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vom 02.12.2006
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Hat das Steuer fest in der Hand: Andrea Ypsilanti.
Neben ihr steht Jürgen Walter. (Bild: picture-alliance/dpa)
Ein spannender Wahlkrimi hat nun die Entscheidung gebracht: Andrea Ypsilanti ist Spitzenkandidatin der hessischen SPD und
tritt bei der Landtagswahl Anfang 2008 gegen CDU-Ministerpräsident Roland Koch
an. Auch als Landesvorsitzende wurde sie bestätigt.
Walter: Alle geschlossen hinter Ypsilanti
- Video SPD Kandidatenkür
Der SPD-Parteitag wählte die hessische Landesvorsitzende am Samstag im
osthessischen Rotenburg im zweiten Wahlgang mit 175 Stimmen. Ihr Gegenkandidat,
der Landtagsfraktionsvorsitzende Jürgen Walter (38), kam auf 165 Stimmen. Im
ersten Wahlgang hatte es ein Patt gegeben.
Sie sei sehr glücklich, sagte Ypsilanti nach der
Wahl. Jetzt müsse der Wahlsieg für ein besseres Hessen das Hauptziel der ganzen
Partei sein. Walter bot der Parteichefin ausdrücklich seine Unterstützung an.
Jetzt solle die Partei wie ein Mann zusammenstehen. Vorab hatte er angekündigt,
Ypsilanti im Fall einer Niederlage in den nächsten
Wochen auch den Landtagsfraktionsvorsitz anzubieten.
Vom Parteitag bekam Walter für sein Kooperationsversprechen lauten Beifall. Der
SPS-Bundesvorsitzende Kurt Beck sprach von einem "Zeichen von
demokratischer Reife und menschlichem Anstand" und versprach die
Unterstützung der Bundespartei im hessischen Wahlkampf.
Ypsilanti im Amt bestätigt
Auch als Landesvorsitzende bleibt Ypsilanti im Amt.
78 Prozent der Delegierten des Landesparteitags stimmten für sie. Die
49-Jährige erhielt 244 der 313 gültigen Stimmen, 58 Delegierte votierten gegen
die Parteilinke, 11 enthielten sich. Damit steigerte Ypsilanti
ihre Zustimmung von 69,3 Prozent bei der vorangegangenen Wahl 2004 um 8,7 Prozentpunkte.
Kämpferisches und Giftpfeile: Die Bewerbungsreden
Verhalten sich fair und freundschaftlich zueinander, vor und nach der Wahl
(Bild: picture-alliance/dpa)
Zitat "Eine Frau, die an die Spitze will, weiß was Kampf ist".
Ypsilanti hatte sich am Vormittag in ihrer
Bewerbungsrede kämpferisch gegeben. Sie will im Wahlkampf 2008 mit sozial
gerechter Politik die Mehrheit gewinnen. In ihrer Bewerbungsrede um die
Spitzenkandidatur stellte die 49-Jährige klar: "Wir Sozialdemokraten haben
es nicht nötig, dem neoliberalen Zeitgeist hinterherzulaufen." Sie
forderte eine integrierte Familien- und Bildungspolitik sowie eine
gemeinwohlorientierte Wirtschaftspolitik. Ypsilanti
will sich an besseren Lebensverhältnissen für die Bevölkerung messen lassen.
Viele Delegierte klatschten nach der gut halbstündigen Rede im Stehen Beifall.
Walter hatte seine Vorstellungsrede dazu genutzt, giftige Pfeile in Richtung
Ministerpräsident Roland Koch abzuschießen. Koch zerstöre das soziale
Gleichgewicht im Land und lasse Hessen wirtschaftlich zurückfallen. "Unter
Koch ist Hessen auf dem Weg, eine Gesellschaft der verkümmerten Talente zu
werden.". Auch müssten die demokratischen
Spielregeln wieder eingehalten werden, rief Walter im Hinblick auf den
Untersuchungsausschuss. Er erhielt etwas weniger Beifall als seine
Konkurrentin. Bravorufe wie an einigen Passagen von Ypsilantis
Rede waren nicht zu hören.
Walter hatte die Unterbezirke klar hinter sich
Im Vorfeld hatte es so ausgesehen, als ob Walter die Wahl für sich entscheiden
könnte. Bei der Tour durch Hessen hatte er in 18 SPD-Unterbezirken die Nase
vorn. SPD-Chefin Ypsilanti konnte dagegen nur acht
Unterbezirke von sich überzeugen. Allerdings sprachen sich für die Partei-Linke
auch die Jusos und die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF)
aus.
Die Entscheidung über den Spitzenplatz fiel in geheimer Wahl. Die Delegierten
waren formal nicht an das Meinungsbild der Unterbezirke gebunden.
Nur die zweite Wahl?
Ob Walter oder Ypsilanti, es war nur die zweite Wahl.
Denn mit dem ehemaligen Offenbacher Oberbürgermeister Gerhard Grandke hatte bereits im Vorfeld der Kandidatensuche der
Wunschkandidat vieler hessischer Genossen abgewinkt.
Nach der Absage Grandkes in einem Vier-Augen-Gespräch
mit der Landesvorsitzenden Ypsilanti trat die
49-jährige prompt am nächsten Tag vor die Presse und ließ durchblicken, dass
sie Koch herausfordern wolle. Walters Reaktion ließ nicht lange auf sich
warten: Fünf Tage später erklärte der 38-Jährige, er wolle ebenfalls Ministerpräsident
Koch herausfordern.
FDP befürchtet Linksdrift, CDU ist gelassen
Die hessische CDU hat die Nominierung Ypsilantis nach
eigenen Angaben „gelassen zur Kenntnis“ genommen. Der knappe Sieg
zeige aber, wie zerrissen die Partei sei.
Der hessische FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende Jörg-Uwe Hahn hat Andrea Ypsilanti gratuliert. „Nun kann der Wettbewerb um die
besten Konzepte zur Lösung der dringenden Probleme unseres Landes in die
entscheidende Phase treten. Ich hoffe, dass die Sozialdemokraten geschlossen
hinter Frau Ypsilanti stehen und so aus ihrem
historischen Tief bei der letzten Landtagswahl herausfinden“, so Hahn.
Kritik kam von den hessischen jungen Liberalen: Mit einer sozialistischen
Spitzenkandidatin habe die SPD jeglichen Anspruch auf den Sieg bei der
Landtagswahl aufgegeben, sagte Landesvorsitzender Lasse Becker.