Zurueck zur Homepage
Zurueck zur Vorseite

http://www3.ndr.de/ndrtv_pages_std/0,3147,OID3852534_REF2488,00.html

Zapp

Kontroverse Debatte - Die Grimme-Preisträger und ihre Kritiker

Adolf Grimme war ein Mann mit Mut. Unerschrocken engagierte er sich für die "Freiheit des Wortes" - ob im Widerstand gegen das NS-Regimes oder später als erster Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks. Mit dem nach ihm benannten Fernsehpreis des Deutschen Volkshochschul-Verbandes sollen deshalb Sendungen und Filme gewürdigt werden, die im Sinne Adolf Grimmes vorbildlich sind. Doch wurde die Grimme-Jury bei ihren Entscheidungen für das Fernsehjahr 2006 ihren eigenen Kriterien gerecht? Nicht in allen Fällen - das zumindest behaupten einige Experten und auch Jury-Mitglieder. Am Freitag werden die Preise in Marl überreicht. Zapp über die Kontroverse um einen der begehrtesten Fernsehpreise.

Immer Dienstags auf "ProSieben" - ein zur Fernsehshow gewordenes Brettspiel: "Extreme Activity". Christoph Amend, Redakteur "Die Zeit": "Es ist offenbar ein neues Format. Wobei ich, als ich es das erste Mal gesehen habe wirklich gedacht habe: Okay, man nimmt die Montagsmaler aus den frühen achtziger Jahren mit Siggi Harreis und tunet es auf "ProSieben". Also, ganz innovativ finde ich es nicht." Jana Hensel, Jury-Mitglied Grimme-Preis: "Da hat dann Verona Feldbusch vorher ein bisschen Lachgas eingeatmet und hat dann eben mit Lachgas geantwortet. Das war ganz witzig, ich habe mich dabei auch amüsiert. Aber einen Preis, finde ich, hat es nicht verdient." Doch jetzt gibt’s einen Preis - den Grimme-Preis. Begründung: Das Ganze sei "höchst vergnüglich", "äußerst einfallsreich und originell". Und: Die Spielshow verbünde sich mit der Intelligenz ihrer Zuschauer. So etwas imponiert der Grimme-Jury. Uwe Kammann, Direktor Adolf Grimme Institut: "Man muss sagen ist das in sich eine gelungene, handwerklich gut gemachte und mit einem Pfiff sozusagen zusätzlich veredelte Sendung. Und das finde ich kann man hier wohl drin sehen, und die Mehrheit hat es ja auch so gesehen." Christoph Amend: "Ich habe mich auch gewundert. Ich glaube, Jürgen von der Lippe hat sich wahrscheinlich mitgewundert, dass er diesen Preis jetzt bekommen hat für diese Sendung. Es ist Montagsmaler auf Speed. Ich weiß nicht, warum das ein Grimme-Preis sein sollte." Jana Hensel: "Das sind schon elementare Dinge, die Extreme Activity fehlen, und dafür das es den Grimme-Preis bekommen kann. Das ist eben der Anspruch. Mir fehlt da der Anspruch, mir fehlt da die Innovation - es kann einem dabei auch die Kreation fehlen, die Kreativität."

Gute Unterhaltung?

Die Mehrheit ihrer Jury-Kollegen sieht das anders. Für sie ist "Extreme Activity" moderne, "gute Unterhaltung" - und besser als alle anderen Unterhaltungsformate. Uwe Kammann: "Wir nehmen das Programm so wie es ist und versuchen da das zu finden, was, wie es in den Statuten heißt, eben vorbildhaft ist für die Fernsehpraxis. Und das kann man bei den Privaten genauso gut zu finden sein, wie bei denen, die längst etabliert sind." Jana Hensel: "Anspruchsvolle Unterhaltung findet im Privatfernsehen, glaube ich, nicht statt. Und gleichzeitig ist anspruchsvolles Fernsehen da, wo es stattfindet, also auf 3Sat oder auf Arte, auch auf eine Art wahnsinnig langweilig geworden in den letzten Jahren. Da, finde ich, tut sich zu wenig." Anspruch aufzuspüren und zu fördern, das hat sich Grimme eigentlich zum Ziel gesetzt. Und deshalb in diesem Jahr zum ersten Mal Grimme-Preise auch für Unterhaltungs-Sendungen verliehen. Jana Hensel: "Die Jury im ersten Jahrgang ist an dieser Aufgabenstellung meiner Meinung nach gescheitert. Wir sind in die Falle getappt und haben ein Format ausgezeichnet, was eben unterhält, unterhält, unterhält, und den Anspruch dabei vergisst oder keine Lust hat, kein Interesse am Anspruch hat.

Neu Ansprüche

Nach den Kategorien muss man in den nächsten Jahren suchen. Das ist die Aufgabe der Jurys in den nächsten Jahren." Uwe Kamann: "Das ist ja immer ein nicht zu Ende geführter Prozess. Das ist immer wieder neu, was man mit einem Preis auch erfindet, was man selbst an Kategorien, an begleitenden Kategorien, für besonders wertvoll erachtet. Also, insofern kann ich nicht sagen, das ist jetzt mit einem Male die Enddefinition von Unterhaltung - es ist eben jeweils wieder neu." Längst etabliert sind die Maßstäbe für einen Grimme-Preis im Informationsbereich. Unabhängig von Quotenerfolgen wird hier Qualitätsjournalismus prämiert.

Kategorie Information

In diesem Jahr entschied sich die Jury auch für Beiträge von "Monitor". Die Autoren hatten bezahlten Lobbyisten in verschiedenen Bundesministerien nachgespürt. Ausschnitt "Monitor" vom 19.10.2006: "Nur Einzelfälle? Keineswegs! Was bislang kaum einer wusste: Die Bezahlung durch die Industrie hat System. Monitor kennt über 30 Beispiele dieser Art aus den vergangenen vier Jahren." Bei "Monitor" freut man sich über die Auszeichnung - betrachtet sie als Unterstützung für anspruchsvollen Journalismus genau zum richtigen Zeitpunkt. Markus Schmidt, "Monitor": "Man muss es vor dem Hintergrund sehen: Die Magazine, Politmagazine, sind gerade um eine Viertelstunde gekürzt worden in einer Programmreform, deren Erfolg zumindest umstritten ist. Und, ich glaube, da geht es den Juroren durchaus darum auch ein ganz klares Signal zu setzen: Leute, ihr spart an der falschen Stelle. Ihr beschränkt diese Form von Journalismus, die im besten Sinne aufklären will."

Kritik an der ARD-Programmpolitik?

Ein Grimme-Preis als Protest gegen die ARD-Programmpolitik, das fände nicht nur "Monitor" toll. Doch die Grimme-Jury liefert leider eine andere Begründung. Uwe Kammann: "In diesem Falle hat es ein Team geschafft einen Vorgang, der den meisten nicht bekannt war und der gar nicht so einfach ist nach außen darzustellen war, ans Tageslicht zu bringen." Der Preis also für eine "Enthüllung".

Darüber wundern sich viele, denn über Lobbyisten, die in Ministerien arbeiten, wurde schon berichtet - vor drei Jahren zum Beispiel auch bei "Report Mainz". Ausschnitt "Report Mainz", vom 06.10.2003: "Report-Recherchen haben ergeben, dass die Investment-Branche an diesem Gesetzentwurf selbst mitgeschrieben hat - unter der gütigen Aufsicht des Finanzministeriums." Autor des Beitrags: Gottlob Schober. Birgitta Weber, Leiterin "Report Mainz": "Er hat damals einen Tipp bekommen, und wir konnten nach einer breit angelegten und intensiven Recherche dann im Oktober 2003 über Lobbyismus im Finanzministerium berichten." Und die Verantwortlichen wurden von "Report Mainz" mit den Recherchen konfrontiert. Ausschnitt "Report Mainz" von 06.10.2003, Reporter: "Also, Ihre Mitarbeiterin wurde ins BMF abgeordnet, hatte im Finanzministerium in Berlin eigenes Büro, das Gehalt von ihr wurde aber von Ihnen weiter bezahlt?" "Das ist richtig. Wir haben das Gehalt weiterhin bezahlt. Die Mitarbeiterin hatte ein Büro im zuständigen Apparat in Berlin."

Birgitta Weber: "Der damalige haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Dietrich Austermann, hat eine Parlamentarische Anfrage gestellt, direkt nach Ausstrahlung des Berichts bei "Report Mainz". Und die hat hohe Wellen geschlagen, darüber ist berichtet worden u.a. im "Spiegel" und in der "Financial Times", und in vielen anderen Presseorganen." Kim Otto, "Monitor": "Der "Report Mainz"-Beitrag war ganz toll damals, erklärt aber nur ein Fallbeispiel. Ein Fall, wo Mitarbeiter im Bundesfinanzministerium von Banken drinsaßen, und dort aber an einem Gesetz mitgeschrieben haben. Erklärt aber nicht die Dimension, das inzwischen 120 Unternehmen dort drinsitzen und an unterschiedlichsten Gesetzgebungsprozessen mitarbeiten. Trotz allem war der Beitrag lobenswert von "Report Mainz".

"Diener zweier Herren"

Lobenswert auch sicher, dass sich weitere Journalisten mit dem schwierigen Lobbyismus beschäftigen und die unheimliche Macht der "Strippenzieher" dokumentieren. Und auch Abgeordnete, wenn auch nur wenige, haben Anfragen im Bundestag gestellt. Über eine davon hat der "Spiegel" im Juli vergangenen Jahres unter dem Titel "Diener zweier Herren" berichtet. Initiator dieses Mal: Die Bundestagsfraktion der Linken. Hendrik Thalheim, Fraktionspressesprecher Die Linken: "Danach gab es vielfältige Kontakte, wir haben sehr viele Informationen ausgetauscht, "Monitor" hat, die Redaktion hat sehr viele Informationen auch von uns bekommen. Auch von anderen Fraktionen, und auch natürlich selber recherchiert." Kim Otto: "Das ist jetzt nicht eine typische Geschichte, wo man einen Insider hat, sondern wo man selbst so vierzehn Wochen dran sitzt, viel telefoniert und viele Quellen auch neu auftut und anfragt. Aber auch öffentliche Quellen, wie meinetwegen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages."

Preiswürdige Recherche

Herausgekommen ist eine bemerkenswerte und sicherlich auch preiswürdige "Monitor"-Recherche. Die Autoren hatten auf jeden Fall besser recherchiert als die Grimme-Jury für ihre Begründung. Uwe Kammann: "Ich würde das nicht ausspielen gegen anderes und sagen: Hat’s vielleicht auch schon mal gegeben, es war so. Übrigens kann es natürlich immer passieren, dass auch eine Nominierungskommission, die sich ja mit 400 Sendungen dann zu befassen hat, wenn es um Information geht beispielsweise, so etwas übersieht." Am Freitag werden hier in Marl die Preise überreicht. Und alle werden über Qualität im Fernsehen diskutieren und über die Bedeutung von Recherche. Markus Schmidt: "Es ist ein Preis für uns alle, für alle Indianer, die diesen Job machen, wühlen, irgendwas ausgraben und auf den Sender bringen."


Sendetermin
Mittwoch, 23.00 - 23.30 Uhr

Wiederholung
NDR Fernsehen
Freitag, 7.00 Uhr

3sat
Freitag, 15.30 Uhr

EinsExtra
Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, 0.20 Uhr
Donnerstag, 16.30 Uhr
Nacht von Freitag auf Samstag, 2.25 Uhr

EinsFestival
Nacht von Donnerstag auf Freitag, 4.00 Uhr
Freitag, 23.45 Uhr
Nacht von Freitag auf Samstag, 3.30 Uhr