partnerschaften in Deutschland zählen
- der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, dessen Kosten auf
mindestens 670 Millionen Euro geschätzt werden;
- der milliardenteure Ausbau der A 8 zwischen Augsburg und München
sowie weiterer Autobahnabschnitte;
. die 90 Schulen des Landkreises Offenbach, deren Betrieb zwei Firmen
übernommen haben;
. das neue Krebszentrum an der Uni-Klinik Essen, dessen Kosten von rund
120 Millionen Euro zwei Banken aufbringen.
Auch wenn die Bürger bald schon PPP-Rathäuser aufsuchen (etwa
in Gladbeck) oder bereits jetzt durch PPP-Tunnel fahren (etwa in
Lübeck) - die meisten kennen das Kürzel nicht. Das Ergebnis
einer Forsa-Umfrage für ein jüngst erschienenes Buch zum
Thema: Nur jeder vierte Deutsche kann mit dem Begriff etwas anfangen*.
Bei einer herkömmlichen Privatisierung zieht sich der Staat
vollständig zurück, bei PPP-Projekten hingegen bleibt er im
Spiel: Es geht darum, "durch eine langfristig angelegte Zusammenarbeit
zwischen öffentlicher Hand und privater Wirtschaft
öffentliche Infrastrukturprojekte effizienter zu realisieren als
bisher", wie es die eigens eingerichtete PPP-Stabstelle im
Bundesverkehrsministerium formuliert. Mindestens sechs
Bundesländer haben bereits ähnliche Stäbe
gegründet, um derartige Partnerschaften zu fördern.
Bislang werden in Deutschland vor allem Betonprojekte mit privater
Hilfe realisiert: Brücken, Straßen, Tunnel. Doch das
Beispiel Großbritannien lehrt, dass es dabei nicht bleiben muss.
Verwaltungen könnten bald auch in Deutschland einzelne Aufgaben
privaten Dienstleistern übertragen.
Die Hoffnung hinter solchen Geschäften ist immer gleich: Private
können manches besser, billiger und schneller. Sie verfügen
häufig über ein moderneres Management oder schlicht mehr
Erfahrung, wirtschaften effizienter aufgrund ihrer Größe
oder sind billiger wegen niedrigerer Löhne. Deshalb glauben viele
Politiker, dass PPP dem Staat nutzt - was oft stimmt, allzu häufig
aber auch nicht.
In der Partnerschaft etwa, die die Bundesregierung und das
Toll-Collect-Konsortium für die Lkw-Maut schlossen, ging alles
schief, was nur schiefgehen konnte. Das System funktionierte monatelang
nicht, dem Bund entgingen Einnahmen in Milliardenhöhe. Vor einem
Schiedsgericht streiten die Partner nun um mehr als fünf
Milliarden Euro.
Bei der Maut wurde eine typische Schwäche von PPP-Projekten
deutlich. Parlamentarier beschwerten sich reihenweise, weil sie den
Vertrag der Bundesregierung mit dem Konsortium zunächst nicht
einsehen durften - Minister und andere Amtsträger unterliegen
demokratischer Kontrolle, Manager aber wollen eben ihre
Betriebsgeheimnisse wahren. Der BDI mischte sich prompt ein. "Aus den
Problemen bei der Lkw-Maut darf man jetzt nicht die Konsequenz ziehen,
solche Verträge künftig Eingriffen des Parlaments zu
unterwerfen", sagte Geschäftsführer Klaus Bräunig und
forderte "Spielräume für unternehmerisches Handeln" - in
denen der Bundestag nichts zu suchen hat.
Trotzdem ist das Prinzip PPP deshalb nicht gleich ein
"großangelegtes Komplott der deutschen und europäischen Bau-
und Immobilienindustrie sowie großer Banken und
Kapitalgesellschaften", wie die Frankfurter Attac-Gruppe behauptet. Und
East Riding ist noch kein "Protektorat" Bertelsmanns, wie die linke
Zeitung "Junge Welt" schreibt.
Aber selbst ein Bundesverfassungsrichter hat Bedenken. "Ich würde
mir bei Politikern mehr Skepsis wünschen", sagt Siegfried
Broß. Der Staat stelle sich selbst in Frage, wenn immer mehr
Aufgaben an Private vergeben würden.
Schon sind Firmen in Bereiche vorgestoßen, die lange allein dem
Staat zugerechnet wurden. Im hessischen Hünfeld wurde vor wenigen
Monaten das erste PPP-Gefängnis Deutschlands eröffnet. Eine
Expertengruppe des hessischen Justizministeriums hatte eine
vollständige Privatisierung für unzulässig gehalten, "da
der Strafvollzug zum Kernbereich staatlicher Aufgabenwahrnehmung
gehört". Doch einzelne Tätigkeiten "ohne Eingriffsbefugnisse
gegenüber Gefangenen" dürften übertragen werden. Weitere
Bundesländer planen bereits ebenfalls PPP-Knäste.
In Hünfeld putzen Mitarbeiter des Dienstleistungskonzerns Serco
etwa die Flure, sie kochen das Essen und organisieren die Ausbildung.
Serco übernimmt nach eigenen Angaben fast die Hälfte aller
"Betriebsleistungen"; die Kosten lägen um 15 Prozent niedriger als
in einem reinen Staatsknast, behauptet das Unternehmen. Auch für
die Bundeswehr ist Serco tätig: Im Gefechtsübungszentrum des
Heeres in der Altmark stellen Serco-Mitarbeiter Munition bereit,
kümmern sich um die Fahrzeuge, halten Geräte und Waffen
instand.
Der Konzern nutzt dabei die Erfahrungen, die er in seinem Mutterland
gewonnen hat: Großbritannien. "Dort ist heute möglich, was
wir uns kaum zu denken trauen", sagt der Berliner
Wirtschaftsrechtsprofessor Hans-Peter Schwintowski, der "große
Chancen für den Staat" sieht. Nach Angaben der Europäischen
Investitionsbank werden in Großbritannien 15 bis 25 Prozent der
Investitionen der öffentlichen Hand in öffentlich-privater
Kooperation getätigt.
Ein Beispiel lässt sich auch in Deutschland besichtigen: die
britische Botschaft in Berlin, die von einem privaten Konsortium
errichtet wurde und bewirtschaftet wird. Ihr Hausherr, Sir Peter Torry,
warnt aber vor überzogenen und vorschnellen Erwartungen. "PPP ist
kein Allheilmittel und kein Weg, billig davonzukommen", sagt der
Botschafter. Auf einer Tagung gab er kürzlich einen Überblick
darüber, was in seiner Heimat schon alles in solchen
Partnerschaften gemacht wird. Als Beispiel nannte er die Atom-U-Boote -
deren Heimathafen managt eine private Firma.
Die Auftraggeber können den Firmen klare Vorgaben machen: In East
Riding beispielsweise musste sich die Bertelsmann-Tochter Arvato
verpflichten, dass maximal 17 Prozent der Ratsuchenden im
Bürgerbüro länger als fünf Minuten warten
müssen und dass 91 Prozent der Anrufe vor dem achten Klingeln
beantwortet werden. Der Kontrakt läuft über acht Jahre, rund
25 Millionen Euro erhält der Konzern pro Jahr.
Mehr als 500 Mitarbeiter wechselten die Seite: Die freundlich
lächelnde Sally McDonald, die über Studienbeihilfen
entscheidet; die altgediente Lynne Madden, die für
Sozialleistungen zuständig ist; der bullige John Buttle, der
oberste Steuereintreiber East Ridings - sie alle arbeiteten bislang
für den Staat, jetzt aber für Arvato.
Das Unternehmen, mit 4,3 Milliarden Euro Jahresumsatz
zweitstärkste Sparte des Medienkonzerns, verpflichtete sich,
keinen Mitarbeiter schlechterzustellen und außerdem weitere 600
Arbeitsplätze in East Riding zu schaffen - für den Bezirk
wohl kein schlechter Deal. Zudem gründeten East Riding und Arvato
eine gemeinsame Firma, um ihre Dienste auch anderen Kommunen zu
verkaufen. "Wir sind hier eben geschäftsorientiert", sagt
Verwaltungschef Pearson. Durch die Partnerschaft wolle die Gemeinde vor
allem ihre Leistungen verbessern.
Darin aber besteht bislang das Problem in Deutschland: Manche
Verwaltungen wollen mit den Partnerschaften nur kurzfristig die Kosten
drücken - und unterschätzen die langfristigen
Verbindlichkeiten, die sich aus solchen Verträgen ergeben
können. Die Politiker freuen sich etwa, dass der private Partner
die Baukosten übernimmt, unterschlagen aber die Miete, die sie
dann über Jahrzehnte zahlen müssen.
Der Präsident des bayerischen Rechnungshofs, Heinz
Fischer-Heidlberger, warnt deshalb: "Wer jetzt nicht zahlen kann, dem
wird das auch über PPP nicht gelingen, weil er die
Finanzierungslasten damit nur in die Zukunft verlagert." Er
fürchtet, dass manche Städte und Gemeinden sich bei solchen
Partnerschaften übernehmen, auch weil "vielen Kommunen das
nötige Wissen fehlt".
"Nachweisbar unwirtschaftlich" - zu diesem Ergebnis kam etwa der
bremische Rechnungshof, als er den Deal um das sogenannte
Siemens-Hochhaus untersuchte. Bremen hatte das Gebäude, in dem die
Baubehörde untergebracht ist, im Jahr 2000 an einen Investor
verkauft und anschließend für 30 Jahre zurückgemietet.
Das Land hätte die Immobilie besser selbst behalten, meinen die
Rechnungsprüfer und schätzen den Schaden auf rund 20
Millionen Euro. "Mit einer vorab erstellten ernsthaften
Wirtschaftlichkeitsuntersuchung hätte anders entschieden werden
müssen", tadelt der Rechnungshof-Präsident Lothar Spielhoff.
Als die Präsidenten aller deutschen Rechnungshöfe zu ihrer
letzten Jahrestagung zusammenkamen, zeigten sie sich ausgesprochen
skeptisch gegenüber den Partnerschaften. Deutschlands oberste
Rechnungsprüfer hielten es für nötig, "eine
sorgfältige und realistische Bewertung von Chancen und Risiken" zu
fordern - eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch gingen sie
offenbar nicht davon aus, dass die Verwaltungen solche
Mindestanforderungen immer einhalten.
Die Rechnungsprüfer verabschiedeten deshalb zehn Grundsätze
für die Behörden. Nummer drei lautet: "Erst nach Feststellung
der Notwendigkeit eines Projekts darf und muss geprüft werden, ob
das Projekt für eine PPP-Realisierungsvariante geeignet ist." Es
soll also kein Projekt vorangetrieben werden, nur weil eine Firma
gleichzeitig Druck macht und Geld anbietet.
Wie schlimm es schlimmstenfalls läuft, wenn staatliche und private
Partner sich zu einer obskuren Allianz verbünden, dokumentierte im
Januar der Bundesgerichtshof. Er hatte sich mit Podelwitz bei Leipzig
zu befassen, einer "Kleinstgemeinde", wie die Richter schrieben - mit
einem riesengroßen Neubau.
Für rund 600 Einwohner und genau vier Bedienstete hat sich
Podelwitz von einem privaten Investor ein neues Gemeinde- und
Verwaltungszentrum bauen lassen. Die Gemeinde verpflichtete sich, 22
Jahre lang über 14 000 Euro monatlich an den Investor zu zahlen,
plus Umsatzsteuer und Nebenkosten. Jeder einzelne der über tausend
Quadratmeter kostete damit zweieinhalb mal so viel wie in der Umgebung.
Dabei war unklar, ob die Gemeinde überhaupt noch ein
Verwaltungsgebäude brauchte. Denn eine kommunale Gebietsreform
stand kurz bevor.
Die Bundesrichter konnten es nicht fassen und schrieben sich auf 19
Seiten ihren Ärger vom Leib. Der Vertrag stehe offenkundig "in
krassem Widerspruch zum Gemeinwohl", meinten schließlich die
Richter. Es sei, heißt es in dem Urteil, "auch nicht ansatzweise
erkennbar, wie die Gemeinde die gemieteten Räume jemals
wirtschaftlich nutzen und auch auslasten kann".
Nach Meinung des Bundesgerichtshofs war das Podelwitzer PPP-Projekt
nichts anderes als "eine Verschwendung von Steuergeldern".
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© DER SPIEGEL 34/2006