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"Schüler und Lehrer brauchen mehr Zeit für Bildung"-

GEW-Vorsitzender Jochen Nagel warnt vor Privatisierung der Lehrerfortbildung / Schlechte Arbeitsbedingungen als Hemmschuh für Qualität

Bessere Lehrer machen besseren Unterricht - nach diesem Motto will die hessische Landesregierung per Gesetz die Ausbildung von Lehrern reformieren. Papier ist geduldig, sagt GEW-Chef Jochen Nagel - und fordert eine bessere Ausstattung von Schulen und Hochschulen ein.

Interview

Jochen Nagel ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen. Die GEW ist die bei weitem größte Lehrerorganisation in Hessen und vertritt rund 22 000 der mehr als 50 000 Lehrer und Lehrerinnen. Mit Nagel sprach FR-Redakteur Peter Hanack.

Frankfurter Rundschau: Im Jahr 2010 kommen aller Voraussicht nach die ersten Lehrer und Lehrerinnen an die Schulen, die nach dem reformierten Bildungsgesetz studiert und ihr Referendariat absolviert haben. Was können diese Super-Pädagogen dann besser als die heutigen Lehrer?

Jochen Nagel: Es ist doch eine Illusion zu glauben, es werde alles gut, wenn man bloß die Ausbildung verändert.

Die Ausbildung der Lehrer soll stärker an den Bedürfnissen der Schule, der Schüler und Schülerinnen ausgerichtet werden. Das klingt vernünftig.

Es wäre ein Offenbarungseid von Kultusministerin Karin Wolff (CDU, die Red.), die seit fünf Jahren im Amt ist, wenn sie nun behauptete, die Ausbildung von Lehrern orientiere sich nicht auch schon jetzt an den Bedürfnissen von Schule. Es ist aber sicher wichtig und richtig, die Kompetenzen von Lehrkräften zur Vermittlung von Wissen zu stärken, Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, selbständig zu arbeiten und sich auch selbst Wissen anzueignen. Lehrkräfte müssen intensiver dafür qualifiziert werden, Stärken und Schwächen von Schülerinnen und Schülern zu erkennen, sie brauchen im Bildungsprozess dann aber auch die Zeit, um diese zu beraten. Diese Fähigkeiten und Möglichkeiten brauchen Lehrkräfte unabhängig vom jeweiligen Fach. Wenn jetzt jede Grundschullehrkraft Deutsch und Mathematik studieren soll, sieht man aber, dass Ministerin Wolff einen sehr fachbezogenen und weniger einen kompetenzorientierten Bildungsbegriff hat.

Didaktik und Erziehungswissenschaften sollen im Studium eine größere Rolle spielen. Da wirkt der Gesetzentwurf doch ganz in Ihrem Sinne.

Mal sehen, ob das Gesetz wirklich Didaktiken und Erziehungswissenschaften im Studium quantitativ stärkt. Immerhin soll endlich dafür Sorge getragen werden, dass Didaktiken und Erziehungswissenschaften auch tatsächlich vermittelt werden, die bislang an einzelnen Universitäten häufig ein Stiefkind sind. Dass es zudem Zentren für Lehrerbildung als Studienbereiche geben soll, ist gut. Wichtig ist, diese Zentren zu einem Machtfaktor an den Hochschulen werden zu lassen, dass sie Einfluss haben auf die Verteilung der Mittel und den Einsatz von Personal. Ich habe aber Zweifel, ob kurzfristig genügend qualifiziertes Personal für die Didaktik zur Verfügung stehen wird. Bisher war das kein Feld, auf dem sich viele Professoren zu profilieren suchten.

Was müsste in Studium und Referendariat noch geschehen, um zu besseren Ergebnissen bei der Lehrerausbildung zu kommen?

Die Bedingungen an den Universitäten müssen verändert werden. Überfüllte Hörsäle und Seminare, teils unbetreute Praktika während des Studiums und ein Referendariat, bei dem die Deckung des schulischen Unterrichtsbedarfs immer mehr die Oberhand gewinnt - dies alles sind die wesentlichen Faktoren dafür, wenn Ausbildung nicht so gut ist wie sie sein könnte.

Sie blicken sehr skeptisch auf diese geplante Ausbildungs-Reform, die doch den Unterricht an Hessens Schulen besser machen soll.

Papier ist geduldig. Meine Wahrnehmung der Wirklichkeit ist eine andere. Schon heute können die Praktika der Lehramtsstudenten nicht ausreichend betreut werden. Jetzt sollen die Praktika ausgeweitet werden, was sicher richtig ist, aber es ist alles andere als klar, woher dafür das Personal an den Hochschulen kommen soll, wenn soeben erst der Hochschuletat gekürzt wurde. Gleichzeitig zur Vorlage des Gesetzentwurfs hat die Kultusministerin ihre Absicht kund getan, die Anrechnung des Unterrichts von Referendarinnen und Referendare auf den Bedarf an den Schulen um mehr als 50 Prozent zu erhöhen. Bei Schulen, die fünf bis sechs Referendare ausbilden, bedeutet das den Verlust einer halben Lehrerstelle. Das konterkariert doch die an sich wirklich notwendigen Bemühungen um mehr Qualität.

Viele der heutigen Lehrerinnen und Lehrer wären vielleicht nicht an der Schule gelandet, wenn sie schon zu Beginn ihres Studiums gewusst hätten, was in diesem Beruf auf sie zukommt. Mehr Praxis zu einem frühen Zeitpunkt im Studium kann dazu beitragen, dass nur jene an den Schulen ankommen, die für das Lehrer-Dasein auch geeignet sind.

Sicher ist das gut, Menschen frühzeitig davon abzuhalten, Lehrerin oder Lehrer zu werden, wenn sie für diesen Beruf nicht geeignet sind. Wichtiger als ständige Prüfungen im Studium wäre da allerdings eine intensive Beratung der Lehramtsstudierenden. Dafür aber braucht es wieder mehr Personal, und das ist nicht da. Und wie gewinnen wir denn aber überhaupt jene Leute, die wir an den Schulen haben wollen? Kann man denn heute einem jungen Menschen guten Gewissens zuraten, Lehrerin oder Lehrer zu werden - wenn er dort nicht die Bedingungen vorfindet, die er braucht, um seine Vorstellungen von Lehren und Lernen auch umzusetzen? Die Pflichtstundenzahl steigt, die Klassen werden größer, und statt eines Bildungssystems wird die Schule immer mehr zu einem Auslesesystem. Das zeigen auch die beabsichtigten Änderungen im Schulgesetz wie die Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre bis zum Abitur oder die Möglichkeit der Querversetzung bis Klasse 8. Man muss Lehrkräften und damit den Schülerinnen und Schülern mehr Zeit für Bildung geben. Durch kleine Lerngruppen, eine Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung auf höchstens 25 Stunden in der Woche. Das sind entscheidende Stellschrauben für die Qualität des Systems Schule. Und wir brauchen besser ausgestattete Schulen. Sehen Sie sich doch die Schulgebäude an. Wenn das Betriebe wären, würde man einige aus hygienischen oder arbeitsmedizinischen Gründen schließen müssen. Aber Kinder sollen dort lernen.

Reformiert werden soll auch die Fortbildung der Lehrer. Unter anderem wird die Pflicht der Lehrer festgeschrieben, sich nicht auf dem Status Quo auszuruhen. Waren Lehrer bislang nicht eifrig genug beim Lernen?

Bereits heute stellen Lehrerinnen und Lehrer mehr Anträge auf Fortbildung, als es Angebote gibt. Nun wird im Gesetzentwurf das Recht auf Fortbildung aufgehoben und durch die Betonung der bereits vorhandenen Verpflichtung so getan, als seien die Lehrkräfte an dieser Misere schuld. In Zukunft müssen Lehrerinnen und Lehrer dann wohl auf private Angebote ausweichen, die ja zu Lasten des staatlichen Anteils ausgebaut werden sollen. Das aber wird den einzelnen mehr Geld kosten und läuft auf eine weitere, diesmal versteckte Gehaltskürzung hinaus.

Der Fortbildungauftrag ist doch sehr vernünftig - die Kinder ändern sich, die Welt und das Wissen darum eben auch.

Keine Lehrkraft ist mit Ende des Studiums fertig, das ist klar. Es braucht also eine kontinuierliche Fortbildung, das darf aber nicht auf Kosten der einzelnen Lehrkraft geschehen. Fakt ist, dass die Landesregierung seit Jahren die bewährten Angebote des Landesinstituts für Pädagogik, des HeLP, regelrecht kaputt saniert. An deren Stelle sollen jetzt zunehmend private Träger ins Spiel gebracht werden.

Was wäre an privaten Trägern auszusetzen?

Der kontinuierliche Rückzug des Staates aus der Fortbildung und die zunehmende Verlagerung auf private Träger ist meines Erachtens mit dem staatlichen Bildungsauftrag und dem Neutralitätsgebot nicht vereinbar. Wenn beispielsweise Unternehmen Fortbildungen anbieten dürfen, ist es vielleicht in deren Sinne, ein sehr einseitiges Bild von Ökonomie zu vermitteln und Lehrkräfte dazu als Multiplikatoren zu nutzen.

Kultusministerin Wolff strebt an, Fortbildungen in die unterrichtsfreie Zeit zu legen, damit kein Unterricht ausfallen muss.

Vielleicht fällt dann kein Unterricht aus, dafür aber die Vor- und Nachbereitungen und andere unterrichtsbegleitende Tätigkeiten, die an den Nachmittagen stattfinden. Gleichzeitig hat Frau Wolff ja auch die Unterrichtsverpflichtung erhöht, das verschärft die Situation erheblich und wird die Unterrichtqualität sicher nicht verbessern.

Bleiben noch die Ferien.

Da machen Lehrerinnen und Lehrer ja auch etwas, was mit Schule zu tun hat, zum Beispiel organisieren sie die Jahresvorbereitung. Und versuchen Sie mal, die Fortbildung für 50 000 Lehrkräfte in den Ferien zu organisieren. Bei nur zwei Fortbildungstagen im Jahr und durchschnittlich 15 Teilnehmern benötigen sie dazu rund 7000 Fortbildungsveranstaltungen. Das geht doch gar nicht. Zwei Tage sind da noch viel zu wenig, man braucht sicher fünf Tage im Jahr.

Was also tun?

Die materielle Situation muss verbessert werden. Ein schlanker Staat, der an allen Ecken und Enden spart, macht die Qualität kaputt. Es geht dann irgendwann nur noch darum, irgendwelche Statistiken zu erfüllen. Auf diesem Weg sind wir. Da kann man mit einem Lehrerbildungsgesetz die Hoffnung auf bessere Lehrkräfte irgendwo an den Horizont malen - man darf sich aber nicht darum herum mogeln, dass die Arbeitsbedingungen heute so sind, dass die Qualität massiv angegriffen ist.

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004
Dokument erstellt am 21.02.2004 um 00:02:35 Uhr
Erscheinungsdatum 21.02.2004 | Ausgabe: S | Seite: 35