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Frankfurter Rundschau vom 12.01.98

Den Wahltermin vor Augen, rettet Schröder Preussag

Grüne führen "Stahlnotrettungsaktion" des niedersächsischen Landeschefs auf Erpressung durch Genossen zurück

Von Dietmar Ostermann (Hannover)

Während sich die Konkurrenz noch warmläuft, hat Gerhard Schröder (SPD) im beginnenden niedersächsischen Wahlkampf seinen ersten Coup gelandet: Wegen der überraschenden Ankündigung, das Land Niedersachsen werde Mehrheitsaktionär bei der Preussag Stahl AG, der ein Verkauf durch die Konzernmutter ins Ausland drohte, läßt sich der Ministerpräsident mit Kanzlerambitionen als Retter von 12 000 Arbeitsplätzen feiern. Nach dem riskanten Drahtseilakt dürfte Schröder aber auch aufatmen: Er ist nur knapp an einem Debakel vorbeigeschrammt.
"Es gibt eine Menge ungeklärter Fragen und offensichtliche Ungereimtheiten vor allem im Zusammenhang mit den Entscheidungen führender Sozialdemokraten", schimpfte CDU-Chef Christian Wulff nach dem am späten Freitag bekanntgewordenen Deal. Schröder sei durch eigene Parteigenossen in der Preussag-Führung zu der "Stahlnotrettungsaktion" erpreßt worden, kommentierte der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im niedersächsischen Landtag, Michel Golibrzuch.
Tatsächlich scheint für den Ministerpräsidenten nicht alles nach Plan gelaufen zu sein. Schon im November hatte er den Stahlarbeitern in Salzgitter, Peine und im sachsen-anhaltischen Ilsenburg Hilfe versprochen. Zuvor waren Gerüchte über einen möglichen Verkauf der als gesund geltenden Preussag-Tochter an ein britisches Unternehmen ruchbar geworden; die Belegschaft fürchtet für diesen Fall einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen. Auf dem SPD-Bundesparteitag Anfang Dezember nutzte Schröder einen Auftritt empörter Stahlkocher, um sich auch Kritikern in der eigenen Partei als das zu präsentieren, was er unter einem zupackenden, modernen Industriepolitiker versteht.
Schon kurz darauf gab die Landesregierung Entwarnung: Für die Preussag Stahl solle ein einheimischer Investorenpool gebildet werden; Gespräche seien angelaufen. Der Ministerpräsident selbst machte sich auf die Suche nach Interessenten und versprach, das Land werde sich an einem kontrollierten Börsengang indirekt durch geeignete Partner beteiligen. Der Verkauf ins Ausland schien abgewendet: Schröder ließ sich feiern.
Zu früh, wie sich vorige Woche zeigte: Plötzlich war doch wieder von einem Verkauf an europäische Konkurrenten die Rede. Unterschriftsreife Verträge mit der österreichischen Voest Alpine lägen vor, hieß es. Für den Wahlkämpfer Schröder eine Katastrophe; er stand im Wort. Sollte es doch zu einem "Ausverkauf" kommen, könnte sich in Salzgitter die Wut schnell auch gegen ihn richten - zumal, wie CDU und Grüne nicht müde werden zu betonen, angefangen von Konzernchef Michael Frenzel bis hin zu Stahl-Aufsichtsrat und Innenminister Gerhard Glogowski zahlreiche Sozialdemokraten in Top-Positionen bei Preussag agieren.
Vor allem Konzernchef Frenzel wird jetzt vorgeworfen, er habe in einer "Nacht und Nebel-Aktion" die ungeliebte Stahltochter doch noch über die Grenzen verscherbeln wollen. Über entsprechende Gerüchte informierte der niedersächsische IG-Metall-Chef Jürgen Peters nach Angaben der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung Schröder am vorigen Donnerstag in einem Eilbrief. Peters forderte den Ministerpräsidenten zum Handeln auf. Die Landtagswahl am 1. März vor Augen griff der zum letzten Mittel und verabredete nur einen Tag später mit Konzernchef Frenzel überraschend, das Land werde die Mehrheit der Stahlaktien vorerst selbst kaufen.
Zwar ist die Zukunft weiter ungewiß, da das teure Engagement nur vorübergehend sein soll. Vorerst aber herrscht Ruhe an der Stahlfront bis zum Wahltag. Selbst CDU und Grüne befürworten den gewagten Einsatz - nur die FDP ist dagegen, weil sie grundsätzlich Landesbeteiligungen ablehnt.