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Aus "Erziehung und
Wissenschaft" - Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft GEW 6/2009 ,
Seiten 16 - 19
Von der Kita bis zur Weiterbildung
Beschlüsse des 26. Gewerkschaftstages der GEW
Einige wichtige Anträge, die die Delegierten des 26.
Gewerkschaftstages, der GEWEnde Aprilin Nürnberg verabschiedet
haben, sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. Das Gesamtpaket
aller Beschlüsse, die in vollem Wortlaut dokumentiert sind, finden
Sie im ewerkscbaftstags-Spezial auf der GEW-Website unter:
www.gew-gewerkschaftstag.de
Mehr Geld bei Privaten
Die GEW wird sich verstärkt dafür einsetzen, die Arbeits- und
Einkommensbedingungen m privaten Bildungseinrichtungen zu verbessern
und zu sichern. Dies soll möglichst über Branchen- bzw.
Flächentarifverträge geschehen. Eine Angleichung der Arbeits-
und Einkommensbedingungen mindestens an das Niveau des
öffentlichen Dienstes wird dabei angestrebt, um den ruinösen
Wettbewerb vor allem in der Weiterbildungsbranche zu unterbinden.
Kita-Leitungen freistellen
Die GEW will dafür eintreten, dass alle Leitungen von Kitas von
der unmittelbaren pädagogischen Arbeit freigestellt werden. Die
Freistellung muss im Personalschlüssel abgesichert werden und ist
tarifvertraglich zu regeln. Richtgröße hierfür ist eine
Stelle je 60 Kinder oder je sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
PPP führt auf Irrweg
Für einen „Irrweg" hält die GEW das Bestreben vieler
Kommunen, ihre Gebäude und damit auch Bildungseinrichtungen
über Public-Private-Partnerships (PPP) zu sanieren und zu
finanzieren. Sie lehnt den Bundestagsbeschluss vom März 2009 ab,
der das Ziel verfolgt, „die Privatisierung der Öffentlichen
Bautätigkeiten nun auch noch steuerlich zu fördern".
Über PPP-Projekte versuchen Kommunen, den durch zu knappe Mittel
entstandenen Investitionsstau bei der Renovierung öffentlicher
Gebäude aufzulösen. Dabei werden Leasing-Verträge mit
bis zu 50 Jahren Laufzeit mit Trägergesellschaften, die in der
Regel aus Bauunternehmen und Banken bestehen, abgeschlossen und
folgende Vereinbarungen getroffen: Die Träger verpflichten sich,
innerhalb von zwei bis drei Jahren die Gebäude zu sanieren bzw.
neue Einrichtungen zu bauen und die Bewirtschaftung für die
Vertragslaufdauer zu übernehmen. Die Kommunen zahlen dafür
Miete- bzw. Leasing-Raten an die Trägergesellschaften. Die GEW
hält dies für eine „kaschierte Neuverschuldung". Die
Erfahrung mit PPP-Projekten in den vergangenen Jahren zeigten, dass
diese für die Kommunen teurer werden als eigene
Bautätigkeiten, heißt es in dem Beschluss. Von Ersparnissen
zwischen 15 und 20 Prozent, wie beispielsweise von der Bundesregierung
behauptet, könne keine Rede sein. Zusätzlich führten PPP
zu Personalabbau sowie prekärer Beschäftigung in den Kommunen
und entzögen die Bautätigkeiten einer demokratischen
Kontrolle.
Ziel: »Eine Schule für alle"
Die GEW hält an „Eine Schule für alle" als zentraler
bildungspolitischer Zielsetzung fest. Sie fordert von den
Landesregierungen Entwicklungspläne für ein in-klusives
Schulsystem. Zudem sollen die Pädagoginnen und Pädagogen
qualifiziert werden, damit sie ein längeres gemeinsames Lernen
aller Kinder in heterogenen Gruppen gestalten können.
Zusätzlich müssen die Ressourcen erhöht werden, um
kleinere Klassen, eine Senkung der Unterrichtsverpflichtung und
gezielte Fortbildungsmaßnahmen innerhalb der regulären
Arbeitszeit zu ermöglichen.
In den vergangenen Jahren ist das Tabu „Schulstrukturfrage" gebrochen
worden. In vielen Bundesländern wird über Veränderungen
diskutiert. Konsequente Reformen mit dem Ziel „Eine Schule für
alle" sind jedoch bisher in keinem Bundesland beabsichtigt. Vielfach
werden das traditionelle Schulsystem stabilisiert und bereits erreichte
Fortschritte bei In-tegrations- und Inklusionsbemühungen sogar
wieder in Frage gestellt oder rückgängig gemacht.
Kinderrechte ins GG
Die GEW fordert die Bundesregierung auf, sich für die Aufnahme der
Kinderrechte ins Grundgesetz einzusetzen. Kinder und Jugendliche in
Deutschland sollen damit einen eigenen Rechtsstatus erhalten. Zudem
sollen Vorbehaltserklärungen, die Flüchtlingskinder
ausgrenzen, zurückgenommen werden, damit für alle in
Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen die gleichen Rechte
bestehen. Gleichzeitig verlangt die GEW, den Nationalen Aktionsplan
für ein kindergerechtes Deutschland 2005 bis 2010 (NAP) anzupacken
und einen Maßnahmenkatalog mit Zeitplan und abrechenbaren
Projekten zu verabschieden.
Für ein soziales Europa
Mit Blick auf die aktuelle Finanz-und Wirtschaftskrise hat die GEW ein
erweitertes Konjunkturpro-gramrn für die Europäische Union
(EU) gefordert und zur Teilnahme an der Demonstration am 16. Mai in
Berlin aufgerufen (s. Seite 27). Gleichzeitig verlangt sie eine
„strenge Regulierung der Finanz-niärkte, eine gerechte Verteilung
des Reichtums und ein Ende des Casino-Kapitalismus". Die Grundrechte
der Menschen rnüssten ebenso wie die Demokratie gestärkt
werden. Höhere Löhne, sichere Renten, ein starker Sozialstaat
sowie mehr Kaufkraft schützten die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und stärkten die Wirtschaft. Die Bildungsgewerkschaft
verlangt den Primat der „sozialen Dimension der europäischen
Integration" gegenüber der puren Ökonomie neoliberaler
Prägung, die derzeit Europa dominiert.
Geschlechtersensibilität
Die GEW setzt sich für einen geschlechtersensiblen Ansatz im
Bereich von „Lebensplanung, Arbeitswelt- und Berufsorientierung" ein.
Dieser Ansatz solle sich beispielsweise bei der
Entwicklung von Positionen für die Übergänge von
allgemeiner zu beruflicher Bildung sowie der Präzisierung von
Problem- und Fragestellungen an die wissenschaftliche Forschung
niederschlagen.
Nicht diskriminieren
Die GEW engagiert sich dafür, die rechtlichen Grundlagen zu
verbessern, um Diskriminierungen wegen der sexuellen Orientierung von
Menschen abzubauen. Dafür fordert die Bildungsgewerkschaft eine
Ergänzung des Gleichheitsartikels im Grundgesetz um das Merkmal
„Sexuelle Identität". Ebenso verlangt sie, dass das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nachgebessert werden solle.
Berufsbild entwickeln
Entgegen aller Sonntagsreden über die herausragende Bedeutung der
Weiterbildung ist Deutschland
heute weiter denn je davon entfernt, Weiterbildung als vierte
Säule des Bildungssystems zu etablieren. Die GEW fordert deshalb,
dass eine Rahmengesetzgebung für den gesamten
Weiterbildungsbereich Angebote, Zugang, Qualitätssicherung,
Finanzierung, Unterstützungsstrukturen und
Professionalitätsmerkmale regelt. Zudem seien Kriterien für
ein einheitliches Berufsbild zu entwickeln: Dazu gehöre
beispielsweise, Qualitätsstandards für alle
Beschäftigten zu schaffen, die denen anderer Bildungsbereiche
entsprechen. Parallel müssten die Arbeitsverhältnisse im
Weiterbildungsbereich ta-rifvertraglich abgesichert und den Standards
im öffentlichen Dienst angeglichen werden. Für die
Übergangszeit, bis ein für den gesamten Weiterbildungsbereich
gültiger Tarifvertrag abgeschlossen ist, sollen Mindestlöhne
und -honorare für das pädagogische Personal gesetzlich
festgelegt werden.
Bildungswege gleichwertig
Die GEW verlangt, dass allgemeine und berufliche Bildung als
gleichwertig anerkannt werden. Dazu ist es notwendig, dass die
berufliche Ausbildung so gestaltet wird, dass junge Menschen die
„Studierfähigkeit" erwerben können. Nur so wird
sichergestellt, dass alle Bildungswege bis in die Hochschule für
alle Menschen zugänglich sind und lebenslanges Lernen zu einem
Bestandteil der Normalbiografie werden kann. Eine Öffnung der
Hochschulen durch neue Zulassungsregelungcn für Menschen mit
abgeschlossener Berufsausbildung reicht nicht aus. Schon
frühzeitig müssen in den allgemein bildenden Schulen die
Kompetenzen erworben werden, die Bildungsmobilität
ermöglichen. Nur wenn alle Menschen dazu befähigt werden, die
Bildungsangebote für sich zu nutzen, kann die Durchlässigkeit
zwischen den Bildungsgängen mit Leben gefüllt werden.
Ansonsten bleibe sie eine „Mogelpackung", heißt es in dem Antrag.
Ohne ein höheres allgemeines Bildungsniveau nutze die formale
Öffnung der Bildungswege nur einer Elke.
„ Weiteres Investitionsprogramm "
In seiner Rede vor dem G E W- Gewerkschaftstag beschrieb der D G
B-Vorsitzende Michael Sommer das Krisenszenario, in dem es derzeit
gelte, Arbeitnehmerinteressen zu vertreten. Er
Sommer
nannte drei Ziele: die unmittelbaren Folgen der Krise für die
abhängig Beschäftigten dämpfen; dafür sorgen, dass
sich ein ähnlicher Crash nie wiederholt; verhindern, dass die
Verursacher des Finanzkollaps' und die Krisengewinnler ungeschoren
davon kommen. Sommer begründete die Forderung der Gewerkschaften
nach einem weiteren Investitionsprogramm mit den jüngsten
Wirtschaftsprognosen, die weiter nach unten zeigten. Um die Folgen zu
mildern, sei „energisches staatliches Handeln "
nötig.
( hbf )
Kurs „nachhaltige Entwicklung"
Die GEW will sich in der nächsten Zeit verstärkt für das
Konzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung" (BNE) stark machen.
BNE sei ein wichtiger Schlüssel für die politische Gestaltung
des Globalisierungsprozesses und einer zukunftsfähigen
Gesellschaft, heißt es in der Begründung des Beschlusses.
Insbesondere der wachsende wissenschaftliche Erkenntnisstand über
globale Veränderungen im Ökosystem der Erde erzwinge ein
Umdenken in allen gesellschaftlichen Bereichen. Nimmt man den Zwang zum
Urndenken ernst, bedeute das die Veränderung von
ßildungsinhalten und Strukturen durch ein umfassendes Konzept
für BNE und globales Lernen (s. auch BNE-Schwerpunkt der E&W,
Ausgabe 6/2008).
Kita-Qualitätsinitiative
Die GEW fordert eine Qualitätsinitiative an den Kitas. Mit Blick
auf das Krippenprogramm weist die GEW darauf hin, dass eine rein
quantitative Versorgung nicht ausreicht. Deshalb fordert sie
Bundesregierung, Landesregierungen, öffentliche und freie
Träger auf, Konzepte und Strukturen zu entwickeln, um eine
qualitativ hochwertige Betreuung der Kinder auf einer soliden
Finanzbasis zu gewährleisten. Bildung, Erziehung und Betreuung
seien in der Altersphase der null- bis dreijährigen Kinder von
besonderer Bedeutung, heißt es in dem Beschlusstext. Dies
müsse in einem Konzep: der „Pädagogik der frühen
Kindheit" Niederschlag finden. Konkret bedeutet dies einen
Personalschlüssel von zwei pädagogischen Fachkräften
für sechs Kinder. Zudem müsse im Stellenplan eine Vor- und
Nachbereitungszeit im Umfang von einem Drittel der Arbeitszeit für
jede pädagogische Fachkraft festgeschrieben werden. Zudem
müssten die Erzieherinnen entsprechend qualifiziert werden und auf
ein umfangreiches Beratungsangebot zurückgreifen können.
6/2009
Keine Schulrankings
Die GEW will Evaluation als hilfreiches und nützliches Instrument
der Schul-und Qualitätsentwicklung etablieren. Damit will sie
Missbrauch und Fehlentwicklungen von Evaluation verhindern. Um dieses
Ziel zu erreichen, sind bestimmte Anforderungen zu erfüllen:
Evaluation als Element der Schul- und Qualitätsentwicklung ist
sinnvoll, wenn sie ein inklusives, chancengleiches,
leistungsfähiges und demokratisches Schulwesen mit einem
umfassenden Bildungsauftrag fördert. Die Instrumente der
Evaluation müssen dabei auf ihre Ziele abgestimmt sein, Aufwand
und Ertrag in einem produktiven Verhältnis zueinander stehen.
Selbstevaluation hat Priorität. Fremdevaluation - beispielsweise
in Form der Schulinspektion -dient vor allem der
Qualitätsentwicklung der Selbstevaluation. Das Feed-back auf die
Evaluation muss „auf Augenhöhe" mit allen an der Qualitätsund
Schulentwicklung Beteiligten möglich sein. Evaluation wird nur
gelingen, wenn ausreichende Ressourcen zur Verfugung stehen.
Evaluations-Erkenntnis-se allein reichen nicht, es müssen auch
Schlussfolgerungen und Folgemaßnah-men möglich sein, die
Geld kosten. Schuldaten dürfen nicht an Dritte weitergegeben
werden, die diese Informationen beispielsweise im Internet in Form von
Schulrankings veröffentlichen.
UN-Sozialpakt umsetzen
Die GEW fordert die Bundesregierung auf. die sich aus dem UN-Pakt zur
Wahrung der wirtschaftlichen sozialen und kulturellen Rechte
(kurz : UN-Sozialpakt) ergebenden Verpflichtungen endlich zu
erfüllen und umzusetzen. Konkret sollen Gebühren für
Bildung wie Studiengebühren, Schulgeld und
Kita-Elternbeiträge abgeschafft und geächtet werden.
Stattdessen soll eine staatlich finanzierte, eitern- und
herkunftsunabhängige, bedarfsdeckende Grundsicherung mit
automatischer Anpassung an eventuelle Preissteigerungen eingerichtet
werden. Zudem sollen Maßnahmen ergriffen werden, die den
großen Em-fluss des sozialen Hintergrundes der Lernenden auf
ihren Erfolg im Bildungssystem verringern.
Für ein Weiterbildungsgesetz
Die GEW fordert ein Bundesgesetz für den Weiterbildungsbereich.
Dieses soll Grundlage für eine öffentliche
Weiterbildungspolitik sein, die nicht alles dem Markt
überlässt, sondern die Weiterbildungslandschaft aktiv
gestaltet. Als zukunftsweisend sieht die GEW ein Ge-samtkonzept, das
ein Recht auf Weiterbildung sichert, Lernzeitansprüche sowie
ausreichende Finanzierung, Beratung und Qualität vorsieht. So
können mehr Verlas slichkeit, Verbindlichkeit und
Planungssicherheit für alle Beteiligten gesichert werden. Vor dem
Hintergrund des aktuellen Fachkräftemangels schlägt die GEW
neben Bundcsregelungen für nachhaltige strukturelle Verbesserungen
in der Weiterbildung einen zwischen Bund und Ländern abgestimmten
„Aktionsplan für Weiterbildung'" vor, der kurzfristig Effekte
entfaltet.
( ur )
GEW geht auf Distanz zur
Bertelsmann-Stiftung
Ziele nicht miteinander zu vereinbaren
Die GEW ist auf Distanz zur Bertelsmann-Stiftung gegangen. Über
Kontaktpflege und Positionsaustausch hinaus wird die
Bildungsgewerkschaft nicht mit der Stiftung zusammenarbeiten. Die
Delegierten begründeten ihren Beschluss auf dem Nürnberger
Gewerkschaftstag damit, dass die Ziele der beiden Organisationen nicht
miteinander zu vereinbaren seien, auch wenn es punktuelle
Überschneidungen einzelner bildungspolitischer Vorstellungen gebe.
Während die bildungspolitischc Leitlinie der GEW von Prinzipien
wie Öffentlichkeit, Staatlichkeit, Steuerfrnanzierung und
Demokratie geprägt sei, steht die Bertelsmarin-Stiftung für
Wettbewerb, Markt, Führung, Effizienz und Effektivität,
heißt es in dem Beschluss. Die GEW wehre sich dagegen, dass
unternehmerisches Handeln in allen Bereichen der Gesellschaft verankert
wird.
Der wachsende Einfluss der Bertelsmann-Stiftung ist auch das Resultat
des Rückzugs des Staates aus dem Bildungsbereich. Dabei fährt
die Stiftung eine Umnarmungsstrategie, um breite gesellschaftliche
Bündnisse zu schmieden. Die GEW will sich von dieser Strategie
weder einfangen lassen noch zu deren Gelingen beitragen. Sie lehnt
deshalb eine aktive und passive Mitarbeit ihrer Organe und
Funktionäre ab. Die Bildungsgewerkschaft will sich die
Unabhängigkeit erhalten, „marktorientierte politische Akteure wie
Bertelsmann offen und öffentlich zu kritisieren". Gleichzeitig
will sie sich dafür einsetzen, dass die Gemeinnützigkeit von
Unternehmensstiftungen einer besonders kritischen Prüfung
unterzogen wird. ( ur )