Zurueck zur Homepage
Zurueck zur Vorseite
Auszug aus HLZ - Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung,
Bildung, Forschung" , 60.Jahr, Heft 5, Mai 2007, Seite 2
KOMMENTAR
Bildungsland Hessen : Die Wirtschaft am Ruder?
„Invest in Future" heißt ein Kongress für Bildung und
Betreuung, der in diesem Jahr zum dritten Mal tagt. Das Forum für
Unternehmen, Öffentliche Hand und Träger diskutierte 2006
Bildung und Nachwuchs als „Kernelemente wettbewerbsorientierter
Unternehmensentwicklung" Die Wirtschaft hat die Bildung aber nicht nur
entdeckt, sondern übernimmt immer mehr koordinierende Funktionen:
Zum Beispiel in Mittelhessen:
In Mittelhessen wird ein „Masterplan Bildung zur Stärkung der
Bildungsregion" erarbeitet, mit Trägern, Ausbildungsinstituten,
Regierungsvertretern, Vertretern der Kammern, der
Unternehmerverbände und Gewerkschaften - unter Federführung
der Vereinigung Hessischer Unternehmerverbände (VHU). Stolz
verkündet die VHU, „für die bessere Weiterbildung der
Fachkräße vor allem im Elementarbereich" in Wetzlar einen
Bachelor-Studiengang unter „alleiniger Mitwirkung der Unternehmerscite"
bis Semesterbeginn 2007/08 schaffen zu wollen. Auch für
Grundschullehrkräfie soll der modularisierte Studiengang
Weiterbildungen anbieten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Selbstverständlich müsse längerfristig an ein
Zusammenwachsen der beiden pädagogischen Arbeitsfelder gedacht
werden, sagte der Vertreter der VHU anlässlich der Vorstellung des
Konzepts. Im Frühjahr 2007 fand die Sitzung der Fachkommission
für den „Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan von 0 bis 10"
wohl nicht zufällig in den Räumen der VHU in Frankfurt statt.
Die Begrüßung übernahm der
Hauptgeschäftsführer des Verbundes.
Zum Beispiel in Offenbach:
In Offenbach streiten sich Landrat und Oberbürgermeister jahrelang
über eine Neugliederung des beruflichen Schulwesens. Dann
übergeben sie die Angelegenheit - der Industrie- und Handelskammer
(IHK). Unter Vorsitz des IHK-Geschäftsführers wird zu einer
„Mediation" eingeladen, unter Beteiligung führender regionaler
Wirtschaftsvertreter. Schulpersonalräte und
Gesamtper-sonalratsvertreter sind - wie zu erwarten - explizit
unerwünscht. Die GEW bleibt ebenfalls außen vor. Zwar darf
ein DGB-Vertreter dabei sein, aber nur weil er Vorsitzender des
regionalen Berufsbildenden Ausschusses ist. Und: Er wird zu strengster
Verschwiegenheit verpflichtet.
Merke: Wenn das Bildungswesen der öffentlichen Verantwortung und
Kontrolle entzogen wird, bleibt die Demokratie auf der Strecke.
Von Einzelfällen kann man nicht mehr reden, die Sache hat Methode.
Die Bildungspolitik der CDU-Landesregierung wirkt wie von der VHU
abgeschrieben. Sämtliche „schulpolitischen Positionen " der VHU
seit 1999 bis hin zum Konzeptpapier „Projekt Bildung - Perspektiven von
Hessen " aus dem Jahr 2003 lesen sich wie ein beliebiges Redemanuskript
aus dem Hessischen Kultusministerium. Sie alle empfehlen die gleichen
Konzepte: mehr Autonomie, mehr Eigenverantwortung, mehr Management,
mehr Einßuss der Wirtschaft.
„Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates",
heißt es in Artikel 7 des Grundgesetzes. Doch dieser Staat „
macht sich schlank", zieht sich aus immer mehr Bereichen zurück,
damit Private nachrücken und neue Märkte erobern können.
Nach Post, Strom und Bundesbahn hat die staatliche Magersucht auch
Schulen und Kindertageseinrichtungen erreicht.
Wer Bildung nur als Standortfaktor und Humaninvestition versteht, schon
die kleinsten Kinder als „Humankapitalfaktor" sieht, wer Bildung und
Schule auf Kompetenzen, Schlüsselfertigkeiten und
„Beschäftigungsfähigkeit" reduziert und mit Begriffen wie
„Ich-AG" hantiert, hat kein Interesse an gebildeten Menschen, die ihre
gesamten Fähigkeiten und Potenziale ausschöpfen.
Die Übernahme koordinierender und leitender Funktionen im
Bildungswesen durch Wirtschaftsverbände und die damit verbundene
Ausgrenzung der Interessenvertretungen der Beschäftigten, der
Kinder und Jugendlichen und ihrer Eltern ist nicht im Sinne all
derjenigen, deren Anliegen Bildung für eine soziale und humane
Gesellschaft ist.
Michael Köditz
GEW-Refcrat Sozialpädagogische Berufe,
Karola Stötzel
stellvertretende GEW-Landesvorsitzende