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Auszug aus HLZ - Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung" , 56.Jahr, Heft 9, September 2003, Seiten 26 und 27

Es geht um Steuern! Es geht : Umsteuern !

„Es geht: Umsteuern!" Das Motto einer langfristigen Kampagne der GEW Hessen ist inzwischen auch beim hessischen Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU) angekommen. „Der Staat macht sich arm" - die Folgen einer hemmungslosen Steuerentlastung für Unternehmen und Reiche haben in den Kassen der Gemeinden, der Länder und des Bundes zu desaströsen Haushaltsdefiziten geführt. Immer öfter greifen deshalb gerade die Kommunen, deren Haushalte durch den dramatischen Rückgang der Gewerbesteuer am stärksten betroffen sind, zu jedem Strohhalm. Doch wie der im Moor Verunglückte, der mit jeder Bewegung tiefer im Sumpf versinkt, verursachen die Kommunen mit jeder Sparaktion neue - möglicherweise erst mittelfristig spürbare - Kosten oder unmittelbar spürbare Einnahmelöcher in den eigenen oder anderen öffentlichen Haushalten. Karlheinz Weimar versuchte dem einen ersten Riegel vorzuschieben: Er verteidigte die Entscheidung der Oberfinanzdirektion Frankfurt, zukünftig keine verbindlichen Vorab-Zusagen über die steuerliche Anerkennung sogenannter „Säle and lease back"-Geschäfte auszustellen. Sie führen auf der Grundlage legaler Steuertricks zu unmittelbaren Einnahmeausfällen im ebenfalls hoch defizitären Landeshaushalt. Nach Auffassung von Kai Eicker-Wolf vom DGB Hessen handelt es sich um ein „Scheingeschäft zur Ausnutzung von Gesetzeslücken." In der Öffentlichkeit entstehe ein eigenartiges Bild, wenn die Kommunen auf Steuertricks an der Grenze zur Legalität zurückgreifen könnten, während die Bürger zur Steuerehrlichkeit angehalten werden.

Auch CDU-Innenminister Volker Bouffier, der die Rechtsaufsicht über die kommunalen Geschäfte führt, warnte vor dem ebenfalls grassierenden „Cross Border Leasing" (CBL) und riet den Kommunen zu einer „eher zurückhaltenden Nutzung". Zu einem von seinem bayrischen Amtskollegen Beckstein erwogenen gesetzlichen Verbot des CBL mochte sich Bouffier nicht durchdringen. Damit fuhr Bouffier seinen Parteifreunden in Frankfurt in die Parade, die derzeit einen besonders großen CBL-Deal vorbereiten: den Verkauf des gesamten U-Bahn-Netzes (1). Dagegen setzt sich
das Bündnis „Rettet die U-Bahn" zur Wehr, dem neben Attac auch der Bezirksverband der GEW angehört.

Rettet die U-Bahn

Bei CBL-Geschäften wird langfristig nutzbares öffentliches Eigentum für 99 Jahre an einen US-Investor vermietet und zugleich wieder zurückgemietet. In Zusammenhang mit dem Frankfurter Deal wird der Zigarettenkonzern Philipp Morris als Geschäftspartner genannt. Dem US-Investor räumt die amerikanische Steuergesetzgebung - noch - enorme Steuervorteile ein, von denen neben dem US-Investor auch die an der Transaktion beteiligten Banken und Anwälte und der bisherige kommunale Eigentümer profitieren sollen. Die Stadt Frankfurt kalkuliert mit einem einmaligen unmittelbaren „Barwertvorteil" in Höhe von 100 Millionen Büro. Das entspricht dem üblichen Wert von 4 °/o des Transaktionsvolumens, dem Steuervorteile für den Investor in Höhe von 10 bis 35 °/o gegenüber stehen. Grundlage ist der Wert der Frankfurter U-Bahn, ihr „Kaufpreis" in Höhe von 2,3 Milliarden Euro, der bei Banken „sicher" angelegt wird und Grundlage für die Zahlung der Leasingraten ist. Frankfurt folgt mit diesem Vorhaben anderen Kommunen insbesondere in Nordrhein-Westfalen.

Cross Border Leasing

Dort brachen allein in den ersten drei Quartalen des Jahres 2002 die Steuereinnahmen um 1,47 Milliarden Euro ein, während gleichzeitig CBL-Geschäfte 345,5 Millionen Euro in die Gemeindekassen spülten (2). Bundesweit wurden rund 150 CBL-Geschäfte abgeschlossen, für 2003 wird ein Volumen von 10 Milliarden Euro erwartet. Dresden vermietete seine Straßenbahnwagen und seine Kläranlage, Wuppertal seine Müllverbrennungsanlagen und Köln sein Kanalnetz (für 1.819 Millionen Dollar). Über die Verpachtung der Messeanlagen in Berlin war nach Informationen von Attac Berlin nicht einmal die Geschäftsführung der Messe GmbH informiert.

Attac und andere warnen vor den völlig undurchsichtigen bis zu 1000 Seiten umfassenden Verträgen, der
fragwürdigen Beratung durch Finanz-und Rechtsexperten, die selbst an der Transaktion verdienen, den Risiken aus anstehenden Veränderungen der US-Steuergesetzgebung, einer möglichen Insolvenz des US-Investors und unterschiedlichen Eigentumsbegriffen im Zivil- und Steuerrecht, für deren Klärung generell US-Gerichte zuständig sind (3). Nach deutschem Recht bleibt die Kommune zwar zivilrechtlicher Eigentümer, gleichzeitig wird der US-Trust nach amerikanischem Recht wirtschaftlicher Eigentümer. Der frühere Frankfurter Oberbürgermeister Rudi Arndt meldete sich „als letzter überlebender Vater des U-Bahn-Baus" mit einem klaren Nein „zu einem in jeder Hinsicht miesen Deal" zu Wort, mit dem die „letzte Entscheidung über das den Frankfurter Bürgern gehörende Nahverkehrsobjekt Aktionären einer ausländischen Gesellschaft" überlassen wird. Anders als die amtierende SPD-Führung, deren Rathausfraktion sich zwar gegen das CBL aussprach, aber das Bürgerbegehren nicht unterstützte, forderte Rudi Arndt, „dass der eigentliche Eigentümer, der Frankfurter Bürger, darüber entscheidet, ob die U-Bahn verhökert wird."

Der Lebensnerv der Städte

Erste, sichere Verlierer der CBL-Geschäfte sind die amerikanischen Steuerzahler, mögliche Verlierer mit weit reichenden Folgen aber auch die Einwohner deutscher Städte, deren Lebensnerv unüberschaubaren Risiken ausgesetzt wird. Letztlich wird die Existenzberechtigung des modernen Sozialstaats in Frage gestellt, der angetreten ist, die Kembereiche des menschlichen Zusammenlebens in öffentlicher Verantwortung zu organisieren, Wohnen, Verkehr, Bildung, Kultur und soziale Grundsicherung nicht den Marktgesetzen zu unterwerfen, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger zu garantieren.

Widerstand ist möglich

Ende 2002 stoppte ein Bürgerbegehren ein CBL-Geschäft mit dem kommunalen Kanalnetz im bayrischen Kulmbach. Bei der Volksabstimmung sagten 86 °/o „Nein" zu den Plänen von SPD, CSU und Freien Wählern. Der Fürther Stadtrat sprach sich darauf einstimmig gegen einen gleichartigen Vertrag aus. In Hamburg kamen im Mai 2003 112.000 Unterschriften für ein Volksbegehren gegen die Privatisierung mehrerer Krankenhäuser zusammen, 61.000 waren erforderlich. Die Hamburger Initiative „Bildung ist keine Ware" nahm mit 17.863 Unterschriften die erste Hürde für ein Volksbegehren gegen die Übernahme der beruflichen Schulen durch die Wirtschaftsverbände.

36.000 Frankfurter hatten bei Redaktionsschluss das Bürgerbegehren „Rettet die U-Bahn" unterschrieben. Die notwendigen 41.000 Unterschriften waren damit in greifbarer Nähe.

Spekulationsobjekt Schule

Schulen sind bisher noch kein Objekt von CBL-Verträgen, vielleicht weil deren Dauerhaftigkeit und Werthaltigkeit weniger hoch bewertet werden. Doch auch hier gibt es begehrliche Blicke, wie man durch Privatisierung oder Steuertricks die Gemeindekassen entlasten kann. Weit reichende Hoffnungen verbreiten Kommunalpolitiker, die die britische Insel bereisen. Dort sind der Bau und die Unterhaltung von Schulen in vielen Fällen bereits privatisiert. Private Konsortien aus Bauuntemehmen, Banken und Betreibergesellschaften finanzieren auf der Grundlage der Private Finance Initiative (PFI) den Schulbau, und die örtliche Schulbehörde mietet das Gebäude (4). In Hessen betreibt der Kreis Offenbach die Privatisierung von Schulgebäuden (5) und will zukünftig alle 88 Schulen von privaten Baukonzernen bauen und managen lassen. Auf eine entsprechende Ausschreibung haben sich die Baukonzerne Hochtief und Bilfinger Berger beworben. Hochtief betreibt bereits acht Schulprojekte mit 50 Schulen in Großbritannien mit einem Auftragsvolumen von 470 Millionen Büro, Wartung, Catering, Reinigung und Schulausstattung eingeschlossen. Bilfinger Berger betreibt in Großbritannien drei Schulen und zwei Krankenhäuser. Aber auch in Offenbach regt sich nach britischem Vorbild Widerstand: Der Gesamtpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer (GPRLL) protestierte dagegen, „Schulgebäude Privatunternehmen zu überlassen, die ausschließlich nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung handeln" und erinnert an die negativen Erfahrungen bei der Übernahme der Schulreinigung durch private Reinigungsdienste: „Die Reinigungskräfte erfahren den Kostendruck tagtäglich: Arbeit zu niedrigstem Stundenlohn unter hohem Zeitdruck, weil zu wenig Reinigungspersonal beschäftigt wird." Bei den Kreiskrankenhäusern, für deren Privatisierung es keinen Personalüberleitungsvertrag gibt, seien betriebsbedingte Kündigungen nicht auszuschließen.

Sale and lease back

Einen anderen Weg wollen die Kreistagsmehrheiten im Vogelsbergkreis und im Kreis Limburg-Weilburg einschlagen. Ob sie ihr „Säle and lease back"-Geschäft mit den Schulimmobilien nach dem Weimar-Erlass noch realisieren können, ist derzeit noch offen. Der Vogelsbergkreis will das Landratsamt und seine Schulen für 150 bis 200 Millionen Büro an die Hannover Leasing GmbH Co. KG verkaufen, deren Kommanditist er selbst wird. Kreisen, die ihren Immobilienbesitz an kreiseigene Gesellschaften veräußern, um sie dann zu mieten und später auch wieder zurückzukaufen, verbleibt nach dem Wiedererwerb der entsprechenden Immobilien ein Überschuss, weil Immobilien geringer besteuert werden als Barmittel. 98 o/o des Kaufpreises sollen bei der Hessischen Landesbank zu festen Konditionen angelegt werden, um die Leasingraten für die Mietzeit von mindestens 15 1/2 Jahren zahlen zu können. Danach besteht ein Rückkaufrecht. Zwischen 1,5 und 2,5 °/o bleiben je nach Lage auf dem Kapitalmarkt in der Kreiskasse. Für den Betrieb und die Unterhaltung, also auch für kostenträchtige Reparaturen und Renovierungen, bleibt der Kreis weiter zuständig. Die Oberhessische Zeitung sieht den Kreis unter dem Druck der Bank-Manager: „Bis zum Ende des Jahres wird mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Bewertung von Immobilien im Steuerrecht gerechnet, das den Wert deutlich nach oben setzen dürfte" (6). Die Attac-Gruppe Alsfeld verweist auf die Folgen für den Landeshaushalt: Angesichts der maroden öffentlichen Kassen sei die Reduzierung der Erbschaftsteuerzahlungen ein „unmoralisches Handeln und Ausdruck legaler Asozialität". Während die SPD im Vogelsbergkreis sich derzeit noch in Stimmenthaltung übt, ist sie im Kreis Limburg-Weilburg eine treibende Kraft. „Steueroasen", so der Vorsitzende des Hauptausschusses Dr. Frank Schmidt (SPD), sollten „nicht nur den Reichen Schatten spenden", vielmehr sollten Steuervorteile endlich einmal „unseren Kinder zugute kommen". Und Landrat Manfred Fluck (SPD) bezeichnete Fragen nach den Risiken, nach der Sanierung von PCB-Belastungen und nach der Beteiligung der Schulgremien als „Populismus in Reinkultur" (7).

Wie oben gesagt: „Es geht: UmSteuem". Vor allem um die Frage, wer sie bezahlt und wer sie einnimmt.

Harald Freiling
 

Quellen :

(1) Einzelheiten zum Frankfurter U-Bahn-Leasing unter www.rettetdieUBahn.de
(2) Birger Scholz: Leih mir mal Berlin! Cross Border Leasing und die schleichende Enteignung der Städte, http://www.privatisierungs-wahn.de/_318.html
(3) Werner Rügemer: Schmutzige Peanuts aus der globalen Steuerflucht. Hrsg.: Attac Deutschland. Frankfurt 2003
(4) vgl. Richard Hatcher: Widerstand gegen Privatisierung, in: HLZ 10/2002
(5) HLZ 1/2003
(6) Oberhessische Zeitung vom 4. 6. 2003
(7) Weilburger Tageblatt vom 12. 7. 2003