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Artikel aus der jungen Welt
- 09.10.2006 / Schwerpunkt / Seite 3
Die große Veruntreuung
Auf einer Konferenz in Berlin wurde der »Sachzwang
Privatisierung« entzaubert. Lafontaine: Linkspartei
muß Glaubwürdigkeit zurückgewinnen
Von Peter Steiniger
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Den Reichen geben. Privatisierung ist
die Umkehrung des Robin-Hood-Prinzips
Foto: jW-Archiv
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Der Neoliberalismus führt Menschen zusammen. Am Sonnabend folgten
mehr als zweihundert Teilnehmer einer Einladung ins Europahaus in
Berlin, um über »Strategien zur Verteidigung
öffentlicher Güter« zu beratschlagen. Auf dem
Podium debattierten Politiker, darunter Francis Wurtz, Vorsitzender der
Linksfraktion GUE/NGL im Europaparlament, und sein rechtsrheinischer
Genosse Oskar Lafontaine, Chef der Linksfraktion im Bundestag,
mit Experten aus Gewerkschaften und Initiativen.
Die Teilnahme kurzfristig abgesagt hatte Harald Wolf. Der anderweitig
beschäftigte Berliner Wirtschaftssenator brachte sich damit
um nützliche Anregungen für die derzeit in Berlin laufenden
Koalitionsgespräche mit der SPD. Zugleich verpaßte er eine
vorzügliche Gelegenheit, den Draht der Berliner Linkspartei.PDS in
das sozial engagierte Spektrum fester zu wickeln. Die
Notwendigkeit einer solchen Rückkopplung und kritischen
Begleitung der Politik der PDS in Regierungsverantwortung
hatte das Berliner Wahlergebnis im September deutlich genug vor Augen
geführt.
Die Veranstaltung solle einen Beitrag dazu leisten, »das
Märchen von der Alternativlosigkeit zur
Privatisierungspolitik« als ein solches aufzudecken. Auch
innerhalb der Linken sei das ein aktuelles Thema, so die Gastgeberin,
die Europaabgeordnete der Linkspartei, Sahra Wagenknecht Sparkassen im
Visier
An konkreten Beispielen wurden Mechanismen und Folgen von
Privatisierungspolitik nachgezeichnet. Prof. Jörg Huffschmid
von der Universität Bremen und Benedict Ugarte Chacón von
der Initiative Berliner Bankenskandal setzten sich mit den Plänen
auseinander, die Bankgesellschaft Berlin einschließlich der
Sparkasse zu veräußern. Nach der umstrittenen
»Risikoabschirmung« – der Rettung des Instituts
vor dem Bankrott nach dem Bankenskandal im Jahr 2001 durch die
Übernahme der Risiken aus faulen Immobilienfonds zu Lasten
des Berliner Landeshaushalts – hatte die EU-Kommission wegen
»wettbewerbsverfälschender« Beihilfen eingegriffen und
Auflagen erlassen.
Danach hat Berlin den eingereichten Umstrukturierungsplan umzusetzen
und seine Anteile an der BGB bis Ende 2007 zu verkaufen. Prof.
Huffschmid und Benedict Chacón machten deutlich, daß die
Zielsetzung, die Sparkasse zu veräußern, auf den Berliner
Senat selbst und nicht auf die EU- Kommission zurückgeht. Nur mit
der Sparkasse als werthaltigem Bestandteil der BGB läßt sich
nämlich der gewünschte Milliardenschnitt machen.
Hinter dem Angriff auf das System der Sparkassen – Berlin könnte
mit dem Verkauf seines kommunalen Geldinstituts einen
Präzedenzfall bilden – stünden in erster Linie die privaten
Banken mit ihrem Bundesverband und Finanzinvestoren. Konkurrenz
solle so ausgeschaltet und eine relativ krisensichere Basis erobert
werden.
Demokratiefrage
Die öffentliche Hand verlöre mit den Sparkassen zugleich an
Einfluß auf eine politisch-legitimierte Strukturentwicklung. Mit
der Privatisierung droht die Ausgrenzung der Ärmeren aus dem
Finanzsystem durch die Verweigerung von Bankkonten. Arbeitsplätze
gehen verloren, die Versorgung in der Fläche verschlechtert sich.
Wenn privatisiert wird, dann muß dies zwingend nach den EU-Regeln
erfolgen – also diskriminierungsfrei, ohne eine Bevorzugung anderer
öffentlich-rechtlicher Institute. Jörg Huffschmid fordert
daher ein privatisierungsfestes Sparkassengesetz für Berlin. Bei
der Erarbeitung des aktuellen Sparkassengesetzes hatte sich der Senat
von der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer beraten lassen, die auch
mit der privaten Bankenlobby eng verzahnt ist.
Ob Wasserbetriebe, Verkehr oder Gesundheit – an einer Reihe von
Beispielen wurde deutlich, daß dort, wo öffentliches
Eigentum in privates Kapital umgewandelt wird, um diesem neue
Märkte zu erschließen, Arbeitsplatzabbau,
Steuerausfälle und steigende Preise die Folge sind. Ein Filz aus
Politik, Wirtschaft und Beratungsgesellschaften profitiert, offen oder
verdeckt. Mehr Effizienz und bessere Leistungen gelten nur für
jene, die zahlungskräftig sind. Billigere private Anbieter seien
dies stets nur zu Lasten der Beschäftigten. Sahra Wagenknecht
forderte dazu auf, »Ausbeutung beim Namen zu nennen«.
Der Publizist Werner Rügemer berichtete »aus dem bunten
Leben der Privatisierer« und über erfolgreiche Ansätze
zu Widerstand. Dazu sei es notwendig, bisher undiskutierte
»Kollateralschäden« der Privatisierungen
öffentlich zu diskutierten: Stets handele es sich dabei um
Verkäufe unter Wert, mit geheim gehaltenen Kaufverträgen und
von den öffentlichen Kassen zu tragenden Gewinngarantien mit
langen Laufzeiten. Während die Gesellschaft ihre Aktiva
verschleudere, zahle
sie noch drauf. Letztlich handele es sich um eine »verdeckte
Kreditaufnahme und zusätzliche Form der Staatsverschuldung«.
Als einen »Anschlag auf die Demokratie« kennzeichnete Oskar
Lafontaine den neoliberalen Entwicklungspfad, den die
Bundesrepublik eingeschlagen hat. Existentielle Sorgen würden die
Fähigkeit zum Widerstand bei den Menschen untergraben. Die
Ausbreitung neoliberaler Trends betreffe alle politischen
Organisationen und man müsse sich mit ihnen auch innerhalb einer
geeinten Linken auseinandersetzen, um Glaubwürdigkeit
zurückzugewinnen.
Francis Wurtz verwies auf Beispiele für erfolgreichen Widerstand
in Frankreich. Die französische KP möchte zu den anstehenden
Wahlen mit einer breiten Sammlungsbewegung die in der Gesellschaft
vorhandene antineoliberale Mehrheit mobilisieren. Doch die Pläne
sind weiter gesteckt: »Wir wollen ein Europa auf neuer Grundlage
schaffen.« Ein utopischer Plan? »Das ist genau das, was man
zu uns gesagt hat, als wir die ›Kampagne für das Nein‹ zum
marktradikalen EU-Verfassungsentwurf begannen.«
Literaturhinweise:
Jörg
Huffschmid (Hg.): Die Privatisierung der Welt. Hintergründe,
Folgen, Gegenstrategien. VSA- Verlag, Hamburg 2004
Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz. Von
der Treuhand zu Public Private Partnership. Westfälisches
Dampfboot, Münster 2006
Benedict Ugarte Chacón: Der Verkauf der Berliner Sparkasse.
Kritik und Alternativen.
Alexis Passadakis: Die Berliner Wasserbetriebe. Von Kommerzialisierung
und Teilprivatisierung zu einem öffentlich-demokratischen
Wasserunternehmen.
Beide
Broschüren sind über das Büro der
Europaabgeordneten Sahra Wagenknecht erhältlich.
www.sahrawagenknecht.de
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- Montag, 9. Oktober 2006, Nr. 234