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DER SPIEGEL vom 11.06.2007, Seiten 48 bis 50 (gescannt)
KOMMUNEN
Profis an der Spitze
Jahrelang galt die Privatisierung
städtischer Aufgaben als Rezept zur Sanierung öffentlicher
Haushalte, Viele Bürgermeister steuern jetzt um: Neue kommunale
Firmen kümmern sich oft besser und billiger um Energie oder
Müllabfuhr.
Mit Spott und Häme über das Leistungsvermögen
öffentlicher Verwaltungen ist Roland Schäfer bestens
vertraut. Der amtierende Präsident des Deutschen Städte- und
Gemeindebunds hält auf seiner Homepage eine umfassende Sammlung
von Beamtenwitzen bereit.
Dennoch ist Schäfer, 57, im Hauptberuf Bürgermeister von
Bergkamen, fest davon überzeugt, dass mit Angehörigen des
Öffentlichen Dienstes nicht nur recht erfolgreich Staat zu machen
ist, sondern auch Wirtschaft. Seit Mitte 2006 lässt er in seiner
52 ooo-Einwohner-Stadt im Ruhrgebiet die Mülltonnen nicht mehr von
einer Privatfirma leeren - den Job macht die Stadt jetzt selbst, mit
einem eigenen Betrieb, mit eigenen Angestellten und Arbeitern.
Und obwohl das kommunale Unternehmen zunächst rund 1,6 Millionen
Euro in neue Fahrzeuge und Logistik investieren musste, sanken die
Kosten für die Abfallsammlung nach Auskunft des
Bürgermeisters seither um 30 Prozent - und die Bürger freuten
sich über zwei Gebührensenkungen in Folge; „Das war die beste
Investition, die die Stadt je gemacht hat", meint Schäfer.
Eine totgeglaubte Sparte der Ökonomie erlebt eine
überraschende Renaissance: die Kommunalwirtschaft. Während
Bund und Länder dabei sind, von Universitätskliniken bis zur
Flugsicherung fast alles zu privatisieren, entdecken Städte und
Landkreise, dass es manchmal besser ist, die Dinge wieder selbst in die
Hand zu nehmen. Erstaunt stellen Landräte und Bürgermeister
in allen Teilen der Republik fest, dass in öffentlicher Regie
effiziente Firmenstrukturen geschaffen werden können, dass solche
Betriebe die Bürger oft billiger und besser bedienen. Die
Gebühren und Einnahmen bleiben dann vor Ort und werden nicht als
Gewinn an ferne Konzernzentralen überwiesen.
„Wir spüren einen deutlichen Trend, privatisierte öffentliche
Aufgaben wieder zu rekommunalisieren", sagt Bernd Klinkhammer von der
Wormser Beratungsfirma Ökon, die sich auf Kommunalfirmen
spezialisiert hat. Geht es etwa um Abfall und Energie, steige das
Interesse der Kommunen, durch volkseigene Betriebe wieder selbst das
Geschäft zu machen. Denn gerade in diesen Branchen konnten
Großunternehmen oft monopolartige Strukturen nutzen, um
beträchtliche Gewinne abzuschöpfen.
Klinkhammer hat die Stadt Ludwigshafen bei der Rekommunalisierung der
Altpapiersammlung beraten, ebenso den Rhein-Hunsrück-Kreis. Der
südlich von Koblenz gelegene Landkreis hat die ehemals private
Müllabfuhr zum 1. Januar 2006 übernommen - und schon im
ersten Betriebsjahr rund eine Million Euro eingespart. Dadurch habe man
nicht nur eine drohende Gebührenerhöhung von rund 15 Prozent
vermeiden, können, die Gebühren wurden zu Beginn dieses
Jahres sogar um 4 Prozent gesenkt - „trotz Mehrwertsteuererhöhung.
Energiepreisverteuerung und allgemeiner Preissteigerung", sagt Landrat
Bertram Heck.
Auch im niedersächsischen Landkreis Lüneburg leert nun die
kommunale Gesellschaft für Abfallwirtschaft nach 14 Jahren
privatwirtschaftlieh organisierter Müllabfuhr die Tonnen - das
Kommunalunternehmen war beim Preisvergleich um ein Fünftel
günstiger als der bisherige private Anbieter. Der Landkreis Regen
im Bayerischen Wald will im kommenden Jahr den Job des bisherigen
privaten Entsorgers an den kommunalen Zweckverband Donau-Wald
übergeben.
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Verdoppelter Umsatz, wachsender
Gewinn - frei günstigen Preisen für die Verbraucher (Bild)
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Seit Anfang dieses Jahres bewerkstelligt auch im südbayerischen
Kreis Miesbach eine Kommunalgesellschaft die Müllentsorgung.
Mitunter ist es die nackte Not, die Kommunalpolitiker treibt: Im
brandenburgischen Kreis Uckermark, einer von hoher Arbeitslosigkeit
gebeutelten Gegend an der polnischen Grenze, hatte eineinhalb
Jahrzehnte lang ein westdeutsches Unternehmen den Müll
weggeschafft -allerdings zu Preisen, die der darbende Landkreis mit
seinen rund 30000 Hartz-IV-Empfängern nicht mehr akzeptieren
wollte. Nachdem auch bei einer Öffentlichen Ausschreibung nur
unbefriedigende Angebote aus der Wirtschaft kamen, „haben wir uns
entschlossen, selbst zu Unternehmern zu werden", sagt Landrat Klemens
Schmitz.
Mit dem Ergebnis sei er bisher „sehr zufrieden": Die Abfallentsorgung
sei im Vergleich zu früher rund eine Million Euro pro Jahr
billiger geworden. Zudem könne der Kreis den Müllwerkern der
kommunalen Uckermärklschen Dienstleistungsgesellschaft ein
auskömmliches Tarifgehalt zahlen. Von den privaten Entsorgern, die
sich auf die Ausschreibung beworben haben, hätten einige ihren
Beschäftigten so wenig bezahlt, dass diese Leute vermutlich kaum
ohne Lohnzuschüsse nach den Hartz-Regelungen ausgekommen
wären: „Dann hätten wir als Kommune doppelt zahlen
müssen", so Schmitz.
Die private Entsorgungswirtschaft sieht den Trend
verständlicherweise mit größter Sorge:
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CDU-Politiker Riittgers, Rhiel: Zwang
zur Geldverschwendung (Bild)
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Für die Unternehmen werde die Luft immer dünner, klagt der
Branchenverband BDE und wirft den Kommunen vor, häufig durch
Aufträge an ihre eigenen Betriebe öffentliche Ausschreibungen
vermeiden zu wollen.
Einige Kommunen haben jedoch nur Konsequenzen aus schlechten
Erfahrungen mit Privaten wie der rheinischen Müllfirma Trienekens
gezogen. So herrschten etwa im Rhein-Sieg-Kreis mit seinen 600000
Einwohnern über Jahre Misswirtschaft und Korruption. Der
Köhler Müllskandal reichte bis in den
nordrhein-westfälischen Landkreis, der dortige
Müllabfuhr-Chef wanderte wegen seiner Verstrickung in die
Machenschaften für sechs Jahre in Haft.
„Durch den Skandal sind der Politik die Augen aufgegangen", sagt die
neue Geschäftsführerin der
Rhein-Sieg-Abfallwirtschaftsgesellschaft Ludgera Decking.
Nach Deckings Berechnungen sollten sich mit ihrem Kommunalunternehmen
allein in den Jahren 2007 bis 2009 insgesamt über 26 Millionen
Euro sparen lassen. Seit dem 2. Januar, 6 Uhr morgens, fahren 35
fabrikneue Müllfahrzeuge mit grünem Logo auf weißern
Grund auf den rechtsrheinischen Straßen des Kreises. Die meisten
der rund 115 Mitarbeiter hat die kommunale Managerin von der privaten
Firma übernommen. Decking: „Für viele ist Privatisierung eine
Glaubensfrage, aber für mich ist es nur eine unternehmerische
Entscheidung im Einzelfall."
Auch der Städte- und Gemeindebund-Chef Schäfer sieht sich
nicht als Privatisierungsgegner, sondern als Rechner: „Wenn es wirklich
günstiger ist, Leistungen von Privaten machen zu lassen, dann
sollte man das auch tun", meint er. So lässt seine Stadt Bergkamen
die Reinigung der kommunalen Gebäude vollständig von
Privatfirmen erledigen. „Kommunal vor privat ist als
allgemeingültiges Patentrezept genauso wenig sinnvoll wie das
marktradikale privat vor Staat."
Die NRW-Landesregierung hingegen bleibt auf Privatisierungskurs. Das
Kabinett von CDU-Mann Jürgen Rüttgers will die Gemeinden des
Landes jetzt sogar zur Geldverschwendung zwingen: Demnächst soll
ein Gesetz verabschiedet werden, das den Kommunen neue unternehmerische
Ausflüge nur noch in Ausnahmefällen erlaubt - etwa wenn sich
partout kein privater Anbieter findet.
Gegen die Zwangsalimente für private Unternehmer laufen auch
unionsregierte Gemeinden Sturm. So fürchtet etwa der Troisdorfer
Bürgermeister Manfred Uedelhoven (CDU), dass sich
Großunternehmen mit Hilfe des Gesetzes die lukrativen
Aufträge herauspicken könnten, während die
öffentliche Hand auf verlustbringenden Aufgaben sitzenbleibe und
dafür die Gebühren erhöhen müsse.
Immerhin soll etwa die Energieversorgung in Nordrhein-Westfalen von der
Neuregelung ausgenommen bleiben.
Deutschland
Denn gerade im Stromgeschäft ist eine Expansion von zentraler
Bedeutung für Kommunalunternehmen. Viele von ihnen wollen durch
eigene Kraftwerke die Abhängigkeit von teuren Lieferungen des
mächtigen Versorgerquartetts aus EnBW, E.on, RWE und Vattenfall
verringern. In Hamm-Uentrop etwa baut ein Bündnis kommunaler
Stadtwerke gerade ein großes Gaskraftwerk, das bis zum Jahresende
ans Netz gehen soll. Die Stadtwerke Schwäbisch Hall haben
kürzlich ein eigenes Blockheizkraftwerk fertiggestellt und wollen
nun zusammen mit kommunalen Kraftwerksbetreibern Ölpalmenplantagen
in Übersee kaufen, um Brennstoff für geplante
Biomassekraftwerke zu bekommen.
Wettbewerbspolitiker wie der hessische Wirtschaftsmmister Alois Rhiel
(CDU) halten solche Initiativen für wünschenswert: Der
Unionsmann hat sogar schon laut darüber nachgedacht, das faktische
Kartell der großen Energiekonzerne zu zwingen, einen Teil ihrer
Kraftwerke zu verkaufen - zum Beispiel auch an kommunale Stadtwerke.
Für die Kommunen lohne sich die Unabhängigkeit von den
Energieriesen allemal, glaubt Matthias Wolfskeil,
Geschäftsführer der Stadtwerke Flensburg. Das Unternehmen
gehört zu 100 Prozent der Stadt: „Wir wären nicht so
erfolgreich, wenn wir einen großen Partner aus der Wirtschaft
hätten", sagt der Manager.
Tatsächlich stehen die Stadtwerke unweit der dänischen Grenze
seit Beginn der Liberalisierung auf dem Strommarkt solide da: Seit dem
Jahr 2000 haben die Flensburger ihren Umsatz auf gut 160 Millionen Euro
verdoppelt, der Gewinn stieg auf 20 Millionen Euro vor Steuern. Die
Mitarbeiterzahl wuchs auf knapp 800, was die Stadtwerke zum
viertgrößten Arbeitgeber Flensburgs macht. Und die
Verbraucher profitieren von günstigen Preisen: Fernwärme aus
Flensburg ist billiger als die meisten anderen Lieferanten, der Preis
liegt um mehr als ein Viertel unter dem Durchschnitt der
Fernwärmekosten in den alten Bundesländern. Auch beim
Strompreis zählen die Flensburger zu den billigsten Anbietern.
Keine hundert Kilometer weiter südlich leiden die Bürger in
Kiel unter dem Kontrastprogramm: Die Kieler verkauften im Jahr 2000
eine Mehrheitsbeteiligung ihrer Stadtwerke für rund 230 Millionen
Euro an den texanischen Eriergieversorger TXU, der ins Schlingern
geriet und bald darauf für Europa Insolvenz anmelden musste.
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Privatisierter Wohnblock in Dresden:
„Ausverkauf der Städte." (Bild)
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Aus der Insolvenzmasse der TXU Europe kaufte die Mannheimer MW Energie
die Anteile auf. Im Frühjahr lief in Kiel gerade die dritte
Entlassungswelle.
Flensburgs Stadtwerke-Chef Wolfskeil hat wenig Verständnis
für derartige Manöver: „E.on bietet ein allumfassendes
Wohlfühlpaket an - aber damit geht Unmündigkeit einher." Die
Manager würden natürlich im Sinne ihrer Firmen entscheiden -
nicht zugunsten der Bürger.
Er glaubt, es liege vor allem an der richtigen Strategie, dass
Flensburg mit seinen Stadtwerken so gut gefahren sei: Frachtschiffe aus
Russland liefern Kohle direkt ans Kraftwerk am Förde-Ufer. Die
Kohle wird dort zerkleinert und zu Fernwärme und Strom verfeuert.
„Der gesamte Wertschöpfungsprozess findet bei uns statt", sagt
Wolfskeil. „Wir brauchen nichts einzukaufen von Dritten, und deshalb
sind wir auch nicht abhängig von Dritten."
Die Flensburger bieten ihren Strom mittlerweile auch in anderen
Bundesländern an. Die Stadtwerke-Experten handeln zudem mit
Energie auf Strombörsen in Norwegen, Dänemark und den
Niederlanden, sie bieten zertifizierten Öko-Strom aus Norwegen an
und beteiligen sich an einem neuen Biomassekraftwerk in
Brunsbüttel. Und seit kurzem verfeuert ihr Kraftwerk bis zu 20
Prozent Gewerbeabfälle. Das senkt die Kosten - auch wenn Wolfskeil
für Umbauten und Filtertechnik 30 Millionen Euro investieren
musste.
Flensburgs Oberbürgermeister Klaus Tscheuschner freut sich
über rund vier Millionen Euro Gewinn, die das kommunale
Unternehmen jährlich an die Stadtkasse abführt. Jeden Monat,
sagt der parteilose Rathaus-Chef, bekomme er Anfragen von
Interessenten, die sich in die Stadtwerke einkaufen wollen.
Das wäre zwar verlockend, Flensburg könnte durch einen
Verkauf des lukrativen Betriebs auf einen Schlag schuldenfrei werden -
„aber das ginge zu Lasten künftiger Generationen", begründet
der Bürgermeister sein Nein.
Dabei schien es vor wenigen Monaten noch so, als hätten
Pri-vatisierungs-Befürworter in den Kommunen den großen
Durchbruch geschafft: Die Stadt Dresden hatte ihre
Immobiliengesellschaft Woba mit 48 ooo Wohnungen an die
US-Investorenfirma Fortress verkauft - und damit sämtliche
städtischen Schulden getilgt.
Doch inzwischen ist die Euphorie, die nach diesem Coup kurzzeitig bei
manchen Stadtkämmerern der Republik aufkam, abgekühlt. Denn
schon nach relativ kurzer Schamfrist haben die Investoren in Dresden
damit begonnen, die Mieten in die Höhe zu schrauben - und Mieter
sind auch Wähler. Kritiker wie der Münchner
Oberbürgermeister und Städtetags-Präsident Christian Ude
(SPD), der vehement vor dem „Ausverkauf" der Städte warnte,
scheinen nachträglich recht zu bekommen.
Allerdings gibt auch Ude mit Blick etwa auf die Münchner
Wohnungsgesellschaften zu, dass Öffentliche Betriebe oft „Fett
angelegt" hätten und effizienter arbeiten müssten. Sie sind
vor allem dann in Gefahr, wenn die Politik sie als Beute betrachtet:
Immer wieder gefährdeten Stadträte in den vergangenen
Jahrzehnten die Substanz ihrer Unternehmen, indem sie nicht
Fachpersonal, sondern abgehalfterte Ex-Politiker ohne ausgewiesene
kaufmännische Fähigkeiten auf Geschäftsführerposten
hievten.
Die neuen Rekommunalisierer wollen das nun besser machen: „An die
Spitze solcher Unternehmen gehören zwingend Profis, die den
Betrieb nach wirtschaftlichen Kriterien führen können", warnt
etwa Uckermark-Landrat Schmitz: „Wenn da erst der Filz einzieht, ist
die Sache mit der Kommunalwirtschaft auch ganz schnell wieder vorbei."
MATTHIAS BARTSCH,
CORDULA MEYER, MARKUS VERBEET