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Auszug aus express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und
Gewerkschaftsarbeit Nr.12/2008 , 46. Jahrgang
Im letzten express hatten wir
mit dem Beitrag des AK Weltwirtschaftskrise (ver.di Ba-Wü) die Debatte über die
defensive Reaktion der Gewerkschaften und die Kritik des Theorems einer
national-keynesianischen Wirtschaftspolitik vor dem Hintergrund der
Wirtschafts- und Finanzkrise eröffnet.
Mit der folgenden Replik von Ralf Krämer* vom ver.di-Bereich Wirtschaftspolitik
wird die Debatte fortgeführt. In der nächsten Ausgabe des express soll dann
eine neuerliche Erwiderung des AK WWK folgen. Darüberhinaus möchten wir
allerdings auch alle anderen Leserinnen & Leser zur Teilnahme an der
Debatte aufrufen.
Lieber Bernd, lieber Werner,
mit Interesse habe ich Euren Diskussionsbeitrag zu Gewerkschaften in der
Weltwirtschaftskrise gelesen.
Ich finde es sinnvoll, eine Debatte zu führen, wie die Gewerkschaften mit der
Krise umgehen sollten, wie wir sie vielleicht sogar auch als Chance nutzen
können. Sehr unterstützen kann ich die Grundthese, dass es dabei um die
Entfaltung von Druck gehen muss, um gewerkschaftliche Anliegen durchzusetzen.
Die meisten der am Schluss aufgeführten strategischen Schlussfolgerungen kann
ich unterstützen, insbesondere Punkt 4., dass es jetzt um die ideologische und
materielle Auseinandersetzung um eine neue, sozial kontrollierte Regulation des
Kapitalismus der kommenden Zeit geht. Es bleibt allerdings unkonkret, was
daraus jetzt für das Handeln folgen soll.
Skeptischer bin ich, wieweit es realistisch sein wird, in nächster Zeit größere
politische Streiks zu organisieren, gar europaweit oder global. Gemeinsame
Aktionen sicherlich, im Vorfeld der Europawahl 2009 sowieso. Aber Streik müsste
um ein sehr konkretes Ziel gehen, das durchgesetzt werden soll. Zum Beispiel
eine andere Arbeitszeitrichtlinie der EU, oder ein europäisches Konjunktur- und
Zukunftsinvestitionsprogramm, oder die europaweite Vergesellschaftung der
großen Privatbanken. Ist es realistisch, dafür eine breite Streikbewegung zu
entwickeln? Und in welchem Verhältnis stehen die internationalen Aktivitäten zu
den Forderungen und Aktivitäten auf nationaler Ebene? Das fuhrt zu meiner
Kritik an Eurem Papier.
In Eurer Auseinandersetzung mit dem, was Ihr »Sackgasse Nationalkeynesianismus«
nennt und anscheinend uns im ver.di Bereich Wirtschaftspolitik als Position
unterstellt, sehe ich einen Rückfail in alte und falsche Entgegensetzungen und
gravierende Missverständnisse oder sogar bewusste MissInterpretationen unserer
Position, weil Ihr diese eigentlich besser kennen müsstet. Insoweit finde ich
einige Passagen Eures Textes ärgerlich und desorientierend.
Zunächst wird implizit unterstellt, unsere Auffassung, der bisherige Abschwung
in Deutschland sei nicht primär auf die Finanzkrise, sondern die durch
Lohndumping und zu restriktive Finanzpolitik zurückbleibende Binnennachfrage
zurückzuführen, sei falsch. Ebenso unsere Auffassung, der Aufschwung sei im
Kern ein normaler konjunktureller gewesen und nicht etwa Folge der Agenda 2010.
Eine inhaltliche ökonomische Begründung Eurer Position fehlt aber. Zudem haben
wir nie gefordert, im Aufschwung »Konjunkturprogramme« zu fahren — das
fordern wir erst jetzt im Angesicht der Krise. Das von uns seit Jahren
geforderte »Zukunftsinvestitionsprogramm« und den Kampf gegen politisch
gefördertes Lohndumping haben wir als strukturelle, dauerhaft wirkende
Alternative formuliert, als einen anderen Entwicklungsweg, der stärker auf
Binnennachfrage und öffentlich organisierter Beschäftigung beruht.
Absurd ist die Unterstellung, es ginge uns mit der Propagierung einer solchen
anderen Politik darum, dass Arbeitgeber oder Regierungen aus Einsicht oder
Freundlichkeit »sich dieser Auffassung anschließen«. Es ginge uns darum, »nur
anzuklagen statt Gegenmacht zu organisieren«. Oder wir wären uns nicht darüber
klar, dass es Interessen gibt, die hinter der neoliberalen Politik der letzten
Jahre stehen.
Ja was denn sonst? Das Finanzkapital und die gerade in Deutschland
dominierenden Gruppen des exportorientierten Industriekapitals profitierten
selbstverständlich von der enormen Umverteilung von unten nach oben und den
durch Lohndumping gesteigerten Exportmöglichkeiten. Bei den vom Binnenmarkt
abhängigen Teilen des Kapitals, insbesondere weiten Teilen der
Dienstleistungen, sieht die objektive durch Daten belegbare Interessenlage
schon anders aus. Dies hat allerdings bisher außer in Ausnahmefällen (etwa
Einige in der Mindestlohndebatte) nicht dazu geführt, dass sie sich politisch
anders positionierten.
Das Klasseninteresse des Kapitals artikuliert sich praktisch eben zunächst auf
der Basis der einzelkapitalistischen Perspektive, erst recht in Zeiten
neoliberaler Hegemonie, und nicht in Reflektion der ökonomischen Vorteile einer
gestärkten Binnennachfrage für diese Kapitalfraktionen.
Kritik und Mobilisierung
Aber der Kernpunkt für uns war und ist immer: Es geht um die ideologische
Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus in Alltagsverstand, Medien und
Politik und um die Entwicklung von politischem Druck der Beschäftigten und der
Bevölkerung für eine andere Politik und gesellschaftliche Entwicklung.
Zugespitzt: unsere Kritik der Agenda-Politik und Mobilisierung für ein
Zukunftsinvestitionsprogramm und den Mindestlohn, sind wesentliche Bausteine
der von Euch geforderten Organisierung von Gegenmacht! Und wir denken, dass
dies erfolgreich genau so und mit den Positionen geschehen kann, wie wir das
betreiben, anknüpfend am Alltagsbewusstsein und orientiert gegen politisch
greifbare Adressaten. Und das sind hauptsächlich die nationalstaatliche
Regierung und die neoliberalen politischen Kräfte hierzulande und das Kapital in
Form der hiesigen Arbeitgeber, denen höhere Löhne und bessere Bedingungen
abgerungen werden müssen. Dabei ist es hilfreich, wenn wir zeigen können, dass
nicht nur für die Einkommen der Beschäftigten, sondern, auch für das
gesamtwirtschaftliche Wachstum und die Beschäftigung sowie sozial und
Ökologisch eine Stärkung der Binnennachfrage durch höhere Löhne sowie
öffentliche Aufträge und Beschäftigung positiv wäre. Dass wir also nicht nur
Einzelinteressen der »Arbeitsplatzbesitzer« vertreten, sondern zugleich die
Interessen der »Allgemeinheit«, also der überwiegenden Mehrheit der
Bevölkerung, auch der Erwerbslosen.
Selbstverständlich ist eine nachfrageorientierte, keynesianisch orientierte
Wirtschaftspolitik in ganz Europa anzustreben. Aber Deutschland ist nicht
irgendein kleines Land inter vielen. Es ist die größte Wirtschaftsmacht Europas
mit einem bedeutenden Binnenmarkt und kann auch nationalstaatlich viel bewegen.
Überhaupt liegen die wesentlichen Kompetenzen, die für eine alternative Politik
notwendig sind, weiterhin auf der nationalen Ebene: Steuer- und Finanzpolitik,
Arbeitsrnarkt- und Sozialpolitik usw. Deutschland ist politisch der Hauptträger
der herrschenden neoliberal orientierten Politik in der EU und insbesondere im
Euro-Raum. Es ist das Land, in dem die Umverteilung zugunsten des Kapitals in
den letzten zehn Jahren am massivsten durchgesetzt wurde und das zunehmend
enormen ökonomischen Druck auf die Verteilungsposition der Lohnabhängigen in
den anderen europäischen Ländern ausübt.
Und: Gerade die Reaktionen auf die Finanzkrise haben doch gezeigt, dass die
politische Musik in Europa, wenns drauf ankommt, nicht in Brüssel, sondern in
Berlin, Paris und London bestimmt und gespielt wird. Auf der anderen Seite
bestehen auf der nationalstaatlichen Ebene noch die größten Möglichkeiten für
demokratische Einflussnahme und Druckausübung der Beschäftigten und der breiten
Schichten der Bevölkerung, und hier bilden sich weiterhin wesentlich die
gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse. Auf der europäischen und
erst recht der globalen Ebene sind die Volker von demokratischem Einfluss
weitgehend ausgeschlossen. Die lange neoliberale Vorherrschaft hat sich tief in
den Strukturen und Rechtsgrundlagen und in der Zusammensetzung von Organen
eingeschrieben. Die zentralen Akteure, die etwas bewirken können, sind hier die
nationalen Regierungen, insbesondere die starken Länder wie Deutschland.
Daher kehrt sich Eure Argumentation gegen Euch selbst: Wenn die Frage der
Ausrichtung der Wirtschaftspolitik - wie Ihr richtig schreibt - eine der
gewerkschaftlichen Mobilisierungs- und Durchsetzungsfähigkeit und weniger eine
der guten Argumente ist, dann spricht dies für eine vorrangige Ausrichtung der
Kräfte auf die Druckentwicklung auf die nationalen Regierungen.Für Forderungen
an die EU-Kommission oder gar an globale Institutionen, selbst wenn sie durch
internationale Aktionen und Demonstrationen bekräftigt werden, gilt viel
stärker was Ihr bemängelt, nämlich dass sie wirkungslose Anklage bleiben. Die
Durchsetzung einer anderen Politik in Europa geht nur auf dem Wege der
Durchsetzung einer anderen politischen Orientierung in Deutschland und
möglichst vielen anderen Nationalstaaten in Europa. Und das erfordert, die
Verantwortung und Veränderungsmöglichkeiten der nationalen Politik in den
Mittelpunkt zu stellen. So lässt sich am wirksamsten Druck entwickeln, auch für
eine andere Politik im internationalen Rahmen.
Im Übrigen: Wie die Regierungen jetzt auf die Krise reagieren, ist Ausdruck zum
einen von Interessens- und Positionsdifferenzen innerhalb des Kapitals, aber
auch erheblich des öffentlichen Drucks und der ideologischen Defensive, in die
der Neoliberalismus geraten ist. Also dass die Regierungen dem Finanzkapital
durchaus gewisse Beschränkungen auferlegen, und dass jetzt über
Konjunkturprogramme diskutiert wird und nicht so wie noch beim letzten
Kriseneinbruch Anfang des Jahrzehnts über Lohnzurückhaltung, Senkung der
»Lohnnebenkosten«, Steuersenkungen für Unternehmen und »Leistungsträger«,
weitere Deregulierung, Privatisierung, Bürokratieabbau usw. Die Diskurslage ist
heute wesentlich günstiger als damals, die Gewerkschaften sind weniger
eingebunden, das »Bündnis für Arbeit« ist Geschichte, in der Bevölkerung gibt
es breite Ernüchterung und Ablehnung neoliberaler Politik, die neue Partei Die
Linke hat die Bedingungen für linke Alternativen wesentlich verbessert. Auf der
anderen sitzen die kapitalorientierten Kräfte weiterhin fest im Sattel und an
den Schalthebeln der Politik. Das ist der Widerspruch, mit dem wir umzugehen
haben.
Es ist also durchaus offen, wie es weitergeht. Vielleicht gelingt es den
herrschenden Kreisen, mit taktischen Manövern und Umorientierungen weiter eine
Politik im Interesse des international orientierten Kapitals zu betreiben.
Vielleicht gelingt es den Gewerkschaften und anderen Gegenkräften aber auch,
eine wieder stärker sozialstaatliche Gestaltung durchzusetzen und demokratische
Gegenmacht zu stärken. Insoweit habe ich auch Zweifel an Eurer Analyse der
Krisenfolgen. Ob die öffentlichen Investitionen in der Breite zurückgefahren
werden und die private Binnennachfrage stark rückläufig sein wird, wie Ihr auf
Seite 2 schreibt, ist m.E. noch keineswegs ausgemacht. Es ist eine mögliche
Entwicklung im Zuge einer fortschreitenden Verschärfung der Krise und diese
verstärkend. Es ist aber auch möglich -und das muss das Ziel sein - dies zu
verhindern und eine andere, sozialstaatliche Entwicklung durchzusetzen. Dies
ist Bedingung für weitergehende Veränderungen im Interesse der abhängig
Beschäftigten und der Mehrheit der Bevölkerung. Dies zu erreichen, erfordert
eine weitere Politisierung gewerkschaftlicher Arbeit und die Verbindung
national und international orientierter Aktivitäten und Kräfte, nicht die
Abwertung ersterer. Ausgangspunkt und zentral bleibt dabei der Kampf auf dem
Terrain und für eine andere, heute machbare Politik der einzelnen
Nationalstaaten.
Anmerkung:
* Diese Replik wurde am 5. November 2008, bezugnehmend auf die
erste Fassung des Papiers des AK Weltwirtschaftskrise, verfasst. Beide sind im
Labournet Germany nachzulesen.