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Oberhessische Zeitung (Alsfeld) vom 05.03.2004

Leserbrief :
"Die Unwahrheit?"

Betrifft: "Attac verbreitet die Unwahrheit"

Unter dem Titel "Cliquen, Klüngel und Karrieren" haben die Soziologen Erwin K. und Ute Scheuch eine Studie veröffentlicht, die den Verfall der politischen Parteien zum Gegenstand hat. Für die kommunale Ebene wird dieser Verfall am Beispiel Köln deutlich gemacht, hier besonders im Zusammenhang des Postenklüngels innerhalb und zwischen den großen Parteien CDU und SPD. Unter anderem ging (geht) es dabei hauptsächlich um Vorstands- und Aufsichtsratposten privatrechtlicher Gesellschaften, die zu 100 Prozent der Stadt gehören. Die Reaktionen der Exponenten der Parteien reichten von Beschimpfungen über Androhung von rechtlichen Schritten bis hin zur Infragestellung der wissenschaftlichen Kompetenz der Autoren. Die Attac-Gruppe Als-feld hat nun keine Studie veröffentlicht, sondern lediglich ein Schreiben an die Rreistagsabgeordneten der drei Eignerkreise der OVAG gerichtet, in dem sie besonders auf die Privatisierungs- und Liberalisierungsproblematik im Zusammenhang mit der Wasserver- und Abwasserentsorgung der Kommunen aufmerksam macht und die Kreistagsabgeordneten bittet, dahingehend zu wirken, dass die OVAG die Offerte stoppt, die Wasserver-und Abwasserentsorgung über Pachtung von Kommunen zu übernehmen.

Weiter regt Attac Alsfeld darin an, die OVAG zu rekommunalisieren und die Kreise per Beschluss zur GATS-freien Zone zu erklären, um weiteren Privatisierungen öffentlichen Eigentums und der damit verbundenen Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge einen Riegel vorzuschieben. Diesen Brief hat nun Rainer Schwarz, ehemals 1. Kreisbeigeordneter und Kreiskämmerer des Wetteraukreises (- hier war er ein besonders eifriger Verfechter der Ausgliederung kommunaler Aufgaben aus der "regulären" Verwaltung auf Beteiligungen - *), seit 2000 Vorstandsmitglied der OVAG und 2002 Mitinitiator der Gründung der ASO, an der zwei Privatfirmen zwei Drittel der Anteile halten und die sich der Abwasserentsorgung annehmen soll, zum Anlass genommen, Attac Alsfeld mit grober Beschimpfung zu belegen.

Erstaunt hat uns von Attac dieses Vorpreschen von Herrn Schwarz zunächst insofern, als dieses "Papier" doch gar nicht an die OVAG gerichtet ist. Lässt dieses Verhalten einen Schluss auf das Demokratieverständnis des Vorstandssprechers der OVAG zu? Will er hier den Kreistagsabgeordneten den Weg zeigen, wie sie zu reagieren haben oder ist dies geübte Praxis in der Hauptversammlung des ZOV: der Vorstand bestimmt, die Mitglieder der Versammlung nicken ab?

Mit aller Entschiedenheit weisen wir von Attac den Vorwurf der Verbreitung "der Unwahrheit" zurück. Wir betonen erneut, dass die FDP im Vogelsbergkreis wiederholt den Verkauf der OVAG-Anteile gefordert hat. Nach Einschätzung des Herrn Schwarz mögen vielleicht Landrat Rudolf Marx, der CDU-Fraktions- und Aufsichtsratsvorsitzende der OVAG Dr. Heuser, das Kreistagsmitglied der SPD (bis vor kurzem Fraktionsvorsitzender der SPD) und Aufsichtsratsmitglied der OVAG Herbert Diestelmann und der FWG-Fraktionsvorsitzende im Vogelsberger Kreistag und Mitglied der Hauptversammlung des ZOV Friedel Kopp nicht zu den "entscheidenden Politikern" der drei Landkreise zählen. Sie haben bisher eine von Attac Alsfeld bereits im April 2002 geforderte politische Aussage zur Privatisierungs- und Liberalisierungsproblematik und einer möglichen Übernahme der OVAG durch einen Multi verweigert. Was die "vielfach geäußerte Firmenpolitik" angeht , weist Attac auf Paragraf 9 des Musterpachtvertrages hin, der die Rechtsnachfolge bei einem Pachtungsdeal zwischen einer Kommune und der OVAG regelt. Grundsätzlich sind Beteuerungen von Vorständen oder den "entscheidenden Politikern" unwesentlich, da nicht bindend.

Außerdem muss Herr Schwarz darauf hingewiesen werden, dass er - bewusst oder unbewusst - desinformativ arbeitet, indem er die OVAG als "kommunales Unternehmen" bezeichnet. Dies muss korrigiert werden, denn die OVAG ist eine Aktiengesellschaft und hat damit eine privatrechtliche Form. Sie arbeitet - ebenso wie die ASO - gewinnorientiert.

Geradezu absurd und dreist ist der Vorwurf der Unwahrheit im Zusammenhang mit der von Attac Alsfeld getroffenen Feststellung, die Verpachtung der Wasserversorgung (Abwasserentsorgung) sei ein nicht zu verantwortender Schritt in Richtung Entdemokratisierung auf unterster Ebene. Unsinnig ist seine Argumentation. Wenn Herr Schwarz die Realisierung der Liberalisierung des Wassermarktes als schicksalhaft darstellt und behauptet, nur die Zusammenführung der Wasserver- und der Abwasserentsorgung der Einzelkommunen unter dem Dach der OVAG könne die Übernahme durch einen Multi verhindern und die demokratische Kontrolle wahren, ist dies der durchsichtige Versuch, die Einzelkommunen zur Aufgabe der eigenverantwortlichen Wasserver- und Abwasserentsorgung zu verführen.

In Artikel 28 des Grundgesetzes heißt es unmissverständlich: "Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln."

Dies betrifft besonders auch die Verantwortung für die Versorgung der Einwohner mit Trinkwasser - dem wichtigsten Lebensmittel überhaupt. Diese Verantwortung wird durch Teil- oder Vollprivatisierung aufgegeben. Sowohl die Wasserversorgung als auch die Abwasserentsorgung müssen daher in der Verantwortung der Einzelkommune und damit unter der demokratischen Kontrolle vor Ort verbleiben und dürfen nicht gewinnorientierten Unternehmen überlassen werden.

Hans-Georg Bodien, Grebenau

*) Diese Passage des Leserbriefes wurde nicht veröffentlicht.