04.10.2005
Thomas Ristow
Ein Protektorat in Yorkshire
Bertelsmann über alles (Teil 1). Trojaner in England
Im Rahmen seiner europäischen Print-Offensive baut Bertelsmann eine rund 100 Millionen Euro teure Druckerei im italienischen Treviglio und für knapp 170 Millionen Euro eine Druckerei in Liverpool. Hier in England hat sich die Bertelsmann-Tocher Arvato gegen den britischen Marktführer im Druckbereich, Polestar (Investcorp), durchgesetzt. Ein Druckauftrag für die nächsten zehn Jahre der News Corporation (Murdoch-Imperium) im geschätzten Wert von einer Milliarde Euro wurde nicht an Polestar, sondern an die deutsche Konkurrenz in Liverpool vergeben.
Hoheitliche Aufgaben
Der neueste Coup ist ein von der EU abgesegnetes Joint Venture zwischen Arvato, Gruner+Jahr (G+J) und der Axel Springer AG; Bertelsmann wird damit zum europäischen Marktführer im Zeitschriftendruck. Die neue AG firmiert unter dem Namen Prinovis, Vorstandsvorsitzender ist Stephan Krauss, ein Zögling des Vorsitzenden der Bertelsmann-Stiftung, Gunter Thielen.
Für 2005 erwartet Bertelsmann in allen Tätigkeitsbereichen
ein starkes Wachstum. Der Konzernumsatz stieg in den vergangenen sechs
Jahren um knapp 40 Prozent auf 17 Milliarden Euro. Für das laufende
Jahr kündigte das Unternehmen weitere Firmenübernahmen an. 1,5
Milliarden Euro sind dafür eingeplant. Unter anderem erwägt Bertelsmann
den Kauf mehrerer TV-Sender in Osteuropa, das im Konzern neben Asien als
wichtigste Wachstumsregion gilt.
Kaum bekannt ist, daß die Arvato seit Juli den Großteil
der öffentlichen Verwaltungsarbeit einer britischen Gemeinde erledigt.
Für mindestens acht Jahre hat die Bertelsmann-Tochter die Verwaltung
der Gemeinde East Riding in Yorkshire übernommen. Rund 500 Mitarbeiter
der Verwaltung werden zu Arvato wechseln. Ein deutsches Unternehmen erledigt
damit hoheitliche Verwaltungsaufgaben, die bisher dem britischen Staat
unterstanden. Arvato managt die Gemeinde, erhebt Gebühren und zieht
Steuern ein. East Ridings Bürgermeister Stephen Parnaby ist voller
Optimismus.
Schaukastenprinzip
Für den Arvato-Chef Hartmut Ostrowski ist dieser Dienstleistungsvertrag ein Pilotprojekt von strategischer Bedeutung, ein »Schaukasten« für weitere Interessenten, nicht zuletzt deutsche »Manager der öffentlichen Verwaltung«. Und die deutsche Sektion des Europaverbandes der Selbständigen (BVD) sieht in der Verwaltung der englischen Kleinstadt durch ein Bertelsmannunternehmen bereits ein zukunftsweisendes Modell. Nach Meinung des BVD-Präsidenten Kuni Both werden »die weiterwuchernden Personalkosten in uneffektiven öffentlichen Verwaltungen Deutschland endgültig in den Bankrott treiben«. Den Deutschen Städtetag kritisiert Both dabei zu Unrecht. Denn dieser hält das Outsourcing für eine von vielen Möglichkeiten, die kommunale Verwaltung effektiver zu machen; hat nur etwas gegen eine »komplette« Privatisierung, wie Both sie fordert, einzuwenden.
Nahziel Zentraleuropa
Durch Stiftungsprojekte und Kooperationen mit diversen Behörden und Institutionen forciert die Bertelsmann-Stiftung (die knapp 58 Prozent der Anteile der Bertelsmann AG hält und sich aus deren Gewinnen finanziert) seit Jahren die Umkrempelung des öffentlichen Dienstes zu Service-Agenturen. Das reicht von der Zusammenarbeit mit einem DGB-Bildungswerk, wo Betriebsräte zu »Managern des Wandels« umgeschult wurden, über die geplante Zurichtung des Bibliothekswesens in Kompetenzzentren für Eliten, bis zu dem wenig beachteten Protektorat in Yorkshire.
Arvato beteuert zwar, es gehe in Yorkshire nur darum, Prozesse qualitativ zu verbessern, doch man kommt auch zur Sache: »Erst wenn das privat gemanagte Rathaus dem Vergleich mit anderen Verwaltungen standhält, fließen Mittel von der Zentralregierung.« (Kölner Stadt-Anzeiger vom 23.Februar 2005) Das neue Tätigkeitsfeld ist für die Konzerntochter ein beispielhaftes Vorzeigeprojekt, und wenn es erfolgreich abgeschlossen ist, hofft man in diesem neu geschaffenen Markt auf viele neue Kunden und viele neue, in die Kassen von Arvato-Bertelsmann »fließenden Mittel«.
Arvato-Servicemanager Rolf Buch sagte: »Wir wollen das in England
gut machen«. Sein Chef und er sehen im Dienstleistungsgeschäft
der öffentlichen Verwaltung einen schlafenden Riesen. Das schlummernde
Marktvolumen soll sich allein in Großbritannien auf über acht
Milliarden Euro pro Jahr belaufen. So ist es nicht verwunderlich, daß
der Konzern den Einstieg in den öffentlichen Dienst auch anderer europäischer
Staaten auf dem Wunschzettel hat.
Mit sogenannten Public Private Partnerships will Bertelsmann also in
die noch unter nationalstaatlicher Kontrolle stehenden Verwaltungsbereiche
eindringen. »Später zielen wir natürlich auch auf Zentraleuropa,
vor allem auf Deutschland«, erklärt Rolf Buch. In etwa drei
Jahren rechnet er mit ersten Gehversuchen in deutschen Landen. Kuni Both,
die gewandelten Manager der öffentlichen Verwaltungen und die Personalvertretungen
Europas werden sich freuen – von Faro bis Vilnius.
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Bertelsmann-Daten
Die Bertelsmann AG erzielte 2004 mit über 76000 Angestellten einen weltweiten Umsatz von 17,59 Milliarden Euro, machte dabei mehr als 1,2 Milliarden Euro Gewinn. Zu dem global agierenden Medienriesen gehören folgende Tochterunternehmen:
Arvato AG – ein international vernetzter Dienstleister, rund 250 Tochterunternehmen in 28 Ländern, etwa 30000 Beschäftigte (Umsatz 2004: 3,75 Milliarden/Anteil am gesamten Bertelsmann-Umsatz: 21,4 Prozent)
Direct Group – Buch- und Musikclub mit etwa 40 Millionen Mitgliedern in 21 Ländern (2,18 Milliarden/12,4 Prozent)
Gruner+Jahr – Europas größter Zeitschriftenverlag, 110 Zeitschriften in zehn Ländern, etwa 11 000 Mitarbeiter (2,44 Milliarden/13,9 Prozent)
Random House – Buchverlagsgruppe mit globaler Reichweite, 250 Verlagsmarken (1,79 Milliarden/10,2 Prozent)
RTL Group – Europas führende Radio- und TV-Produktionsgruppe, 26 TV-Sender, 260 Programme in 39 Ländern (4,88 Milliarden/27,7 Prozent)
Sony-BMG – Bertelsmann Music Group, Handel mit Tonträgern und Musikverlag,
rund 200 Labels in 41 Ländern (2,55 Millarden Euro/14,5 Prozent)
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