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Schadenersatz an Gemeinde

Karlsruher Urteil gegen einen Landkreis wegen Amtspflichtverletzung könnte Präzedenzfall werden

von Werner Rügemer

Günther Jautze, Bürgermeister der sächsischen Gemeinde Oderwitz, erinnert sich lebhaft an den 12. Dezember 2002. Erwartungsvoll hatte er mit seinem Rechtsanwalt im Saal des Bundesgerichtshofes (BGH) in Karlsruhe gesessen. Unruhig sei er gewesen, aber nicht unsicher, sagt er: »Wir müssen eigentlich recht bekommen, habe ich gedacht«. Nach zwei Jahren aufreibender gerichtlicher Auseinandersetzungen hat der BGH die Sicht der Gemeinde bestätigt, die gegen die übergeordnete Kommunalaufsicht, den Landkreis Löbau-Zittau, geklagt hatte. Das Urteil ist für Jautze das wichtigste Ereignis seiner Amtszeit. »Mit diesem Urteil konnte erreicht werden, daß die Gemeinde Oderwitz mit 6400 Einwohnern aus einer äußerst schwierigen Finanzlage geführt wird.«

Aber worum ging es bei der Klage in Karlsruhe? Oderwitz, das aus drei früher selbständigen Teilgemeinden besteht, ist hoch verschuldet. An der sozialen Infrastruktur wird schon lange gespart. Eine Schuldenursache ist die Sporthalle.

Der frühere Bürgermeister der Teilgemeinde Niederoderwitz schloß 1995 einen Leasingvertrag mit einem Berliner Investor. Der errichtete die Sporthalle und vermietete sie für 30 Jahre an die Gemeinde. Im Jahre 2025 kann die Gemeinde die Halle für 0,8 Millionen Euro kaufen. Bis dahin müßte sie aber insgesamt 4,5 Millionen Euro Miete bezahlen, außerdem die Betriebskosten. Das sah anfangs wegen der Staffelmiete scheinbar günstig aus: Die erste Jahresmiete betrug 50000 Euro. Mittlerweile beträgt sie aber schon 100000, und im letzten Jahr wären es 400 000 Euro.

Der Sächsische Rechnungshof stellte bei einer stichprobenartigen Prüfung fest, daß ein Kommunalkredit wesentlich günstiger gewesen wäre als das Investorenmodell. Auch sei der Gemeinderat nicht ordentlich informiert worden. Der Landkreis Löbau- Zittau als Kommunalaufsicht hätte den Vertrag nie genehmigen dürfen. Daraufhin verlangte Bürgermeister Jautze vom Landkreis
Schadenersatz wegen Amtspflichtverletzung. Nach erfolgloser Klage vor dem Amtsgericht Görlitz gab das Oberlandesgericht Dresden der Gemeinde Oderwitz recht. Der Landkreis ging daraufhin in Berufung.

Doch der BGH bestätigte in seiner aktuellen Entscheidung den Anspruch der Gemeinde und damit erstmalig die Schadenersatzpflicht der Kommunalaufsicht wegen Amtspflichtverletzung. Das Urteil bedeutet, daß Regierungspräsidenten und Landräte ungünstige und schuldentreibende Verträge verhindern müssen, bei Strafe eines Schadenersatzes.

Langfristige Leasingverträge werden in deutschen Kommunen immer häufiger abgeschlossen. Dabei geht es nicht nur um Sporthallen wie in Oderwitz, sondern auch um größere Projekte wie Kongreßzentren, Rathäuser und Kläranlagen. Die Verträge sollen die Gemeindehaushalte entlasten, aber sie erweisen sich immer mehr als eine zusätzliche Schuldenfalle. So wurde etwa von der Stadt Köln für das neue Rathaus ein 30jährige Mietvertrag mit einem Investor abgeschlossen, der
den kommunalen Schuldenstand weiter in die Höhe treibt. Denn die Stadt hat sich verpflichtet, als Mieter alle Reparaturen zu tragen und für die Miete von 2 500 Parkplätzen aufzukommen, die häufig leer stehen.

Das Landratsamt Löbau-Zittau akzeptierte das Urteil. Die finanziellen Verpflichtungen werden vom Kommunalen Schadensausgleich übernommen, einer Art kommunaler Haftpflichtversicherung. Letztlich wird also der Steuerzahler zur
Kasse gebeten. Ansonsten möchte Amtsleiter Karl Ilg möglichst wenig Aufsehen erregen. Er gehe davon aus, »daß aus der früheren Zeit keine vergleichbaren Fälle mehr vorliegen«. Ilg könnte sich täuschen. Sein Amt war in Berufung gegangen, obwohl es sein Fehlverhalten nicht bestreitet. Es wollte aber einen Präzedenzfall verhindern. Zum Urteilsspruch waren zahlreiche Ministerialbeamte, der Präsident des Sächsischen Landesrechnungshofs und Vertreter des Kommunalen Schadenausgleichs nach Karlsruhe gekommen. Die Atmosphäre war gespannt. Günther Jautze: »Der Anwalt der Gegenseite hat dargelegt, warum wir eigentlich kein Recht bekommen können: Weil damit eine Lawine losgetreten werden könne.«

In der Tat: Jautze erwägt, in einem weiteren Fall gegen den Landkreis vorzugehen. Ein viel größerer Anteil der Oderwitzer Schulden resultiert nämlich aus einem weiteren kreditähnlichen Rechtsgeschäft mit einem zweiten Investor Der hat die überdimensionierte Kläranlage gebaut. Der Amtsleiter, der dies genehmigte, war derselbe, der den Leasingvertrag für die Sporthalle zu verantworten hat. Nun sind Verhandlungen mit der sächsischen Landesregierung im Gange, die den Vertrag als Modellprojekt ansah. Sollte der Freistaat Sachsen keine Zuschüsse zahlen, könne es sein, »daß auch hier der Rechtsweg auf der Basis dieses Urteils beschritten wird«, sagt Jautze.

junge Welt vom 11.02.2003