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"Neue Westfälische, Bielefeld vom 01.09.2006

Privat statt Staat: Das englische Modell

Bertelsmann-Tochter Arvato übernimmt Verwaltung


Seit diesem Sommer verwaltet die Bertelsmann-Tochter Arvato einen Bezirk in Großbritannien, in dem 320,000 Menschen leben. In Deutschland ist dieses Prinzip noch Zukunftsmusik.

VON JOCHEN WITTMANN

• London. Das britische Modell des „Public Private Partnership" macht immer mehr Schule Es ist, als ob der Staat sagen würde: Das war's, macht ihr es, ihr könnt es ja sowieso besser. In der Gemeinde East Riding im nordenglischen Yorkshire hat die Obrigkeit abgedankt: Ein Großteil der hoheitlichen Aufgaben wird seit diesem Sommer privat ausgeführt. Ob es die Eintreibung der Gemeindesteuern ist oder die Auszahlung der Sozialhilfe, die Betreuung der Bürgerbüros oder die Verwaltung der Finanzen dieses Gemeindebezirks, der immerhin rund 320.000 Einwohner zählt: Nicht der Staat, sondern ein Unternehmen der Privatwirtschaft managt jetzt all diese Aufgaben.

Und es ist eine deutsche Firma. Die Arvato AG, eine hundertprozentige Tochter des Bertelsmann-Konzerns, hat einen über acht Jahre laufenden Service-Vertrag abgeschlossen, der dem Unternehmen pro Jahr rund 25 Millionen Euro einbringt. Die Grundlage dieser Geschäftsbeziehung ist das Instrument des so genannten „Public Private Partnership" (PPP}.

Das Kürzel steht für ein immer beliebter werdendes Modell: Öffentliche Einrichtungen gehen Bündnisse mit der Privatwirtschaft ein zwecks Übernahme von bislang staatlichen Aufgaben. In Großbritannien machen PPP-Projekte -mit jährlichen Schwankungen - zwischen 15 und 25 Prozent der Investitionen in öffentlichen Dienstleistungen aus. Dabei ist der Phantasie, in welchen Bereichen sich die Privatwirtschaft engagieren kann, keine Grenzen gesetzt - ob es der Bau und Betrieb von Gefängnissen oder Krankenhäusern ist oder das Management der Londoner U-Bahn oder, wie in East Riding, gar die Verwaltung eines ganzen Bezirks. Ende letzten Jahres waren 780 PPP-Verträge mit einem Gesamtvolumen von über 53 Milliarden Pfund gezeichnet.

So weit verbreitet und üblich ist PPP in England, dass selbst der Fall East Riding, wo immerhin die Übernahme von eigentlich staatlichen Aufgaben zur Debatte steht, keine Schlagzeilen im Land gemacht hat. Nur die rechtsextreme Partei BNP und einige Europa-Hasser ereiferten sich darüber, dass der „Nazi-Konzern" Bertelsmann jetzt über Briten regieren darf. Mehr Beachtung dagegen erfuhr das Pilotprojekt in Deutschland. „Ein Protektorat in Yorkshire", schrieb die junge Welt, habe sich Bertelsmann da unter den Nagel gerissen.

Der Gütersloher Konzern sieht das natürlich anders. „Das Public Private Partnership in East Riding", heißt es in einem offiziellen Statement Bertelsmanns, „bietet ein großes Potenzial für die Zukunft der Gemeinde, und eine solche Zusammenarbeit ist sicher auch in Deutschland denkbar und möglich." Da lässt man die Katze aus dem Sack. East Riding soll ein Schaukasten sein, ein beispielhaftes Vorzeigeprojekt - nicht nur für den britischen Markt, dessen Potenzial man auf rund sechs Milliarden Pfund (etwa 8,7 Milliarden Euro) schätzt, sondern eben auch für „Zentraleuropa und vor allem Deutschland". Das Modell, heißt es, „ist sicher auch für deutsche Gemeinden hochinteressant, und sie können von unseren Erfahrungen profitieren, die wir nun auf diesem Gebiet sammeln."

Modell soll den deutschen Markt testen

Wohl um das Pilotprojekt für Kommunen attraktiv zu machen, hat Bertelsmann in East Riding generöse Konditionen vereinbart. Rund 500 Beschäftigte werden von Arvato übernommen, ohne Gehaltseinbußen oder Änderung der Arbeitsbedingungen. Die Schaffung von zusätzlichen 600 Arbeitsplätzen wurde versprochen. Und die Gemeinde ist mit 20 Prozent an dem Profit beteiligt, den Arvato erzielen kann.

Auch in Deutschland wird PPP ein immer attraktiveres Modell für die öffentliche Hand, privates Kapital zu mobilisieren. Die PPP-Investitionsquote, so der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministeriurn, Dr. Joachim Wuermeling, liege aber nur bei vier Prozent. Zwar repräsentiere das ein wirtschaftliches Volumen von rund 37 Milliarden Euro, aber es bleibe noch viel zu tun. Bislang handelt es sich bei PPP-Geschäften hauptsächlich um so genannte "Beton-Projekte" wo Privatunternehmen etwa Brücken, Straßen oder Gebäude bereitstellen.

Umso willkommener war dem „Bundesverband Public Private Partnership" das Arvato-Projekt in Großbritannien. Es erhielt in diesem Jahr den Sonderpreis des Verbandes, da man „ein gänzlich neues Tätigkeitsfeld" erschlossen habe. Neue Wege beim PPP - das kommt wohl jetzt auch auf Deutschland zu, wenn, wie geplant, im Dezember die erste Lesung des „PPP-Beschleunigungsgesetz II" im Bundestag erfolgen soll.