Nach einer Formulierung der UNESCO bildet der Bildungsbereich eine Art "last frontier" des allgemeinen Umbaus öffentlicher Daseinsvorsorge, einer Verbetriebswirtschaftlichung, der zuvor bereits andere öffentliche Institutionen unterzogen wurden. Auch in Deutschland erfasst der Umbau des Sozialstaats mit seiner Rationalisierungs- und Privatisierungsperspektive zunehmend das Bildungssystem. Auf internationaler Ebene werden gegenwärtig im Rahmen von WTO und GATS Neuregelungen eines liberalisierten Dienstleistungshandels ausgehandelt. Die exklusiven handelspolitischen Kompetenzen der EU werden auf ausländische Direktinvestitionen ausgedehnt und sollen laut Konvent-Entwurf auch die bisherigen Ausnahmebereiche Soziales, Bildung. Gesundheit und Kultur erfassen.
In der deutschen bildungspolitischen Debatte galt die Perspektive einer
Privatisierung der Bildungseinrichtungen lange als irrelevant. Mit dem
Begriff der Privatisierung wurde zumeist der relativ kleine Privatschulbereich
identifiziert. Manfred Weiß meinte, im allgemein bildenden Schulbereich
der OECD-Eänder lasse sich bislang kein "Trend in Richtung stärkerer Privatisierung
der Bildungsproduktion" nachweisen (1). Die im Grundgesetz verankerte Verantwortung
des Staates für das gesamte Schulwesen (Artikel 7 Absatz 1: "Das gesamte
Schulwesen steht unter Aufsicht des Staates") galt als Garant, dass eine
Privatisierung in Deutschland nicht zu erwarten sei. Die in anderen Bereichen
öffentlicher Daseinsvorsorge (Wasser, Post, Bahn) praktizierte Trennung
von Regulation und Kontrolle einerseits und Betreiber und Träger lässt
jedoch auch eine andere Eesart von Artikel 7 Absatz l im Sinn der Weltbankrezepte
zu: "The state need not to be the sole provider." Damit wäre eine Privatisierung
zumindest in Teilbereichen für die Zukunft nicht auszuschließen. Die gegenwärtigen
Verhandlungen der EU mit der WTO zum GATS sind Hinweise in diese Richtung.
War die Übertragung von Aufgaben im Bereich der Reinigung von Bildungsinstitutionen
von kommunaler Zuständigkeit auf private Träger schon seit Jahren übliche
Praxis, so häufen sich in letzter Zeit Maßnahmen des Outsourcing und einer
erweiterten Funktionsübertragung zum Beispiel in folgenden Bereichen:
- Gebäuderenovierung und -erhaltung wie im nordrhein-westfälischen Monheim in einer Public-Private-Partnership (PPP), in der die Gemeinde 50 °/o der Anteile behält
- Verpachtung von Schulen oder deren Facility-Manage-ment wie in Offenbach (HLZ S. 12)
- privates Catering für städtische Kindergärten und Horte wie in der Stadt Frankfurt
- Sale-and-Lease-back von Schulen und Verwaltungsgebäuden wie in Frankenberg, wobei der Partner des kommunalen Eigenbetriebs, eine Immobilienfirma, mit diesem rechtlichen Konstrukt dem Staat Steuern entzieht.
Das Outsourcing ist allerdings nur eine von drei Privatisierungsstrategien - neben der Teilprivatisierung der Finanzierung von Bildungsinstitutionen durch "Bildungsgutscheine" und einer Verwaltungsreform, die Verwaltung effizienter und kostengünstiger machen soll.
Teil dieser Rationalisierung ist auch die Verkürzung der Schulzeit, die Verschärfung der Selektivität des Bildungswesens und der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen. Diese Reorganisation staatlicher Kernbereiche nach dem Vorbild privatkapitalistischer Logik "kann in Teilbereichen die Privatisierung einzelner Tätigkeiten" bedeuten. Wesentlich ist die Intention, dass sich kein Bereich des Staates "der Logik des kundenorientierten Dienstleisters, des zielorientierten Managements, der permanenten Leistungseva-luierung, kurz den Maximen des New Public Managements entziehen kann" (2). Diese Einheit von Rationalisierung und Privatisierung als Strategien zur Effizienzsteigerung bisher staatlich erbrachter und kontrollierter Maßnahmen kollektiver Daseinsvorsorge ist wesentlich für den Umbau im Hinblick auf das zentrale Ziel der Kostenreduzierung.
Verbindendes Glied ist die Einführung von New Public Management (Neue Verwaltungssteuerung) mit seinen Indikatoren- oder Kennziffersystemen zum Zweck von Evalua-tion und Controlling und Monitoring. Sie sollen einerseits die so genannte Effizienzdividende ermöglichen und sind zum anderen Grundlage für ein potenzielles Kontraktmanagement: sei es bei der Instandhaltung von Gebäuden oder wie vorerst nur in England oder den USA bei der Verwaltung von Schulen und Schulbezirken im Bereich der unmittelbaren "Humankapitalproduktion" (HLZ, S. 11).
Noch befindet sich dieser Umbau in Deutschland in der Anfangsphase. Anleitungen liefern die Berteismann-Stiftung, McKinsey und Unternehmerverbände. In fast allen Bundesländern gibt es mindestens ein Pilotprojekt zur (Teil-)Autonomisierung von Bildungsinstitutionen.
Vorreiter in diesem Prozess sind die Institutionen der Erwachsenenbildung,
der tertiäre Bildungsbereich und die Berufsschulen. In Hamburg werden die
Berufsschulen in eine "Stiftung" überführt, in Bremen wird zwecks "kostengünstigerer
Erledigung ihrer Aufgaben" eine "GmbH für Bildungsinfrastruktur" gegründet.
Ein anderes Element des betriebswirtschaftlichen Umbaus ist die Ausgabe
von Bildungsgutscheinen. Im Bereich Weiterbildung werden seit Januar 2003
Bildungsgutscheine an Personen ausgegeben, die über Weiterbildung und Umschulung
bessere Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt suchen (HLZ S. 14). Durch Einführung
eines Ranking von Bewerbern und verschärfte Zugangsbedingungen hat sich
beispielweise in Frankfurt die Zahl der Besitzer von Bildungsgutscheinen
für Fortbildung innerhalb eines Jahres ungefähr halbiert. Die Zahl der
Träger ist deutlich zurückgegangen - ein Beispiel für das Zusammenspiel
von rationalisierenden staatlichen Institutionen (Bundesagentur für Arbeit)
und staatlich regulierten Quasi-Märkten.
Auch in Deutschland ist somit die Privatisierung in Form eines Transfers
von Marktelementen (NVS, Teilautonomie der Institutionen, Individualisierung
der Subventionen in Teilbereichen) und „modernen" Managementmethoden in
den Bereich der staatlichen Bildungsinstitutionen in vollem Gange. Eine
Privatisierung im engeren Sinn ist vorerst in Form des Outsourcing in den
Bereichen Reinigung, Gebäude, Verpflegung und nicht-pädagogisches Personal
zu beobachten. Von daher scheint ein deutlich weiter gefasster Begriff
von Privatisierung der gegenwärtigen Situation angemessen zu sein, wie
er auch von Richard Hatcher für den angelsächsischen Bereich verwendet
wird. Perspektive der Verbetriebswirtschaftlichung ist nach seinen Thesen
ein Mischsystem von staatlichen, privaten und öffentlichen Betreibern,
die marktwirtschaftlich organisiert, aber staatlich kontrolliert werden
(3).
Jürgen Klausenitzer
(1) Manfred Weiß, Privatisierung des Bildungsbereichs, in: Frank-Olaf
Radtke/Manfred Weiß, Schulautonomie, Wohlfahrtsstaat und Chancengleichheit.
Opladen 2000
(2) Werner Raza: Entstaatlichung lokaler öffentlicher Dienstleistungs-erbringung
in der Europäischen Union, Marburg 2001, FEG Arbeitspapier Nr. 21, S. 15
f.
(3) ..state-constructed and controlled multi-provided marketised
school System" (Richard Hatcher: Privatisation in the School System in
England. Manuskript 2003)