Zurueck zur Vorseite
Zurueck zur Homepage

Oberhessische Zeitung (Alsfeld) vom 09.09.2003

Leserbrief

„Bedenkliche Geschäfte"

Betrifft: Scheitern des Sale-and-lease-back-Geschäfts, OZ vom 1. und 4. September

Während einerseits privater Reichtum in Händen Weniger in Deutschland Schwindel erregende Dimensionen angenommen hat, steht dem-andererseits eine riesige Schuldenlast des öffentlichen Gesamthaushaltes gegenüber. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes betrug sie für das Jahr 2002 rund 1,254 Billionen Euro. Auf die Länder entfielen danach 385 Milliarden Euro, auf das Land Hessen allein über 33 Milliarden Euro. Steuerentziehung (eine Form der legalen Asozialität) und Steuerhinterziehung (eine Form strafbewehrter Asozialität) tragen erheblich zu unzureichenden Steuereinnahmen des Staates bei und fuhren, damit die öffentliche Hand überhaupt noch ihre Aufgabenerfüllen kann, zu immer höherer Staatsverschuldung. Möglich wird Steuerentziehung durch unser für die große Masse der Steuerpflichtigen unverständliches Steuersystem, das politisch und ökonomisch insofern undemokratisch ist, weil der Anreiz zum Finden und Ausnutzen steuersparender Schlupflöcher um so einfacher wird, je besser die Kenntnisse des Steuerpflichtigen,(und/oder seiner Berater) und je höher die zu versteuernden Einkommen werden.

Trotz dieses Hintergrundes hätten der Landrat Rudolf Marx und seine Mehrheit williger Adlaten im Kreistag von CDU, FWG und FDP (wie vier weitere Landkreise auch) einem reichen Investor die Möglichkeit gegeben, über ein skandalöses Sale-and-lease-back-Geschäft den Ländern eine hohe Summe an Erbschafts-, Schenkung- und Erbersatzsteuern «u entziehen. Über die genaue Summe kann hier nur spekuliert werden - sie hätte bei einer Gesamtinvestition von rund 900 Millionen Euro garantiert ein Vielfaches des sogenannten Barwertvorteils von 22 Millionen Euro für die Kreise betragen. Hier muss daraufhingewiesen werden, dass bei normaler Versteuerung sehr wohl dem Land Hessen im Rahmen des horizontalen Finanzausgleichs ein Anteil der Steuern zugekommen wäre, wenn auch der Investor seinen Sitz in NRW hat. Die von der Kreis-FWG dazu gemachten Angaben sind schlicht falsch.

Das Jammern der Verantwortlichen im Kreis über das Scheitern des Deals und die Behauptung, die Gegner dieses Geschäfts hätten dem Kreis Schaden zugefügt, belegen einmal mehr ein riesiges Defizit dieses Landrates und seiner Adlaten an Gesamtverantwortung für die Finanzsituation der öffentlichen Hand. Solch bedenkliche Geschäfte, bei denen öffentliches Eigentum zur Manipulitionsmasse wird, um reichen Investoren die Steuerentziehung zu ermöglichen, können nur als ungeeigneter Versuch, dem Finanzkollaps zu entkommen, betrachtet werden und konterkarie-ren jegliche Anstrengungen, die öffentlichen Kassen in Ordnung zu bringen.

Den Ärger hätten sich die Kreisverantwortlichen ersparen können, hätten sie im Vorfeld des Deals gründlicher recherchiert und nicht nur auf die Experten von Helaba und Hannover Leasing gesetzt, dann wäre ihnen nämlich ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 24. Juni 1987 nicht verborgen geblieben, das bundeseinheitlich für die Finanzämter regelt, keine verbindlichen Auskünfte in Angelegenheiten zu erteilen, „bei denen die Erzielung eines Steuervorteils im Vordergrund steht (z.B. Prüfung von Steuersparmodellen ...)•"

Dass der besonders von ATTAC Alsfeld artikulierte Protest gegen diesen Deal und die verweigerte Zusage eines Steuervorteils durch die Oberfinanzdirektion den vermögenden Investor so verschreckt haben, dass er nun sein Geld in Hollywood-Geschäfte einbringen will, beweist einmal mehr - Art. 14 GG hin oder her - dass er nicht gewillt ist, sein Geldvermögen normal zu versteuern, und es höchste Zeit ist, dass der Gesetzgeber alle nationalen und internationalen Steuerschlupflöcher schließt.

Ich hoffe allerdings, dass die Gegner des nun" geplatzen Sale-and-lease-back-Deals nicht eines Tages auch noch für evtl. miserable Hollywood-Produkte verantwortlich gemacht werden.

Vielleicht ist die Trauer über das Scheitern des Geschäfts bei den Kreisverantwortlichen auch so groß, weil eventuell zu besetzende Posten mit finanzieller Entschädigung in einem Beirat nicht verfügbar sein werden.

Hans-Georg Bodien, Grebenau, Mitglied bei ATTAC Alsfeld