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Zur Geschichte des VW-Gesetzes (aus 2004)
Zum Verständnis der seit über 40 Jahren geltenden Regelung
sollen die wesentlichen geschichtlichen Entwicklungen dargestellt
werden, die zur Schaffung des VW-Gesetzes führten und dessen
Einzigartigkeit unterstreichen.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs übernahm die britische
Militärregierung die Kontrolle über das von den Alliierten
beschlagnahmte Volkswagen-Werk, das 1937/38 von der damals
gegründeten Volkswagenwerk GmbH errichtet worden war. Sie bot es
wiederholt ausländischen Automobilkonzernen (Ford, GM) an, die
allerdings ablehnten: das Werksgelände war bombenbelastet, die
Fabrik in großen Teilen zerstört, sie hatte noch kein
verkaufsfähiges ziviles Fahrzeug hergestellt und wurde als
unnötiger Verlustbringer angesehen.
Ende 1945 beauftragte die britische Militärregierung die
Arbeitnehmer, den „VW-Käfer“ zu bauen. So wurde unter einfachsten
Bedingungen mit einer im Automobilbau nahezu unerfahrenen Mannschaft
mit dem Bau von „Volkswagen“ für die Alliierten begonnen. Im
November 1947 übertrug die britische Militärregierung die
Leitung des Werkes dem ehemaligen Opel-Vorstandsmitglied Heinrich
Nordhoff. Dem Beginn der Fahrzeugproduktion für die Alliierten
folgten langsam weitere Aufträge, zunächst vor allem aus dem
Ausland, so dass nach der Währungsreform die Produktion
ausgeweitet werden konnte.
In der Folgezeit erhoben zunächst die Bundesrepublik Deutschland
und das Land Niedersachsen Eigentumsansprüche hinsichtlich des
damaligen VW-Werkes, die sie mit jeweils unterschiedlicher Auslegung
alliierter Kontrollrats-Vorschriften begründeten. Zugleich
meldeten auch die Gewerkschaften Eigentumsansprüche an, weil die
damaligen Machthaber für die Errichtung des Werkes nachweislich
vor allem jene Vermögenswerte verwendet hatten, die sie durch die
Zerschlagung der Gewerkschaften im Jahre 1933 erlangt hatten. Im Jahre
1949 erhoben außerdem die ehemaligen Volkswagen-Sparer
Ansprüche auf Lieferung von Fahrzeugen, weil sie über mehrere
Jahre in der Zeit bis zum Kriegsende einem staatlichen Aufruf gefolgt
waren, die zum Kauf eines Fahrzeugs nötigen Mittel anzusparen. So
hatten ca. 336.000 Sparer insgesamt 268 Mio. Reichsmark auf einem
Sperrkonto bei einer Bank angespart. Die Forderungen der
Volkswagen-Sparer stellten den Fortbestand von Volkswagen in Frage. Da
somit bis zum Jahr 1949 bereits von vier verschiedenen Seiten
Ansprüche geltend gemacht worden waren, wurde die Klärung der
Eigentumsverhältnisse von der britischen Besatzungsmacht offen
gehalten. Deshalb wurde, als sich im Oktober 1949 auch die britische
Militärregierung aus dem Werk zurückzog, Volkswagen faktisch
zum „herrenlosen Gut“.
Bis Ende der fünfziger Jahre hatte sich Volkswagen zu einem
florierenden und dynamisch wachsenden Unternehmen entwickelt. Als sich
abzeichnete, dass die Gerichte die Klagen der VW-Sparer gegen
Volkswagen abweisen würden, wurden die Stimmen jener wieder
lauter, die das Eigentum am Volkswagenwerk für sich reklamierten.
Zusätzlich - als fünfter Anspruchsteller - erhoben nun auch
die Arbeitnehmer Ansprüche und machten eigene Vorstellungen zur
Regelung der Eigentumsverhältnisse geltend, da sie das Unternehmen
letztlich in den letzten 15 Jahren eigeninitiativ zum Erfolg
geführt hatten und der Aufbau von Vermögenswerten im
Unternehmen deshalb ausschließlich auf sie
zurückzuführen war. Von ihnen wurde deshalb die Umwandlung
der GmbH in eine Stiftung oder die Einbringung der Gesellschaftsanteile
in eine Stiftung befürwortet.
Kompromiss der folgenden mehrjährigen äußerst
intensiven und teilweise sehr heftigen Diskussionen und Verhandlungen
war ein klassischer Vergleich: der am 11./12. November 1959 zwischen
der Bundesrepublik und dem Land Niedersachsen abgeschlossene „Vertrag
über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der
Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung und über
die Errichtung einer Stiftung Volkswagenwerk“. Dieser Vergleich
bestimmt, dass zunächst zwar alle GmbH-Anteile der Bundesrepublik
Deutschland zustehen sollten, die bei der Umwandlung der GmbH
entstehenden Aktien aber so zu verteilen waren, dass die Bundesrepublik
und das Land Niedersachsen je 20% der Aktien erhielten und die
restlichen 60% durch die Ausgabe von Aktien privatisiert werden
sollten. Ferner verlangt der Vertrag die Schaffung von je zwei
Entsendemandaten zu Gunsten des Landes Niedersachsen und der
Bundesrepublik hinsichtlich des Aufsichtsrates sowie eines
qualifizierten Mehrheitserfordernisses von 80%. Zusätzlich war
Vertragsgrundlage, dass für die Gesellschaft eine
Stimmrechtsbeschränkung gelten sollte. Die Erträge aus der
Privatisierung sollte die zu gründende „VW-Stiftung“ erhalten, die
damit Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre in Deutschland
fördern sollte.
Die Eigentumsverhältnisse an der Volkswagenwerk GmbH konnten
für die zukünftige Volkswagenwerk AG wegen der Beteiligung
von Bund und Land nur durch einen Staatsvertrag geregelt werden. Der
Staatsvertrag bedurfte der Billigung durch die gesetzgebenden
Körperschaften des Bundes und des Landes Niedersachsen. Wie in
diesem Vertrag vereinbart, wurde daraufhin zunächst durch das
„Gesetz über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der
Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung vom 9. Mai
1960“ (als „VW-Vorschaltgesetz“ bezeichnet) die Eigentümerstellung
der Bundesrepublik Deutschland festgelegt; anschließend wurde das
„Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der
Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private
Hand vom 21. Juli 1960“ (damals als „VW-Privatisierungsgesetz“ und
heute vereinfacht als „VW-Gesetz“ bezeichnet) geschaffen. Beide Gesetze
setzten die oben genannten Punkte des Vertrages in Gesetzesform um.
Zwar entsprach die gesetzliche Eigentumsregelung nicht den Forderungen
der Gewerkschaften, ihre Argumente wurden aber insoweit
berücksichtigt, als eine Demokratisierung des Eigentums durch eine
breite Beteiligung am Produktivvermögen erfolgen und deren
Fortbestand gesichert werden sollte. So sollte ein Machtgleichgewicht
zwischen Aktionären, Arbeitnehmern und der öffentlichen Hand
erreicht werden. Diesem sozialen Gesichtspunkt wurde auch durch die
breite Streuung der VW-Aktien Rechnung getragen (unter anderem durch
einen „Sozialrabatt“ von 10 bis 25% - abhängig von Familienstand,
Einkommen und Kinderanzahl), was ebenfalls einer gesetzlichen Grundlage
bedurfte. Die verschiedenen Gesetzesregelungen dienten der Schaffung
und Erhaltung von „Volksaktien“, d.h. möglichst viele
Aktionäre sollten ein Mitspracherecht erhalten und nicht ein
einzelner Gesellschafter alle Entscheidungen dominieren.
Dies ist der historische Hintergrund, vor dem die beanstandeten
Regelungen des VW-Gesetzes entstanden sind, und der bis heute Bedeutung
hat. Dies ist auch der Grund dafür, warum das VW-Gesetz über
40 Jahre - unabhängig von der allgemeinen Entwicklung des
deutschen Aktienrechts - im wesentlichen unverändert beibehalten
wurde: das Gesetz stellt einen sorgsam austarierten Interessenausgleich
zwischen allen Beteiligten dar.