Sehnsucht nach der Gegenmacht
Bei der ersten Bundeskonferenz der Wahlalternative bleiben die inhaltlichen Linien blass - erstmal will man rasch zur Partei werden
VON MARKUS BRAUCK (NÜRNBERG)
Anders sein. Andere Politik machen. Kaum ein Redner, der ohne diese Formel auskommt bei der ersten Bundesdelegiertenkonferenz der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG). "Es gibt Alternativen, und dieses Land braucht Alternativen", ruft Detlef Hensche, früher mal Bundesvorsitzender der IG Medien. Da gibt es Beifall. Gegen die Anderen - das sind sie hier alle, die sich aufgemacht haben, eine Partei zu gründen, vor allem, weil sie sich in der SPD, bei den Grünen und in den Gewerkschaften nicht mehr zu Hause fühlen. Da reicht eine Attacke gegen den "Raubtierkapitalismus", damit sich alle eins fühlen.
Auf dem Weg zur Partei
Die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) hat die Weichen gestellt, um eine Partei zu gründen. Dazu werden die Mitglieder befragt.
Die Urabstimmung soll am 25. November beginnen und am 18. Dezember enden. Das Ergebnis wird am 20. Dezember verkündet. Ein positives Votum gilt als sicher.
In einem Länderrat soll am 22. Januar die Partei gegründet werden. Dann soll auch entschieden werden, ob die WASG an der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai teilnimmt. Ende April, Anfang Mai werden auf einem Gründungskongress Programm und Satzung verabschiedet. mab
Der Humboldtsaal in Nürnberg wird zum gallischen Dorf, das als letztes Widerstand leistet gegen einen übermächtigen Gegner. Es ist nicht nur Mäkelei, die sich da Luft macht. Dahinter steckt auch der Wille zur Macht. Zur sichtbaren Gegenmacht.
Die Delegierten sind es müde, dass die Unzufriedenheit über die Agenda 2010 von der politischen Linken ungenutzt verdampft. Sie machen ernst. Sie wollen Partei werden. Und zwar schnell. Wie in Zeitraffer absolvieren sie die Stadien einer Protestpartei. 6000 Mitglieder haben sie mittlerweile. Im Januar soll die Partei stehen. Im Mai wollen sie zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen antreten. Dieses Ziel vor Augen, machen die Pragmatiker Druck. "Es wird Zeit, dass wir uns zeigen", sagt Thomas Händel vom Bundesvorstand. "Wir gehen im Frühjahr ans Netz und werden dann endlich in den Meinungsumfragen gelistet." Das Frühjahr 2005 ist wichtig. Hartz IV wird dann endgültig in der Realität ankommen. Der Unmut, so das Kalkül, wird steigen. Die WASG muss dann präsent sein, um davon zu profitieren.
Flügelkämpfe vertagt
Für programmatische Querelen bleibt da keine Zeit. Auch die Flügelkämpfe zwischen Realisten und Visionären werden vertagt. Man sieht schon, dass der WASG die gleichen Debatten ins Haus stehen wie einst den Grünen. Basisdemokratie, Trennung von Amt und Mandat, Frauenquote, Ostquote. Fast alle haben diese Kämpfe woanders schon einmal ausgefochten. Manche offenbar schon in Bad Godesberg. "Irgendwann stellt sich die Machtfrage zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, und dann stellt sich auch die Systemfrage", trotzt eine Frau vom linken Flügel der pragmatischen Mehrheit. Doch für einen handfesten Streit reicht das nicht. Die kampferprobten Lenker der WASG lassen den Ruf nach Sozialismus an sich abtropfen. Irgendwann stelle sich die Frage, sicher, aber eben nicht jetzt. Dagegen muckt keiner mehr auf.
Anders sein. Andere Politik machen. Das ist zwar der Slogan, auf dem alles aufbaut, aber die meisten träumen nicht mehr davon, dass dabei tatsächlich auch eine gänzlich andere Partei herauskommen wird. In die Medien zu kommen, ist allemal wichtiger als die Frage, ob Minister und Staatssekretäre, so ein Antrag, auch zugleich im Parteivorstand werden sitzen dürfen. Da hört man dann aus dem Bundesvorstand das leise Stöhnen darüber, dass einige offenbar das Rad neu erfinden wollten. Der Vorstand will das jedenfalls nicht. Er will einfach wieder mitdrehen am Rad.
Am besten verkörpert den kühlen Pragmatismus der WASG-Spitze der Ex-Sozialdemokrat Klaus Ernst. Im feinen Anzug und mit stilsicher ausgesuchter Krawatte wirkt er neben manchem Delegierten wie einst Otto Schily unter strickenden Grünen. Niemand sonst führt so professionell wie er die Rolle des Parteitagsredners auf. Die rechte Hand locker in der Hosentasche, in der linken die Brille, in den Knien federnd und immer kräftig drauflos. "Die SPD hat ihre Grundsätze verlassen und ist zu einem neoliberalen Kanzlerwahlverein verkommen." Brille auf. Brille ab. Ein Frontmann, wie er im Buche steht. Nach der Rede gibt er gleich ein Fernsehinterview. Ohne die Medien ist alles nichts.
Der andere Frontmann Thomas Händel fordert deshalb mehr Polemik im Umgang mit dem politischen Gegner und gibt auch gleich eine Kostprobe. Rogowski sei ein "Unternehmer-Skinhead". Applaus in der Halle. Stirnrunzeln auf der Pressetribüne.
Wie eine SPD in Opposition
Was aber die Alternativen sind, da bleiben die Redner merkwürdig blass, und wenn sie etwas dazu sagen, klingen sie überhaupt nicht mehr "neu" und "anders", sondern eher wie eine SPD in ihren Oppositionsjahren unter Kohl. "Unsere Kinder fragen uns nicht nach irgendeiner Staatsquote, sondern nach der Qualität der Schulen und Kindergärten", sagt Hauptredner Hensche. Überhaupt sei nicht der Sozialstaat zu teuer, sondern die "milliardenschwere Subventionierung privaten Eigentums".
Einer vom Bundesvorstand betont: "Wir müssen klüger sein als die Grünen und dürfen uns nicht gleich am Anfang in endlosen Diskussionen verzetteln." Es klingt nach Alternativlosigkeit. Doch manche fürchten, dass ein möglichst glatter Weg zur Parteigründung viel zu wenig Zeit lässt, Konturen zu bilden. "Wenn wir uns nicht finden, dann werden wir eine Partei ohne Unterbau", sagt Delegierter und Attac-Mitglied Michael Kraus. Es ist ein bisschen die Angst, auf dem Weg vom Verein zur Partei auf halbem Wege stecken zu bleiben und nichts anderes zu werden als das, was für sie die anderen schon sind, ein Wahlverein.
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Dokument erstellt am 21.11.2004 um 16:56:42 Uhr
Erscheinungsdatum 22.11.2004