ATTAC Alsfeld/Vogelsberg
Hans-Georg Bodien
36323 Grebenau, den 9.2.2004
Finkenrain 3
Tel. 06646/1230
An alle Kreistagsabgeordneten
des Vogelsberg- und Wetteraukreises
und des Kreises Gießen
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir nehmen das SLB-Geschäft des Kreises Waldeck-Frankenberg
und die Übernahmebestrebungen von Wasserver-und Abwasserentsorgung
in Vogelsberger Kommunen durch die OVAG zum Anlass,Sie zu bitten,weiteren
Privatisierungen einen Riegel vorzuschieben.
Die dramatische Finanznot auf allen Ebenen unseres Gemeinwesens
ist die Ursache für vorher nie dagewesenes Privatisierungsfieber
in Bund, Ländern und Kommunen.
Als besonders fragwürdige Modelle für das schnelle Geld für
Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände sind CBL-, SLB-
und PPP-Geschäfte in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten.
Gemeinsam ist ihnen, dass hier Vermögenden der direkte Zugriff auf
öffentliches Eigentum wie Wasserversorgung, Klärwerke, Kanalisation,
Müllentsorgung,Schul-und Verwaltungsgebäude etc. gewährt
wird. Gemeinsam ist ihnen auch, dass solche Geschäfte den Kapitalanlegern
Steuerentziehung in erheblichem Maße ermöglichen und Oberbürgermeister,Bürgermeister,Landräte
und ihre Adlaten,die solche Geschäfte tätigen,ein riesiges Defizit
an Gesamtverantwortung für die Finanzsituation der Öffentlichen
Hand belegen.
Das globalisierungskritische Netzwerk Attac hält es
für verhängnisvoll,wenn Landkreise,Städte und Gemeinden
um kurzfristiger finanzieller Vorteile willen öffentliches Eigentum
der Privatisierung anheim geben und damit wichtige Augaben der öffentlichen
Daseinsvorsorge privatem Gewinnstreben unterwerfen.Vielfältige Erfahrungen
in aller Welt belegen,dass die Bevölkerung infolge von solchen Privatisierungen
auf den Gebieten Verkehr,Telekommunikation,Medien,Post,Bildung,Wasserversorgung
etc.bei oft steigenden Preisen grvierende qualitative Verschlechterungen
hinnehmen musste.So sind z.Bsp. in Grossbritanien - im Zusammenhang mit
PPP-Geschäften von unserer politischen und wirtschaftlichen Elite
erneut als beispielhaft herausgehoben - im Zusammenhang mit der Privatisierung
der Wasserversorgung die Verbraucherpreise und die Direktorengehälter
um 50% gestiegen,derBörsenwert der Wasserbetriebe hat sich verdreifacht.
Das Privatisierungsgeschehen erfolgt einerseits vor dem Hintergrund
der wachsenden Finanznot der Landkreise,Städte und Gemeinden,andererseits
wird es flankiert und befördert durch die von WTO forcierten Regelungen
des von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt und ohne wesentliche
parlamentarische Kontrolle einseitig von der Exekutive ausgehandelten GATS-Abkommens(Das
GATS ist ein internationales Vertragswerk der Welthandelsorganisation(WTO),das
den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen regelt),unter
dem öffentliches Eigentum unter Vernachlässigung sozialer und
ökologischer Aspekte einseitig dem ökonomischen Wettbewerb
mit international agierenden Konzernen ausgesetzt wird,die primär
im Interesse der Kapitalanleger und nicht des Allgemeinwohls handeln.
Um weiteren Privatisierungen Widerstand entgegen zu setzen,schlagen
wir Ihnen vor,über einen Beschluss ihren Landkreis zur GATS freien
Zone zu erklären.Dies wäre eine eindrucksvolle Wahrnehmung Ihres
Mandats,das Sie zum Handeln für das Allgemeinwohl verpflichtet.Volksvertretungen
von Städten in aller Welt wie Wien,Paris,Melbourne,Vancouver,Göttingen
u.a. haben einen solchen Beschluss bereits gefasst.
Sehr geehrte Damen und Herren,
eine weitere Variante, schnelles Geld in die klammen Kassen der Gemeinden
und Städte zu bringen, ist die Offerte der OVAG, die Wasserversorgung
(neuerdings auch die Abwasserentsorgung) von Kommunen über Pachtung
zu übernehmen. So gibt die OVAG in einem Informationsblatt den Weg
vor, wie Städte und Gemeinden möglichst schnell an eine Summe
zur Teilsanierung ihrer schwierigen Finanzlage kommen können. So könnten
die Forderungen aus dem Pachtvertrag durch ein sogenanntes Factoring an
ein Kreditinstitut verkauft werden, was - wie wir meinen - eine neue Art
der Verschuldung und nur ein kurzfristiger Vorteil wäre. Ähnliches
gilt auch für ein Factoring einer möglichen Konzessionsabgabe.
In diesem Fall könnten dann noch Banken zu Lasten der Bürger
profitieren. Am Ende der Laufzeit des Pachtvertrages (30 Jahre) wären
die Kommunen verpflichtet, der OVAG für geleistete Erweiterungs- und
Ersatzinvestitionen den Restbuchwert dieser Massnahmen zu erstatten. Wenn
die Anlagen aus Gewinnstreben auf Verschleiss gefahren worden sind, hat
die Kommune erst recht ein Problem. Die Leidtragenden wären in jedem
Fall unsere Kinder und Kindeskinder. Bei einer Verpachtung der Wasserversorgung
(Abwasserentsorgung) liegt die Gestaltung der Preise dann nicht mehr in
der Hand der örtlichen Mandatsträger - ein nicht zu verantwortender
Schritt in Richtung Entdemokratisierung auf unterster Ebene. Auch ist nicht
ausgeschlossen, dass die OVAG von einem Grosskonzern (z.B. RWE,VIVENDI,SUEZetc.)
geschluckt wird. Ihnen ist sicherlich bekannt, dass der Kampf der Multis
auch um den deutschen Wassermarkt voll entbrannt ist, denn es geht um ein
Milliardengeschäft. Forderungen, die Anteile des Vogelsbergkreises
an der OVAG zur Teilsanierung des Kreishaushaltes zu verkaufen, wurden
von der FDP in der Vergangenheit wiederholt laut.,eine mögliche Übernahme
der OVAG durch einen dieser Konzerne ist bisher weder durch den Vorstand
der OVAG noch die Kreistage bzw.Verbandsversammlung ausgeschlossen worden.
Ein Beispiel, wie Kreistage um kurzfristiger finanzieller Vorteile willen
öffentliches Eigentum aufzugeben bereit sind, ist die Energieaktiengesellschaft
Mitteldeutschland (EAM). Durch den Verkauf von 50% der kommunalen Anteile
an EON 2002 besitzt jetzt der Konzern 72% der Aktien. EON hat sich diesen
Deal rund eine halbe Milliarde Euro kosten lassen. Bei Eintritt eines solchen
nicht auszuschliessenden Falles wäre dies gleichbedeutend mit der
Umwandlung von Wasser in möglichst viel Geld. Wasser würde nicht
mehr als kostbarstes Lebensmittel sondern als x-beliebige Handelsware verstanden.
Negative Auswirkungen auf eine nachhaltige Wasserwirtschaft wäre wahrscheinlich
die Folge, besonders auch dann, wenn es zu der von den Konzernen besonders
aggressiv geforderten Liberalisierung der Wasserversorgung kommt. Noch
ist die Monopolstellung der Gemeinden in Bezug auf die Wasserversorgung
gesetzlich geschützt, was nach unserer Meinung besonders auch von
den Kommunalpolitikern verteidigt werden muss. Die Befürworter einer
Verpachtung an die OVAG versuchen den Verbrauchern zu suggerieren, sie
profitierten von einer Weggabe der Wasserversorgung, obwohl sie wissen,
dass das Wasser teurer werden muss, wenn Gewinn herauskommen soll. Ähnliches
gilt auch für die Abwasserentsorgung.
Sehr geehrte Damen und Herren,Grossbritanien privatisierte Ende
der 80er Jahre - wie bereits oben erwähnt - seine Wasserversorgung.Studien
der Universitäten Manchester und Greenwich fällten dazu einige
Jahre später ein vernichtendes Urteil.So waren die Verbraucherpreise
um 50% gestiegen,die Direktorengehälter auch und der Börsenwert
der Wasserbetriebe verdreifachte sich.Die Schattenseiten der Privatisierung
erlebte besonders dramatisch Grenoble.Die französische Stadt sah sich
wegen Korruption,Misswirtschaft und überzogener Verbraucherpreise
zur Rücknahme der Wasserversorgung in die öffentliche Hand gezwungen.
Wir bitten Sie nun dringend, über Ihre Mitglieder in der Verbandsversammlung
des ZOV dahingehend zu wirken, dass die OVAG solche Angebote an die Kommunen
stoppt. Die wichtigste Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge,nämlich
die ansässigen Menschen mit dem wertvollsten Lebensmittel Wasser
zu versorgen,muss in der Verantwortung der Einzelkommune bleiben,ebenso
die Abwasserentsorgung.Ein Zurückholen der OVAG in die ausschließlich
öffentlich-rechtliche Verantwortung sollte offensiv angegangen werden.
Wir bitten Sie um eine Stellungnahme zu der angesprochenen Problematik.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Georg Bodien
für ATTAC Alsfeld/Vogelsberg