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FR vom 09.07.2007
„Wer die Konsumenten stärkt, sichert Arbeitsplätze"
Verbraucherschützerin Edda Müller über
fehlende Aufklärung, Versäumnisse der Politik und die
Besatzungszonen der privaten Stromriesen
Frau Müller, der erste Deutsche
Verbrauchertag an diesem Montag in Berlin diskutiert das Thema
„Nachhaltiger Konsum". Gibt es da Nachholbedarf? Den Deutschen wird
nachgesagt, beim Kauf vor allem auf den Preis zu schauen.
Das ist richtig. Der private Konsum muss sicher umweit- und
sozialverträglicher werden. Doch mündige, verantwortungsvolle
Verbraucher fallen nicht vom Himmel. Dazu brauchen wir eine nachhaltige
Wirtschafts- und Verbraucherpolitik. Es hilft nicht, bloß
darüber zu jammern, dass die Deutschen ein Volk von
Scrmäppchenjägern sind.
Was ist zu tun?
Die Verbraucher spielen in der globalen Wirtschaft eine wichtige Rolle.
Wenn die Konsumenten bei Produkten und Dienstleistungen hohe
Qualität, beste Effizienz sowie umweit- und
sozialverträgliche Herstellung fordern, stärkt das die
Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft insgesamt. Dadurch
werden Arbeitsplätze sicherer und die Lebensverhältnisse
verbessern sich auch in Produktionsländern wie Asien oder Afrika.
Warum spielen nachhaltige
Verbraucherinteressen im Welthandel bisher kaum eine Rolle?
Die Politik konzentriert sich auch international viel zu sehr auf die
Angebotsseite, auf den Wettbewerb der Unternehmen. DieNach-frageseite
wird sträflich vernachlässigt. So stuft die
Welthandelsorganisation WTO nationale Forderungen nach mehr
Auskunftsrechten der Verbraucher sogar als Handelshemmnisse ein. Die
WTO nimmt Unternehmen, die mehr Informationen über ihre
Produktionsprozesse verweigern, also sogar noch in Schutz. Das ist
sicher der falsche Weg.
Was fordern sie?
Beim nächsten G 8-Gipfel sollte die Frage des nachhaltigen Konsums
ganz oben stehen. Da gibt es für ver-antwortungsbewusste Politiker
viel zu tun. Der Welthandel der großen Industrieländer muss
so aus gerichtet werden, dass er nicht weiter globale Vereinbarungen zu
Arbeitsbedingungen, Umwelt- und Klimaschutz konterkariert.
Ist der politische Wille dazu da?
Es setzt ein Umdenken ein. Ein Mann wie der baden-württembergische
Verbraucherminister Peter Haukhat die Zusammenhänge erkannt, er
reduziert Verbraucherpolitik nicht nur auf reinen Konsumentenschutz.
Diese Sicht ist überholt. Auch andere Politiker müssen
erkennen, dass über Stärkung und Aufklärung der
Konsumenten heimische Arbeitsplätze erhalten werden können.
So tragen regionale Herkunftsbezeichnungen zum Beispiel in der
Landwirtschaft dazu bei, dass mehr Produkte aus der Region gekauft
werden. Das schont zudem die Umwelt.
Für verantwortungsvolle Kaufentscheidungen
braucht der mündige Verbraucher ausreichend Informationen. Das
gerade im Bundestag verabschiedete Verbraucherinformationsgesetz (VIG)
sehen Kritiker eher als löchrigen Käse.
Das VIG ist völlig unzureichend. Es beschränkt sich auf
Lebens- und Futtermittel. Die Chance für einen Schritt nach vorne
wurde vertan. So haben Unternehmen weiterhin keine Auskunftspflicht
gegenüber Verbrauchern, zum Beispiel über den Einsatz
Die Politik duldet
Missstände zu lange sagt Edda Müller.
von Gentechnik oder über Tierversuche bei der Herstellung. Das VIG
wird bestenfalls helfen, einige Vollzugsdefizite abzubauen wie in der
Lebensmittelüberwachung, wo die Gammelfleischskandale die
großen Defizite aufgezeigt haben,
Wie zufrieden sind sie mit der
Verbraucherpolitik der großen Koalition und des zuständigen
Ministers Horst Seehofer?
Es gibt deutliche Mängel und Lücken. Das zeigen die Debatten
zu überhöhten Strom- und Gaspreisen, zur illegalen
Telefonwerbung oder zum Urheberrecht. Die Interessen der Verbraucher
kommen hier regelmäßig zu kurz. Minister Seehofer sollte in
der Regierung der starke Anwalt der Verbraucherinteressen sein.
Doch davon ist leider viel zu wenig zu sehen.
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Zur Person
Edda Müller,
die Präsidentin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv),
geht zum Monatsende in den Ruhestand. Seit die Spitzenorganisation vor
knapp sieben Jahren gegründet wurde, leitet die promovierte
Verwaltungswissenschaftlerin den Dachverband, dem inzwischen 25
Verbraucherorganisationen angehören.
Zu ihrem Abschied
kann die frühere Umweltministerin von Schleswig-Holstein auf eine
erfolgreiche Bilanz zurückblicken. Edda Müller sei es
„gelungen, Verbraucherpolitik konzeptionell zu entwickeln,
fortzuschreiben und das in der Politik bestehende programmatische
Vakuum auszufüllen", lobt der Verwaltungsratschef des vzbv,
Franz-Georg Rips. Der Dachverband habe sich zu einem anerkannten
Akteur auf der
politischen Bühne entwickelt.
Die
Honorarprofessorin lernte das politische Geschäft von der Pike
auf. Sie arbeitete im Innen- und Umweltministerium, im Kanzleramt und
im Umweltbundesamt. Vor dem Wechsel an dieVerbandsspitze leitete sie
die Abteilung Klimapolitik im Wuppertal Institut und später als
Vizechefin die Europäische Umweltagentur. Sie gilt als Mutter des
Umweltzeichens „Biauer Engel" und verhandelte die Klimaziele des
Kyoto-Protokolls. Am 23. Juli feiert sie ihren 65. Geburtstag.
Ihr Nachfolger
Gerd Billen kommt vom Versandunternehmen Otto aus Hamburg, wo er die
Abteilung Umweltpolitik leitete. Zuvor arbeitete Billen als
Geschäftsführer beim Naturschutzbund und lenkte die
Vergabestelle für den „Blauen Engel".
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Die Liberalisierung und
Privatisierung vieler Märkte sollte auch den Verbrauchern viele
Vorteile bringen. Zumindest in der Strombranche scheint das Gegenteil
der Fall zu sein.
Das stimmt. Das staatliche Monopol hat sich in vier Besatzungszonen
privater Stromriesen verwandelt, die den Verbraucher abkassieren. Daran
trägt die Politik Mitschuld. Die unbedingt nötige, strenge
Regulierung solch liberali-sierter Märkte wurde verschlafen. Die
Folgen müssen die Kundenbis heute durch überhöhte Preise
ausbaden.
In der Telekommunikation wiederum
scheint nach der Liberalisierung das Gesetz des Wilden Westens zugehen.
Abzockjallen im Internet, Werbemüü per E-Mail,
überteuerte Handygespräche im Ausland, illegale
Telefonwerbung-so haben sich viele die versprochene schöne neue
Kommunikationsweh nicht vorgestelh.
Diese Missstände werden von der Politik oft viel zu lange
geduldet. Das ist völlig unverständlich, da es häufig
wirksame Gegenmittel gibt. So schrecken Bußgelder illegale
Telefonwerber kaum ab. Viel besser wäre die Vorschrift, dass
Verträge am Telefon erst wirksam werden, wenn sie schriftlich
bestätigt werden. Schon hättederSpukein Ende und der
Verbraucher seine Ruhe.
Als Sie vor sieben Jahren
Präsidentin des neuen Dachverbands der Verbraucherzentralen wurde,
haben Sie da erwartet, dass man so dicke Bretter bohren muss, um im
Verbraucherschutz etwas zu erreichen.
Ja. Damals spielte Verbraucherschutz kaum eine Rolle. Das hat sich
durch die BSE-Krise, aber auch durch unsere Aufklärungsarbeit
deutlich geändert. Es gibt jetzt Verbraucherministerkonferenzen,
und bei den Parteien sind die Posten der verbraucherpoliti-schen
Sprecher begehrt. Auch in Brüssel gibt es einen Sinneswan-del und
das Ziel, zersplitterte Verbrauchergesetze zu harmonisie-ren. Das sind
erfreuliche Fortschritte.
Was bleibt für Ihren Nachfolger
Gerd Billen zu tun?
Noch eine Menge. Die Lage der Verbraucherzentralen in den
Bundesländern ist besorgniserregend. Es fehlt vielerorts an
Ausstattung und Geld, weil die Länder bei der Beratung der
Konsumenten sparen. Bundesweit werden im Schnitt zehn Beratungsstellen
pro Jahr geschlossen. Das ist der falsche Weg, denn der Bedarf ist
größer denn je.
Zum Beispiel?
Ob Finanzprodukte, Riesterförderung oder Strom- und Telefontarife,
der Durchblick fällt in liberali-sierten Märkten den
Verbrauchern immer schwerer. Bei den stark zugenommenen privaten
Insolvenzen ist die Schuldnerberatung sogar gesetzliche Pflicht.
Trotzdem wird die Beratung ausgedünnt. Das passt überhaupt
nicht zusammen.
Interview: Thomas
Wüpper