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HLZ 5/2004 Seite 7 und 8
Ware Bildung

Mit den "Strategien der Effizienzfetischisten" in Staat und Wirtschaft, Medizin und Medien befassen sich die Autoren Peter Köpf und Alexander Provelegios von der Schreibwerkstatt "Denk-bar" in ihrem Buch "Wir wollen doch nur ihr Bestes" (Europa-Verlag 2002, 14,90 Büro). Als "Abraham-Syndrom" beschreiben sie die "Enteignung der Kinder und die Entmündigung der Eltern" unter den Prämissen ökonomischer Effizienz und brutaler Gewinnmajcimierung. Das Buch besticht durch die Zuspitzung und die mit vielen Belegen unterfütterte Beweisführung. Die HLZ dokumentiert die Thesen in der gekürzten Wiedergabe eines Artikels des Autorenteams aus der Zeitschrift "Kommune" (Htft 2/03).

Wie viel Ökonomie braucht ein Kind ?

Deutschlands Unternehmer sind glücklich über die Ergebnisse der PISA-Studie. Nach außen tragen sie Bestürzung und tiefe Sorgenfalten zur Schau, im intimen Kreis werden die Ergebnisse als große Chance erkannt: Für Dirk Plump, Präses der Handelskammer Bremen, bieten "die niederschmetternden PISA-Ergebnisse" den Vorteil, dass Veränderungen in Gang gesetzt werden, "die vorher nur schwer denkbar gewesen sind." Zur Disposition steht das ganze bisher weitgehend staatlich organisierte Bildungswesen. Der gute alte Humanismus hat auch in der Schule ausgedient. Spätestens seit PISA glauben sogar Bildungspolitiker an den deus oeconomicus. Die Litanei der Missionare klingt in den Ohren der Jünger richtig und zukunftsweisend, die Gemeinde wächst. Aber es gibt Gründe, ihrer Religion zu misstrauen.

Nachdem die Privatisierung die Kunden von Bahn, Post, und Krankenversicherungen beglückt hat, soll nun auch das Schulwesen - so DIHK-Vizepräsident Nikolaus W. Schües -"in die private Eigenständigkeit überführt werden". Bisher scheitere ein wirklicher Wettbewerb daran, dass sich die Privatschulen "vorwiegend über Elternbeiträge finanzieren müssen, während das Angebot staatlicher Schulen voll aus Steuermitteln finanziert wird." Konsequent fordert Schües "den Wegfall jeglicher staatlicher Förderung für allgemeinbildende Schulen über Steuergelder." Schülerinnen und Schüler beziehungsweise ihre Eltern sollten Bildungsgutscheine im Wert der heutigen Steueraufwendungen erhalten: "Am Ende der Entwicklung muss stehen, dass sich der Staat aus seiner Rolle als Schulanbieter vollkommen zurückzieht"(l).

Auch auf Veranstaltungen der grünen Heinrich-Böll-Stiftung wird das Modell der Bildungsgutscheine favorisiert. Wenn jedes Kind einen Gutschein erhält, den es an einer Schule seiner Wahl gegen Unterricht einlösen kann, dann klingt dies nach Wettbewerb, nach Leistung durch Konkurrenz, als könnte der Staat auf diese Weise die Ausgaben auf dem Bildungssektor kontrollieren.

Die Idee der Bildungsgutscheine stammt von Milton Friedman, dem Theoretiker des Neoliberalismus. Chile hat dessen Idee umgesetzt - in den achtziger Jahren unter Au-gusto Pinochet. Die Hamburger Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Lohmann (2) macht auf die Folgen aufmerksam: Nicht die Schülerinnen und Schüler suchen die Schule aus, sondern die Schule ihre Schülerinnen und Schüler. Zu den Privatschulen, deren Gebühren häufig über dem Wert der Gutscheine lagen, wechselten vor allem Kinder aus Familien mit mittleren und höheren Einkommen. Von den oberen 20 % der einkommensstärksten Familien ging nur ein Viertel der Kinder in öffentliche Schulen, 32 % in staatlich unterstützte und 43 % in Eliteschulen. Ähnliche Ergebnisse melden Neuseeland und China, wo schon Millionen Schüler auf mehr als 60.000 Privatschulen gehen. Mittelschichteltern allerdings waren froh, so Ingrid Lohmann, "dass ihre Söhne und Töchter nicht mehr zusammen mit Krethi und Plethi -die Schulbank drücken müssen".

Mehr Wirtschaft in den Unterricht

Wenn Schule der Wirtschaft nützen soll, dann muss mehr Wirtschaft in den Unterricht: „Es ist eine Kernaufgabe der Schule, junge Menschen mit dem Leistungsgedanken vertraut zu machen und so auf das spätere Leben vorzubereiten" (1). Zur Steigerung der Leistungsfähigkeit müssten Schülerinnen und.Schüler im Unterricht "praktische Aufgabenstellungen aus der beruflichen Praxis behandeln." Deshalb wünschen Schües und seine Bildungsexperten "die Erstellung kurzer, aussagekräftiger Berichte, die Behandlung kaufmännischer oder gewerblich-technischer Sachverhalte sowie das Verfassen englischer Geschäftsbriefe". Auch der Bundesverband Junger Unternehmer (BJU) wirbt für "eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Bildungseinrichtungen" (3) und ein Fach "Wirtschaftskunde". Dort sollten "sowohl volkswirtschaftliche Inhalte als auch wirtschaftspraktische Fragen wie Bankgeschäfte, Vertragsabschlüsse und Verbraucherrecht vermittelt werden". Das Deutsche Aktieninstitut, das die "Aktienakzeptanz bei Unternehmen und Anlegern" fördern soll, verlangt, "flächendeckend ein eigenes Fach Ökonomie an allen allgemeinbildenden Schulen einzuführen" (4). Direktor Franz-Josef Leven klagt, das Thema Markt werde in Nordrhein-Westfalen im Politik- oder Sozialkundeunterricht "immer als Marktversagen" behandelt: "Sofort kommt dann die Argumentation, der Staat müsse eingreifen." Natürlich kann der Markt aus Sicht des Aktieninstituts nie versagen. Wenn die Löhne stiegen, gäbe es unterm Strich mehr Arbeitslosigkeit. Es ist unumstritten: Wirtschaft ist ein elementarer Bestandteil der Gesellschaft. Wenn aber mehr Wirtschaftsunterricht rein soll, was fliegt dafür aus den Curricula raus? Sollen Kinder noch Schiller und Goethe lesen, wenn die Performance von Aktienfonds viel wichtiger ist? Wen interessiert noch Geschichte, wenn die Zukunft auf dem Spiel steht? Wo ist Platz für weitere Fächer, etwa das von Familienministerin Renate Schmidt angeregte Fach Familienkunde? Religion? Dafür gibt's doch sonntags die Kirchen. Wäre nicht vergleichende Religionskunde angebracht - nicht als christliche Predigt, sondern für ein besseres interkulturelles Verständnis? Wie wäre es angesichts von Volkskrankheiten wie Ernährungsstörungen und Übergewicht mit Gesundheitslehre - als Gegenprogramm zur Mikrowellen-, Tiefkühl- und Whopperkultur? Wer braucht noch Sport? Solche für den Wirtschaftsablauf irrelevanten Fächer haben in einer Schule, die konsequent vom deus oeconomicus bestimmt wird, keine Daseinsberechtigung.

Politiker wünschen Kinder, damit das Loch in der Rentenkasse gestopft wird. Für dem Wiener Soziologen Helmut Wintersberger sind sie unverblümt "die Ressource bei der Lösung der anstehenden Probleme" (5). Franz Schoser, ehemaliger Hauptgeschäftsführer des DIHK, hat "angesichts des weiter steigenden Fachkräftemangels auch die besonders schwierige Klientel der Lemschwachen" entdeckt, "die es bei der Ausschöpfung von Bildungsressourcen zu berücksichtigen gilt" (6).

Auch Donata Elschenbroich macht sich in ihrem Bestseller "Weltwissen der Siebenjährigen" nicht nur Sorgen um die Kinder, sondern auch um die Zukunft des Standorts. Die unterschiedliche Sorgfalt, die Schichten, historische Epochen oder Kulturen in die ersten sieben Lebensjahre ihrer Kinder investierten, habe "Auswirkungen auf die kollektive Intelligenz ganzer Gesellschaften" (7). Nun sollen also auch deutsche Kinder wieder für die "kollektive Intelligenz" lernen. Wenn die wenigen vorhandenen Kinder zu schwach dazu sind, müssen eben mehr Kinder her. Deshalb werden die Erwachsenen von den Ökonomen Andrea und Roland Tichy an ihre "Pflichten gegenüber Familie, Vaterland und Zukunftssicherung" erinnert (8).

Rohstoff Kinder - Unternehmen Familie

So werden Kinder zum "Rohstoff und Familien zu Unternehmen. Schon ist eine wachsende Zahl Eltern bereit, den neuen Göttern zu folgen: früher, schneller, mehr. Die Tagespläne mancher Kinder überschreiten längst die 38,5-Stunden-Woche - ohne Anspruch auf Überstundenausgleich. Zeit für freies Spielen? Zeit fürs Ausleben der eigenen Fantasie? "Sinnvolles Lernen" heißt die Devise. Donata Elschenbroich beschreibt die Dressurübungen eines Vaters, dessen zweijähriger Sohn alle Staaten der USA den Flaggen zuordnen kann. Wer hat eigentlich auf den letzten Seiten ihres Bestsellers gelesen, wie sich Elschenbroich durch dieses "kognitive Kunstwerk" veranlasst sah, „am Schneidetisch (...) ein neues Bild vom Kind entstehen zu lassen" - zunächst für einen Film?

Kinder müssen viel ertragen, auch elterlichen Ehrgeiz oder, um es freundlicher zu sagen, dass Eltern nur ihr Bestes wollen. Zielstrebig richten Mittelstandseltern ihren Blick und den ihrer Kleinen nach vorn, in die Zukunft. Heute ist in der Schule und bei der Erziehung wichtig und richtig, was im Berufsleben nützt. Ausschließlich. Auch wenn niemand weiß, was die Kleinen einmal an Rüstzeug brauchen werden, wenn sie groß sind, sind sie inzwischen bereit, ihre Kinder dem deus oeconomicus anzuvertrauen.
Investitionen müssen sich schließlich lohnen. Gibt es noch Pädagoginnen und Pädagogen, die darauf bestehen, dass Kinder Kinder sein dürfen? Gibt es noch Eltern, die darauf beharren, dass ihre Kinder das Recht auf das ganze Leben haben, dass das Leben zwar auch aus dem Arbeitsleben besteht, aber außerdem noch eine ganze Menge anderer contents enthält? Eltern und Pädagogen dürfen diese Debatte nicht den Netzwerken einiger old boys und den Kultusministerien überlassen. Sonst könnte es von dort bald heißen: In Zukunft sind die Kinder unser. Diese unausweichliche Entscheidung prägt in der Tat die Frage der Zukunft unserer Kinder. Wieviel Ökonomie braucht die Schule? Wieviel Wirtschaft braucht ein Kind?

Peter Köpf/Alexander Provelegios

(1) IHK Hamburg: Hamburgs Schüler auf Leistungskurs bringen. 2001
(2) Ingrid Lohmann/Rainer Rilling (Hrsg.): Die verkaufte Bildung. Opladen 2001
(3) BJU: Deutschland entrümpeln! o.J.
(4) Deutsches Aktien Institut: Memorandum zur ökonomischen Bildung, 2. Auflage Frankfurt 1999
(5) Helmut Wintersberger: Ökonomische Verhältnisse zwischen den Generationen, ZSE 1/1998
(6) Franz Schosner: Vortrag auf dem „Forum Bildung" am 10.1.2002 in Berlin (www.dihk.de/inhalt/download/forumbildung_schoser.doc)
(7) Donata Elschenbroich: Weltwissen der Siebenjährigen. Wie Kinder die Welt entdecken können. München 2002
(8) Andrea und Roland Tichy: Die Pyramide steht Kopf. München 2001