Traute Kirsch - ein etwas anderer Nachruf
von
Ingeborg-Angela Gockeln / Nov. 2005
. .
Am 29. Juli 2005 starb Traute Kirsch aus Beverungen. Mit Traute
verlieren wir eine engagierte Freundin der Erde, Kämpferin
für Umwelt, Menschenrechte und Demokratie. Sie war uns oft ein
Vorbild, weil sie gegenüber ihrer Mitwelt niemals
gleichgültig war, auch die scheinbar kleinen Dinge wichtig nahm
und einen wachen Blick für Entwicklungen hatte. Ihre Kraft und
ihre Klugheit werden uns fehlen.
Traute war Ende der 70er Jahre eine der Mitbegründer der
Anti-AKW-Bewegung in Deutschland, aus der später DIE GRÜNEN
hervorgingen. Vor Ort gründete sie die Bürgerinitiative
Umweltschutz Weserbergland. Ihre zentrale Botschaft war schon damals,
dass das „Deutschland des Grundgesetztes" seine Bevölkerung
keinen unbeherrschbaren Risiken aussetzen darf. Unendliche Mühe
hat sie darauf verwandt, die unseligen „Schweißnahtdiskussionen"
am Containment der Atomreaktoren in den Söer Jahren ad Absurdum zu
führen, was ihr auch wei testgehend gelungen ist.
Dann passierte folgendes: Der Reaktor in Tschernobyl geriet am 26.
April 1986 außer Kontrolle. Es trat ein, was Traute jahrelang
argumentativ in die Köpfe ihrer Mitstreiter und Politiker bringen
wollte: die Nutzung der Atomenergie ist unbeherrschbar. Wir
gründeten die UNRAST „Unser Recht auf Stillegung", als
Arbeitsgruppe der BI Umweltschutz Weserbergland, hatten Erfolg
insofern, dass das Zwischenlager am Atomkraftwerk Würgassen nicht
eingerichtet wurde.
Trautes Kampf gegen die Nutzung der Atomkraft galt nicht nur der Abwehr
einer gefährlichen, nicht beherrschbaren Technik, sondern galt in
erster Linie dem Erhalt der Demokratie. Für sie bedeutete die
Atomkraft der Beginn der Zerstörung unserer demokratischen
Staatsgrundlagen. Sie hatte die Befürchtung, dass eine Politik,
die Wirtschaftsunternehmen das Eingehen unbeherrschbarer Risiken
gestattet und sich dabei skrupellos über die Grundrechte der
Bürger hinwegsetzt, zwangsläufig zur Beseitigung
demokratischer Prinzipien und des Demokratieverständnisses in der
Gesellschaft und damit zur Zerstörung der Demokratie führen
muss.
Mit der Novellierung des Atomgesetztes und dem so genannten
„Atomausstiegsgesetz" haben sich ihre Befürchtungen leider
bewahrheitet. Heute ist es gängige Kontroll- und
Genehmigungspraxis, dass das Eingehen von Risiken in der Verantwortung
der Wirtschaftsunternehmen liegt. Sowohl bei Genehmigungserteilungen
als auch bei der Kontrollaufsicht spielen Risiken keine Rolle mehr. Das
Vorsorgeprinzip, das nach 1945 das Verwaltungsgeschehen prägte und
auch in der Daseinsfürsorge der Gemeinden seinen Niederschlag
gefunden hatte, wurde ersetzt durch das Prinzip des
uneingeschränkten Wirtschaftsvorranges.
Am Beispiel der Atomkraftnutzung zeigte Traute immer wieder auf wie der
Paradigmenwechsel, von dem naiven Glauben getragen: man werde die
atomaren Risiken schon beherrschen, bis zur gesetzlichen Verankerung
des Rechtsanspruches der Atomfirmen auf das Eingehen von Risiken,, von
der rot-grünen Koalition vollzogen wurde:
„Politiker, die sich ohne wenn und aber dem Wirtschaftsvorrang
verschrieben haben, sind zwangsläufig nicht mehr in der Lage, den
demokratischen Prinzipien von der Unantastbarkeit der Würde des
Menschen, wie es im Artikel l des Grundgesetztes seinen Niederschlag
fand, zu würdigen, sondern müssen es mit Füßen
treten."
30 Jahre hat sie sich hartnäckig dagegen gewehrt, das Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland nur als lästiges Stück
Papier zu betrachten.
Die Beseitigung des Sozialstaates durch die Hartz-Gesetze und die
Gesundheitsreformen machen dramatisch klar, welche positiven,
demokratischen Prinzipien in unserem Staat vorhanden waren.
Im Bereich der Umwelt hat diese Missachtung der Würde des Menschen
schleichend stattgefunden. Mit Hartz IV wird auf brutalste Weise klar
gestellt: wer arbeitslos ist, hat keinen Anspruch auf einen unserem
Wohlfahrtsstaat angemessenen Lebensunterhalt mehr. Ein Grund mehr
für Traute sich im Widerstand gegen die Hartz-Gesetzgebung zu
engagieren. So organisierte sie 2004 die Montags-Demos und Kundgebungen
auf dem Marktplatz in Höxter und gründete das „Bündnis
3-Ländereck für soziale Gerechtigkeit". -
Früher als andere im BUND hat sie auch die Gefahr gesehen und
benannt, dass quasi anonyme, nicht direkt demokratisch legitimierte
Institutionen legislative Gewalt über Bürgerinnen und
Bürger ausüben und damit das Parlament und das Grundgesetz
aushebeln.
Festzumachen am Beispiel der Weltorganisation WTO oder Vertragswerken
auf EU-Ebene, die alle zur Einschränkung fundamentaler Rechte des
Souveräns führen - zugunsten der Freiheit von
Wirtschaftstreibenden. Bedenklich ist besonders der Umstand, dass
unsere Abgeordneten mitunter nicht wissen über was sie abstimmen
und schon gar nicht, was von Spitzenbeamten des Wirtschaftsministeriums
bzw. des Kanzleramtes „geregelt,, wird.
Auf Bundes- und Landesebene engagierte Traute sich im BUND-AK
Atom und AK Energie. Vorstandsarbeit im Landesverband war auch eine
ihrer Aufgaben. Frühzeitig gründete sie den AK Deregulierung.
Auch weil viele in den Reihen des BUND bis heute nicht begriffen haben,
was da unter der Fahne „Bürokratie-Abbau" durch Deutschland
segelt, geht der Prozess unvermindert weiter: Unter dem verharmlosenden
Stichwort „Modellregion OWL" wird derzeit in Ostwestfalen-Lippe
versucht, die Schutzrechte des Bürgers scheibchenweise auf den
Stand einer „Bananenrepublik" herunterzuschrauben, mit dem Ziel, diese
„Modellregion" auf ganz Deutschland auszudehnen.
Trautes Visionen bedachten auch, früher als andere
Umweltschützer, die Privatisierungswelle der Kommunen; so wird in
fast allen Kommunen nicht nur das „Tafelsilber" verramscht, sondern vor
allem die Daseinsvorsorge mehr und mehr aus der kommunalen
Verantwortung entlassen - bis hin zu den grotesken Auswüchsen des
Cross-Border-Leasing.
Und wieder ein Beispiel aus unserer Region:
In der Wasser-Bürgerinitiative mobilisierte sie in den 80er Jahren
mit ihren Visionen und ihren Argumenten in Form von Büchertischen
auf dem höxteraner Marktplatz, Podiumsdiskussionen und
Vorträgen Tausende Bürger gegen die Privatisierung der
Wasserwerke Höxter. Ihre Argumentation wurde von Bürgern im
Ruhrgebiet aufgegriffen, denen ähnliches bevorstand. Wie landauf -
landab bekannt, nicht mit positivem Ausgang. Die Wasserrechte sind hier
wie dort heute in der Hand von Gelsenwasser
Bemerkung des Inhabers
der Homepage :
Bei diesen Auseinandersetzungen n den Jahren 1978 bis 1985 ging es
nicht um die Höxteraner Wasserwerke, an denen seit 1978 der
Gelsenwasser-Konzern mit 50 % beteiligt ist, sondern um die Entnahme
und Verwertung von rund 15 Mio cbm Wasser aus den Höxteraner
Brunnen mit einer Kreiswasserversorgung Höxter GmbH und eines
Wasserverbundes Ostwestfalen-Lippe GmbH, wozu die Landesregierung von
NRW 60 bis 80 Mio DM Zuschuss geben wollte. Trotzdem beide GmbHs schon
gegründet waren, wurde dieses Projekt, das die Beherrschung der
Wasserversorgung des gesamten Regierungsbezirkes Detmold durch die
Gelsenwasser AG bedeutet hätte, vereitelt. Traute
Kirsch gründete in dieser Zeit den Kreisverband Höxter des
BUND, der in einem besonderen Arbeitskreis Wasser wesentlich zu diesem
Erfolg beitrug. Aus dem beigefügten Bericht
ist dies noch genauer zu ersehen.
Auf Außenstehende wirkte sie dominant und uneinsichtig, unbeugsam
und unbequem. Ja es stimmt, ihre Geduld mit Andersdenkenden, auch aus
den eigenen Reihen, war nicht unendlich, aber dies wurde um ein
Vielfaches aufgewogen durch die Brillanz ihrer sich manchmal als
beängstigend prophetisch herausstellenden Analysen. Gelegentlich
wirkte sie, was Außenstehenden verborgen blieb, verzweifelt - ja
mutlos, wenn sie mal wieder mit kalter emotionsloser
Intellektualität von fremdgesteuerten Funktionären
abgekanzelt worden war.
Traute ging es nie um ihre Person, es
ging ihr immer um die Inhalte.
Da war es nur eine Frage der Zeit wann sie den Courage-Preis
erhält, der von der Anne-Solbach-Freise-Stiftung jedes Jahr
vergeben wird. Traute hat in all den Gremien und Gruppierungen stets
Außenseiterpositonen vertreten, die viel Mut und Kraft von ihr
verlangt haben.
In ihrer letzten Rede am 13. November 2004 anlässlich der
Verleihung des Courage-Preises in der Münchhausenstadt
Bodenwerder, hat uns Traute ihr Vermächtnis hinterlassen:
Jeglicher Widerstand, in weichen Bereichen auch immer, muss sich darauf
konzentrieren, dass der Mensch in seiner Würde wieder die Achtung
erhält, die vom Grundgesetz verlangt wird. Dies ist die
Voraussetzung dafür, dass Widerstand erfolgreich ist und
demokratisches Denken und nicht Wirtschaftsvorrang unsere Gesellschaft
prägen wird. Dazu gehört viel Mut!
Als ihre langjährige Freundin und Kampfgefährtin habe ich
viele Facetten ihrer Persönlichkeit erlebt, bin durch dick und
dünn mit ihr gegangen im Laufe der vergangenen 30 Jahren. Ich bin
dankbar für ihre Liebe, Aufrichtigkeit und ihr
uneingeschränktes Vertrauen, das sie mir und meiner Familie
entgegenbrachte. Von Traute habe ich kämpfen gelernt und
einzustehen für meine Rechte. Der so fruchtbare Gedankenaustausch
zwischen uns beiden fehlt mir ebenso wie ihre Visionen und die
glücklichen Momente des Lachens, die unsere beiden Seelen
verbunden haben.
Abschließen möchte ich
meinen Nachruf auf Traute mit den Zeilen ihrer Familie in der
Traueranzeige:
Du hast wenig an dich, aber viel für andere gedacht und getan! Wir
vermissen dich sehr. Traute starb am 29. Juli 2005 mit 74 Jahren in der
Habichtwald-Klinik in Kassel. Am 14. September 2005 wäre sie 75
Jahre alt geworden.