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HLZ 5/2004 Seiten 9 und 10
Perspektive : Privatisierung

Nach einer Formulierung der UNESCO bildet der Bildungsbereich eine Art "last frontier" des allgemeinen Umbaus öffentlicher Daseinsvorsorge, einer Verbetriebswirtschaftlichung, der zuvor bereits andere öffentliche Institutionen unterzogen wurden. Auch in Deutschland erfasst der Umbau des Sozialstaats mit seiner Rationalisierungs- und Privatisierungsperspektive zunehmend das Bildungssystem. Auf internationaler Ebene werden gegenwärtig im Rahmen von WTO und GATS Neuregelungen eines liberalisierten Dienstleistungshandels ausgehandelt. Die exklusiven handelspolitischen Kompetenzen der EU werden auf ausländische Direktinvestitionen ausgedehnt und sollen laut Konvent-Entwurf auch die bisherigen Ausnahmebereiche Soziales, Bildung. Gesundheit und Kultur erfassen.

In der deutschen bildungspolitischen Debatte galt die Perspektive einer Privatisierung der Bildungseinrichtungen lange als irrelevant. Mit dem Begriff der Privatisierung wurde zumeist der relativ kleine Privatschulbereich identifiziert. Manfred Weiß meinte, im allgemein bildenden Schulbereich der OECD-Eänder lasse sich bislang kein "Trend in Richtung stärkerer Privatisierung der Bildungsproduktion" nachweisen (1). Die im Grundgesetz verankerte Verantwortung des Staates für das gesamte Schulwesen (Artikel 7 Absatz 1: "Das gesamte Schulwesen steht unter Aufsicht des Staates") galt als Garant, dass eine Privatisierung in Deutschland nicht zu erwarten sei. Die in anderen Bereichen öffentlicher Daseinsvorsorge (Wasser, Post, Bahn) praktizierte Trennung von Regulation und Kontrolle einerseits und Betreiber und Träger lässt jedoch auch eine andere Eesart von Artikel 7 Absatz l im Sinn der Weltbankrezepte zu: "The state need not to be the sole provider." Damit wäre eine Privatisierung zumindest in Teilbereichen für die Zukunft nicht auszuschließen. Die gegenwärtigen Verhandlungen der EU mit der WTO zum GATS sind Hinweise in diese Richtung.
War die Übertragung von Aufgaben im Bereich der Reinigung von Bildungsinstitutionen von kommunaler Zuständigkeit auf private Träger schon seit Jahren übliche Praxis, so häufen sich in letzter Zeit Maßnahmen des Outsourcing und einer erweiterten Funktionsübertragung zum Beispiel in folgenden Bereichen:

- Gebäuderenovierung und -erhaltung wie im nordrhein-westfälischen Monheim in einer Public-Private-Partnership (PPP), in der die Gemeinde 50 °/o der Anteile behält

- Verpachtung von Schulen oder deren Facility-Manage-ment wie in Offenbach (HLZ S. 12)

- privates Catering für städtische Kindergärten und Horte wie in der Stadt Frankfurt

- Sale-and-Lease-back von Schulen und Verwaltungsgebäuden wie in Frankenberg, wobei der Partner des kommunalen Eigenbetriebs, eine Immobilienfirma, mit diesem rechtlichen Konstrukt dem Staat Steuern entzieht.

Das Outsourcing ist allerdings nur eine von drei Privatisierungsstrategien - neben der Teilprivatisierung der Finanzierung von Bildungsinstitutionen durch "Bildungsgutscheine" und einer Verwaltungsreform, die Verwaltung effizienter und kostengünstiger machen soll.

Teil dieser Rationalisierung ist auch die Verkürzung der Schulzeit, die Verschärfung der Selektivität des Bildungswesens und der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen. Diese Reorganisation staatlicher Kernbereiche nach dem Vorbild privatkapitalistischer Logik "kann in Teilbereichen die Privatisierung einzelner Tätigkeiten" bedeuten. Wesentlich ist die Intention, dass sich kein Bereich des Staates "der Logik des kundenorientierten Dienstleisters, des zielorientierten Managements, der permanenten Leistungseva-luierung, kurz den Maximen des New Public Managements entziehen kann" (2). Diese Einheit von Rationalisierung und Privatisierung als Strategien zur Effizienzsteigerung bisher staatlich erbrachter und kontrollierter Maßnahmen kollektiver Daseinsvorsorge ist wesentlich für den Umbau im Hinblick auf das zentrale Ziel der Kostenreduzierung.

Verbindendes Glied ist die Einführung von New Public Management (Neue Verwaltungssteuerung) mit seinen Indikatoren- oder Kennziffersystemen zum Zweck von Evalua-tion und Controlling und Monitoring. Sie sollen einerseits die so genannte Effizienzdividende ermöglichen und sind zum anderen Grundlage für ein potenzielles Kontraktmanagement: sei es bei der Instandhaltung von Gebäuden oder wie vorerst nur in England oder den USA bei der Verwaltung von Schulen und Schulbezirken im Bereich der unmittelbaren "Humankapitalproduktion" (HLZ, S. 11).

Noch befindet sich dieser Umbau in Deutschland in der Anfangsphase. Anleitungen liefern die Berteismann-Stiftung, McKinsey und Unternehmerverbände. In fast allen Bundesländern gibt es mindestens ein Pilotprojekt zur (Teil-)Autonomisierung von Bildungsinstitutionen.

Vorreiter in diesem Prozess sind die Institutionen der Erwachsenenbildung, der tertiäre Bildungsbereich und die Berufsschulen. In Hamburg werden die Berufsschulen in eine "Stiftung" überführt, in Bremen wird zwecks "kostengünstigerer Erledigung ihrer Aufgaben" eine "GmbH für Bildungsinfrastruktur" gegründet.
Ein anderes Element des betriebswirtschaftlichen Umbaus ist die Ausgabe von Bildungsgutscheinen. Im Bereich Weiterbildung werden seit Januar 2003 Bildungsgutscheine an Personen ausgegeben, die über Weiterbildung und Umschulung bessere Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt suchen (HLZ S. 14). Durch Einführung eines Ranking von Bewerbern und verschärfte Zugangsbedingungen hat sich beispielweise in Frankfurt die Zahl der Besitzer von Bildungsgutscheinen für Fortbildung innerhalb eines Jahres ungefähr halbiert. Die Zahl der Träger ist deutlich zurückgegangen - ein Beispiel für das Zusammenspiel von rationalisierenden staatlichen Institutionen (Bundesagentur für Arbeit) und staatlich regulierten Quasi-Märkten.
Auch in Deutschland ist somit die Privatisierung in Form eines Transfers von Marktelementen (NVS, Teilautonomie der Institutionen, Individualisierung der Subventionen in Teilbereichen) und „modernen" Managementmethoden in den Bereich der staatlichen Bildungsinstitutionen in vollem Gange. Eine Privatisierung im engeren Sinn ist vorerst in Form des Outsourcing in den Bereichen Reinigung, Gebäude, Verpflegung und nicht-pädagogisches Personal zu beobachten. Von daher scheint ein deutlich weiter gefasster Begriff von Privatisierung der gegenwärtigen Situation angemessen zu sein, wie er auch von Richard Hatcher für den angelsächsischen Bereich verwendet wird. Perspektive der Verbetriebswirtschaftlichung ist nach seinen Thesen ein Mischsystem von staatlichen, privaten und öffentlichen Betreibern, die marktwirtschaftlich organisiert, aber staatlich kontrolliert werden (3).

Jürgen Klausenitzer

(1) Manfred Weiß, Privatisierung des Bildungsbereichs, in: Frank-Olaf Radtke/Manfred Weiß, Schulautonomie, Wohlfahrtsstaat und Chancengleichheit. Opladen 2000
(2) Werner Raza: Entstaatlichung lokaler öffentlicher Dienstleistungs-erbringung in der Europäischen Union, Marburg 2001, FEG Arbeitspapier Nr. 21, S. 15 f.
(3) ..state-constructed and controlled multi-provided marketised school System" (Richard Hatcher: Privatisation in the School System in England. Manuskript 2003)