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DIE ZEIT

Wo geht es hier zur Zukunft?

Einflussreich, erstarrt und angefeindet: Die Bertelsmann Stiftung steckt in der Krise. Nach wochenlangem Schweigen ergreift Liz Mohn jetzt öffentlich das Wort.

Von Götz Hamann

Wer einen Felsen spalten wollte, bohrte im Altertum ein Loch hinein, trieb einen Holzpflock hinterher und wässerte denselben, bis er sich dehnte. Dann sprang der Felsen entzwei. Bis heute ist das unvergessen, das Prinzip wird sogar nachgeahmt – allen voran von der Bertelsmann Stiftung.

Mit rund 60 Millionen Euro im Jahr erstellt sie Ranglisten, lobt Preise aus, veröffentlicht Studien, organisiert Modellprojekte und lädt zu Kongressen ein. Ihre Mitarbeiter bohren Löcher und treiben Pflöcke in gewachsene Strukturen. Dann hoffen sie, dass ein Strom der politischen Reformbereitschaft über ihren Pflock fließt, der in den Strukturen steckt, bis er sie sprengt.

Das dauert seine Zeit, aber die Stiftung aus Gütersloh kann warten. So hat sie seit Mitte der neunziger Jahre den Weg für Studiengebühren bereitet. Universitäten wetteifern inzwischen, wer den besten Ruf hat und wo die Studenten zufriedener sind. Das ist wesentlich auf die Stiftung und das von ihr dominierte Centrum für Hochschulentwicklung zurückzuführen. Auch an sozialpolitischen Reformen wie Hartz IV und dem Umbau der Bundesagentur für Arbeit hat man mitgewirkt. Entscheidend sei damals gewesen, sagt die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, »dass die Stiftung ein Ort war, an dem Politiker frei diskutieren konnten«. Dazu lieferte man in Gütersloh die passenden Informationen, und so nahm die Stiftung immensen Einfluss. Lange war das auch unumstritten. Die Stiftung fast unantastbar.

Doch die politische Stimmung hat sich gewandelt, die Stiftung wird mit Vorwürfen überhäuft. Aus dem Gewerkschaftslager heißt es, die Stiftung nutze »ihren politischen Einfluss, um den öffentlichen Dienst gezielt auf die ›feindliche Übernahme‹ durch private Unternehmen à la Arvato (eine Tochtergesellschaft des Bertelsmann-Konzerns)« vorzubereiten. Deshalb will ver.di keine Projekte mehr mit der Stiftung vereinbaren. In dieser Woche trifft sich Stiftungsvorstand Johannes Meier notgedrungen und etwas ratlos mit den ver.di-Leuten.

Ist man in Gütersloh plump »neoliberal«? Und vermischt man, beinahe noch schlimmer, die gemeinnützige Arbeit mit den Interessen des Medienkonzerns Bertelsmann, an dem die Stiftung rund 60 Prozent besitzt? Der Eindruck, die Vorwürfe träfen ins Schwarze, verstärkte sich, weil kein Verantwortlicher der Stiftung öffentlich dagegenhielt. So ging das über Wochen, während es unter der Hand hieß: »Wir haben ein ernstes Problem.« Es war, als habe die Stiftung, die dem ganzen Land den Weg weisen wollte, die Orientierung verloren.

Nun schaltet sich Liz Mohn als Repräsentantin der Stifterfamilie in die Debatte ein. »Es wird immer wieder vorkommen, dass die Stiftung über Themen nachdenkt, die unabhängig davon auch Geschäftsfelder der Bertelsmann AG betreffen«, erklärt sie bei einem Treffen in der Stiftung gegenüber der ZEIT. »Das kann in der Bildungspolitik passieren oder wenn die Stiftung das Arbeitsvertragsrecht weiterentwickeln möchte – oder wenn wir über die Reform der kommunalen Verwaltung nachdenken.«

»Wir tun das Richtige. Dass es dabei Konflikte gibt, ist unvermeidlich«

Erhärten lässt sich der Vorwurf nicht, die Stiftung arbeite dem Konzern bei der Reform der kommunalen Verwaltung direkt zu. Tatsache ist, dass der Konzern Verwaltungsaufgaben für Städte und Gemeinden übernimmt. Man hofft auf ein Riesengeschäft. Aber das Geschäftsmodell von Arvato widerspricht den Ideen der Stiftung grundlegend. Während dort empfohlen wird, Stadt und Privatunternehmen sollten allenfalls gemeinsam eine Outsourcing-Gesellschaft gründen (Kommunale Dienstleistungspartnerschaften), will Arvato das Geschäft alleine betreiben, um freie Hand zu haben. Unterm Strich bleibt, dass Stiftung und Konzern das Outsourcing in Kommunen vorantreiben – und genau das wird viele Mitglieder von ver.di ihren bisherigen Arbeitsplatz kosten. »Wir wollen mit der Stiftung helfen, das Land für die Zukunft weiterzuentwickeln, und gerade die Reform der Kommunen ist uns ein großes Anliegen. Das war schon so, als mein Mann Reinhard Mohn die Stiftung gegründet hat, und wir werden das fortsetzen. Wir tun das Richtige. Dass es dabei Konflikte gibt, ist unvermeidlich«, sagt Liz Mohn. Man werde aber künftig noch stärker für die eigene Sache werben.

Diese »Sache« nennen linke Kritiker eben »neoliberal«. Es begann mit einem Buch der Publizisten Frank Böckelmann und Hersch Fischler und setzte sich fort in offener Kritik durch den Soziologen Arno Klönne und das Antiglobalisierungsnetzwerk Attac. Die Stiftung helfe, das Gemeinwesen zu zerstören, hieß es zuletzt in einem Buch des Wissenschaftlers Christoph Butterwegge, und die Linkspartei stellte im Bundestag eine Anfrage, ob die Stiftung unlauteren Einfluss auf die Regierung nehme. Das alles hat den Ruf der Stiftung schleichend, aber sichtlich beschädigt. Und wieder tat man in Gütersloh nichts, um sich zu wehren.

Jetzt kontert Liz Mohn: »Eigentum verpflichtet, davon ist mein Mann tief überzeugt. Er will der Gesellschaft mit der Stiftung etwas zurückgeben. Und ich genauso.« Reinhard Mohn, der frühere Eigentümer von Bertelsmann, hat die Stiftung vor 30 Jahren gegründet und ihr später die Mehrheit an der Bertelsmann AG übertragen. Aus der Dividende finanziert die Stiftung seither ihre Arbeit. Mohn wollte, dass die Mitarbeiter praxisnahe Reformvorschläge für den öffentlichen Sektor entwickeln, vom Arbeitsmarkt bis zum Bibliothekswesen. »Die Bertelsmann Stiftung wurde so zu einem Daten- und Ideenpool. Und man denkt dort langfristig. Das macht sie bis heute so einzigartig und so attraktiv für reformwillige Politiker«, sagt Rita Süssmuth, die im Kuratorium sitzt. Seine Methoden leitete Mohn aus seiner Lebenserfahrung als Unternehmer ab. Er versuchte, alles zu messen und zu vergleichen, glaubte, man könne vieles besser lösen, wenn man es wie ein Unternehmer anginge.

Beim »Kulturdialog« mit China saßen Manager mit auf dem Podium

Und doch verfolgt die Stiftung ihre Idee eines Gemeinwesens nicht ausschließlich durch das Hohelied der Privatisierung. »Der Mensch stand immer im Mittelpunkt«, sagt Süssmuth. Ein Mensch freilich, der mehr Freiheit will und für den gleiche Ausgangschancen entscheidend sind. Die Stiftung fördert dieses Menschenbild unter anderem, indem sie ehrenamtliches Engagement unterstützt, neue Unterrichtskonzepte für Schulen entwickelt, Bürgerstiftungen propagiert und Programme im Kampf gegen den Rechtsextremismus auflegt. »Am Ende bleibt ein ideologischer Unterschied zu unseren Kritikern von links«, sagt der künftige Stiftungsvorsitzende Gunter Thielen unumwunden.

Nur, warum hat es so lange gedauert, bis sich die Verantwortlichen äußern? Eine Antwort darauf ergibt sich aus dem inneren Zustand der Stiftung. Wer mit Mitarbeitern unter der Hand spricht, hört die immergleiche Geschichte. Man warte seit zwei Jahren darauf, dass Gunter Thielen als Konzernchef ab- und als Stiftungschef antrete. Im Januar ist es so weit. Auch trennte sich die Stiftung in den vergangenen Monaten quälend langsam von ihrem Vorstandsmitglied Werner Weidenfeld. Der Münchner Politikforscher sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, unsauber mit Spesen umgegangen zu sein. Über all dem ging die klare Linie verloren. Die Liste der Projekte ist zwar lang. Erfolge wie zur rot-grünen Regierungszeit fehlen aber. Prominent ist allenfalls der Einfluss der Stiftung auf die Initiative der Kanzlerin zum Bürokratieabbau.

Dann unterliefen der Stiftung auch noch Fehlgriffe wie beim »Deutsch-Chinesischen Kulturdialog«. 2004 reiste eine Delegation unter der Leitung von Liz Mohn nach China. Der Titel des von der Stiftung organisierten Programms lautete Kulturelle Vielfalt – voneinander lernen, miteinander handeln, aber es hätte wohl besser heißen müssen: miteinander Handel treiben. Denn die zweite Hälfte wurde von Managern dominiert, auch Gerhard Zeiler, Chef der Bertelsmann-eigenen Fernsehsparte RTL Group, saß auf dem Podium. Ein nennenswertes Chinageschäft hat sich daraus indes nicht entwickelt, und Liz Mohn beharrt auch im Nachhinein darauf: »Wir vermischen die Arbeit von Stiftung und Unternehmen nicht.«

»Wir«, das ist sie selbst, und irgendwie sind es auch alle anderen. Stiftung und Konzern haben ihren Sitz in der Carl-Bertelsmann-Straße, die eine auf der rechten, der andere auf der linken Seite. Da fällt es nicht leicht zu trennen. Viele Mitarbeiter sehen darin ein großes Problem. Liz Mohn gehört weder die Stiftung noch der Konzern, und doch fällt keine zentrale Entscheidung ohne sie. Die AG-Anteile werden durch eine Zwischengesellschaft verwaltet, deren Geschäftsführerin Liz Mohn ist. Gleichzeitig ist sie stellvertretende Vorsitzende der Stiftung, und weil es seit zwei Jahren niemanden gibt, dessen Stellvertreterin sie sein könnte, ist sie faktisch deren Chefin. Außerdem soll sie sich selbst kontrollieren. Sie sitzt auch im Stiftungskuratorium. Die Frage, ob sie verzichten werde, ihre eigene Arbeit zu überwachen, verneint sie. »Derartige Überlegungen stelle ich nicht an.« Es sei ein Stifterprivileg, das sie in Anspruch nehme. Hier bleibt die Stiftung eher ein Familienunternehmen. Nur rückt in Zeiten der Krise eben in den Blick, dass die Ämterhäufung von Liz Mohn den Grundsätzen einer verantwortungsvollen Führung widerspricht.

Um das in den Hintergrund zu drängen, arbeiten Liz Mohn und der künftige Stiftungschef Gunter Thielen nun daran, die Frage nach dem Daseinszweck der Stiftung neu mit Leben zu füllen. Als Erstes werde man sich »stärker der Globalisierung widmen«, sagt Thielen. »Das bisherige Themenfeld Internationale Politik werden wir um Themen der globalen Wirtschaft erweitern. Eines oder sogar zwei Mitglieder im Vorstand werden dafür verantwortlich sein.« Ein Büro in Washington wird bereits in den kommenden Wochen eröffnet. Eines in Peking soll folgen, so Thielen. »Wir wollen überall arbeiten, anregen und Impulse bekommen.« Und an seine Kritiker gewandt, sagt er: »Die Welt verändert sich so schnell, da ist es realitätsfern, auf alten Strukturen zu beharren.« Der künftige Chef sucht offenbar schon ein paar neue Pflöcke.


DIE ZEIT, 08.11.2007 Nr. 46

46/2007