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Neue Westfälische Zeitung vom Freitag, 18.März 1988

 „Wirtschafts- und Strukturförderungsgesellschaft" aufgelöst
OKD: „Hat ihre Aufgabe erfüllt"
Rühl: „Überflüssig und unnütz"
Kreis Höxter (pur). Als Wilhelm Rühl (SPD) gestern nachmittag im Sitzungssaal der Sparkasse in Brakel ans Rednerpult trat, ahnte OKD Paul Sellmann wohl schon, was da auf ihn zukommen sollte. Als es in der 19. Sitzung des Kreistages um die „Auflösung der Wirtschafts- und Strukturförderungsgesellschaft" ging, legte der SPD-Politiker noch einmal detailliert und engagiert dar, warum er die Auflösung nicht nur vehement befürwortete, sondern auch daß er sie „von Anfang an für falsch, überflüssig und unnütz" gehalten hatte. Rühl meinte, daß die Gesellschaft „niemals ihre Aufgabe erfüllt" habe — und als er hinzufügte, daß sie eher „ein Steuerentziehungsmodell" gewesen sei, platzte dem sichtlich genervten Hauptverwaltungsbeamten des Kreises der Kragen: „Was Sie hier äußern", so Sellmann, „ist ein weiterer Beitrag zur Bereicherung der politischen Märchenlandschaft. Auch mit diesem parteipolitischen Schattenboxen werden ihre Argumente nicht richtiger."

Rühl hatte in seinen Ausführungen betont, daB er sehr wohl für Wirtschaftsförderung sei - allerdings gehöre sie in den zuständigen Fachausschuß und müsse der Öffentlichkeit zugänglich und ersichtlich sein. „Die Hauptsache ist doch, daß Wirtschaftsförderung betrieben wird. Sie darf aber nicht im privaten Sumpf betrieben werden, sondern muß für jeden Bürger klar ersichtlich sein!" Das wiederum wollte Sellmann nicht verstehen: „Sie fordern doch seit Jahren die Auflösung der Gesellschaft, weil sie Ihrer Meinung nach nichts bringt. Nun stelle ich aber fest, daB wir den DringlichkeitsbeschluB zur Auflösung fassen wollen — und Sie karten noch nach. Offensichtlich ist doch Ihre Partei gespalten. Sie sind dafür, Ihre Partei aber dagegen. Da scheint es wohl interne Kommunikationsprobleme zu geben", so Sellmann an Rühls Adresse.

Worauf Rühl wiederum dem OKD hinterherrief, daß „nicht die SPD gespalten ist, nein - der OKD will sie spalten", und weiter meinte, daß die Wirtschafts- und Strukturförderungsgesellschaft nicht nur „dem Land Steuern entzogen habe — nein, dafür mußte der Steuerzahler auch noch bezahlen, weil "entgegen der ursprünglichen Ankündigung, daß dies nicht der Fall sein werde, Verwaltungskosten angefallen sind".

Als Sellmann dann seinerseits wieder antwortete, daß Rühl „Märchen erzähle", meldete sich Rühls Fraktionskollege Reinhard Ludwig zu Wort, der Landrat Alex Brunnberg als Sitzungsleiter fragte, „wie lange Sie es eigentlich noch dulden wollen, daß der OKD hier Zensuren verteilt. Es ist eine schlichte Unverfrorenheit, wie die ganze Angelegenheit hier behandelt wird", so Ludwig.

Dem CDU-Fraktionsvorsitzenden im Kreistag, Dr. Karl Schneider, ging die Diskussion offensichtlich zu weit: „Wir haben hier und heute über einen Dringlichkeitsbeschluß zur Auflösung der Gesellschaft zu entscheiden. All das, was Sie vorgetragen haben, Herr Rühl, ist Schnee von gestern, den heute keinen mehr interessiert!" Auch Heinz Göhlmanns (SPD) Hinweise, daß die Stadtdirektorenkonferenz „nicht genug kompetent für die Wirtschaftsfragen des Kreises" und dafür die „Wirtschafts- und Strukturförderungsgesellschaft die richtige Plattform" sei, fand bei CDU, Grünen, UWG/CWG und seinem Fraktionskollegen Rühl Zustimmung.

Nach knapp zweistündigen kontroversen — und leidenschaftlich geführten — Diskussionen verabschiedete der Kreistag einen Beschluß, der sich mit der „Auflösung der Bezirksfachklasse für die Auszubildenden im Hotel- und Gaststättengewerbe" beschäftigte. Die SPD kam nicht mit ihrem Entschluß durch, daß die Auszubildenden dieser Berufe aus Ausbildungsstätten mit Sitz im Kreis Höxter ab dem Schuljahr 1988/89 - beginnend mit der Unterstufe — zunächst an der  Johann- Conrad- Schlaun- Schule in Warburg beschult werden.