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Zusendung von der Redaktion der Wetterauer Zeitung (WZ) :

Sehr geehrter Herr Bodien,

anbei die gewünschten Texte.

MfG

Hedwig Rohde
 

"Entdemokratisierung auf unterster Ebene"

Attac Vogelsberg wehrt sich gegen OVAG-Angebot, kommunale Wasserversorgung zu übernehmen - OVAG widerspricht

Wetteraukreis (dö). Der Absicht der OVAG, die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung von Kommunen zu übernehmen, stößt auf die Kritik von Attac Alsfeld/Vogelsbergkreis. In einem Schreiben an die Kreistagsabgeordneten des Vogelsberg-und Wetteraukreises sowie des Landkreises Gießen fordert Attac die Kreistage auf, über ihre Mitglieder in der Verbandsversammlung des ZOV dahingehend zu wirken, dass die OVAG die Übernahmeangebote stoppt. Auch wird das Zurückkholen der OVAG in die ausschließlich öffentlich-rechtliche Verantwortung vorgeschlagen. Der Begründung, es dürfe nicht angehen, dass die Wasserversorgung dem Gewinnstreben von Unternehmen unterworfen werde, hat OVAG-Vorstand Rainer Schwarz vehement widersprochen. Gerade die OVAG mit ihrer Verwurzelung in der Region ist nach seiner Ansicht prädestiniert, die wichtige Aufgabe der Wasserversorgung zu übernehmen.

In ihrem Schreiben beruft sich die Attac-Gruppe auf den Kampf der Multis RWE,Vivendi, Suez und anderer auch um den deutschen Wassermarkt. Dabei gehe es um ein Milliardengeschäft. Eine Übernahme der OVAG durch einen dieser Konzerne sei bisher weder durch den Vorstand der OVAG noch durch die Kreistage und die Verbandsversammlung ausgeschlossen worden. Die wichtigste Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge, die Menschen mit dem wertvollen Lebensmittel Wasser zu versorgen, müsse aber in der Verantwortung der Einzelkommune verbleiben und dürfe nicht dem Gewinnstreben eines Unternehmens unterstellt werden. Ähnliches gelte für die Abwasserentsorgung. Außerdem bewertet Attac die "Weggabe" der Wasserver- und Abwasserentsorgung als "nicht zu verantwortenden Schritt in Richtung Entdemokratisierung auf unterster Ebene", denn die Gestaltung der Preise läge dann nicht mehr in der Hand der örtlichen Mandatsträger.

Unter Hinweis auf das "Privatisierungsfieber" auf allen Ebenen des Staates schlägt Attac den Kreispolitikern weiter vor, ihre Kreise zur "GATS-freien" Zone zu erklären. (Anmerkung: GATS ist ein internationales Vertragswerk der Welthandelsorganisation WTO, das den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen regelt.) Zur Begründung heißt es wörtlich: "Das globalisierungskritische Netzwerk Attac hält es für verhängnisvoll,wenn Landkreise,Städte und Gemeinden um kurzfristiger finanzieller Vorteile willen öffentliches Eigentum der Privatisierung anheim geben und damit wichtige Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge privatem Gewinnstreben unterwerfen. Vielfältige Erfahrungen in aller Welt belegen, dass die Bevölkerung infolge von solchen Privatisierungen auf den Gebieten Verkehr, Telekommunikation, Medien, Post, Bildung,Wasserversorgung etc. bei oft steigenden Preisen gravierende qualitative Verschlechterungen hinnehmen musste." Beispielsweise seien in Großbritannien nach der Privatisierung der Wasserversorgung die Verbraucherpreise und die Direktorengehälter um 50 Prozent gestiegen, der Börsenwert der Wasserbetriebe habe sich verdreifacht.

Das Privatisierungsgeschehen erfolgt nach Einschätzung von Attac vor dem Hintergrund der wachsenden Finanznot der Landkreise, Städte und Gemeinden. Es werde flankiert und befördert durch die von der WTO forcierten Regelungen des "von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt und ohne wesentliche parlamentarische Kontrolle einseitig von der Exekutive ausgehandelten GATS-Abkommens, unter dem öffentliches Eigentum unter Vernachlässigung sozialer und ökologischer Aspekte einseitig dem ökonomischen Wettbewerb mit international agierenden Konzernen ausgesetzt wird, die primär im Interesse der Kapitalanleger und nicht des Allgemeinwohls handeln".

"Attac verbreitet die Unwahrheit"

Rainer Schwarz, Finanzvorstand der OVAG, hat die Behauptungen von Attac als falsch zurückgewiesen und betont, eine Übernahme der Wasserversorgung wäre im Sinne der Bürger. Die OVAG, so Schwarz weiter, wäre der "ideale Partner" der Gemeinden und Kommunen in den drei Kreisen Wetterau, Vogelsberg und Gießen hinsichtlich der Übernahme der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Ideal wäre eine derartige Lösung nicht nur wegen der in vielen Jahrzehnten erarbeiteten Kompetenz und Zuverlässigkeit der OVAG. Vielmehr garantierten ZOV und OVAG als "bodenständige und dennoch innovative Partner", dass die ureigensten Anliegen der Menschen in der Region kontinuierlich gewährleistet seien.

Gerade deswegen sei ihm die in dem Papier von Attac Alsfeld" geäußerte Meinung völlig unverständlich, erklärte Schwarz. Die Liberalisierung des Wassermarktes sei unumgänglich. "Was aber ist besser für die Menschen: Wenn sich ein Multi, der seinen Sitz womöglich auf einem anderen Kontinent hat, um die Versorgung mit unserem wertvollsten Lebensmittel kümmert, oder ein kommunales Unternehmen, welches in der Region seit über 90 Jahren gewachsen ist und sehr wohl um die Belange der Bewohner weiß?", fragte Schwarz. Sollten die Verantwortlichen von Attac Alsfeld tatsächlich nicht wissen, welche Konsequenzen die Übernahmen von Wasserrechten durch einen multinational tätigen Konzern für die Betroffenen nach sich ziehen können, empfiehlt ihnen Schwarz die Lektüre des Buches "Blaues Gold", verfasst von den Globalisierungskritikern Maude Barlow und Tony Clarke. Die dort geschilderten Auswüchse wären unter der Regie des ZOV und der OVAG mit Sicherheit ausgeschlossen, verspricht Schwarz.

Schreibe Attac von einem "nicht zu verantwortenden Schritt in Richtung Entdemokratisierung", sei dies bei einer Übernahme durch ZOV und OVAG gerade nicht der Fall. Attac, so Schwarz, müsse bekannt sein, dass in der Verbandsversammlung des ZOV die gewählten Vertreter der drei Landkreise sitzen, mithin die Interessenvertreter der Region. Wie man auf einem liberalisierten Markt effizient und effektiv, im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, noch demokratischer deren Rechte wahren könnte, erscheine ihm schleierhaft. Zudem sehe das ZOV-Konzept eindeutig vor, die Wasserrechte bei den Kommunen zu belassen. Bewusst oder unbewusst, so Schwarz, verbreite Attac in einem weiteren Punkt die Unwahrheit, indem sie behaupte, bisher habe der Vorstand der OVAG die Übernahme durch einen "Multi" nicht ausgeschlossen. "Genau das Gegenteil trifft zu", erklärte Schwarz. Es sei die vielfach geäußerte Firmenpolitik, dass die OVAG unter allen Umständen ein kommunales Unternehmen bleibe. Dies decke sich auch mit den Aussagen der entscheidenden Politiker in den drei Landkreisen.
 

Wasserversorgung muss unter der demokratischen Kontrolle verbleiben
Zum Bericht "Entdemokratisierung auf unterster Ebene - Attac verbreitet die Unwahrheit", WZ vom 26. Februar

Unter dem Titel "Cliquen, Klüngel und Karrieren" haben die Soziologen Erwin K. und Ute Scheuch eine Studie veröffentlicht, die den Verfall der politischen Parteien zum Gegenstand hat. Für die kommunale Ebene wird dieser Verfall am Beispiel Köln deutlich gemacht, hier besonders im Zusammenhang mit dem Postenklüngel innerhalb und zwischen den großen Parteien CDU und SPD. Unter anderem geht es dabei um Vorstands- und Aufsichtsratposten privatrechtlicher Gesellschaften, die zu 100 Prozent der Stadt gehören. Die Reaktionen der Exponenten der Parteien reichten von Beschimpfungen über Androhung von rechtlichen Schritten bis hin zur Infragestellung der wissenschaftlichen Kompetenz der Autoren.

Die Attac-Gruppe Alsfeld hat nun keine Studie veröffentlicht, sondern lediglich ein Schreiben an die Kreistagsabgeordneten der drei Eignerkreise der OVAG gerichtet, in dem sie besonders auf die Privatisierungs- und Liberalisierungsproblematik im Zusammenhang mit der Wasserver- und Abwasserentsorgung der Kommunen aufmerksam macht und die Kreistagsabgeordneten bittet, dahingehend zu wirken, dass die OVAG die Offerte stoppt, die Wasserver- und Abwasserentsorgung über Pachtung von Kommunen zu übernehmen.

Weiter regt Attac Alsfeld darin an, die OVAG zu rekommunalisieren und die Kreise per Beschluss zur GATS-freien Zone zu erklären, um weiteren Privatisierungen öffentlichen Eigentums und der damit verbundenen Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge einen Riegel vorzuschieben.

Diesen Brief hat nun Rainer Schwarz, ehemals Erster Kreisbeigeordneter und Kämmerer des Wetteraukreises - hier war er ein besonders eifriger Verfechter der Ausgliederung kommunaler Aufgaben aus der "regulären" Verwaltung auf Beteiligungen -*) und seit 2000 Vorstandsmitglied der OVAG sowie 2002 Mitinitiator der Gründung der ASO, an der zwei Privatfirmen zwei Drittel der Anteile halten und die sich der Abwasserentsorgung annehmen soll, zum Anlass genommen, Attac Alsfeld mit grober Beschimpfung zu belegen. Erstaunt hat uns von Attac dieses Vorpreschen von Herrn Schwarz zunächst insofern, als dieses "Papier" doch gar nicht an die OVAG gerichtet ist. Lässt dieses Verhalten einen Schluss auf das Demokratieverständnis des Vorstandssprechers der OVAG zu? Will er hier den Kreistagsabgeordneten den Weg zeigen, wie sie zu reagieren haben oder ist dies geübte Praxis in der Hauptversammlung des ZOV: der Vorstand bestimmt, die Mitglieder der Versammlung nicken ab?

Mit aller Entschiedenheit weisen wir von Attac den Vorwurf der Verbreitung "der Unwahrheit" zurück. Wir betonen erneut, dass die FDP im Vogelsbergkreis wiederholt den Verkauf der OVAG-Anteile gefordert hat. Nach Einschätzung des Herrn Schwarz mögen vielleicht Landrat Rudolf Marx, der CDU-Fraktions- und Aufsichtsratvorsitzende der OVAG, Dr. Heuser, das Kreistagsmitglied der SPD (bis vor kurzem Fraktionsvorsitzender der SPD) und Aufsichtsratsmitglied der OVAG, Herbert Diestelmann, und der FWG-Fraktionsvorsitzende im Vogelsberger Kreistag und Mitglied der Hauptversammlung des ZOV, Friedel Kopp, nicht zu den "entscheidenden Politikern" der drei Landkreise zählen. Sie haben bisher eine von Attac Alsfeld bereits im April 2002 geforderte politische Aussage zur Privatisierungs- und Liberalisierungsproblematik und einer möglichen
Übernahme der OVAG durch einen Multi verweigert.

Was die "vielfach geäußerte Firmenpolitik" angeht, weist Attac auf §9 des Musterpachtvertrages hin, der die Rechtsnachfolge bei einem Pachtungsdeal zwischen einer Kommune und der OVAG regelt. Grundsätzlich sind Beteuerungen von Vorständen oder den "entscheidenden Politikern" unwesentlich, da nicht bindend. Außerdem muss Herr Schwarz darauf hingewiesen werden, dass er - bewusst oder unbewusst - desinformativ arbeitet, indem er die OVAG als "kommunales Unternehmen" bezeichnet. Dies muss korrigiert werden, denn die OVAG ist eine Aktiengesellschaft und hat damit eine privatrechtliche Form. Sie arbeitet - ebenso wie die ASO - gewinnorientiert.

Geradezu absurd und dreist ist der Vorwurf der Unwahrheit im Zusammenhang mit der von Attac Alsfeld getroffenen Feststellung, die Verpachtung der Wasserversorgung (Abwasserentsorgung) sei ein nicht zu verantwortender Schritt in Richtung Entdemokratisierung auf unterster Ebene. Unsinnig ist seine Argumentation. Wenn Herr Schwarz die Realisierung der Liberalisierung des Wassermarktes als schicksalhaft darstellt und behauptet, nur die Zusammenführung der Wasserver- und der Abwasserentsorgung der Einzelkommunen unter dem Dach der OVAG könne die Übernahme durch einen Multi verhindern und die demokratische Kontrolle wahren, ist dies der durchsichtige Versuch, die Einzelkommunen zur Aufgabe der eigenverantwortlichen Wasserver- und Abwasserentsorgung zu verführen.

In Artikel 28 des GG heißt es unmissverständlich: "Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln."

Dies betrifft besonders auch die Verantwortung für die Versorgung der Einwohner mit Trinkwasser, dem wichtigsten Lebensmittel überhaupt. Diese Verantwortung wird durch Teil- oder Vollprivatisierung aufgegeben. Sowohl die Wasserversorgung als auch die Abwasserentsorgung müssen daher in der Verantwortung der Einzelkommune und damit unter der demokratischen Kontrolle vor Ort verbleiben und dürfen nicht gewinnorientierten Unternehmen überlassen werden.

Hans-Georg Bodien, Attac Alsfeld

*) Der fettgedruckte Text war in der WZ, aber nicht in der OZ (Alsfeld) erschienen