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SPIEGEL ONLINE - 23. Juli 2007, 17:42
URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,495973,00.html

POLITIK-HEUSCHRECKEN

1. Teil : "Ohnmacht oder Naivität"

Schröder bei Gasprom, Scharping und Rühe bei Cerberus: Immer mehr Politiker heuern in der Wirtschaft an. Sozialethiker Friedhelm Hengsbach erläutert im Interview, warum Gesellschaft und Unternehmen unter dieser Interessensvermischung leiden.

manager-magazin.de: Herr Hengsbach, vor kurzem wurden einige Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten veröffentlicht. Gab es da für Sie Überraschungen?

Hengsbach: Eigentlich nicht. Ich überlegte, welche Motivation es gibt, neben dem an sich ausfüllenden Beruf des Politikers so viel zusätzlich zu arbeiten. Einerseits kann es sein, dass die Diäten den Aufgaben und der Verantwortung der Abgeordneten nicht angemessen sind - der Ansicht bin ich tatsächlich. Andererseits ist es möglich, dass sich einige im Bundestag nicht allzu sehr für ihre Abgeordnetentätigkeit interessieren.

mm.de: In der aktuellen Debatte wird vor allem die Vermischung von Interessen kritisiert. Otto Schily zum Beispiel hat als Innenminister die Einführung biometrischer Techniken in der Innenpolitik betrieben und arbeitet nun neben seinem Abgeordnetenmandat für zwei Firmen aus dieser Branche.

Hengsbach: Eine solche Vermischung ist bedenklich. Ganz allgemein sind in diesem Zusammenhang zwei große Entwicklungslinien zu erkennen, die ich für hochriskant halte: Erstens geht das etablierte Staatsverständnis verloren, wonach Öffentliches und Privates von einander getrennt bleiben sollen.

mm.de: Was meinen Sie damit?

Hengsbach: Ich beobachte seit einiger Zeit, dass immer mehr Politiker nicht mehr der Gesellschaft - und damit auch der Wirtschaft - als Staatsvertreter gegenüberstehen, sondern in deren Wirkungskreis eingebunden werden. Es entsteht ein Netzwerk der politisch-wirtschaftlichen Eliten. In diesem Netz ist die Regierung nur noch ein Knoten von vielen, neben Lobbys, Verbänden, Kirchen und anderen zivilgesellschaftlichen Bewegungen. Die Akteure der Netzwerke sind austauschbar, politische Unterschiede zwischen den Parteien verwischen.

mm.de: Gerhard Schröder wechselte nach seiner Kanzlerschaft zu Gasprom, Theo Waigel ist heute bei Texas Pacific, Otto Graf Lambsdorff bei Terra Firma. Man könnte einfach sagen: Die Leute sind dafür eben qualifiziert.

Hengsbach: Hier kommt mein zweiter Punkt ins Spiel. Die Regierenden fühlen sich den Finanzmärkten gegenüber zunehmend machtlos. Die wiederum sind zu einer Art "fünfter Gewalt" in der Demokratie geworden. Durch die Einbindung der Politiker in deren Netzwerke verstärkt sich dieses Phänomen, weil die Politik keine Außensicht mehr auf die Interessen der Kapitalmärkte hat.

mm.de: Wo beobachten Sie das?

Hengsbach: Bei so genannten Public-Private-Partnerships etwa, wo diese Vermischung auf Jahre festgeschrieben wird. Hier werden öffentliche Güter, die für alle Bürger unabhängig von ihrer Kaufkraft zugänglich sein sollen und deshalb bisher von der öffentlichen Hand bereitgestellt wurden, in die Hände der Privatwirtschaft gegeben: Städtische Gebäude etwa, die man verkauft und dann zurück mietet. Auch Schwimmbäder werden gemeinsam betrieben, Versorgungswerke sind privatisiert, neuerdings dehnt man die Kooperation auf Schulen und sogar Verwaltungsaufgaben aus.

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ZUR PERSON

Der Jesuit Friedhelm Hengsbach, 70, hat Philosophie, Theologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Er war langjähriger Leiter des Oswald- von- Nell- Breuning- Instituts in Frankfurt am Main und lehrt Sozial- und Wirtschaftsethik. Hengsbach hat sich profiliert mit Büchern wie "Das Reformspektakel", in denen er wirtschaftlichen Sachverstand mit der katholischen Soziallehre zu verbinden sucht.  (dpa)
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Das Versprechen dabei ist, dass diese Güter so billiger und effizienter angeboten werden. Zu diesem Zweck wird zuvor das öffentliche Angebot als bürgerfern, bürokratisch und ineffizient dargestellt. Die hohen Erwartungen werden aber in vielen Fällen enttäuscht. Mancher will ja einfach aus seiner betriebswirtschaftlichen Sicht heraus glauben, dass das funktionieren muss. Er übersieht dabei, dass der Staat neben bloßer Güterversorgung andere Aufgaben hat. Aufgaben, die der Markt gar nicht erfüllen kann, etwa gesellschaftlichen Zusammenhalt herzustellen, den Wettbewerb vor Monopolen zu schützen, die Geldverfassung zu sichern oder sozialen Ausgleich herzustellen.

mm.de: Schafft der Staat das denn mit seinen Mitteln? Sie sagten, diese würden oft als bürgerfern, bürokratisch und ineffizient dargestellt. Jeder, der schon mal ein Gewerbe anmelden wollte, bestätigt das aus leidvoller Erfahrung. Da sehnt man sich eine privat organisierte Stadtverwaltung herbei.

Hengsbach: Ja, sicher - wenn man über Kaufkraft verfügt. Wer sich Privatwirtschaft leisten kann, wird dort auch gute Erfahrungen machen. Aber in Bereichen der sozialen Sicherung und Daseinsvorsorge, etwa Gesundheit und Bildung oder auch am Arbeitsmarkt, geht es nicht um Waren, die man einfach nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien verteilen müsste. Die individuelle Arbeitskraft ist nicht trennbar von der Person, die arbeitet, und von deren Würde - also gelten andere Maßstäbe. Bildung sollte für alle gleichermaßen verfügbar sein, ein gesundheitlicher Mindeststandard für alle erschwinglich. In solchen Bereichen ist die Versorgung durch private Angebote oft unzureichend.

mm.de: Wie sehen die Probleme konkret aus?

Hengsbach: Es gibt zahlreiche Beispiele bei der Privatisierung der Strom-, Gas- und Wasserversorgung, gerade in Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Die Preise sind stark angestiegen, und wo tatsächlich Kosten gesenkt wurden, ging das zu Lasten der Mitarbeiter. Privatisierungen gehen fast immer mit Einkommenssenkungen einher und so mit Kaufkraftverlusten in den betroffenen Regionen. Letztlich werden Kosten und Erträge nur verschoben.

mm.de: Dennoch bleibt die Frage: Was soll schlimm daran sein, wenn erfahrene Politiker sich in der Wirtschaft engagieren?

Hengsbach: Schlimm ist es dann, wenn sie vorher in ihrem politischen Wirken den Eindruck vermittelt haben, dass sie im Sog der betriebswirtschaftlichen Kalkulation hängen. Das ist ein Vorwurf, den man Gerhard Schröder oder auch Wolfgang Clement machen muss.

mm.de: Sie werfen den Herren Korruption vor?

Hengsbach: Nein, das nicht. Was ich meine, ist Folgendes: Die Unternehmen vertreten das Interesse, ihre Kosten zu senken, zum Beispiel im Bereich der Steuern, Löhne und Sozialabgaben. Wohlgemerkt, das ist in ihrer Situation nur verständlich. Die Vertreter der staatlichen Macht haben aber die Aufgabe, zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Interessen zu vermitteln.
Da sind einer Senkung der Steuern, Lohnkosten und Sozialabgaben Grenzen gesetzt, weil sonst die Schwachen darunter leiden. Wenn nun die Staatsvertreter dieses Spiel der Unternehmen mitspielen, sei es aus Ohmacht oder aus Naivität, dann fallen die Nöte der Bevölkerungsmehrheit leicht unter den Tisch. Dann handeln die Politiker faktisch schon im Dienst ihrer späteren Arbeitgeber, noch während sie als Volksvertreter verpflichtet sind. Das werfe ich ihnen vor.

mm.de: Was meinen Sie damit: "das Spiel mitspielen"?

Hengsbach: Sie haben den Parolen der wirtschaftlichen Eliten in zahllosen Fällen zu stark nachgegeben. Nehmen Sie die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Absenkung der Sozialleistungen oder die Tatsache, dass sinkenden Niedriglöhnen nichts entgegengesetzt wird.
Diese Politik ist sehr stark einzel- und betriebswirtschaftlich orientiert. Ihre volle gesellschaftliche und gesamtwirtschaftliche Wirkung hat man aber nicht gesehen. Inzwischen moniert das selbst Peer Steinbrück. Der soziale Zusammenhalt geht flöten, wenn die Sicherungssysteme erodieren.

mm.de: Die Unternehmen haben ihre berechtigten Kostensenkungen durchgesetzt, das hat Arbeitsplätze langfristig gesichert.

Hengsbach: Die Nebenwirkungen gehen aber auch an ihnen nicht vorbei. Wobei man unterscheiden muss, wer wovon profitiert. An der boomenden Exportwirtschaft stoßen sich große Konzerne und der exportierende Mittelstand gesund. Unter der nach wie vor schwachen Binnennachfrage leiden kleinere Unternehmen, die allerdings insgesamt mehr Menschen beschäftigen.
Oder nehmen Sie die Finanzmärkte, die Renditen erwirtschaften, die im realwirtschaftlichen Prozess nicht erreicht werden können. Renditen von 25 Prozent und mehr gehen nicht auf reale Wertschöpfung zurück, sondern auf spekulative, riskante Finanzgeschäfte.
En gros und auf Dauer leidet unter diesen Entwicklungen die Mehrheit sowohl der Bevölkerung als auch der Unternehmen. Das kann nicht das Ziel verantwortungsbewusster Politiker sein. Der Kapitalismus könnte weit mehr reale Wertschöpfung erzielen, wenn unsere Politik gegen diese Ungleichgewichte vorgehen würde. Das - und nicht einzelwirtschaftliche Vorteile - müsste das Interesse von Politikern sein.

mm.de: Im globalen Standortwettbewerb kann man mit diesen Weisheiten nicht standhalten. Es gibt immer einen Konkurrenten, der sich um die Ungerechtigkeiten im eigenen Land nicht schert und billiger produziert.

Hengsbach: Deutschland ist diesem Wettbewerb weit weniger ausgesetzt als Sie glauben. Gut zwei Drittel unserer internationalen Wirtschaftstätigkeit sind auf Europa konzentriert, und in Europa gelten durchaus soziale Mindeststandards.
Die Produktionsverlagerungen, die uns in den vergangenen Jahren so umgetrieben haben, machen tatsächlich einen minimalen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung aus. Im Übrigen schlägt sich der Exportweltmeister Deutschland wacker, selbst mit dem teuren Euro.

mm.de: Zurück zu den Politikern. Macht es einen qualitativen Unterschied, ob sie bei produzierenden Unternehmen mitarbeiten oder bei Heuschrecken?

Hengsbach: Ja, denn der Finanzkapitalismus im Stil vieler Private Equitys ist unreguliert. Hier ist die Politik also im besonderen Maß gefordert. Alle sind sich ja einig, dass diese Spekulationen, sobald sie eine gewisse Größenordnung überschreiten, für ganze Volkswirtschaften riskant sind. Vor solchen Gefahren sollten Politiker ihre Länder schützen. Wenn Sie sich stattdessen für diese Spekulateure engagieren, ist das eine Verkehrung ihres Auftrags.

mm.de: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den personellen Verquickungen und den Steuervorteilen, die Private-Equity-Gesellschaften in Deutschland nach den jüngsten Steuerbeschlüssen genießen?

Hengsbach: Ich würde nicht sagen, dass die Politiker ein unmittelbares Interesse daran haben. Sie stehen aber unter einem andauernden subtilen Druck. Ex-Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer sagte über den Standortwettbewerb, dass die millionenfachen Entscheidungen, die in der Finanzwelt täglich getroffen werden, nationale Regierungen sinnvoller und effizienter steuern als die Wahlen alle vier Jahre. Er bringt damit ein Wertesystem auf den Punkt, das überall in der öffentlichen Debatte von den unterschiedlichsten Sprechern vertreten wird. Irgendwann kommen Politiker an den Punkt, das genau so zu glauben oder sich diesem Meinungsdruck zu beugen.
Das Schlimme ist, dass damit ein Rattenrennen entsteht, in dem die Staaten nicht gewinnen können. Was nützt es, wenn Deutschland den Buß- und Bettag kippt, um für gleichen Lohn einen Tag mehr Arbeit zu bekommen, Österreich aber mit einer Feiertagsstreichung antwortet? Das gleiche spielt sich bei Steuersätzen ab.

mm.de: Aber dem Steuerwettbewerb ist kaum zu entkommen.

Hengsbach: Standortentscheidungen sind komplex. Die transnationalen Unternehmen sind nicht so dumm, dabei allein auf die Steuersätze zu schauen. Schließlich wird von Steuergeldern vieles bezahlt, was Standorte attraktiv macht: Infrastruktur, Bildung, etc. Zu beobachten ist Folgendes: Seit über den Steuerwettbewerb geredet wird, ist die Steuerlast in praktisch allen Industriestaaten gestiegen. Sie ist nur innerhalb der Staaten anders verteilt worden, weg von den Unternehmen, hin zu den Bürgern, vor allem denen mit kleinen und mittleren Einkommen. Der Wettbewerbsdiskurs, auf den viele Politiker ihr Handeln gründen, gibt die Realität also verzerrt wieder.

mm.de: Wirtschaftlich orientierte Politiker leiden an Realitätsverlust?

Hengsbach: Es bildet sich ein Riss heraus zwischen den Interessen breiter Bevölkerungsschichten und dem, was politische und wirtschaftliche Eliten für vernünftig halten. Unter diesen Eliten besteht eine viel größere Übereinstimmung, bekräftigt durch entsprechende Expertengutachten und Kommissionsbeschlüsse, als zwischen Politik und Wählern. Da müssen sich die Politiker fragen, ob sie ihre Wählerschaft tatsächlich repräsentieren. Die sinkenden Zustimmungswerte der etablierten Parteien spiegeln das wider, besonders deutlich bei der SPD, die sich als Kleine-Leute-Partei versteht

mm.de: Deshalb der gegenwärtige Erfolg der Linkspartei?

Hengsbach: Ja. Die Menschen wählen Parteien, die mit den bisherigen so genannten Reformen nichts zu tun haben. Oder sie wählen gar nicht.

mm.de: Und das alles, weil Politiker sich in der Wirtschaft engagieren?

Hengsbach: Da besteht kein Kausalzusammenhang. Umgekehrt: dieses Phänomen ist Ausdruck für die zunehmende Überschneidung zwischen den Bereichen Politik und Wirtschaft.

mm.de: Viele der Wirtschafts- und Sozialreformen der vergangenen Jahre waren doch nötig, um das Land langfristig fit zu machen. Weil sie kurzfristig schmerzhaft sind, werden sie vom Wähler abgestraft.

Hengsbach: Wenn es nur so wäre! Diese Politik ist ja nicht neu, sie wird seit fast dreißig Jahren betrieben, getreu den Maximen: "Vertraue auf die Selbstheilungskräfte des Marktes", "der schlanke Staat ist der beste aller möglichen Staaten" und "wenn die Zentralbank die Inflation bekämpft, kommen Wachstum und Beschäftigung automatisch".
Seit Jahrzehnten sind damit Aufschwungversprechen verbunden, die nicht eingelöst werden. Wie lange soll "kurzfristig" denn sein? Wie lange sollen die Leute das glauben? Wie viele Politiker haben die Senkung der Arbeitslosigkeit mit eben diesen Mitteln versprochen? Eine Halbierung in zwei bis drei Jahren, das war die Verheißung der Hartz-Kommission!

mm.de: Es fällt auf, dass Sie die Interessen der Wirtschaft als den sozialen Interessen entgegengesetzt darstellen. So, als ob die Unternehmen prinzipiell gegen die Gesellschaften arbeiten würden, in denen sie existieren. Was ist mit bürgerschaftlichem Engagement aus den Unternehmen?

Hengsbach: Natürlich verlaufen die Fronten nicht so eindeutig, und natürlich stellen sich die Unternehmen auf ihr Umfeld ein. Gerade die großen Konzerne - und nicht nur die - spenden für gute Zwecke oder Kultur, sie bemühen sich um gute Arbeitsbedingungen und die Einhaltung von Umweltstandards. Zumindest in Ländern, wo der politische Druck entsprechend ist. Der kommt aber von außen - im Vordergrund steht meist die Imagepflege. Das heißt: Diese positiven Aspekte werden meist von außen in die Unternehmen getragen.

mm.de: Abgesehen von der Sorge um den guten Ruf - wie soll ein Verständnis für öffentliche Belange besser in Unternehmen und Investmentgesellschaften gelangen als durch Politiker, die dort arbeiten?

Hengsbach: Zunächst die positive Deutung: Dass da, wo personeller Austausch stattfindet, auch Verständnis für die andere Seite entsteht, die dazu beträgt, private und öffentliche Interessen zu versöhnen. Die kritische Deutung ist: Sollte dieser Versuch tatsächlich stattfinden, wird die Politik dabei über den Tisch gezogen - sowohl in Public-Private-Partnerships als auch bei der Netzwerkbildung.

mm.de: Welcher Deutung neigen Sie zu?

Hengsbach: Der zweiten. Die Politiker kommen selten ins operative Geschäft und sie sind Einzelne. Sie haben keinen nennenswerten Einfluss auf die Ausrichtung der Unternehmen.

2. Teil: Wie wirtschaftlich orientierte Politiker unter Realitätsverlust leiden.

mm.de: Zurück zu den Politikern. Macht es einen qualitativen Unterschied, ob sie bei produzierenden Unternehmen mitarbeiten oder bei Heuschrecken?

Hengsbach: Ja, denn der Finanzkapitalismus im Stil vieler Private Equitys ist unreguliert. Hier ist die Politik also im besonderen Maß gefordert. Alle sind sich ja einig, dass diese Spekulationen, sobald sie eine gewisse Größenordnung überschreiten, für ganze Volkswirtschaften riskant sind. Vor solchen Gefahren sollten Politiker ihre Länder schützen. Wenn Sie sich stattdessen für diese Spekulateure engagieren, ist das eine Verkehrung ihres Auftrags.

mm.de: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den personellen Verquickungen und den Steuervorteilen, die Private-Equity-Gesellschaften in Deutschland nach den jüngsten Steuerbeschlüssen genießen?

Hengsbach: Ich würde nicht sagen, dass die Politiker ein unmittelbares Interesse daran haben. Sie stehen aber unter einem andauernden subtilen Druck. Ex-Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer sagte über den Standortwettbewerb, dass die millionenfachen Entscheidungen, die in der Finanzwelt täglich getroffen werden, nationale Regierungen sinnvoller und effizienter steuern als die Wahlen alle vier Jahre. Er bringt damit ein Wertesystem auf den Punkt, das überall in der öffentlichen Debatte von den unterschiedlichsten Sprechern vertreten wird. Irgendwann kommen Politiker an den Punkt, das genau so zu glauben oder sich diesem Meinungsdruck zu beugen.
Das Schlimme ist, dass damit ein Rattenrennen entsteht, in dem die Staaten nicht gewinnen können. Was nützt es, wenn Deutschland den Buß- und Bettag kippt, um für gleichen Lohn einen Tag mehr Arbeit zu bekommen, Österreich aber mit einer Feiertagsstreichung antwortet? Das gleiche spielt sich bei Steuersätzen ab.

mm.de: Aber dem Steuerwettbewerb ist kaum zu entkommen.

Hengsbach: Standortentscheidungen sind komplex. Die transnationalen Unternehmen sind nicht so dumm, dabei allein auf die Steuersätze zu schauen. Schließlich wird von Steuergeldern vieles bezahlt, was Standorte attraktiv macht: Infrastruktur, Bildung, etc. Zu beobachten ist Folgendes: Seit über den Steuerwettbewerb geredet wird, ist die Steuerlast in praktisch allen Industriestaaten gestiegen. Sie ist nur innerhalb der Staaten anders verteilt worden, weg von den Unternehmen, hin zu den Bürgern, vor allem denen mit kleinen und mittleren Einkommen. Der Wettbewerbsdiskurs, auf den viele Politiker ihr Handeln gründen, gibt die Realität also verzerrt wieder.

mm.de: Wirtschaftlich orientierte Politiker leiden an Realitätsverlust?

Hengsbach: Es bildet sich ein Riss heraus zwischen den Interessen breiter Bevölkerungsschichten und dem, was politische und wirtschaftliche Eliten für vernünftig halten. Unter diesen Eliten besteht eine viel größere Übereinstimmung, bekräftigt durch entsprechende Expertengutachten und Kommissionsbeschlüsse, als zwischen Politik und Wählern. Da müssen sich die Politiker fragen, ob sie ihre Wählerschaft tatsächlich repräsentieren. Die sinkenden Zustimmungswerte der etablierten Parteien spiegeln das wider, besonders deutlich bei der SPD, die sich als Kleine-Leute-Partei versteht

mm.de: Deshalb der gegenwärtige Erfolg der Linkspartei?

Hengsbach: Ja. Die Menschen wählen Parteien, die mit den bisherigen so genannten Reformen nichts zu tun haben. Oder sie wählen gar nicht.

mm.de: Und das alles, weil Politiker sich in der Wirtschaft engagieren?

Hengsbach: Da besteht kein Kausalzusammenhang. Umgekehrt: dieses Phänomen ist Ausdruck für die zunehmende Überschneidung zwischen den Bereichen Politik und Wirtschaft.

mm.de: Viele der Wirtschafts- und Sozialreformen der vergangenen Jahre waren doch nötig, um das Land langfristig fit zu machen. Weil sie kurzfristig schmerzhaft sind, werden sie vom Wähler abgestraft.

Hengsbach: Wenn es nur so wäre! Diese Politik ist ja nicht neu, sie wird seit fast dreißig Jahren betrieben, getreu den Maximen: "Vertraue auf die Selbstheilungskräfte des Marktes", "der schlanke Staat ist der beste aller möglichen Staaten" und "wenn die Zentralbank die Inflation bekämpft, kommen Wachstum und Beschäftigung automatisch".
Seit Jahrzehnten sind damit Aufschwungversprechen verbunden, die nicht eingelöst werden. Wie lange soll "kurzfristig" denn sein? Wie lange sollen die Leute das glauben? Wie viele Politiker haben die Senkung der Arbeitslosigkeit mit eben diesen Mitteln versprochen? Eine Halbierung in zwei bis drei Jahren, das war die Verheißung der Hartz-Kommission!

mm.de: Es fällt auf, dass Sie die Interessen der Wirtschaft als den sozialen Interessen entgegengesetzt darstellen. So, als ob die Unternehmen prinzipiell gegen die Gesellschaften arbeiten würden, in denen sie existieren. Was ist mit bürgerschaftlichem Engagement aus den Unternehmen?

Hengsbach: Natürlich verlaufen die Fronten nicht so eindeutig, und natürlich stellen sich die Unternehmen auf ihr Umfeld ein. Gerade die großen Konzerne - und nicht nur die - spenden für gute Zwecke oder Kultur, sie bemühen sich um gute Arbeitsbedingungen und die Einhaltung von Umweltstandards. Zumindest in Ländern, wo der politische Druck entsprechend ist. Der kommt aber von außen - im Vordergrund steht meist die Imagepflege. Das heißt: Diese positiven Aspekte werden meist von außen in die Unternehmen getragen.

Hengsbach: Zunächst die positive Deutung: Dass da, wo personeller Austausch stattfindet, auch Verständnis für die andere Seite entsteht, die dazu beträgt, private und öffentliche Interessen zu versöhnen. Die kritische Deutung ist: Sollte dieser Versuch tatsächlich stattfinden, wird die Politik dabei über den Tisch gezogen - sowohl in Public-Private-Partnerships als auch bei der Netzwerkbildung.

mm.de: Welcher Deutung neigen Sie zu?

Hengsbach: Der zweiten. Die Politiker kommen selten ins operative Geschäft und sie sind Einzelne. Sie haben keinen nennenswerten Einfluss auf die Ausrichtung der Unternehmen.

Das Interview führte Matthias Kaufmann

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