Die Wir-eG: Arbeitsplätze durch unterstützte Gruppenselbsthilfe
Die innova eG, eine Entwicklungspartnerschaft für Selbsthilfegenossenschaften, führte vom 01.08.2002 – 30.06.2005 ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördertes EQUAL-Projekt durch. Zu den wesentlichen Zielen gehören die Beseitigung von Diskriminierung am Arbeitsmarkt sowie die Verminderung von Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung. Auch die Bank für Sozialwirtschaft hat sich als strategischer Partner der innova in diesem Projekt engagiert. Im Mittelpunkt standen die Initiierung und Begleitung von Genossenschaften mit Hilfe von Qualifizierungsmaßnahmen. Diese Arbeit wird fortgesetzt. innova wird auch in Zukunft Impulse für die Entwicklung der Sozialwirtschaft in Deutschland geben, indem die Beteiligten die Rechtsform der Genossenschaft für die Verknüpfung von sozialen und wirtschaftlichen Aufgaben aktivieren.
Selbsthilfe des Einzelnen führt schnell zu Überforderungen. Im Vergleich dazu bietet Selbsthilfe mit mehreren Betroffenen, die sich vernetzen und wechselseitig unterstützen, besondere Chancen. Gruppenselbsthilfe bedeutet symbolisch gesprochen, dass viele Hände gemeinsam ihre Arbeit miteinander verbinden und damit ihre Kräfte bündeln. Selbstverständlich ist die Gruppenselbsthilfe kein Allheilmittel. Oft lässt erst die Hilfe zur Gruppenselbsthilfe aus diesem Mythos konkrete Organisationen werden mit Menschen, die von Erfolgen und Misserfolgen ihrer gemeinsamen Anstrengungen geprägt sind.
Was aber sind überhaupt Selbsthilfegenossenschaften? Wesentliches Merkmal von Selbsthilfe ist, die eigenen Ressourcen in Form von Arbeitskraft, Kapital, Land und Fähigkeiten zu nutzen. Sie ist eine Reaktion auf objektive Notlagen oder auf subjektiv als unbefriedigend empfundene Situationen. Als Selbsthilfegenossenschaft gilt der Zusammenschluss einer Gruppe von Menschen, die Ausgrenzung und Benachteiligung erfahren oder unterhalb der Armutsgrenze leben, und die sich über wirtschaftliche Aktivitäten in einer Organisation selbst helfen. Sie ist nach den genossenschaftlichen Prinzipien, dem Förder-, Identitäts-, Demokratie- und Solidaritätsprinzip, strukturiert.
Mit Qualifizierungen zur Selbsthilfe wurden und werden über die innova TeilnehmerInnen in den Stand versetzt, ihre Geschäftsidee in Form einer Genossenschaft markt- und kundenorientiert umzusetzen. Dabei zeigt sich, dass Genossenschaften mit der genannten Zielgruppe nur durch eine ausreichende Nachbetreuung nach der Gründung und durch wiederholte Feedbackrunden längerfristig zu stabilisieren sind. Nicht alle Projektansätze erweisen sich als ausreichend stabil. Interne Konflikte, mangelndes Stehvermögen der Initiatoren, fehlende tragfähige Geschäftsideen, unzureichende Unterstützung vor Ort sind nur einige der bisher nicht systematisch ausgewerteten Gründe des Scheiterns.
Zahlreiche Gründungen
Trotz der Schwierigkeiten mancher am Arbeitsmarkt Benachteiligter mit einer Genossenschaftsgründung kann innova auf eine beachtliche Zahl von 18 durchgeführten Qualifizierungen verweisen. Aus diesen Qualifizierungen heraus wurden bisher fünfzehn Genossenschaften gegründet, beispielsweise
1. nach einem achtmonatigen Lehrgang für Arbeitslose finanziert durch das Arbeitsamt in 2003 die Gründung der Haus- und Bauservice eG (HBS) Leipzig.
2. nach Qualifizierung ehemalig Beschäftigter aus dem Umfeld der Diakonie, dem Sprungbrett Riesa e.V., durch Überführung der wirtschaftlich tragfähigen Teilbereiche von einem Verein in die gegründete Genossenschaft Cena et Flora eG.
3. nach der Beratung und Unterstützung einer Initiative Arbeitsloser in Witten die Gründung der Gründergenossenschaft Witten eG i.G.
4. nach einer Beratung die Gründung eines Dienstleistungsbetriebs auf genossenschaftlicher Basis mit Namen helpKontor eG i.G. als Serviceagentur für Senioren in Freudenstadt.
Unterscheiden lassen sich drei „Typen“ von Selbsthilfegenossenschaften, die seitens der innova betreut wurden: Beschäftigtengenossenschaften, Selbständigengenossenschaften und Multistakeholdergenossenschaften. Bei den Beschäftigtengenossenschaften geht es darum, dass sich Arbeitslose selbst in der Genossenschaft wieder in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bringen. Sie werden in ihrer eigenen Genossenschaft angestellt. Dagegen bleiben die ehemals Arbeitslosen, beispielsweise bei der Gründergenossenschaft Witten UnternehmerInnen. Sie sind Selbständige, teilweise als Ich-AG gegründet, und wollen dies auch bleiben. Über die Genossenschaft organisieren sie nur einen Teil ihrer Arbeit wie Verwaltung, Rechnungswesen, gemeinsame Akquisition etc. Sie bauen so ein gemeinsames sich wechselseitig stützendes Umfeld auf, das der Vereinzelung der GründerInnen entgegenwirkt.
Im Unterschied dazu sind bei den Multistakeholdergenossenschaften viele sehr unterschiedliche Rollen und Funktionen unter einem Dach zusammengeschlossen, beispielsweise bei einer Stadtteilgenossenschaft. Kunden, Förderer, Beschäftigte, Unternehmer, Kommunalvertreter etc. versuchen gemeinsam den Stadtteil, in dem sie leben, wirtschaftlich und sozial attraktiver zu gestalten. Dies erhöht aufgrund der verschiedenen Interessen die Wahrscheinlichkeit von Konflikten, bietet aber durch das Zusammenführen sehr unterschiedlicher Fähigkeiten und Kompetenzen auch die Chance, etwas zu bewegen, wo ansonsten oft schon seit Jahren Stillstand oder gar Niedergang das Bild prägte.
Symbolik der Genossenschaft
Das besondere der Arbeit der innova ist, eine Organisationsform für
die Ökonomisierung anzubieten, bei der soziale Aspekte wie Partizipation,
Empowerment und Selbstverantwortung nicht vernachlässigt werden, sondern
deren zentraler Bestandteil sind. Auf diese Weise wird vermieden, dass
Betroffene entmündigt und zu rein passiv Betreuten werden. Die Genossenschaft
ermöglicht ihre Selbstverantwortung und Selbstachtung bzw. gibt sie
ihnen in einigen Fällen sogar zurück. Letztlich ist die Genossenschaft
dabei auch eine Art Metapher, da sie für gemeinsames Engagement, gemeinsame
Rechte und Pflichten und vor allem für solidarisches Handeln in einer
teilweise eher ausweglosen Situation steht.
Mitglieder der innova
· Bank für Sozialwirtschaft AG, Köln
· Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V., Berlin
· GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V., Berlin
· Netz für Selbstverwaltung und Selbstorganisation e.V., Dortmund
· Netz NRW Verbund für Ökologie und soziales Wirtschaften e.V., Oberhausen
· Sächsischer Verein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V., Leipzig
· Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V., Hamburg
Anfragen und Kontakt: innova eG, Konstantinstr.12, D-04315 Leipzig,
Fon: 0341-6810985, Fax: 0341-6811786, Email: info@innova-eg.de, Internet:
www.innova-eg.de.
Um die Chancen für Genossenschaftsgründungen zu verbessern, wurden von der Entwicklungspartnerschaft zahlreiche „Produkte“ entwickelt. Sie sind ein Kernbereich der Leistungen von innova, da sie wichtige Unterstützungsmaterialien für zukünftige Gründungsvorhaben beinhalten. D.h. auf sie sollen Projektentwickler zurückgreifen können, die Selbsthilfegenossenschaften initiieren und die dafür erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen durchführen. Das daraus resultierende Produktbündel setzt sich aus drei Schwerpunkten zusammen:
A) Unterlagen, mit deren Hilfe Interesse geweckt und Überzeugungen zugunsten von Genossenschaftsgründungen gestärkt werden,
B) Materialien in Form von Artikeln und vor allem von Powerpointpräsentationen, mit deren Hilfe Qualifizierungen zum Thema Selbsthilfegenossenschaften durchgeführt werden können und
C) Instrumente, mit deren Hilfe sich die eigentliche Gründung von Selbsthilfegenossenschaften leichter umsetzen lässt.
Die Gesamtheit der Produkte an dieser Stelle im Detail aufzulisten, ist nicht möglich. Insofern sei nur auf einige beispielhaft verwiesen. So gibt es Powerpointpräsentationen zu Themen wie:
1. Genossenschaftsgründung – Probleme und Chancen;
2. Verfahren zur Vertiefung und Fundierung von Geschäftsideen;
3. Finanzierungsmöglichkeiten von Selbsthilfegenossenschaften mit den Teilthemen Grundsätzliches, Anteilszeichnung, Vermögensbildungsgesetz, Genussrechte.
Bei innova kann eine Reihe von Instrumenten abgefragt werden, mit deren Hilfe sich die eigentliche Gründung von Selbsthilfegenossenschaften leichter durchführen lässt, beispielsweise:
1. Phasenmodell der Genossenschaftsentwicklung als Arbeitsmaterialien;
2. Workshops zur Genossenschaftsgründung (Seminarangebote);
3. kurze Mustersatzung sowie Geschäftsordnung und Schiedsvertrag;
4. Hilfen für die Aufstellung des quantitativen Wirtschaftsplans (Excel-Vorlagen).
Das Beispiel SAGES
Wie sieht aber nun eine solche Selbsthilfegenossenschaft im Einzelnen aus? Verdeutlichen lässt sich dies an dem Dienstleistungsunternehmen SAGES. Dieses wurde am 09. März 2005 von 28 Arbeitslosen in Freiburg im Breisgau auf genossenschaftlicher Basis gegründet. SAGES ist eine Dienstleistungsagentur für ältere und Unterstützung suchende Menschen, die im Sektor Alltagsassistenz mit den Geschäftsfeldern Haushaltsbereich, Mobilitätshilfe und Kontaktpflege startet. Zwei gewichtige Faktoren gaben den Anlass zur Gründung: Die Zahl der Seniorinnen und Senioren nimmt in Freiburg – entsprechend dem bundesweiten demographischen Trend – im Laufe der nächsten 15 Jahre weiter zu. Und eine Veränderung der hohen Arbeitslosigkeit wird in absehbarer Zeit nicht eintreten.
Seniorinnen und Senioren können nun seit Anfang September 2005
mit der Serviceagentur für Senioren SAGES als Partner dringend benötigte
Hilfe im Alltag aus einer Hand bekommen. Die Angebote von SAGES erstrecken
sich im Haushaltsbereich auf die Schwerpunkte Raumpflege, Wäschepflege,
Küchenhilfe sowie Garten und Hof, bei der Mobilitätshilfe auf
die Schwerpunkte Begleitung, Einkaufen, Botengänge und Bewegung. Beim
dritten Standbein des Unternehmens, der Kontaktpflege, geht es um Dienstleistungen
für ältere Bürger wie Schriftverkehr, Unterhaltung und Ausflüge.
Die Dienstleistungsangebote richten sich sowohl an Privathaushalte als
auch an Menschen, die in Seniorenanlagen leben.
SAGES bietet Leistungspakete in den Bereichen der Grundversorgung an
mit speziellen Serviceangeboten. Sie können jederzeit zugunsten neuer
Kundenwünsche erweitert werden. Wohnungsgröße und Anzahl
der im Haushalt lebenden Personen liefern die Grundlage für eine Kalkulation.
Hinzu kommt die Häufigkeit der Inanspruchnahme von Diensten. Die Palette
der wöchentlichen, monatlichen, halbjährlichen, jährlichen
und saisonbedingten Einsätze wird ergänzt durch Angebote, die
nach Bedarf geordert werden. Beispielsweise begleitet SAGES eine Kundin
oder einen Kunden bei plötzlich notwendig gewordenem Krankenhausaufenthalt
bis ins Krankenzimmer.
Die Genossenschaft operiert aus einem gut erreichbaren und zentral gelegenen
Büro in Freiburg. Eine durchdachte Marketingstrategie unterstützt
die Akquisition von Kundinnen und Kunden. Neben Anzeigen und Flyer spielen
vor allem Presseberichte und Kampagnen eine wichtige Rolle, bei denen das
Genossenschaftskonzept den Zugang in die Medien erleichtert. Mit dem genossenschaftlichen
Ansatz lässt sich besonders gut verdeutlichen, dass die Kundin bzw.
der Kunde als Mensch im Mittelpunkt der Bemühungen von SAGES steht.
Buchtipp Sozialgenossenschaften – ein lesenswerter Überblick
Dargestellt in der aktuellen Veröffentlichung wird ein breites
Spektrum vorhandener Sozialgenossenschaften. Das Buch ermöglicht einen
sehr guten Überblick über bestehende Beispiele, zeigt beschäftigungspolitische
Alternativen auf, gibt Anregungen für genossenschaftliche Initiativen
und stößt politische Unterstützungen für genossenschaftliche
Lösungen an. Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens
e.V. / Paritätische Bundesakademie (Hg): Sozialgenossenschaften –
Wege zu mehr Beschäftigung bürgerschaftlichem Engagement und
Arbeitsformen der Zukunft, Neu-Ulm (AG SPAK-Verlag) 2003, EURO 19.00 ISBN
3-930830-35-2, 308 S.
Impulse durch Multiplikatorenfortbildung
Die Entwicklungspartnerschaft innova entwickelte im Rahmen der EQUAL-Förderphase
1 bei der intensiveren Begleitung zahlreichen Selbsthilfegenossenschaften
sehr viel Know-how für die Bedarfe und Erfordernisse von Gruppenunternehmensgründungen.
Dieses Wissen wird nun als Multiplikatorenfortbildung für so genannte
Intermediäre zur Verfügung gestellt. BeraterInnen und ProjektentwicklerInnen,
die bereits mit klientelbezogener bzw. kundenorientierter Betreuung und
praxisnaher Wissensvermittlung Erfahrungen gesammelt haben, sind dabei
besonders angesprochen.
Projektentwicklungen, die auf eine modellhafte Genossenschaftsgründung
zur Lösung arbeitsmarktlicher oder anderer sozialer Probleme zielen,
sind eine komplexe Aufgabe. In diese fließen methodisch neben der
Weiterbildung von Akteuren auch Analysen der Rahmenbedingungen, Marktuntersuchungen,
Beratung von beteiligten Unternehmen, Coaching von Gruppen, Moderation
von Prozessen, Unternehmensfinanzierung, Organisations- und Personalentwicklung
zusammen. Nur eine einzige unzureichend bearbeitete Teilaufgabe kann bereits
den ganzen Projektentwicklungsprozess scheitern lassen. Er sollte deshalb
kompetent begleitet werden können.
Der innova eG ist es 2005 gelungen, drei Teilprojekte in zwei Entwicklungspartnerschaften in der jetzt beginnenden 2. EQUAL-Förderphase einzubringen. Zwei Teilprojekte sind konkrete Projektentwicklungen neuer Genossenschaften. Ein wesentliches Teilprojekt, das allerdings mit den beiden anderen eng verbunden wird, ist die Multiplikatorenfortbildung. Diese wendet sich an potentielle ProjektentwicklerInnen für neue Genossenschaften. Sie sollten aus verschiedenen Regionen und aus verschiedenen Arbeitszusammenhängen kommen, beispielsweise Beschäftigungsgesellschaften, sozialen Dienstleistern, Verbänden, Weiterbildungsträgern, öffentlichen Stellen. Von Interesse könnte dies auch für freiberufliche Berater sein.
Über eine gezielte Qualifizierung von BeraterInnen und ProjektentwicklerInnen (train the trainer) in Richtung Gruppenunternehmensgründung mit Schwerpunkt Genossenschaftsgründung lässt sich erreichen, dass
· Genossenschafts-Know-how bei denen zur Verfügung steht, die aufgrund ihrer Profession regelmäßig mit GründerInnen zu tun haben. Sie können so eine sehr wichtige Ergänzungsfunktion zu den genossenschaftlichen Verbänden einnehmen, indem am Arbeitsmarkt Benachteiligten bundesweit ein Netz von Know-how-Trägern für ihre speziellen Probleme zur Verfügung steht.
· wichtige VermittlerInnen eine Wissensbereicherung in Richtung Genossenschaften erfahren und gleichzeitig selbst auch von diesem Lösungsansatz überzeugt sind. Sie können die Funktion der früher vorhandenen Genossenschaftspioniere bzw. -promotoren einnehmen, so dass sie selbst in der Lage sind, Überzeugungsarbeit für genossenschaftliche Problemlösungen zu leisten.
· der genossenschaftlichen Selbsthilfe nach entsprechender Qualifizierung mehr Ansprechpartner als bisher zur Verfügung stehen. Dies wird durch die Ausbildung von BeraterInnen und ProjektentwicklerInnen dort der Fall sein, wo Selbsthilfe verankert werden sollte, beispielsweise in prekären Stadtteilen und benachteiligten Wohnvierteln. Eine stärkere Aktivierung von Potenzialen vor Ort wird so wahrscheinlich.
Interessierte an der Multiplikatorenfortbildung können sich wenden an: innova eG, Konstantinstr.12, D-04315 Leipzig, Fon: 0341-6810985, Fax: 0341-6811786, Email: info@innova-eg.de, Internet: www.innova-eg.de.
Autor: Dr. Burghard Flieger