Zurueck zur Homepage
Zurueck zur Vorseite

Horst Bethge mit horst.bethge@t-online.de

Bilanz der Privatisierungspolitik im Bildungsbereich (überarbeitetes Referat beim Plenum der AG Bildungspolitik 5./6. 5. 07 Potsdam)


1. Eine neue Runde der Privatisierungen in der BRD, aber auch in Europa, ist eingeläutet. Die EU- Dienstleistungsrichtlinie, gerade beschlossen, forciert den Wettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen und lässt verstärkt private Anbieter zu, auch im Bildungsbereich, der nicht herausgenommen wurde. Der Non- Profit- Berich und die Genossenschaften kommen gar nicht erst vor. Auch die Mitteilung der EUKommission zu den sozialen Dienstleistungen vom 26. 4. 06 fordert verstärkt Wettbewerb und private Anbieter. Zweitens hat in Würzburg erstmals ein privater Anbieter, hier die größte Bertelsmann- Tochter ARVATO, eine gesamte Stadtverwaltung übernommen. Und drittens hat jetzt der „Aktionsrates der bayrischen Wirtschaft“, eine gewichtige Kraft, deutlich die völlige Privatisierung der Schulen gefordert. Höchste Zeit also, dass die neue LINKE sich konkret mit der Privatisierungspolitik im Bildungsberch beschäftigt.

2. Die Bundesparteitage von WASG und LP.PDS 2006 haben übereinstimmend beschlossen, nach der Mindestlohnkampagne eine Anti-Privatisierungskampagne durchzuführen. Deren Steuerungsgruppe hat vorgeschlagen, schon jetzt diese  Kampagne vorzubereiten. Da in einer Vielzahl von Bereichen und Ebenen- Bund,   Länder, Gemeinden- die Privatisierungen laufen, kann die Kampagne nur konkret und vor Ort ansetzen. Dazu müssen jetzt Beispiele gesammelt und aufgearbeitet werden. In den Regionen sollen Kampagneverantwortliche benannt werden. Es wird zentrales Schulungs- und Öffentlichkeitsmaterial, einen Kampagneleitfaden, eine zentrale Vorbereitungskonferenz und Multiplikatorenschulungen geben. Die Koordinierungsgruppe der AG Bildungspolitik schlägt vor, sich an dieser Kampagne und deren Vorbereitung zu beteiligen. Erste Beispiele wurden schon gesammelt.

3. Gegenstand sollte m. E. sein, eine Politik, die im breitesten Verständnis von Privatisierungspolitik (siehe unten) die öffentliche Verantwortung und Durchführung
der Daseinsfürsorge oder Teilhabe an öffentlichen Gütern zugunsten Privater reduziert, aushöhlt, umwandelt. Also das öffentliche Bildungswesen in der BRD in
allen Formen und Ebenen und mit allen Trägern (bundes- und landesstaatlich wie kommunal) Privaten ausliefert. Dabei sind m. E. private Bildungseinrichtungen mit
weltanschaulichen oder kirchlichen Trägern oder in besonderen Nischen (Reformschulen) tolerabel, wenn es bei dem geringen Umfang bleibt. Das gilt auch im
Kita- Bereich oder bei Genossenschaften (Kinderläden). Sie sind mit unserer Anti-Privatisierungskampagne nicht gemeint.

Unberücksichtig sollte auch bleiben eine spezielle linke Diskussion, die Mitte der 90ger Jahre auch in der PDS geführt wurde (z. B. Berlin) unter dem Stichwort
„progressive Entstaatlichung von links“ und u. a. darauf zielt, preußischobrigkeitsstaatliche Reglementierungen zu überwinden und den Staat durch
zivilgesellschaftliche Strukturen schrittweise zu ersetzen.

4. Bei der gegenwärtigen Privatisierungspolitik geht es um Grundsätzliches. Die Neoliberale Ordnungspolitik, dass Markt und Konkurrenz alles schon richten, soll
durchgesetzt werden. Seit der französischen Revolution gibt es ein öffentliches Bildungswesen, das damals bewusst aus der Konkurrenz der Einzelkapitale und dem
kapitalistischen Verwertungsinteresse herausgehalten wurde. Denn das zur Demokratie und Mitbestimmung fähige Individuum, der Staatsbürger (Citoyen), sollte
ein Mindestmaß an allgemeiner Bildung, an emanzipatorischer Subjektivität aufweisen. Das konnte (und kann) nur der Staat für alle garantieren, und zwar durch
ein öffentliches Bildungswesen. Daraus speist sich auch das Menschen (Grund)recht auf Bildung (übrigens völkerrechtlich in der UN- Kinderrechtskonvention normiert und kodifiziert). Genau dies alles erweist sich heute als Schranke für das hemmungslos gewordene Kapital (Unesco: “last frontier against privatisation of
education“) und sein Verwertungsinteresse. R. Luxemburg bezeichnete das einmal als „innere Landnahme“.

5. Als Gründe für die Privatisierungspolitik im Bildungsbereich lassen sich ausmachen:

• Das an den Aktienbesitzern orientierte Kapital (shareholder) drängtwegen seiner Verwertungs- und Akkumalationsschwierigkeiten auf die Erschließung zusätzlicher, bisher überwiegend verschlossener Märkte: Einmal auf die der kapitalistischen Verwertung bisher weitgehend entzogenen Bereiche staatlicher Daseinsvorsorge in den entwickelten kapitalistischen Ländern (USA, EU), wie Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, aber auch auf den staatlich regulierten öffentlichen Sektor (Bildung) in den Entwicklungsländern. Deshalb drängen große Konzerne wie Vivendi, Educational Testing System (ETS), Meryll Lych, Sylvan Learning System (SLS), Bertelsmann auf die Deregulierung der staatlichen Daseinsvorsorge durch die „General Agreement on Trade in Services“ (GATS)-Verhandlungen im Rahmen des WTO. Bildung, Gesundheit, Wasser, Natur sind als Ware deklariert, deren Handel frei ohne staatliche Reglementierung werden soll.

• Das –zumeist staatlich durch Steuern finanzierte- Bildungswesen ist weltweit ein sich rapide ausdehnender „Markt“ von 27 bis 50 Billionen Dollar jährlich. Bildungsausgaben sind zudem antizyklisch: In der Krise steigen die privaten, staatlichen und kommunalen Bildungsausgaben: Für Umschulung, Zusatzqualifikationen, Weiterbildung, Nachhilfe werden bei drohender Arbeitslosigkeit mehr Gelder ausgegeben.

• Jeder weiß mittlerweile, dass die Unterfinanzierung unseres öffentlichen  Bildungswesens zum Hemmschuh gesellschaftlicher Entwicklung zu werden droht. Die OECD hat 2005 erstmals Ertragsraten von Bildung formuliert. Danach beträgt der „langfristige Effekt eines zusätzlichen Bildungsjahres auf die wirtschaftliche Produktion“ in der OECD 3 – 6 % an Wachstum. In Zukunft wird also mehr für die Bildung aufgewendet werden müssen. Die Frage ist nur, ob von Seiten der Eltern, StudentInnen oder Weiterzubildenden durch Gebühren oder vom Staat aus den Steuern.


6. Das herkömmlich tradierte Bildungssystem – auf Selektion und Erhalt des Bildungsprivilegs in Inhalt und Struktur angelegt- ist angesichts gewachsener Ansprüche der Bevölkerung (wachsende Teilhabe- und Partizipationserwartungen) so nicht mehr aufrechtzuerhalten und zu begründen. Die normative Setzung der Privilegien wird ersetzt durch eine subtilere Steuerung, nämlich nach betriebswirtschaftlichen Kriterien. Durch die parallele Zangenbewegung der Ausmagerung der öffentlichen Haushalte wird die Hereinnahme von Sponsoring durch Privatfirmen mit der Haushaltslage begründet und damit dem politischen Diskurs in parlamentarischen Gremien entzogen.


7. In der Wertschöpfungskette „Grund/Boden, Werkzeuge, Rohstoffe, Kapital und Arbeit“ gewinnt der Faktor Arbeit – beschleunigt durch die Computerisierung –
zunehmend größeres Gewicht (ohne dass die materielle Basis und das Eigentumsregime aufgehoben wären). Bezeichnungen wie „Humankapital“ (OECD, Deutsche Bank, Weltbank) oder „kulturelles Kapital“ (Bourdieu) deuten das an. Das größere Gewicht des „kulturellen Kapitals“ erfordert ein anderes Bildungssystem, das
mehr Kreativität, Flexibilität, Selbständigkeit der Subjekte fördert, die allgemeiner gebildet sind und nachhaltig politisch und ökologisch handeln können. Das Kapital benötigt dies für die Entwicklung der Produktivität, sieht aber das darin liegende Emanzipationspotenzial als Risiko für die Kapitalherrschaft. Da werden
Verbetriebswirtschaftlichung, Public- Private-Partnership und Privatisierung von Bildungseinrichtungen, die Verankerung des Konkurrenzprinzips sowie die
Festigung des Bildungsprivilegs zu organisatorisch-ideologische Halteseilen und Mauerankern zwecks Herrschaftssicherung.


8. Aus ordnungspolitischen Gründen wird der Sozialstat in allen seinen Bereichen umgebaut, nicht nur aus fiskalischen Gründen. Da kann das staatlich organisierte
Bildungssystem nicht ausgespart bleiben. Zwar sollen bestimmte Sozialstaatsoptionen aufrechterhalten bleiben, aber unter den Bedingungen struktureller Krisen, chronischer Defizite der öffentlichen Haushalte und der Kapitalmobilität, während die Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals gemildert werden sollen. „Aktivierung“ und „Eigenverantwortung“, „Fördern und Fordern“ sind die regulativen Ideen der Umbaustrategie zum aktivierenden Staat. Das führt zur Neudefinition des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger. Aber nicht im Sinne von Grundrechtserweiterungen und Grundrechtsverwirklichung, sondern als Marktbeziehung verstanden: zwischen dem leistungserbringenden Staat und dem immer risikogefährdeter werdenden Kunden als Empfänger der Vorsorge. Heute stehen die Aktivierung der Bürger, des subjektiven Faktors (gegen das Linke eigentlich gar nichts haben, im Gegenteil: auch sie setzen darauf), und die Selbst-Befähigung der Bürger zur Förderung der individuellen Marktchancen und die marktförmige Befriedigung der Daseinsvorsorge an. Darum werden Qualifizierung und lebenslanges Lernen so betont, auch mit einer „zweiten Chance“. De facto werden individuelle Wettbewerbschancen aber sozial zugeteilt, vor allem durch Bildungschancen. Damit wird das alte Ziel der gesellschaftlichen Gleichheit ersetzt. Darin unterscheidet sich der aktivierende Staat vom Sozialstaat, indem er sich von der Idee der sozialen Bürgerrechte für alle verabschiedet. Hatte bisher der Sozialstaat die Verantwortung für die Daseinsvorsorge des Einzelnen, so hat nun der Einzelne  Verantwortung für das Gemeinwohl, was als Standort- Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und Entlastung des Staatshaushalts definiert wird

 

9. Hinzu kommt, dass im Zuge der EU- Integration und der Globalisierung der national agierende Wohlfahrtsstaat sich in einen international konkurrenzfähigen Wettbewerbsstaat transformiert, in dem das Bildungssystem zunehmend zum Standortfaktor im Wettbewerb wird – getreu der Theorie des Humankapitals. Das ist der Kern der Lissabon- Strategie: „Europa zum dynamischsten Wirtschaftsraum zu machen“. Da die Staatsquote gesenkt wird, wird der Staat lediglich noch für die minimalste Grundausstattung zuständig – er zieht sich auf seine Kernaufgaben zurück (neoliberales Credo). D. h. hier konkret: Grundbildung und Eliteförderung durch den Staat, alles andere durch Eigenfinanzierung, zukaufbar auf dem Markt, bedient durch Private. Damit wird das bisher staatliche Bildungswesen dem privaten Verwertungsinteresse geöffnet – wie auch im Verkehrs-, Energie-, Post-, Sozial- und Gesundheitswesen schon umgesetzt. Die Inwertnahme öffentlicher Güter gilt dabei als Ausweg aus den Krisen.


10. Parallel dazu greift die neue Regulationsweise: Anstelle stabiler, verbindlicher juristischer Regulierung in Gesetzen (oder internationalen und privatrechtlichen Verträgen), die der fordistischen Regulationsweise entsprachen, tritt „new governance“, mit dem Lissabon –Prozess 2000 EU- weit verbindlich gemacht. Das ist die offene Methode der Koordinierung mehrerer Ebenen. Zielverabredungen, Pilotprojekte, normsetzende Vergleiche (wie bei PISA), benchmarking, ranking-Listen, „naming und shaming“, Controlling und Leitbilder, Ziel- und Leistungsvereinbarungen (contracte) und Neues Steuerungsmodell stellen diese postfordistische Regulationsweise dar. WTO, EU, OECD (PISA!!) forcieren dies (GATS, TRIPS, Dienstleistungsrichtlinie der EU)– im Sinne Gramscis kann man es als « passive
Revolution » bezeichnen. Die Schlüsselbegriffe sind Dezentralisation, Deregulierung, Gewinn subjektiver Freiheit, Eigenverantwortung, Markt und Konkurrenz.

11. Damit wird gesellschaftspolitisch die „Ökonomisierung des Selbst“ verankert: Employability (Beschäftigbarkeit), Entrepreneurship (Selbst- Unternehmertum), Adaptability (Anpassungsfähigkeit) – siehe Schröder/Blair/Giddens/Hombach- sind die Leitziele, gleichermaßen für die Sozial-, Gesundheits-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik.


Chancengleichheit wird umgedeutet: gleiche Chancen beim Zugang, nicht im Ergebnis. Das rückt den Blick weg von der Emanzipation der Klasse hin zum Individuum und seiner  bestmöglichen Ausstattung für den Markt. Das Ziel, strukturell gleiche Lebenschancen herzustellen, wird ersetzt durch individualistische Instandsetzung des Individuums für die Marktkonkurrenz. Da sind soziales Lernen, kulturelle und musisch -ästetische Bildung nur ineffektiver Ballast. Ergänzend kommt hinzu, die Funktion der öffentlichen Bildung auf die Auskühlung weitergehender Ansprüche („to cool out the kids“) durch Interpretation sozialer Unterschiede als Leistungsunterschiede und die Aufrechterhaltung eines Minimums an Kohäsion in der Gesellschaft (das ist etwas anderes als Solidarität) zu konzentrieren.


12. Wertet man internationale und nationale Erfahrungen mit Privatisierungspolitik aus, wie  es auf den Europäischen Sozialforen regelmäßig geschieht und eine Studie der R. Luxemburgstiftung nachweist, so lassen sich 10 verschiedene Privatisierungsstrategien erkennen. Sie werden nicht immer gleichzeitig, nicht in einer bestimmten Reihenfolge und z. T. gemischt oder gebündelt angewandt.

1. Abbau des individuellen Rechtsanspruchs auf Bildung (Menschen- und Grundrecht), zuerst Koppelung an deren Bezahlbarkeit, dann private Zuzahlung, zum Schluss: Ersetzung durch das Handelsgut Bildung). Bildung wird zur Ware.

2. Privatisierung der Kosten, die bisher der Staat (Bund, Länder, Kommunen) aus Steuern getragen hat: Kita- Gebühren, Lehr- und Lernmittel (Büchergeld),
Studiengebühren, Kosten für Schwimmunterricht, Nachhilfe.

3. Sponsoring: Einwerbung von Mitteln durch die Einrichtung, Schule usw. selbst – bei gleichzeitiger Reduzierung der zur Verfügung gestellten Personal- und
Sachmittel seitens des Staates.

4. Outsourcing, d. h. Ausgliederung von Teilbereichen oder Hilfsfunktionen an Privatfirmen (Reinigung, Kantinenbetrieb, Hausmeisterdienste, Management
von Gebäuden, Renovierungen, Neubauten, Personalakquisitation und Verwaltung, Testen, Schulentwicklung, Beratungsdienste.

5. Umwandlung von Schulen und Bildungseinrichtungen in Stiftungen öffentlichen Rechts oder Landes- oder Kommunalbetriebe mit der Folge, dass Haushalt,
Organisation und Geschehen unter Geschäftsgeheimnis fallen und parlamentarischöffentlicher Kontrolle und Einwirkung entzogen sind (und Kredite nicht mehr
unter Landes- oder Kommunalschulden fallen).


6. Schrittweise Atomisierung des staatlich regulierten Bildungswesens, indem es in kleinere, selbständig agierende Einheiten zerlegt wird. Deren personelle und
finanzielle Ausstattung zur Administration (Finanz- und Personalverwaltung), Fortbildung, Evaluation, Programmentwicklung und Perspektivplanung wird bewusst
klein gehalten. Einmal aus Kostenersparnisgründen (Selbstverwaltung des Mangels), zum anderen auch, um Outsourcing zu erleichtern. Fortbildung Programmentwicklung und Planung wird an aushäusige und (private) Institute ausgelagert, die Administration an dafür besser ausgebildete Fachleute vergeben und
die Evaluation an Testfirmen oder Zertifizierungsagenturen verlagert. Die vielfach geforderte größere pädagogische Autonomie wird in eine administrative Autonomie umgebogen – und somit reif als Einfallstor für Privatisierungen.

 

7. Verkauf und Eigentumsübertragungen ganzer Einrichtungen und Schulen und Weiterführung in privater Regie


8. Public-Private-Partnership (PPP), das heißt ein schrittweises Eindringen in die staatliche Verantwortung mit dem Ziel, auch die staatlichen Anteile nach und nach
übernehmen und den Staat ganz ersetzen zu können. Dabei werden alle Zwischenschritte kreativ und mit langem Atem beschritten, sei es, dass man mit den
vorhandenen Lehrkräften erst einmal weiterarbeitet, sei es, dass man sich die staatliche Finanzierung als Sockel erhält. (Beispiele: berufliche Schulen in Hamburg, Gebäudemanagement, Sponsoring, Schulen ans Netz)

9. Cross- Border- Leasing: Das ist der sofortige Verkauf an einen ausländischen Großinvestor bei gleichzeitiger Zurückmietung für 20- 30 Jahre, wobei der
Investor im Mutterland Steuervorteile nutzt. Der Mieter verpflichtet sich außerdem, für Werterhaltung und ggf. Schadensersatz bei Änderungen der Steuergesetze
zu sorgen. Die vertragliche Abwicklung erfolgt nach ausländischem Recht und nichtöffentlich. Die Verträge haben 800 – 1200 Seiten. Das ist bisher im
Bildungsbereich noch nicht bekannt geworden, aber bei Müllabfuhr, Verkehrs-Betrieben, Stadtwerken und im Wohnungswesen häufig.


10. Auf internationaler Ebene werden die Rahmenbedingungen verändert (WTO, EUDienstleistungsrichtlinien, GATS, TRIPS): staatliche Regulation wird ersetzt oder abgebaut, Steuerfinanzierung als Subvention deklariert, Bildung zur Ware. Private Anbieter werden international zugelassen.


13. Da in verschiedenen Bereichen schon seit 25 Jahren Privatisierungen laufen, sind die Folgen ablesbar:


• Massiver Arbeitsplatzabbau, Verlust an Arbeitsplatzsicherheit (zur Zeit auch ablesbar hierzulande am Weiterbildungs- und Kitabereich, die ja stark privatisiert sind)


• Lohnsenkung und Kurzarbeit

• Nach anfänglicher Preissenkung wieder Preiserhöhung (z.B. Energie in der BRD, England, Transportwesen in Schweden)


• Qualitätsverschlechterungen (z. B. Wasser, Verkehr und Bildung in England), Normierung auf niedrigem Niveau (Bildung in England)

• Soziale Polarisierung (z. B. Schulwesen in England, USA) und Exclusion (u. B. Ausschluss ganzer Dörfer von der Wasserversorgung „weil es sich nicht
lohnt“, Frankreich). Autonomie produziert Ungleichheit.


1. Die Privatisierungspolitik bewirkt auch eine andere Rolle für die PädagogInnen: Organisator des Selbstvermarktungsprozesses, Wahrer der Ökonomisierung,
Zertifizierer (um die skill-points in die EU-Skill-Card anstelle der Zeugnisse einzugeben) und Selektionsagent (Tester). Der ganzheitliche, humanistische Anspruch ist nur teurer Kostenfaktor und bleibt ebenso wie der emanzipative Anspruch auf der Strecke. Lehrerarbeit wird taylorisiert (Arbeitszeitmodell) und wie beim Pflegedienst minutenweise abgerechnet und entlohnt sowie zertifiziert und auf Zeit lizensiert..


2. Über Privatisierungspolitik im Bildungsbereich sprechen heißt auch, die Rolle der Bertelsmann- Stiftung zu kritisieren. Denn der Bertelsmannkonzern liefert mit seiner Bertelsmann-Stiftung (BS) ein neoliberales Ordnungskonzept zum totalitären Umbau des Bildungssystems, das eine technokratisch-nachholende Modernisierung verspricht, größere Freiheit der Akteure verheißt, das Bildungsprivileg rettet und zementiert und soziale Konflikte und Verwerfungen kanalisiert. Aber mehr noch: Es vereinheitlicht durch die Methoden der offenen Koordinierung- die beim Lissaboner EU-Gipfel verabredete neue Regierungs“technik“- , durch Norm setzende Vergleiche (bench-marking), permanentes Ranking, Prozess begleitende personelle indirekte Leitung (Projektleitung), publizistische Unterstützung (Veröffentlichungen und Filme von best-practise- Beispielen), Verträge mit Landesregierungen und entsprechender Bindung von Kommunal- und Landesmitteln an seine Projekte, geschickte personelle Verflechtungen zwischen BS und Hochschulen, Bildungsverwaltungen und anderen Stiftungen (Hans-Böckler, Friedrich-Ebert, Heinrich-Böll, Friedrich -Naumann, Adenauer und Hans-Seidel, Club of Rome) sowie Medien- und Industrie- Unternehmungen sowie erziehungsund
bildungswissenschaftlicher Publizistik die deutsche Bildungslandschaft. Die föderale Struktur Deutschlands, gerade in der Föderalismusreform I für den Bildungsbereich bekräftigt, und der Zug zur Dezentralisierung, zur Verselbständigung von Schulen und Hochschulen, erleichtert der BS das Eindringen in das Bildungssystem. Da der Bertelsmann-Konzern als Global Player auch an den Verhandlungen über das GATS im Rahmen der WTO und die EU-Richtlinien direkt beteiligt ist, ist die Synchronisation seiner Bildungspolitik mit den internationalen bildungspolitischen Entwicklungen gesichert


3. Aus alledem ergibt sich die dringende Notwendigkeit, dass die LINKE dieser Entwicklung Widerstand entgegensetzt und dies in die Anti-Privatisierungskampagne einbezieht. Zu beginnen ist zweckmäßigerweise damit, eine erste Bilanz zu erstellen. Dabei fangen wir nicht bei Null an: Einige von uns arbeiten in bestehenden Netzwerken mit: ppg@lists.rosaluxemburgstiftung.de Anti- Bertelsmann- Netzwerk International Network against Privatisation in Education im Rahmen des ESF. Auch die GEW hat diese Thematik aufgegriffen und in drei Dokumentationen Material zusammengestellt: Privatisierungsreport 1, 2, 3 Nicht unbescheiden darf ich auch auf Veröffentlichungen von mir hinweisen:


1. Bertelsmann macht Schule- in „Wernicke/Bultmann (Hrsg.) „Netzwerke der Macht- Bertelsmann“, BdWi- Verlag 2007

2. Die Bildungsmärkte der Wissensgesellschaft-Public-Private-Partnership an Schulen- in „Bittlingmayer/Bauer (Hrsg.) „Die Wissensgesellschaft – Mythos,
Ideologie oder Realität?“, VS- Verlag 2006


3. Privatisierung im Bildungswesen: Bildung zukünftig vom Geldbeutel abhängig? In Marxistische Blätter, letztes Heft


Für den Bildungsbereich sind auch die folgenden kritischen Werke von Belang:


1. Hauschild- „Privatisierung – Wahn und Wirklichkeit“, VSA-Verlag 2004

2. W. Rügemer „Privatisierung in Deutschland – eine Bilanz“, V. Westf. Dampfboot
2005

3. W. RügemerCross-Border-Leasing“, V. Westf. Dampfboot 2004

4. B. Dickhaus/R.Dietz “Dienstleistungen unter Privatisierungsdruck – Folgen in Europa”, Rosa Luxemburg Stiftung