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Netzwerk prangert Steuerflucht an -

Initiatoren aus Gewerkschaft, Kirche und Globalisierungsbewegung sehen Sozialstaat und Demokratie in Gefahr

Zum Kampf gegen das globale Phänomen der Steuerflucht ruft das neue "Netzwerk Steuergerechtigkeit" auf. An der Initiative beteiligen sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Evangelische Kirche und die Anti-Globalisierungsbewegung Attac.

VON MARIO MÜLLER

Frankfurt a.M. · 5. November · "Große Unternehmen und vermögende Privatpersonen entziehen sich zunehmend ihrer Verpflichtung, mit Steuern ihren Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Mit Hilfe der Regierungen verlagern sie die Steuerlast auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie kleine und mittelständische Unternehmen", heißt es in einer Erklärung des Netzwerks. Die Initiatoren befürchten, dass diese Entwicklung den Sozialstaat und die Demokratie gefährden.

Attac-Vertreter Sven Giegold sprach auf einer Veranstaltung in der Frankfurter Weißfrauenkirche, bei der sich das Netzwerk der Öffentlichkeit präsentierte, von einem "beispiellosen Angriff auf die Steuersysteme von Industrie- und Entwicklungsländern". Der internationale Steuerwettbewerb wirke als "Rammbock für den neoliberalen Umbau der Gesellschaft".

Die Steuervermeidung hat der Erklärung zufolge "ungeheure Ausmaße angenommen". Schätzungsweise ein Drittel des globalen Geldvermögens werde im Ausland verwaltet und sei dem Zugriff der nationalen Finanzämter entzogen. Etwa die Hälfte des Welthandels laufe "wohl über Steueroasen". Dorthin verschöben Unternehmen ihre Gewinne, um die Zahlung von Abgaben zu vermeiden. Netzwerke aus Banken, Anwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern schüfen komplexe und undurchsichtige Finanzstrukturen, die Transparenz verminderten und Steuerflucht ermöglichten. Dieses Verhalten sei "ökonomisch ineffizient, sozial destruktiv und zutiefst unethisch".

Brigitte Bertelmann vom Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau wies in diesem Zusammenhang auf die auch hier zu Lande wachsende Kluft bei der Verteilung der Einkommen hin. Die Zahl der in Armut lebenden Menschen wachse ebenso wie die der Reichen. Durch eine Steuerpolitik, die kontinuierlich und gezielt hohe Einkommen und Unternehmensgewinne entlaste, habe der Staat Einnahmeausfälle in hohen Milliardenbeträgen verursacht. Damit verliere er an Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. "Im erklärten Bestreben, den Sozialstaat zukunftsfähig zu machen, wird er systematisch zerstört."

"Wir müssen uns wehren", fordert Hartmut Tofaute, Experte des DGB für Wirtschaftspolitik, und präsentiert ein ganzes Arsenal an Waffen für den Kampf gegen Steuerflucht und Steuervermeidung. Das Bankgeheimnis müsse aufgehoben, die Steuerfahndung verschärft werden. Außerdem fordert der Gewerkschaftsbund den verstärkten und zentral gesteuerten Einsatz von Betriebsprüfern in Unternehmen. Den internationalen Wettlauf, bei dem sich Ländern mit sinkenden Abgaben zu unterbieten versuchen, glaubt der DGB mit einer Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne stoppen zu können. Gut fände es Tofaute auch, wenn sich die Industriestaaten auf einen gegenseitigen Informationsaustausch verständigen könnten oder Nationen mit ähnlichen Problemen, wie Frankreich und Deutschland, gemeinsam agieren würden.

Siehe Kommentar Seite 11 (unten)

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004
Dokument erstellt am 05.11.2004 um 19:48:27 Uhr
Erscheinungsdatum 06.11.2004
 
 

KOMMENTAR

Fluchtgefahr

VON MARIO MÜLLER

"Die Kunst der Besteuerung besteht ganz einfach darin, die Gans so zu rupfen, dass man möglichst viel Federn bei möglichst wenig Geschrei erhält", wusste Jean Baptiste Colbert, Finanzminister des französischen Königs Ludwig XIV.

Die Zeiten haben sich geändert. Die Gans macht ein großes Geschrei, lässt sich aber nicht mehr rupfen. Sie fliegt ganz einfach davon, in die Schweiz etwa oder auf die Bahamas. Zurück bleiben die Spatzen, die umso mehr Federn für den Fiskus lassen müssen, und ein Finanzminister, der mit seiner Kunst am Ende ist.

So kann das nicht weiter gehen, meint eine Koalition aus Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB), Evangelischer Kirche und der Anti-Globalisierungsbewegung Attac. Das Trio hat deshalb ein "Netzwerk Steuergerechtigkeit" mit dem Ziel gegründet, die Auszehrung der öffentlichen Haushalte sowie die Umverteilung von unten nach oben zu stoppen und auf diese Weise den Sozialstaat zu retten.

Der Initiative kann man nur Erfolg wünschen. Die Chuzpe, mit der sich Konzerne und wohlhabende Privatleute vor Abgaben drücken, ist unerträglich. Ihr Verhalten verursacht gewaltige ökonomische und gesellschaftliche Schäden. Heerscharen von Steuerexperten sind mit nichts anderem beschäftigt, als neue Schlupflöcher aufzuspüren - eine ungeheure Verschwendung menschlicher Ressourcen.

Dagegen anzukämpfen, wird nicht einfach sein. Die Steuerflüchtlinge und -vermeider können sich in einer globalisierten Welt nur allzu leicht dem Zugriff nationaler Behörden entziehen.

Umso mehr kommt es darauf an, das öffentliche Bewusstsein zu schärfen, dass es sich bei den Absetzbewegungen nicht um clevere Schachzüge handelt, sondern um Aktionen, die auf Kosten anderer gehen. Die Erfolge bei der Bekämpfung der Korruption machen Hoffnung, dass dies gelingt.

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Dokument erstellt am 05.11.2004 um 19:48:11 Uhr
Erscheinungsdatum 06.11.2004