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HLZ 5/2004 , Seiten 14 und 15
Deregulierung in der Weiterbildung schreitet voran

Hartz vernichtet Arbeitsplätze

"Eine Strategie der .selektiven RadikaJreform' ist wahrscheinlich die beste Lösung." Diese Empfehlung der OECD war auch Drehbuch für den klassischen Show-down der ßundesagentur für Arbeit (BA): Der vermeintliche "Zwang", den sogenannten Eingliederungstitel der BA von 13,5 Milliarden Euro (2002) auf 10,3 Milliarden 2004 zu kürzen, der "Vermittlerskandal", die Diffamierung der Beschäftigten des Arbeitsamtes, die behauptete Ineffizienz arbeitsmarkt-politischer Instrumente wie ABM und FbW (Förderung der beruflichen Weiterbildung) lieferten die Folie, auf der sowohl Florian Gerster als auch die Hartz-Kommission die Demontage der BA begannen.

Show-Down für die Bundesanstalt für Arbeit

Mit der Zerschlagung der BA wurde die bislang sozialstaatlich, das heißt gesellschaftlich verantwortete, "aktive Arbeitsmarktpolitik" diffamiert und eine neue individuelle und ökonomische Verantwortung definiert. Die Erfindung der "Ich-AG" gehört in diese Zeit und bringt den Prozess auf den Begriff. Unter dem Schlagwort der "aktivierenden Arbeitsmarktpolitik" wurde den Arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit Bedrohten zunehmend selbst die Verantwortung für ihre Lage als auch dafür zugeschrieben, aus dieser "aktiv" wieder herauszufinden. Hierbei fand eine deutliche Mittelverschiebung weg von ABM und FbW hin zu Existenzgründungszuschüssen und Mitteln für den Ausbau der Personal Service Agenturen mit den bekannten Niedriglöhnen statt. Als zentrales, neues Steuerungselement für die berufliche Weiterbildung wurde der Bildungsgutschein eingeführt - ohne Erprobung und in "Echtzeit" mit katastrophalen Folgen für die Weiterbildungseinrichtungen und ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer: "Die freie Auswahl durch den Kunden ist einer der primären Bestandteile im globalen Reformpaket". (2)

Bldungsgutscheine - mit katastrophalen Folgen

Die einzelnen Teilnehmer erhalten einen Bildungsgutschein von der Arbeitsagentur und können ihn bei jedem Träger, der eine entsprechende Maßnahme anbietet, einlösen. "Durch die Vergabe von Bildungsgutscheinen soll also ein Markt geschaffen werden, dessen bisheriges Fehlen für In-effektivität, Fehlallokationen der Qualifizierten und mangelnde Kostentransparenz verantwortlich gemacht wird."

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Entlassungen im Jahr 2003

- BFZ Essen: 150 von 350 Beschäftigten (43 %J
- TÜV-Akademien: 200 von 900 Beschäftigten (22 %)
- DAA: 800 von 2.000 Beschäftigten (40 %)
- bfw West: 500 von 1.800 Beschäftigten (28%)
- bfw Ost: 200 von 450 Beschäftigten (45 %)
- VHS-Bildungswerk-Gruppe: 350 von 1.200 Beschäftigten (29%)
- Stiftung Grone-Schule: 240 von 1.200 Beschäftigten (20%)
- DEKRA Akademie: 400 von 1.400 Beschäftigten (29%)

(Zahlen aus: prekär Hessen Nr. 10)

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Der freie Wettbewerb - statt der bisherigen Zuweisungspraxis durch die Arbeitsämter an Träger - soll zu einer Verbesserung der Passgenauigkeit der Maßnahmen mitden Bildungsbedarfen der Einzelnen und den Qualifikationsbedarfen der Betriebe, also zwischen den Bildungsangeboten und der Bildungsnachfrage führen." (3) Nach Angaben de ßundesregierung im März 2004 wurden zwischen 20,2 % und 24,1 % der Gutscheine nicht eingelöst. Die durch die Übertragung von mehr "Eigenverantwortung" auf die Teilnehmer eingesparten Fortbiidungsmittel wurden an den Bundeshaushalt zurücküberwiesen. Im Gegensatz zum Vorjahr sollten im Jahresdurchschnitt 2003 nur noch 260.000 Personen gefördert werden. Dies entsprach einem Rückgang von etwa 20 %. Tatsächlich ist dieser Ansatz bundesweit noch unterschritten worden, und es wurden im Jahresdurchschnitt nur 251.000 Personen gefördert, was einem realen Minus von 24 % entspricht (4).

Wie viele der eingelösten Gutscheine die tatsächliche Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme auslösen, scheint statistisch nicht erfasst beziehungsweise dem Markt überlassen zu werden. Denn viele der Maßnahmen kommen erst gar nicht zustande. "Die Anbieter warten auf Zulauf, manchmal notgedrungen so lange, bis die Bildungsgutscheine der schon angemeldeten Bewerberinnen wieder abgelaufen sind. Konsequenz: neues Spiel, neues Glück. Manchmal heißt es dann auch: Nichts geht mehr. In vielen Regionen und Städten der Bundesrepublik werden die Bildungsgutscheine nicht genutzt, weil die Bewerberinnen bei der Suche überfordert sind. Es ist von einer Ausfallrate von 50 bis 60 Prozent die Rede." (5)

Ausgrenzen von Benachteiligten

Sehr offensichtlich ist die zunehmende Ausgrenzung von Problemgruppen aus der Weiterbildung. Die Zulassung von Bildungsmaßnahmen und die Ausgabe von Gutscheinen erfolgen nur für Maßnahmen mit einer prognostizierten Ver-bleibsquote von mindestens 70 %. Die Kosten der Maßnahme dürfen die Durchschnittskostensätze der Landesarbeitsämter nicht überschreiten. Nur in Ausnahmelallen können als Obergrenze die ßundesdurchschnittskostensätze herangezogen werden, die auf Grundlage aller Landesdurchschnittskostensätze ermittelt werden (6). Benachteiligte Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden von der 70%-Quote und dem Wegfall jeder Zielgruppenförderung durch die BA auf dem Arbeitsmarkt besonders hart getroffen. Auf Grundlage der insgesamt geringeren Eintritte sank im August 2003 der Anteil Langzeitarbeitsloser an SGß-III-Maßnahmen von 25,4 % auf 21,5%, über 50-Jähriger von 9,6% auf 7,1% und Schwerbehinderter von 3,7% auf 1,9% gegenüber dem Vorjahr (7). Auch Frauen haben zunehmend Schwierigkeiten einen Bildungsgutschein zu erhalten, da ihre durchschnittliche Verbleibsquote bei 64 % lag (8).

Für die Träger von Weiterbildungsmaßnahmen ist die Eingliederungsquote von 70 % an sich nichts Neues. Trotz aller Unkenrufe und Diffamierungen liegt die Vemittlungsquote nach einer berufsqualifizierenden Umschulung über 70 %. Der Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (BBB) veröffentlichte am 31.3.2004 eine Befragung von 32.000 Weiterbildungsteilnehmern. Danach ist "der Integrationseffekt von beruflicher Weiterbildung (...) wesentlich höher als in den Eingliederungsbilanzen der Bundesagentur für Arbeit ausgewiesen, wenn solche Maßnahmen ausgewertet werden, die von qualitätsorientierten Bildungsanbietern durchgeführt werden. In Hinblick auf die dauerhafte Beschäftigungsfähigkeit muss die Nachhaltigkeit beruflicher Weiterbildung deutlich besser eingestuft werden als bisher angenommen." (9)

Dumpinglöhne und Schmutzkonkurrenz

Bereits seit einigen Jahren liegt die Verantwortung für die erfolgreiche Vermittlung bei den Trägern. Mit der Zielgruppenförderung wurde aber auch die sozialpädagogische Betreuung bei Langzeitmaßnahmen gestrichen. Längst hatten Sozialpädagogen für die Träger die Aufgabe der Vermittlung an Betriebe, die Betreuung während der Praktika, in der Vorstellungsphase und auch die Nachbetreuung übernommen. Mit dem Wegfall sozialpädagogischer Betreuung entstehen so für die Träger neue Kosten. Und die sind ihr zentrales Problem, denn seit 1.1.2003 gelten Durchschnittskostensätze. Sie treiben die Träger in eine existenzgefährdende Konkurrenz mit Dumpingpreisen - in Einzelfällen von 35 Cent pro Teilnehmerstunde im Osten und 98 Cent im Westen. Bisher lag eine Selbstkosteneinschätzung traditioneller Träger bei etwa drei Euro die Stunde (10) - ebenfalls vielfach unterboten mit den bekannten Auswirkungen auf Beschäftigungsverhältnisse und Löhne in der Branche. Die Personalkosten sind in der Weiterbildung ebenso wie in anderen Bildungsbereichen der entscheidende Kostenfaktor. Der Weiterbildungsgutschein, die 70 %-Eingliederungsquote und der Durchschnittskostensatz führen zu hohen Einnahmeverlusten und einem rapiden Personalabbau. Bei vielen großen Trägern nimmt die Zahl der Entlassungen festangestellter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erschreckende Ausmaße an. Der hohe Anteil von Fristverträgen führt dazu, dass in vielen Fällen Sozialpläne nicht zwingend vorgeschrieben sind. Zahlen für die gesamte Branche gibt es nicht, aber die Beispiele aus dem Jahr 2003 vermitteln einen realistischen Eindruck (siehe Kasten S. 14).

Neben Entlassungen reagieren viele Träger mit Lohnsenkungen. Diese Strategie steht nicht alternativ zu Entlassungen - im Gegenteil: Entlassungen sind das Druckmittel, um Lohnsenkungen durchzusetzen. Sogenannte Notlagen-Tarifverträge bei tarifgebundenen Einrichtungen geben diesem Angriff auf die Beschäftigten wenigstens eine gewisse Durchschaubarkeit. Verbreitet ist aber vor allem bei kleineren Betrieben der "freiwillige" Verzicht auf Geld und Standards, um den Arbeitsplatz zu halten - sei es durch abgesenkte Gehälter, durch unbezahlten Zwangsurlaub, durch vorübergehende mit dem Arbeitgeber vereinbarte Arbeitslosigkeit, durch höhere Unterrichtsstundenverpflichtung, durch Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld oder durch eine Kombination der verschiedenen Verschlechterungen. Welche Wahl bleibt einem Beschäftigten, wenn er die Pistole auf die Brust gesetzt bekommt? Nach Hartz IV sitzt er nach Ablauf seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld in der Sozialhilfe oder im sogenannten Arbeitslosengeld II und muss jede Arbeit annehmen.

Die "Marktbereinigung" wird von der BA billigend in Kauf genommen. Neben drohenden und tatsächlichen Insolvenzen oder Niederlassungsschließungen gelten 4 % der Träger als "Krisengewinnler" (11):

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20.000 bis 40.000 Arbeitsplätze sind durch die Hartz-Gesetze im vergangenen Jahr verloren gegangen. Hartz sollte die Arbeitslosigkeit halbieren. 2004 wird die Zahl der Entlassungen ein dramatisches Vielfaches annehmen, da bei Maßnahmen der Arbeitsförderung weitere Kürzungen von 1,4 Milliarden Euro vorgenommen werden sollen.

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Fehlende Tarif- oder Arbeitsrechtbindung durch prekäre Beschäftigung macht sich für die Schmutzkonkurrenz bezahlt, wenn die BA nicht auf Qualität, sondern nur noch auf den möglichst niedrigen Preis schaut. Schon seit Jahren fördert die Preispolitik der BA die Prekarisierung der Beschäftigung durch befristete oder Honorarbeschäftigung. Durch den Katalysator Bildungsgutschein wird dies weiter forciert, denn das Vorhalten von fest angestelltem Personal mit Arbeitnehmerrechten für nicht-planbare Maßnahmen ist ein objektiv belastender Konkurrenznachteil für die Träger. Der Niedriglohnsektor wird damit auch in der Weiterbildung zunehmend etabliert. Neu ist auch der Konkurrenzkampf mit branchenfremden Anbietern, die in der Weiterbildung Arbeitsloser ein neues Geschäftsfeld sehen. Nach Beobachtungen regionaler Betriebsräte gingen viele der Lose der ersten zentralen Ausschreibungen der sogenannten Trainingsmaßnahmen nicht nur überwiegend an große überregionale Träger, sondern auch an bislang unbekannte Unternehmen, die eher der Personalorganisations- und

Personalentwicklungsbranche, dem "Consulting", zu entstammen scheinen. Entsprechend verändert sich der Charakter der Maßnahmen: willkürliche Modularisierung, immer mehr Training, immer kürzere Qualifikationen. Vom "Quali-Hopping" ist die Rede. Gertrud Kühnlein und Birgit Klein berichten von einem Träger, der einmal pro Woche zwei Stunden "Selbstlernen" in das Programm aufgenommen hat - eine hübsche Idee, den Kostendruck durch den Wegfall von Unterrichtsstunden mit Lehrpersonal zu minimieren. Es ist anzunehmen, dass solcher Ideenreichtum den marktradikalen Beratern der BA gut gefallen wird, passt er doch genau in das Konzept von mehr Freiheit und Eigenverantwortung.

Karola Stötzel

(1) Betriebsrätearbeitskreis der Hamburger Weiterbildungseinrichtungen: Bestandsaufnahme und Perspektiven der beruflichen Weiterbildung in Deutschland. Februar 2004
(2) Stephen J. Ball: Urbane Auswahl und urbane Ängste, in: Widersprüche, Bielefeld. September 2003
(3) Gertrud Kühnlein und Birgit Klein: Bildungsgutscheine - mehr Eigenverantwortung, mehr Markt, mehr Efflzienz. Gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung, erscheint in: Arbeitspapier Nr. 74
(4) BA Presse-Info vom 8.1.2004
(5) Frankfurter Rundschau vom 20.1.2004
(6) BA-Rundbrief 102/2002
(7) BA, Beratungsunterlage Verwaltungsrat 146/2003 vom 24. 9. 2003
(8) Betriebsrätearbeitskreis, a.a.O.
(9) www.bildungsverband-online.de
(10) Ursula Herdt, GEW Hauptvorstand, Organisationsbereich berufliche Bildung und Weiterbildung: Die „Reform" der BA - Kritik an der Zielrichtung, den neuen Paradigmen und dem Einfluss der externen Berater. Frankfurt, Info 9/2004
(11) Umfrage des Bundesinstituts für Berufsbildung zum „wbmonitor" 2003